BAG Urteil v. - 9 AZR 155/01

Leitsatz

[1] In der Zusage, während der Altersteilzeit des Arbeitnehmers das Arbeitsentgelt auf einen Prozentsatz des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts aufzustocken, liegt nicht ohne weiteres die Verpflichtung des Arbeitgebers, die steuerliche Mehrbelastung zu übernehmen, die dadurch entsteht, daß zwar der Aufstockungsbetrag selbst steuerfrei bleibt, sich jedoch der Steuersatz für das zu versteuernde Einkommen erhöht.

Gesetze: EStG § 3 Nr. 28; EStG § 32 b Abs. 1 Nr. 1 g; EStG § 32 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1; AltersteilzeitG § 3 Abs. 1 Nr. 1 a

Instanzenzug: ArbG Darmstadt 9 Ca 57/00 vom LAG Hessen 7 Sa 902/00 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger während der Altersteilzeit entstandene steuerliche Mehrbelastungen auszugleichen.

Der am geborene Kläger war seit dem bei der Beklagten, einem Unternehmen der Chemieindustrie, beschäftigt. Am schlossen die Parteien auf einem Formular der Beklagten eine Altersteilzeitvereinbarung. Danach sollte das Arbeitsverhältnis ab dem als Altersteilzeitarbeitsverhältnis fortgeführt werden und am ohne Kündigung enden. Die Arbeitszeit sollte dadurch halbiert werden, daß der Kläger während der ersten Ziffer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses in Vollzeit arbeiten und später vollständig von der Arbeitsleistung freigestellt werden sollte. Neben dem anteiligen Arbeitsentgelt sollte der Kläger eine Aufstockungszahlung erhalten. Hinsichtlich derer enthielt die Vereinbarung in § 4 Abs. 1 folgende Regelung:

"Der Arbeitnehmer erhält zusätzlich eine Aufstockungszahlung in Höhe von 40 % des Arbeitsentgelts für die Altersteilzeitarbeit. Das Arbeitsentgelt ist jedoch auf mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts, das der Arbeitnehmer ohne Eintritt in die Altersteilzeitarbeit erzielt hätte, aufzustocken. Für die Berechnung dieses Nettoarbeitsentgelts ist die auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis anzuwendende Steuerklasse maßgebend."

Bereits im Jahre 1997 hatte die Beklagte für den Kläger eine "Vergleichsrechnung für Altersteilzeit" erstellt. Daraus ergab sich auf der Basis einer 18,75 Stundenwoche ein Nettoarbeitsentgelt von 3.679,49 DM und ein "Aufstockungsbetrag steuer- und sv.-frei 40 % von Brutto bei 18,75 Stunden" in Höhe von 2.233,00 DM, was zusammen 5.912,49 DM ergab. Gleichzeitig wurden 85 % des beim Kläger auf der Basis von 37,5 Stunden zugrunde zu legenden Nettoeinkommens von 6.924,21 DM mit 5.885,58 DM berechnet.

Die Beklagte hatte vor Abschluß der Altersteilzeitvereinbarung nicht auf den Umstand hingewiesen, daß der Aufstockungsbetrag zwar steuer- und sozialversicherungsfrei war, jedoch der für den Kläger maßgebliche Steuersatz sich durch den Zuschuß erhöhte ("Progressionsvorbehalt"). Allerdings hatte der Betriebsrat bereits im Jahre 1997 das Problem in einer schriftlichen Mitteilung an die Belegschaft erläutert.

Dem Kläger entstanden im Jahre 1998 steuerliche Mehrbelastungen in Höhe von 93,46 DM und im Jahre 1999 in Höhe von 1.514,22 DM, insgesamt also von 1.607,68 DM. Diese Mehrbelastungen beruhen ausschließlich auf dem Progressionsvorbehalt.

Mit der am erhobenen Klage verlangt der Kläger von der Beklagten den Ausgleich der Mehrbelastungen. Mit der Altersteilzeitvereinbarung habe die Beklagte diese Verpflichtung übernommen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.607,68 DM nebst 4 % Zinsen seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag mit der Maßgabe weiter, daß er 821,99 Euro nebst Zinsen verlangt.

Gründe

I. Die Revision ist unbegründet. Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1. Der Kläger kann den Ausgleich der durch den Progressionsvorbehalt entstehenden Steuernachteile nicht auf Grund der Altersteilzeitvereinbarung verlangen.

a) Ebenso wie bei einer sog. Nettolohnvereinbarung der Arbeitgeber zusagt, den Arbeitnehmer von der im Lohnsteuerabzugsverfahren einzubehaltenden Steuerschuld freizustellen (vgl. Schmidt/Drenseck EstG 21. Aufl. § 39 b Rn. 10 f.), kann sich der Arbeitgeber auch im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung verpflichten, die mit dem Progressionsvorbehalt verbundenen steuerlichen Mehrbelastungen zu übernehmen. Ob dies im Einzelfall geschehen ist, ergibt sich aus dem Inhalt der jeweiligen Vereinbarung. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung der Parteien in Anwendung der §§ 133, 157 BGB dahingehend ausgelegt, daß keine Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung von progressionsbedingten Mehrbelastungen besteht. Da der von der Beklagten verwandte Vordruck eine typische Vereinbarung enthält, kann der Senat die Auslegung in vollem Umfange überprüfen ( - 9 AZR 255/97 - AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 32). Sie ist nicht zu beanstanden.

