Leitsatz
[1] Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die bei der Gewährung von Sonderurlaub bis zum Ende des Vertragsverhältnisses die Aufnahme einer dem Urlaubszweck nicht widersprechenden beruflichen Tätigkeit unter Genehmigungsvorbehalt stellt, regelt einen Erlaubnisvorbehalt für eine solche Tätigkeit. Das verpflichtet einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, die beantragte Erlaubnis zu erteilen, soweit die beabsichtigte Tätigkeit dem Zweck der Sonderurlaubsgewährung nicht entgegensteht und eine konkrete Gefährdung berechtigter dienstlicher Interessen nicht zu erwarten ist.
Gesetze: ArbGG § 72 Abs. 5; ZPO § 554 Abs. 3 Nr. 3 in der bis zum geltenden Fassung; TVG § 4 Abs. 3; BGB § 133; BGB § 157; BGB § 242; GG Art. 12 Abs. 1 Satz 1; BremBG § 64 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2; BremBG § 64 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3; BremBG § 64 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6; BremBG § 68a; BAT § 11 Satz 1
Instanzenzug: ArbG Bremen 5 Ca 5229/00 vom LAG Bremen 2 Sa 242/00 vom
Gründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf die Erteilung einer zeitlich und inhaltlich unbeschränkten Nebentätigkeitsgenehmigung.
I. Die Revision der Beklagten ist in Bezug auf den Klageantrag zu 1 unzulässig. Sie genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen.
1. Zur Zulässigkeit der Revision gehört deren Begründung (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO aF). Der Revisionskläger hat für jedes mit der Revision verfolgte Begehren die Umstände darzulegen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Hat das Landesarbeitsgericht über mehrere selbständige Streitgegenstände mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muß die Revision für jeden dieser Streitgegenstände begründet werden. Hinsichtlich eines Streitgegenstandes, für den keine Revisionsbegründung vorliegt, ist die Revision unzulässig ( -, zu II 1 der Gründe; - 5 AZR 428/96 - BAGE 86, 261, 263, 264; - 4 AZR 653/95 - AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 35 = EzA ZPO § 554 Nr. 6). Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision gehört die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Dies erfordert, daß sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt ( - BAGE 87, 41, 44). Dadurch soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleistet und sichergestellt werden, daß der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil nur mit Blick auf erhebliche Revisionsgründe zur Entscheidung stellt ( - AP TVG § 1 Tarifverträge: DDR Nr. 40 = EzA ZPO § 554 Nr. 9, zu I 2 der Gründe).
2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung der Beklagten hinsichtlich des Klageanspruchs zu 1 nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht hat sich wegen der nicht durch dienstliche Interessen gebotenen Begrenzung der Nebentätigkeit des Klägers auf wöchentlich acht Stunden auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit zeitlicher Begrenzungen von Nebentätigkeiten teilzeitbeschäftigter Angestellter ( - AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34) berufen. Mit dieser tragenden Begründung hat sich die Revision nicht auseinandergesetzt; Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts hat sie nicht benannt. Die Revisionsangriffe der Beklagten richten sich ausschließlich gegen ihre Verurteilung zur Erteilung einer inhaltlich unbeschränkten Nebentätigkeitsgenehmigung.
II. Die im übrigen zulässige Revision ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß dem Kläger auch die Durchführung von Projektplanungen für Objekte innerhalb des Zuständigkeitsbereichs seiner früheren Beschäftigungsdienststelle zu genehmigen ist.
1. Diese Verpflichtung der Beklagten ergibt sich entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht aus § 11 Satz 1 BAT auf Grund einer sinngemäßen Anwendung der für Tätigkeiten von Ruhestandsbeamten geltenden landesrechtlichen Bestimmungen. Der Anspruch des Klägers auf eine inhaltlich unbeschränkte Nebentätigkeitsgenehmigung folgt bereits aus § 2 Satz 2 der Sonderurlaubsvereinbarung der Parteien vom . Mit dieser Vereinbarung haben die Parteien die in § 11 Satz 1 BAT getroffene Regelung abbedungen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob diese Tarifvorschrift auch das Erfordernis und die Voraussetzungen einer Nebentätigkeitsgenehmigung in einem dauerhaft ruhenden Arbeitsverhältnis ohne Rückkehrmöglichkeit regelt.
a) Nach § 11 Satz 1 BAT finden für die Nebentätigkeit des Angestellten zwar die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen sinngemäß Anwendung. Diese Verweisung auf die beamtenrechtlichen Bestimmungen (Gesetze, Verordnungen, Erlasse) ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig ( - BAGE 83, 311, 315 mwN). Ungeachtet der im Arbeitsvertrag vereinbarten Geltung des BAT kann die Anwendbarkeit dieser Tarifbestimmung aber vertraglich ausgeschlossen oder durch eine andere Regelung ersetzt werden. Das kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Ob eine tarifliche Regelung durch eine einzelvertragliche Vereinbarung abbedungen wurde, ist grundsätzlich von den Tatsacheninstanzen gemäß §§ 133, 157 BGB durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen durch die Tatsachengerichte ist in der Revisionsinstanz nur darauf hin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist (st. Rspr., vgl. - AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 13 = EzA BGB § 620 Nr. 193; - 5 AZR 296/99 - BAGE 96, 237, 241 mwN).
