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BAG Beschluss v. - 7 ABR 27/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 18 Abs. 1; BetrVG § 18 Abs. 2

Instanzenzug: ArbG Hannover 1 BV 9/03 vom LAG Niedersachsen 16 TaBV 86/03 vom

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Ersetzung eines Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl.

Die zu 1), 3) und 4) beteiligten Antragsteller sind Arbeitnehmer der zu 6) beteiligten Arbeitgeberin in deren Geschäftsstelle H . Der zu 2) beteiligte Antragsteller war ebenfalls bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Er ist im Laufe des vorliegenden Verfahrens aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden.

Am fand in der Geschäftsstelle H eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands zum Zwecke der erstmaligen Durchführung der Wahl eines Betriebsrats für diese Geschäftsstelle statt. In der Betriebsversammlung wurde von der Mehrheit der anwesenden Mitarbeiter der zu 5) beteiligte Wahlvorstand gewählt. Der Wahlvorstand erließ am das Wahlausschreiben und legte den als Tag der Stimmabgabe fest. Mit E-Mail vom 4. Mai und brach der Wahlvorstand die bevorstehende Betriebsratswahl wegen formeller Fehler beim Versand der Briefwahlunterlagen ab. Mit Erlass eines weiteren Wahlausschreibens vom leitete der Wahlvorstand die Betriebsratswahl erneut ein und bestimmte den als Tag der Stimmabgabe. Am brach der Wahlvorstand die beabsichtigte Betriebsratswahl wiederum ab und beschloss, vorab ein Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG durchzuführen, da aus seiner Sicht Zweifel an der Betriebsratsfähigkeit der Geschäftsstelle H bestanden. Das Beschlussverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG wurde am vom Wahlvorstand beim Arbeitsgericht eingeleitet. Bereits zuvor hatten die Antragsteller mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift in diesem Verfahren die gerichtliche Ersetzung des Wahlvorstands gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 BetrVG beantragt.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, der Wahlvorstand sei seiner Verpflichtung zur Durchführung der Wahl nicht nachgekommen. Er habe bereits zwei Wahlen eingeleitet und wieder abgebrochen, ohne zuvor unabhängige rechtliche Beratung einzuholen. Das vom Wahlvorstand beabsichtigte und zwischenzeitlich eingeleitete Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG habe der Durchführung der Wahl nicht entgegengestanden.

Die zu 1), 2), 3) und 4) beteiligten Antragsteller haben beantragt:

Das Arbeitsgericht bestellt einen aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl, bestehend aus

- L K als Vorsitzenden sowie

- dem Angestellten O S und

- dem Angestellten J W .

Der Wahlvorstand und die Arbeitgeberin haben die Zurückweisung des Antrags beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag im Wesentlichen entsprochen und einen Wahlvorstand, bestehend aus J W sowie den zu 3) und 4) beteiligten Antragstellern bestellt. Auf die Beschwerde des Wahlvorstands und der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehren die zu 1), 3) und 4) beteiligten Antragsteller die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Wahlvorstand und die Arbeitgeberin beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts hat das Arbeitsgericht in dem vom Wahlvorstand eingeleiteten Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG rechtskräftig festgestellt, dass die Geschäftsstelle H der Arbeitgeberin keine betriebsratsfähige Organisationseinheit iSd. §§ 1, 4 BetrVG ist.

II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen. Der Antrag ist nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts unzulässig geworden, weil das Arbeitsgericht in dem vom Wahlvorstand eingeleiteten Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG rechtskräftig festgestellt hat, dass die Geschäftsstelle H der Arbeitgeberin keine betriebsratsfähige Organisationseinheit ist. Damit besteht kein Rechtsschutzinteresse mehr an der Bestellung oder Ersetzung eines Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl in dieser Geschäftsstelle.

1. Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Dabei muss das Rechtsbeschwerdegericht auch Umstände berücksichtigen, die erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens eingetreten sind ( - BAGE 67, 316 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 20 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 29, zu B der Gründe; - 7 ABR 45/97 - AP MitBestG § 21 Nr. 1 = EzA MitbestG § 14 Nr. 1, zu B I der Gründe). Für einen Gestaltungsantrag, um den es sich bei dem Antrag auf Ersetzung des Wahlvorstands nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BetrVG handelt, fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn die Entscheidung keine gestaltende Wirkung haben kann (ErfKomm/Eisemann 5. Aufl. § 81 ArbGG Rn. 8; Fitting BetrVG 22. Aufl. nach § 1 Rn. 28; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge-Matthes ArbGG 5. Aufl. § 81 Rn. 30). Das ist der Fall, wenn der Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl in einer Betriebsstätte bestellt oder gewählt worden ist, obwohl die Betriebsstätte keine betriebsratsfähige Organisationseinheit ist. Hat das Arbeitsgericht die fehlende Betriebsratsfähigkeit der Betriebsstätte in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG rechtskräftig festgestellt, entfaltet der Beschluss präjudizielle Bindungswirkung für alle an dem Verfahren Beteiligten und wirkt darüber hinaus auch im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern ( - BAGE 68, 1 = AP BetrVG 1972 § 18 Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 18 Nr. 7, zu II 2 c der Gründe; ErfKomm/Eisemann 5. Aufl. § 84 ArbGG Rn. 3; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller- Glöge-Matthes ArbGG 5. Aufl. § 84 Rn. 26; GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 18 Rn. 61 und 63). Die Rechtskrafterstreckung auch auf die Arbeitnehmer des Betriebs folgt aus dem Zweck des in § 18 Abs. 2 BetrVG geregelten Verfahrens. Dieses dient der verbindlichen Klärung von Zweifeln über die zutreffende Betriebsabgrenzung als Grundlage der gesamten Betriebsverfassung. Dieser Regelungszweck kann nur erreicht werden, wenn die in dem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangene Entscheidung auch im Verhältnis zu den betriebsangehörigen Arbeitnehmern wirkt.

Eine in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG noch vor Abschluss einer Betriebsratswahl ergangene rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts ist für die laufende Wahl verbindlich. Ist der Wahlvorstand bei der Einleitung der Wahl von einem anderen als dem vom Arbeitsgericht festgestellten Betriebsbegriff ausgegangen, ist die Wahl abzubrechen und eine neue Wahl unter Berücksichtigung der gerichtlichen Entscheidung einzuleiten (ErfKomm/Eisemann 5. Aufl. § 18 BetrVG Rn. 7; Fitting BetrVG 22. Aufl. § 18 Rn. 61; GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 18 Rn. 61; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider BetrVG 9. Aufl. § 18 Rn. 22). Ob der bisherige Wahlvorstand zur Durchführung der neuen Wahl im Amt bleibt, hängt davon ab, ob seine Bestellung in Übereinstimmung mit der gerichtlichen Betriebsabgrenzung erfolgt ist. Ist das nicht der Fall, endet das Amt des Wahlvorstands, weil er seine Funktion, die Wahl eines Betriebsrats für die Betriebsstätte durchzuführen, nicht mehr ausüben kann. An seiner Ersetzung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch das Gericht besteht kein Rechtsschutzinteresse. Für die neu einzuleitende Betriebsratswahl ist vielmehr ein neuer Wahlvorstand nach §§ 16, 17 BetrVG zu bestellen oder zu wählen.

2. Hiernach besteht kein rechtliches Interesse der Antragsteller an der begehrten Ersetzung des Wahlvorstands. Das Amt des Wahlvorstands hat geendet, da das Arbeitsgericht in dem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG rechtskräftig festgestellt hat, dass die Geschäftsstelle H keine betriebsratsfähige Organisationseinheit ist. Dieser Beschluss bindet auch die am vorliegenden Verfahren Beteiligten einschließlich der Antragsteller. Diese waren zwar an dem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG nicht beteiligt und hatten daher selbst nicht die Möglichkeit, durch tatsächliches Vorbringen, Rechtsausführungen oder die Einlegung von Rechtsmitteln auf den Ausgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Das Arbeitsgericht hatte aber bei seiner Entscheidung nicht nur den Sachvortrag der an dem Verfahren beteiligten Arbeitgeberin und des Wahlvorstands zu berücksichtigen, sondern war nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG verpflichtet, den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen zu erforschen. Deshalb hing das Ergebnis des Verfahrens nicht ausschließlich von der Disposition der Verfahrensbeteiligten ab. Wegen der bindenden Entscheidung des Arbeitsgerichts in dem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ist die Wahl eines Betriebsrats für die Geschäftsstelle H unzulässig. Für die Bestellung oder Ersetzung eines Wahlvorstands zur Durchführung einer derartigen Wahl besteht deshalb kein Bedürfnis.

Fundstelle(n):
LAAAB-94602

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