b) Die Auslegung ergibt, daß nur die Übernahme der Abzüge für Lohnsteuern, nicht aber der progressionsbedingten Mehrbelastung zugesagt worden ist.

aa) Nach § 4 der Altersteilzeitvereinbarung schuldet die Beklagte dem Kläger zusätzlich zu der Zahlung des seiner Arbeitsleistung entsprechenden Arbeitsentgelts eine Aufstockungszahlung. Sie beträgt 40 % des während der Altersteilzeit zu zahlenden Arbeitsentgelts. Es ist weiterhin eine Mindestaufstockung zugesagt, die sich an dem Arbeitsentgelt orientiert, das der Arbeitnehmer ohne Eintritt in die Altersteilzeit erhalten hätte. Dieser Bruttobetrag wird um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, vermindert. Von dem so definierten Nettobetrag sind mindestens 85 % zu zahlen. Der zugesagte Mindestbetrag errechnet sich somit anhand der gesetzlichen Abzüge. Für dessen Bemessung sind nur solche steuerlichen Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, die gewöhnlich anfallen: Das sind die Lohnsteuern, die im Lohnsteuerabzugsverfahren vom Arbeitgeber abzuführen sind. Sonstige Steuern, welche die Höhe der monatlichen Abzüge vom Arbeitsentgelt unbeeinflußt lassen und sich erst bei der jährlichen Einkommenssteuerveranlagung auswirken, werden nicht erfaßt.

bb) Der vom Kläger geltend gemachte Ausgleich bezieht sich auf eine mit dem Aufstockungsbetrag verbundene einkommenssteuerliche Mehrbelastung, die auf dem Progressionsvorbehalt beruht. Dieser wirkt sich erst bei der jährlichen Einkommenssteuerveranlagung aus (zur Wirkungsweise des Progressionsvorbehalts Senat - 9 AZR 255/97 - aaO; - BAGE 91, 358).

(1) Die durch den Progressionsvorbehalt verursachte Mehrbelastung gehört nicht zu "Abzügen", deren Ausgleich der Arbeitgeber übernommen hat (siehe aa). Nach § 3 Nr. 28 EStG ist der Aufstockungsbetrag steuerfrei. Gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 g iVm. Abs. 2 Nr. 1 EStG unterliegen jedoch Steuerpflichtige, die Aufstockungsbeträge bei Altersteilzeit erhalten, einem besonderen Steuersatz. Der ergibt sich daraus, daß bei der Berechnung der Einkommenssteuer das nach § 32 a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um den Aufstockungsbetrag vermehrt wird (vgl. im einzelnen § 32 b Abs. 2 Nr. 1 EStG). Indem dem steuerlichen Einkommen eines in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmers der steuerfreie Aufstockungsbetrag zur Berechnung des Steuersatzes hinzugerechnet wird, erhöht sich der Steuersatz für das zu versteuernde Einkommen; der Aufstockungsbetrag bleibt indes steuerfrei.

Der erhöhte Steuersatz wirkt sich erst bei der jährlichen Einkommenssteuerveranlagung aus, zu deren Beantragung der Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet ist (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Zwar hat der Arbeitgeber die Aufstockungszahlungen auf der Lohnsteuerkarte und im Lohnkonto zu vermerken (§ 41 Abs. 1 Satz 5 EStG). Diese bleiben aber bei der Berechnung der vom Arbeitgeber einzubehaltenden und an das Finanzamt abzuführenden Lohnsteuer unberücksichtigt. Maßgeblich ist allein die Jahreslohnsteuer. Die wiederum bemißt sich nur nach dem Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer hochgerechnet auf das Kalenderjahr bezieht (§ 38 a Abs. 1 Satz 1 EStG).

(2) Ein konkreter Ausgleich der beim Arbeitnehmer eintretenden steuerlichen Mehrbelastung durch den Progressionsausgleich setzte danach voraus, daß der Arbeitnehmer jeweils nach der Veranlagung zur Einkommenssteuer seinen Steuerbescheid vorlegte. Es kommt auch in Betracht, daß ein Arbeitgeber den Ausgleich der Belastungen übernimmt, die sich - wie konkret beim Kläger - ohne Berücksichtigung persönlicher Steuermerkmale allein durch den Wechsel in die Altersteilzeit unter Berücksichtigung der konkreten Steuerklasse des Arbeitnehmers ergeben. Ein derart pauschalierter Ersatz der Progressionsnachteile könnte aber dazu führen, daß dem Arbeitnehmer mehr gezahlt würde, als für ihn konkret, zB bei negativen, nicht mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Einkünften, an steuerlichen Nachteilen entsteht.