b) Von einer solchen Auslegung hat das Landesarbeitsgericht allerdings abgesehen. Es hat ohne nähere Feststellung des Inhalts der Vereinbarung angenommen, die in § 2 der Sonderurlaubsvereinbarung vom getroffenen Regelungen seien in sich widersprüchlich und deshalb entweder unwirksam oder entsprechend § 11 Satz 1 BAT auszulegen. Dabei hat das Landesarbeitsgericht verkannt, daß die Parteien in § 2 Satz 1 der Vereinbarung vom das Erfordernis einer Nebentätigkeitsgenehmigung und im anschließenden Satz 2 deren Voraussetzungen in einem ruhenden Arbeitsverhältnis abschließend geregelt und die Anwendbarkeit des § 11 Satz 1 BAT damit konkludent abbedungen haben. Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann den Rechtsstreit selbst entscheiden. Die Parteien haben alle Tatsachen vorgetragen, die beim Abschluß der Vereinbarung vom maßgeblich waren. Es steht nicht zu erwarten, daß sie im Fall einer Zurückverweisung weitere, für die Entscheidung erhebliche Umstände darlegen können.
c) Die Parteien haben zwar im Arbeitsvertrag die Geltung des BAT vereinbart. Mit ihrer in § 2 Satz 2 der Sonderurlaubsvereinbarung vom getroffenen einzelvertraglichen Abrede habe sie jedoch die in § 11 Satz 1 BAT geregelte Verweisung auf die beamtenrechtlichen Bestimmungen wirksam abbedungen und zugunsten des Klägers durch eine eigenständige Regelung ersetzt. Für dieses Verständnis der Abrede ist maßgebend, daß den Parteien bei Abschluß der Sonderurlaubsvereinbarung bekannt war, daß der Kläger infolge der dauerhaften Beurlaubung jedenfalls bis zum Eintritt des Versicherungsfalles auf die Ausübung von Erwerbstätigkeit zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen sein wird. In Kenntnis des Umstandes, daß ohne erneute Vereinbarung die wechselseitigen Hauptleistungspflichten aus diesem Vertragsverhältnis dauerhaft ruhen und der Kläger in seinem früheren Zuständigkeitsbereich nicht mehr für die Beklagte tätig werden kann, haben sie für die Genehmigung von Tätigkeiten des Klägers während des Sonderurlaubs eine eigenständige Regelung geschaffen und sich nicht mit der Geltung des § 11 Satz 1 BAT begnügt. Vielmehr haben sie entsprechend ihrer besonderen Interessenlage vereinbart, daß die Tätigkeit des Klägers dem Zweck des Sonderurlaubs nicht zuwiderlaufen darf. Aus der umfassenden, in sich geschlossenen Regelung in § 2 der Vereinbarung wird auch ihr Wille ersichtlich, die Voraussetzungen der Nebentätigkeitsgenehmigung vollständig und abschließend zu regeln und sie gerade nicht den bei der Beklagten geltenden beamtenrechtlichen Bestimmungen entsprechend § 11 Satz 1 BAT zu überantworten.
2. Nach dem Wortlaut des § 2 Satz 2 der Vereinbarung vom "darf" der Dienstvorgesetzte die Nebentätigkeiten genehmigen, soweit sie dem Zweck des Urlaubs nicht zuwiderlaufen. Eine solche Vereinbarung ist wirksam. Sie regelt einen Erlaubnisvorbehalt für Tätigkeiten außerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ( - EzA BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 6 = AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 8 mit Anm. Singer). Nach der st. Rspr. des BAG begründet sie jedoch keinen Ermessensspielraum des Arbeitgebers hinsichtlich seiner Entscheidung über die Erteilung der Erlaubnis ( -; - 6 AZR 605/97 - AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 5 = EzA BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2, zu I 2 der Gründe; - 9 AZR 464/00 - aaO). Vielmehr ist sie wegen des Grundrechts des Arbeitnehmers auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) gemäß § 242 BGB verfassungskonform dahin auszulegen, daß ein Rechtsanspruch auf die beantragte Genehmigung besteht, wenn die in Aussicht genommene Tätigkeit dem Zweck des Sonderurlaubs nicht zuwiderläuft und die auch in einem ruhenden Arbeitsverhältnis fortbestehenden dienstlichen Interessen des öffentlichen Arbeitgebers gewahrt bleiben (vgl. - aaO).
