Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 66 Abs. 2; StGB § 66 Abs. 3 Satz 2; StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3; StGB § 66; StPO § 246a
Instanzenzug: LG Dresden vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 StGB) in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) sowie wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 und 2 StGB) in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren sechs Monaten und sieben Jahren). Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich allein dagegen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg; die Revision führt zugleich zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Die Urteilsgründe weisen aus, dass die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt sind. Die Begründung, mit der das Landgericht den materiellen Anordnungsgrund nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint und von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Den für die sachlichrechtliche Nachprüfung allein zur Verfügung stehenden Urteilsgründen (BGHSt 35, 238, 241) ist nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, ob der zur Frage der Schuldfähigkeit gehörte Sachverständige über die einen Hang ausmachenden Persönlichkeitsmerkmale des Angeklagten und die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB überhaupt vernommen worden ist. Die Frage, ob das Fehlen von Darlegungen zu den Äußerungen eines Sachverständigen im Hinblick auf die zwingende Verfahrensvorschrift des § 246a StPO (vgl. BGHR StPO § 246a Satz 1 Sicherungsverwahrung 2; BGH bei Holtz MDR 1990, 97) einen auf die Sachrüge zu beachtenden Begründungsmangel darstellt, kann hier letztlich dahinstehen, da die Entscheidung des Landgerichts, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen, auch sonst nicht tragfähig begründet worden ist.
b) Die Ausführungen des Landgerichts, dass es sich lediglich um "Gelegenheitstaten" gehandelt habe und Symptomtaten nicht vorgelegen haben, werden den zuvor getroffenen Feststellungen zu den abgeurteilten Taten nicht gerecht. Die Strafkammer stellt entscheidend darauf ab, dass "die Taten im Rahmen einer ambivalenten Beziehung zum Nachteil jeweils derselben Geschädigten" begangen wurden (UA S. 26). Die Beziehung "stellte für den Angeklagten aufgrund der Persönlichkeit der Geschädigten eine Gelegenheit dar, während der Dauer der Beziehung seinen sexuellen Neigungen in allen Spielarten teilweise mit deren Einverständnis und teilweise gegen deren Willen nachzukommen". Der Angeklagte ging unter anderem wegen seiner "Freilassung im Anschluss an die richterliche Vernehmung der Geschädigten davon aus, dass er nicht ernstlich zu befürchten hatte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, sondern weiterhin seine sexuellen Phantasien ... würde ausleben können" (UA S. 27).
Alle abgeurteilten Taten betreffen Sexualdelikte, die sich in vergleichbarer Weise angebahnt und zugetragen haben. Schon diese näheren Umstände der Taten lassen die Annahme von Gelegenheitstaten als fernliegend erscheinen. Darüber hinaus berücksichtigt das Landgericht nicht ausreichend, dass auch eine Gelegenheitstat eine Hang- bzw. Symptomtat sein kann. Die Anwendung des § 66 StGB ist lediglich ausgeschlossen, wenn eine äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat allein verursacht hat (vgl. BGH MDR 1980, 326, 327; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 7). Das angefochtene Urteil lässt zudem nicht erkennen, ob die Strafkammer bei der Gesamtwürdigung die Steigerung der besonders intensiven und brutalen Sexual- und Gewalthandlungen berücksichtigt hat.
c) Bei dieser Sachlage kann die Begründung für die beanstandete Ablehnung der Maßregelanordnung gegen den jetzt 28-jährigen Angeklagten - trotz ähnlich motivierter Taten zum Nachteil derselben Geschädigten (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10) - nicht hingenommen werden.
2. Die daher gebotene Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist, führt - allein zugunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten - zur Aufhebung der Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs. Die Strafzumessung ist zwar für sich nicht zu beanstanden; der Angeklagte ist für seine Taten zu Recht schwer bestraft worden. Im Hinblick auf die Erwägungen des Urteils zu den möglichen Auswirkungen des Vollzugs der Strafe vermag der Senat aber nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger bemessen worden wären, wenn das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGHR § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 2).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
JAAAB-95790
1Nachschlagewerk: nein