Die Parteien haben weder die Vorlage des Einkommenssteuerbescheids noch eine Pauschalierung geregelt. Das läßt den Schluß zu, daß steuerliche Mehrbelastungen, die bei der einkommenssteuerlichen Veranlagung auftreten, unberücksichtigt bleiben sollen.

c) Auch wenn zu Gunsten des Klägers die von der Beklagten im Jahr vor dem Beginn der Altersteilzeit durchgeführte "Vergleichsberechnung" berücksichtigt wird, konnte der Kläger die Altersteilzeitvereinbarung nicht so verstehen, daß die progressionsbedingten Nachteile bei der Einkommenssteuerveranlagung übernommen werden sollten. Die Vergleichsberechnung diente dazu, einen Überblick über die voraussichtliche Höhe des monatlichen Aufstockungsbetrages zu verschaffen. Ihr waren keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die Beklagte die sich aus dem Progressionsvorbehalt ergebende jährliche Mehrbelastung übernehmen wollte.

d) Zugunsten des Klägers greift auch nicht die Unklarheitenregel ein. Die gefundene Auslegung läßt keine Unklarheit der Vereinbarung der Parteien erkennen.

e) Dieses Auslegungsergebnis entspricht der Rechtsprechung des Senats zu dem vergleichbaren Fall des Aufhebungsvertrages. Dort hat der Senat erkannt, daß eine Nettovereinbarung für Leistungen nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenfalls keine Freistellung von steuerlichen Mehrbelastungen beinhaltet ( - 9 AZR 255/97 - aaO). Entgegen Rittweger (NZS 2000, 240, 242) macht es keinen Unterschied, ob das Arbeitsverhältnis - wie hier - während der Alters-teilzeit noch fortdauert oder - wie in dem vom Senat entschiedenen Fall der Frühpensionierung - schon beendet ist. Zwar kann sich der Arbeitgeber in beiden Fällen zur Übernahme von Nachteilen aus dem steuerlichen Progressionsvorbehalt verpflichten (vgl. für einen Tarifvertrag - aaO). Für die Annahme eines derartigen Verpflichtungwillens bedarf es jedoch in jedem Einzelfall greifbarer Anhaltspunkte. Das entspricht auch der Verkehrsauffassung. So sind in ihren Hinweisen zum Tarifvertrag zur Förderung der Altersteilzeit die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, daß der Arbeitgeber nicht zur Übernahme der progressionsbedingten Mehrbelastung verpflichtet ist.

2. Die Beklagte ist auch nicht auf Grund des Altersteilzeitgesetzes zur Freistellung von der progressionsbedingten Mehrbelastung verpflichtet.

§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a dieses Gesetzes sieht vor, daß das Arbeitsentgelt für die Altersteilzeit um mindestens 20 vH des Arbeitsentgelts, jedoch auf mindestens 70 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgelts aufgestockt wird. Diese Bestimmung regelt Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit nach § 4 des Gesetzes. Die Übernahme steuerlicher Belastungen ist nicht geregelt.

3. Der Kläger kann auch keinen Ausgleich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Aufklärungspflichten verlangen.

Da hier die ab geltende Neufassung des BGB noch nicht heranzuziehen ist, sind die Regeln über eine positive Vertragsverletzung des Arbeitsvertrages der Parteien bzw. des Verschuldens beim Vertragsschluß der Altersteilzeitvereinbarung anzuwenden. Schadensersatzansprüche stehen dem Kläger danach nicht zu. Die Beklagte hat keine Aufklärungspflichten verletzt.

Voraussetzung und Umfang der Aufklärungspflichten ergeben sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Dabei sind die Interessen der Vertragsparteien unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen. Maßgeblich sind die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits. In der Regel muß sich der Arbeitnehmer, bevor er eine Vereinbarung in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis abschließt, über die Folgen einer solchen Vereinbarung Klarheit verschaffen. Gesteigerte Informationspflichten des Arbeitgebers können sich jedoch ergeben, wenn der Abschluß einer Vertragsänderung auf seine Initiative zurückgeht. Dann kann der Arbeitgeber den Eindruck erwecken, er werde auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Risiken aussetzen (vgl. für einen Aufhebungsvertrag - AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 59). Der Kläger hat nicht behauptet, der Abschluß der Vereinbarung sei auf Initiative der Beklagten zurückgegangen. Im Hinblick auf frühere Veröffentlichungen des Betriebsrats bestand auch kein erkennbares Informationsbedürfnis. Schließlich ging es nicht um außerordentliche Risiken, sondern nur um vorübergehende verhältnismäßig geringfügige Beeinträchtigungen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 2605 Nr. 50
BFH/NV-Beilage 2003 S. 147 Nr. 2
DB 2002 S. 2491 Nr. 47
QAAAB-94917

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