3. Die vom Kläger beabsichtigten Projektplanungen für Objekte auch innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bauamts laufen dem Zweck des Sonderurlaubs nicht zuwider. Dieser ist nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers zur Aufrechterhaltung seines Anspruchs auf Versorgungsrente der VBL vereinbart worden. Für diesen Urlaubszweck ist es unerheblich, ob der Kläger Projektplanungen im Auftrag privater Bauherren für Objekte nur außerhalb oder auch innerhalb seines früheren Zuständigkeitsbereichs durchführt.
4. Bei der Durchführung von Projektplanungen für Objekte auch innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bauamts ist eine Beeinträchtigung berechtigter dienstlicher Interessen wegen der besonderen Umstände des Ausgangsfalls nicht zu erwarten. Eine solche müßte nach den jeweiligen Gegebenheiten des Einzelfalls bei verständiger Würdigung der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung einer Nebentätigkeitsgenehmigung erkennbaren Umstände und unter Berücksichtigung einer erfahrungsgemäß eintretenden Entwicklung wahrscheinlich sein ( - EzA BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 5, zu 1 a der Gründe). Hierfür bedarf es einer Prognose, deren tatsächliche Grundlagen der Arbeitgeber offenzulegen hat. Unzureichend ist die Darlegung einer bloßen, nicht auszuschließenden Möglichkeit einer fern liegenden Gefahr der Beeinträchtigung ( - AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 5 = EzA BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2, zu I 1 a der Gründe).
5. Im öffentlichen Dienst hat der Arbeitgeber ein anerkennenswertes Interesse daran, daß die Nebentätigkeit eines Angestellten diesen nicht in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringt. Wegen der damit verbundenen konkreten Gefahr eines Zielkonflikts ist das Interesse des Arbeitgebers grundsätzlich berechtigt, daß ein Angestellter eine Nebentätigkeit nicht in Angelegenheiten ausübt, die unmittelbar den Zuständigkeitsbereich seiner Dienststelle betreffen. Die Ausübung einer Nebentätigkeit im eigenen Zuständigkeitsbereich wäre zudem dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich. Sie ist nicht nur geeignet, Irritationen bei Wettbewerbern hervorzurufen, sondern kann auch bei dem jeweiligen Auftraggeber des Angestellten den Eindruck erwecken, allein wegen der Zugehörigkeit des Angestellten zu einer bestimmten Dienststelle mit einer Bevorzugung seiner Anliegen rechnen zu können. Einen damit verbundenen Vertrauensverlust in die Rechtmäßigkeit seines Verwaltungshandels muß ein öffentlicher Arbeitgeber auch nicht wegen der Bedeutung des dem Angestellten zustehenden grundrechtlich geschützten Freiheitsrechts hinnehmen.
6. Schützenswerte Interessen der Beklagten werden durch Projektplanungen des Klägers im Auftrag privater Bauherren auch für Objekte im Zuständigkeitsbereich des Bauamts jedoch nicht berührt. Maßgebend ist, daß der Kläger ohne die Möglichkeit zur Rückkehr in ein aktives Arbeitsverhältnis beurlaubt ist und ein Interessenwiderstreit mit dienstlichen Pflichten wegen der auf Dauer ruhenden Hauptleistungspflichten der Parteien von vornherein ausgeschlossen ist. Auch eine Beeinträchtigung des Ansehens der Beklagten liegt nicht vor und ist auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß der Kläger bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Architekt darauf hinweist, daß er noch Angestellter der Beklagten ist und damit stillschweigend den Eindruck erweckt, daß deshalb in seiner früheren Dienststelle mit einer bevorzugten Behandlung der von ihm bearbeiteten Bauanträge zu rechnen ist. Insoweit unterscheidet sich seine Wettbewerbssituation nicht von der eines Angestellten, der nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Aufgabe im Zuständigkeitsbereich seiner früheren Dienststelle aufnimmt und dabei keinen Beschränkungen unterliegt. Hinzu kommt, daß die frühere Zugehörigkeit zu einer bestimmten Behörde durch Zeitablauf an Bedeutung verliert. Das bringen auch die bei der Beklagten geltenden gesetzlichen Beschränkungen der Tätigkeiten von Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen zum Ausdruck. Sie müssen eine spätere Tätigkeit im Zuständigkeitsbereich ihrer früheren Dienststelle lediglich anzeigen, wobei diese Anzeigepflicht nach drei Jahren bzw. nach fünf Jahren ohnehin entfällt und die Dienstbehörde nur innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren überhaupt berechtigt ist, eine Erwerbstätigkeit, die im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit vor der Beendigung des Beamtenverhältnisses steht, wegen Beeinträchtigung dienstlicher Interessen zu untersagen (§ 68a BremBG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
VAAAB-94548
1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein