Leitsatz
[1] Nach § 71 BAT haben die Angestellten, die am in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am mit demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, einen weitergehenden Anspruch auf Krankenbezüge über den Ablauf des Sechs-Wochen-Zeitraums des § 37 BAT hinaus. Die Anwendbarkeit dieser Tarifbestimmung auf einen im Tarifgebiet West beschäftigten Angestellten, dessen Arbeitsverhältnis im Tarifgebiet Ost begründet worden ist, setzt voraus, dass für das betreffende Arbeitsverhältnis an diesen Stichtagen der BAT (West) gegolten hat.
Gesetze: BAT § 71; BAT § 37 idF bis zum 30. Juni 19994; BAT § 37 nF; BAT-O § 37; ArbG § 76 Abs. 1 Satz 1; ArbG § 76 Abs. 1 Satz 3; GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug: ArbG Berlin 96 Ca 13425/02 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Krankenbezüge nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung.
Der Kläger war seit Juli 1984 beim Magistrat Ost-Berlin angestellt. Er wurde vom beklagten Land ab Januar 1991 im Bereich der Senatsverwaltung für Jugend und Familie als Sozialarbeiter zunächst in Berlin-Friedrichshain (ehemaliger Ostteil) weiterbeschäftigt. Die Parteien schlossen mit Wirkung zum einen Arbeitsvertrag, nach dessen § 4 sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT-O bestimmt.
In der Zeit vom bis zum arbeitete der Kläger im Tarifgebiet West. Nach dem rechtskräftigen - 4 Ca 36145/93 -) findet auf das Arbeitsverhältnis für die Dauer des Einsatzes im Tarifgebiet West der BAT Anwendung. In diesem Tarifgebiet wird der Kläger erneut seit dem beschäftigt. Nach § 3 des Arbeitsvertrags der Parteien vom bestimmt sich das Arbeitsverhältnis für die Dauer dieses Einsatzes nach dem BAT und während des Einsatzes im Tarifgebiet Ost nach dem BAT-O.
Der Kläger war in der Zeit vom bis zum arbeitsunfähig erkrankt. Er erhielt Krankenbezüge nach § 37 BAT nF bis einschließlich . § 37 BAT ist durch den 69. Änderungstarifvertrag zum BAT vom mit Wirkung zum neu gefasst worden und sieht nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung an Stelle verlängerter Zahlung von Krankenbezügen nur noch einen Krankengeldzuschuss vor. § 71 BAT enthält hierzu eine Übergangsregelung. Darin heißt es:
"Abschnitt XV Übergangs- und Schlußvorschriften
§ 71
Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen
Für die Angestellten, die am in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, gilt anstelle des § 37 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses folgendes:
(1) ...
(2) Krankenbezüge werden bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Unbeschadet des Satzes 1 werden sie nach einer Dienstzeit (§ 20) von mindestens zwei Jahren bis zum Ende der 9. Woche, drei Jahren bis zum Ende der 12. Woche, fünf Jahren bis zum Ende der 15. Woche, acht Jahren bis zum Ende der 18. Woche, 10 Jahren bis zum Ende der 26. Woche, seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlt.
..."
Der Kläger ist der Ansicht, er könne nach der Übergangsregelung des § 71 BAT während eines Einsatzes im Tarifgebiet West die Gewährung von Krankenbezügen nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums beanspruchen. Er habe an den in dieser Vorschrift geregelten Stichtagen in einem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gestanden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien § 71 BAT anzuwenden ist.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 71 BAT sei nach seinem Sinn und Zweck nur auf diejenigen Angestellten anwendbar, für die der BAT an den in der Tarifvorschrift geregelten Stichtagen gegolten habe. Zu diesem Personenkreis zähle der Kläger nicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision im Urteil zugelassen. Das beklagte Land hat der Sprungrevision mit Schreiben vom zugestimmt und dieses Schreiben am gleichen Tag per Telefax der Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelt. Der Kläger hat gegen das ihm am zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom , am gleichen Tage per Telefax beim Bundesarbeitsgericht eingegangen, Sprungrevision eingelegt. Dem per Telefax am beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz war die per Telefax übermittelte Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision beigefügt. Der Kläger verfolgt mit seiner Sprungrevision seinen Klageantrag weiter. Das beklagte Land beantragt, die Sprungrevision des Klägers zurückzuweisen.
Gründe
Die zulässige Sprungrevision ist unbegründet.
I. Die Sprungrevision ist zulässig. Sie genügt den gesetzlichen Formerfordernissen.
1. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar die Revision (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und die Sprungrevision vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil oder nachträglich durch Beschluss zugelassen wird. Bei einer Zulassung im Urteil ist der Revisionsschrift gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die schriftliche Zustimmung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen.
2. Diesen Anforderungen genügt die vom Kläger fristgerecht per Telefax eingelegte Sprungrevision. Zur Wahrung des Schriftformerfordernisses des § 76 Abs. 1 Satz 1 und 3 ArbGG reicht es aus, das Telefax, mit dem der Gegner die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erteilt hat, fristgerecht per Telefax zu übermitteln ( - BAGE 98, 35, zu A der Gründe; - BSGE 79, 235, zur inhaltsgleichen Regelung des § 161 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG). Die Zustimmungserklärung ist dem Prozessgegner zu erteilen und innerhalb der Rechtsmittelfrist dem Revisionsgericht gegenüber zu belegen. Ist sie - wie hier - unmittelbar der Prozessbevollmächtigten des Prozessgegners gegenüber durch Telefax erklärt worden und war zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger keine Mittelsperson eingeschaltet, deren Verhalten den Inhalt oder die Übermittlung der Erklärung beeinflussen konnte, bestehen gegen die Erteilung der Zustimmung durch Telefax direkt an den Prozessgegner ebenso wenig Bedenken wie gegen die Einlegung eines Rechtsmittels durch Telefax bei Gericht (vgl. - aaO). Die Zulässigkeit der Übermittlungsform hinsichtlich der Vorlage der per Telefax erteilten Zustimmung beim Bundesarbeitsgericht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG richtet sich nach den gleichen Grundsätzen, nach denen ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Das Schriftstück, in dem der Rechtsmittelgegner die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision - dem Revisionskläger gegenüber - erteilt, kann daher - ebenso wie die Revisionsschrift selbst - vom Revisionskläger per Telefax an das Bundesarbeitsgericht übermittelt werden ( -; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 76 Rn. 17). Das gilt aus Gründen einer effektiven Rechtsschutzgewährung erst Recht, wenn die Übermittlung der Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision gegenüber dem Revisionskläger per Telefax erst am Tage des Ablaufs der Revisionsfrist erfolgt.
II. Die Sprungrevision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Feststellungsantrag bedarf allerdings der Auslegung. Seinem Wortlaut nach betrifft er die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage und nicht die eines konkreten Rechtsverhältnisses iSd. § 256 ZPO. Aus dem Sachvortrag des Klägers, der für die Auslegung seines Antrags herangezogen werden kann, folgt jedoch sein eigentliches Klageziel. Es ist darauf gerichtet zu klären, ob er von seinem Arbeitgeber im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums Krankenbezüge gem. § 71 BAT beanspruchen kann.
2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann vom beklagten Land nicht die Gewährung von Krankenbezügen nach Ablauf des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums verlangen. Er erfüllt nicht die tariflichen Voraussetzungen des § 71 BAT. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt an den in dieser Tarifnorm geregelten Stichtagen der BAT nicht.
a) Die Überschrift des § 71 BAT bezeichnet den Regelungsinhalt der Tarifnorm als "Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen". Dementsprechend ist die Vorschrift in systematischer Hinsicht nicht - wie § 37 BAT - dem Abschn. VIII "Sozialbezüge", sondern dem letzten Abschn. XV "Übergangs- und Schlußvorschriften" zugeordnet. Eine "Übergangsregelung" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Regelung für den Übergang von einem alten Rechtszustand in einen neuen (Duden Deutsches Universalwörterbuch 4. Aufl. S. 1622). Dementsprechend bewirkt die Norm, dass der Inhalt des bis zum geltenden § 37 BAT aF nach Maßgabe des § 71 BAT auch über den an Stelle des § 37 BAT nF weitergilt. § 71 BAT wurde durch § 1 Nr. 19 des 69. Änderungstarifvertrags vom mit Wirkung zum (§ 5 Satz 2 Buchst. a des 69. Änderungstarifvertrags) eingefügt. Durch den 69. Änderungstarifvertrag vom wurde die Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall nach Ablauf der sechsten Woche grundlegend neu geregelt. Wie bereits für Angestellte im Tarifgebiet Ost werden nach § 37 BAT nF Krankenbezüge in Höhe der Urlaubsvergütung nur noch bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Nach Ablauf dieser Frist wird gemäß § 37 Abs. 3 BAT nF für einen von der Dauer der Beschäftigung abhängigen Zeitraum lediglich ein Krankengeldzuschuss gewährt. Für Angestellte, die bereits vor dieser Änderung des § 37 BAT zum in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben (Stichtag: ), das nach dem In-Kraft-Treten der Neuregelung (Stichtag: ) zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, wurde in § 71 BAT "für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses" eine, ausdrücklich auch als solche bezeichnete "Übergangsregelung" geschaffen, die für diesen Personenkreis für die Dauer des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses die Fortgeltung des bisherigen Rechts vorsieht (zur Entstehungsgeschichte vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Dezember 2003 § 71 Rn. 4).
b) § 71 BAT bezweckt anlässlich der Neufassung des § 37 BAT zum eine übergangsweise Aufrechterhaltung des bisherigen Rechts zur Wahrung des Besitz- bzw. Rechtsstands derjenigen Angestellten, die an den festgelegten Stichtagen eine Anspruchsberechtigung nach der bisherigen Fassung des § 37 BAT hatten. Aus dem Sinn und Zweck des § 71 BAT als Übergangsregelung zur Besitz- bzw. Rechtsstandswahrung folgt für die Anwendbarkeit dieser Tarifnorm zwingend, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers an den festgelegten Stichtagen überhaupt vom Geltungsbereich des BAT erfasst sein musste. Arbeitnehmer, für die an den Stichtagen der BAT-O galt, hatten bei In-Kraft-Treten der Neufassung des § 37 BAT nF keine Anspruchsberechtigung nach der bisherigen Fassung dieser Tarifbestimmung, die durch eine rechtsstandswahrende Übergangsregelung hätte aufrechterhalten werden können. Im Geltungsbereich des BAT-O bestand bereits seit dessen In-Kraft-Treten zum gemäß § 37 BAT-O kein Anspruch auf Fortzahlung von Krankenbezügen über den Sechs-Wochen-Zeitraum hinaus, sondern nur auf Zahlung eines das Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung ergänzenden Zuschusses. Als Übergangsregelung ist § 71 BAT nicht dazu bestimmt, eine zuvor nicht bestehende Anspruchsberechtigung nach dem bis zum geltenden Tarifrecht nachträglich zu begründen.
c) Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt nach der rechtskräftigen Entscheidung des an den in § 71 BAT festgelegten Stichtagen (/) nicht der BAT. Das hat zur Folge, dass dem Kläger in diesem Zeitpunkt keine Anspruchsberechtigung nach § 37 BAT (West) aF zustand. Die auf Grund der Beschäftigung im Tarifgebiet West mit Wirkung zum auf nicht absehbare Zeit eingetretene Anwendbarkeit des BAT führt nach dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung in § 71 BAT nicht dazu, dass die zum Zeitpunkt der Änderung des § 37 BAT mangels Anwendbarkeit des BAT nicht bestehende Anspruchsberechtigung des Klägers nach dem früheren Tarifrecht nunmehr erstmals begründet wird. Der BAT und der BAT-O schließen sich wegen ihrer unterschiedlichen Geltungsbereiche gegenseitig aus ( - BAGE 93, 63, zu II 2 a der Gründe). Ein Arbeitsverhältnis, das an den in § 71 BAT festgelegten Stichtagen dem Geltungsbereich des BAT-O unterliegt, wird vom Anwendungsbereich des BAT nicht erfasst. Es ist deshalb unerheblich, dass der Kläger bereits in der Zeit vom bis im Tarifgebiet West beschäftigt war und begrenzt auf diesen Zeitraum der BAT galt. Für die Anwendbarkeit des § 71 BAT ist in zeitlicher Hinsicht allein maßgeblich, dass an den darin normierten Stichtagen ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des BAT zu demselben Arbeitgeber bestanden hat. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, welche Beschäftigungszeiten der Angestellte vor oder nach den festgelegten Stichtagen im Geltungsbereich des BAT zurückgelegt hat.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers verletzt die Stichtagsregelung des § 71 BAT nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Ausschluss derjenigen Angestellten aus dem begünstigten Personenkreis, deren Arbeitsverhältnis an den festgelegten Stichtagen nicht dem Geltungsbereich des BAT unterfiel, ist nicht gleichheitswidrig. Stichtagsregelungen sind als Ausdruck einer pauschalierten Betrachtung und im Interesse der Praktikabilität zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Stichtages an dem zu regelnden Sachverhalt ausrichtet und demnach sachlich vertretbar ist ( - AP TVG § 1 Beschäftigungssicherung Nr. 1 = EzA GG Art. 3 Nr. 99, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A II 2 b aa der Gründe; - 6 AZR 64/03 - AP TzBfG § 4 Nr. 7 = EzA TzBfG § 4 Nr. 8, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 3 b der Gründe; ErfK/Dieterich 4. Aufl. Art. 3 GG Rn. 48). Die von den Tarifvertragsparteien getroffene Wahl des Stichtages orientiert sich daran, dass mit der Neuregelung des § 37 BAT dessen frühere Fassung außer Kraft trat und die neue Fassung mit Wirkung zum galt. Dementsprechend war ein Bestandsschutz nur für die zu diesem Zeitpunkt Anspruchsberechtigten regelungsbedürftig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2004 S. 2824 Nr. 51
DB 2004 S. 2701 Nr. 50
CAAAB-94550
1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein