Leitsatz
[1] 1. Die vom Insolvenzverwalter wegen Stilllegung eines Geschäftsbereichs ausgesprochene Kündigung ist nicht wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl iSv. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sozial ungerechtfertigt, wenn die Betriebsparteien in einem Interessenausgleich mit Namensliste die Sozialauswahl auf einen der Geschäftsbereiche beschränken, weil dort die Arbeitnehmer anderer Geschäftsbereiche nicht ohne Einarbeitungszeit beschäftigt werden können.
2. Es bleibt offen, ob an diesem Grundsatz für einen Interessenausgleich mit Namensliste festzuhalten ist, der erst nach der Veröffentlichung des Urteils des Achten Senats des - (AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 69 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 56, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) vereinbart wurde; nach dieser Entscheidung hat auch in der Insolvenz grundsätzlich eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl zu erfolgen.
Gesetze: InsO § 113 Abs. 1 aF; InsO § 125; ZPO § 557
Instanzenzug: ArbG Iserlohn 1 Ca 149/03 vom LAG Hamm 2 Sa 2186/03 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von dem Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der h GmbH am zum wegen Stilllegung eines Geschäftsbereichs ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung.
Der Kläger war seit dem bei der in M ansässigen h GmbH als Rohrzieher mit durchschnittlich 173 Stunden monatlich bei einem Stundenlohn von 13,09 Euro in der Abteilung Rohrzug tätig, die zum Geschäftsbereich Halbzeug gehörte. Die GmbH beschäftigte regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb war ein Betriebsrat gewählt. Der Betrieb gliederte sich ua. in die Geschäftsbereiche Solutions und Halbzeug, die ca. 80 m voneinander entfernt lagen. Im Bereich Solutions bestanden die Abteilungen Hydroform und Wärmetechnik. Im Produktbereich Hydroform erfolgte die komplexe Umformung von kleinen bis mittelgroßen Rohren mittels Wasserinnenhochdrucks, wobei Endprodukte entstanden, die ohne weitere Bearbeitung ua. von der Fahrzeugindustrie bezogen und einbezogen werden konnten. In der Abteilung Wärmetechnik wurden Rohre mit gewalzten und gedrallten Rippen gefertigt. Im Bereich Halbzeug wurden in den Abteilungen Gießerei, Rohrzug, Presswerk, KTS, Glühe und Beize einfache Rohre als Halbzeuge gefertigt, die noch endbearbeitet werden mussten. Dort waren ca. 330 Mitarbeiter beschäftigt.
Am schlossen die IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e. V. für die h GmbH im Einvernehmen mit den Betriebsparteien eine Vereinbarung zur Standortsicherung. Darin verzichteten die Arbeitnehmer auf Urlaub, positive Freischicht-/Gleitzeitstunden und Weihnachtsgeld. Für sie wurde eine Beschäftigungsgarantie vereinbart, die wie folgt lautete:
"Beschäftigungsgarantie
Bis zum sind betriebsbedingte Kündigungen unterhalb einer Belegschaftsstärke von 520 Mitarbeitern grundsätzlich ausgeschlossen."
Mit Beschluss vom (- 10 In 283/03 -) eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Arnsberg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der h GmbH und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
Am schlossen der Beklagte und der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung mit Interessenausgleich mit Namensliste und Sozialplan. Es heißt dort ua.:
"Eine Möglichkeit, den Betrieb im Ganzen zu veräußern, ist nicht gegeben. Dem Insolvenzverwalter liegen keine Angebote im Hinblick auf eine eventuelle Betriebsveräußerung vor. Mit derartigen Angeboten ist auch nicht zu rechnen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes ist bei den vorhandenen Strukturen nicht gegeben. Dies führt dazu, dass der Bereich Halbzeug aus der heutigen Sicht vollständig geschlossen werden muß. Aufzulösen ist auch der Overhead-Bereich. Einzig im Bereich der Betriebsabteilung Solutions (Hydroform + Wärmetechnik) scheint eine begrenzte Auffanglösung möglich. Allerdings sind sofort umzusetzende strukturelle Maßnahmen unerläßlich, die auch den Abbau von Arbeitsplätzen erfordern. Dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ist die Dringlichkeit bewußt, insbesondere im Hinblick auf die Sicherung des Weiterbestehens dieser Abteilung und der verbleibenden Arbeitsplätze. Vor diesem Hintergrund sind sich die Vertragsparteien einig, daß die nachfolgenden vereinbarten Regelungen zwingend erforderlich sind, um zumindest einen Teil der Arbeitsplätze zu retten und nach Möglichkeit eine soziale Abfederung des Arbeitsplatzverlustes zu erreichen."
Nach § 2 dieser Betriebsvereinbarung sind im Bereich Solutions Personalmaßnahmen erforderlich, um wenigstens die Fortführung dieses Bereichs zu ermöglichen und eine vollständige Schließung des Betriebes zu vermeiden. Weiterhin heißt es dort:
"Im Rahmen der Betriebsänderung sind unter Berücksichtigung von Eigenkündigungen betriebsbedingte Entlassungen von 333 Arbeitnehmern erforderlich. Aufgrund des eröffneten Insolvenzverfahrens, nicht gegebener Wirtschaftlichkeit und fehlender finanzieller Mittel ist eine vollständige Schließung der Betriebsabteilungen Halbzeug und Overhead sowie eine Personalreduzierung im Bereich Solutions beabsichtigt. In den Betriebsabteilungen Halbzeug und im Bereich Overhead werden in Kürze keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt. Zur Zeit läuft in der Abteilung Halbzeug nur noch eine mit erheblich reduziertem Personalstand ausgeführte Auslaufproduktion."
Der Betriebsvereinbarung war als deren Bestandteil eine Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer beigefügt, auf der sich auch der Name des Klägers befand.
Am kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum . Die Kündigung ging dem Kläger am zu. Zudem erklärte der Beklagte gegenüber sämtlichen weiteren auf der Namensliste genannten Arbeitnehmern die Kündigung. Zu der geplanten Beendigung der Produktion im Bereich Halbzeuge zum kam es zunächst nicht. Der Beklagte führte die Produktion mit 51 Arbeitnehmern weiter, mit denen befristete Anschlussverträge geschlossen wurden.
Am veräußerte der Beklagte das Vorratsvermögen bestehend aus Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffen, halbfertigen Erzeugnissen und fertigen Erzeugnissen, die Betriebs- und Geschäftsausstattung, Maschinen und Anlagen sowie das sogenannte Know-How, bestehend aus Schutzrechten, Namensrechten, Software, Kundendateien und Betriebsgeheimnissen des Bereichs Solutions.
Der Kläger wendet sich mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung. Er beruft sich in erster Linie auf das in der Standortsicherungsvereinbarung vom enthaltene Kündigungsverbot.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, es handele sich bei den Bereichen Solutions und Halbzeug um selbstständige Betriebsteile. Dies ergebe sich aus den verschiedenartigen Produkten, den unterschiedlichen Lieferanten und Kunden, der räumlichen Trennung, der unterschiedlichen Maschinenausstattung und den getrennten Arbeitsabläufen. Auf Grund der Unterschiedlichkeit der Tätigkeiten in den Bereichen Halbzeuge und Solutions sei keine Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze oder eine Austauschbarkeit gegeben, so dass eine Sozialauswahl nur zwischen den Arbeitnehmern des Geschäftsbereichs Solutions habe vorgenommen werden müssen. Zudem könne nicht von einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ausgegangen werden, da die Einbeziehung der Arbeitnehmer des Bereichs Halbzeuge im Interesse der Verbesserung der Verkaufs- bzw. Weiterführungschancen des Bereiches Solutions unterblieben sei. Außerdem habe der Kläger im Geschäftsbereich Solutions nur nach einer zumindest kurzen Einarbeitungszeit beschäftigt werden können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf Berufung des Beklagten abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.
Gründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten vom hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet.
Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung grundsätzlich für nicht ausgeschlossen gehalten und die Vermutung dringender betrieblicher Gründe, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegen stehen, als nicht widerlegt angesehen. Es hat die vom Beklagten durchgeführte Sozialauswahl nicht iSv. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO als grob fehlerhaft erachtet. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in Teilen der Begründung.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kündigung weder durch die Standortsicherungsvereinbarung noch durch die behauptete Zusage des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin ausgeschlossen ist.
a) Gem. § 113 Abs. 1 InsO aF kann ein Dienstverhältnis, bei dem der Schuldner der Dienstberechtigte ist, vom Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Dieses Kündigungsrecht kann nicht durch einzelvertragliche, tarifliche oder sonstige kollektivrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Ausschluss der Kündigung mit einer Gegenleistung des Arbeitnehmers verbunden war. Der Gesetzeswortlaut sieht keine Ausnahme vor, aber auch die Entstehungsgeschichte und der Normzweck der Regelung sprechen gegen eine Einschränkung des Kündigungsrechts.
Der Gesetzgeber hat die Belange der Arbeitnehmer als einer Gruppe der Insolvenzgläubiger mit den Interessen der anderen Insolvenzgläubiger in Einklang gebracht. Dies soll unabhängig davon gelten, in welcher Höhe die Insolvenzgläubiger vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihrerseits Forderungen der Schuldnerin erfüllten, die zu einem Anwachsen der Masse beitrugen. Das Entstehen von Masseschulden soll begrenzt werden, da der Insolvenzverwalter in der Regel keinen Beschäftigungsbedarf mehr hat und zu Lasten der anderen Gläubiger Ansprüche ohne eine Gegenleistung entstünden, wodurch diese wiederum in ihrem Grundrecht nach Art. 14 GG beeinträchtigt würden (ausführlich, auch zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm: - BAGE 92, 41; vgl. auch Senat - 6 AZR 476/04 - AP ATG § 3 Nr. 13 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 137, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; - 6 AZR 526/04 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Dies verkennt die Revision, wenn sie darauf abstellt, insolventen Arbeitgebern würde durch die Zulassung der Kündigung die Möglichkeit eröffnet werden, das Lohnopfer der Belegschaft bewusst auszunutzen.
b) Soweit die Revision darüber hinaus das gesetzliche Kündigungsrecht des § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO aF mit dem Argument der Verletzung der Fürsorgepflicht, dem Hinweis auf einen "Knebelvertrag", den die Arbeitnehmer aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, geschlossen hätten, und zuletzt mit der Behauptung der Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien, den Betriebsrat und die Gemeinschuldnerin einzuschränken sucht, sind diese Argumente bereits deshalb nicht behilflich, weil mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Zäsur eingetreten ist. § 113 Abs. 1 InsO aF soll unabhängig von etwaigen individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien bzw. deren Repräsentanten Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Insolvenzgläubigern gewähren. Ein Fehlverhalten der Insolvenzschuldnerin oder der Repräsentanten der Arbeitsvertragsparteien - soweit dies überhaupt in Betracht kommen sollte - hindert den Insolvenzverwalter nicht an der Ausübung des Kündigungsrechts in der Insolvenz. § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO aF und nunmehr § 113 InsO führen nicht zur Rechtsunsicherheit, sie schaffen Rechtssicherheit.
2. Die Kündigung ist nicht wegen der allein auf die Betriebsteile bezogenen Sozialauswahl rechtsunwirksam. Eine grobe Fehlerhaftigkeit iSd. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO liegt nicht vor.
a) Die soziale Rechtmäßigkeit der Kündigung kann vom Revisionsgericht überprüft werden, obwohl die Revision nur auf die Frage abgestellt hat, ob die Kündigung wegen des in der Standortsicherungsvereinbarung vom enthaltenen Kündigungsverbots und wegen der behaupteten Zusage des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin ausgeschlossen ist.
Gemäß § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist das Revisionsgericht bei der Überprüfung des Berufungsurteils an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden. Es hat im Rahmen der materiellrechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht nur zu überprüfen, ob die geltend gemachten Revisionsgründe vorliegen, sondern hat das angefochtene Urteil insgesamt - soweit die Revision nicht wirksam auf einzelne Streitgegenstände beschränkt wurde - auf seine materielle Richtigkeit zu überprüfen. Der Kläger hatte die soziale Rechtfertigung der Kündigung während des Rechtsstreits gerügt. Das Revisionsgericht hat daher die materiellrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils auch auf diesen Punkt zu erstrecken.
b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass die Kündigung vom durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Dies wird auf Grund der namentlichen Benennung des Klägers in der Namensliste des Interessenausgleichs vom nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet.
Nach den durch eine entsprechende Prozessrüge nicht angegriffenen und deshalb für den Senat gem. § 559 Abs. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt. Es liegt eine Betriebsänderung vor, derentwegen ein wirksamer Interessenausgleich zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat abgeschlossen wurde und in dem der Kläger namentlich als zu kündigender Arbeitnehmer aufgeführt ist. Damit tritt die gesetzliche Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ein. Der beklagte Arbeitgeber oder der Insolvenzverwalter braucht zur Rechtfertigung der Kündigung keine weiteren Tatsachen vorzutragen ( - AP InsO § 125 Nr. 1 = EzA § 125 InsO Nr. 1 mwN). Vom Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes ist deshalb auszugehen.
c) Die von dem Beklagten vorgenommene soziale Auswahl ist nicht grob fehlerhaft.
aa) Auf Grund der namentlichen Benennung des Klägers in der Namensliste des Interessenausgleichs vom kann die soziale Auswahl nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit und die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbar. Bei der Frage der ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Rahmen der sozialen Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 3 KSchG) geht es um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhaltes unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es wesentliche Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist. Dabei bezieht sich die Beschränkung des revisionsrechtlichen Prüfungsrahmens nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung, sondern auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen. Dies gilt in gleicher Weise im Anwendungsbereich des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, der den § 1 Abs. 3 KSchG modifizierend ergänzt und bei der Nachprüfung der sozialen Auswahl den weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "groben Fehlerhaftigkeit" verwendet ( - AP InsO § 125 Nr. 1 = EzA InsO § 125 Nr. 1 mwN). Die gesetzliche Regelung reduziert den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer vom Insolvenzverwalter erklärten betriebsbedingten Kündigung. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl wird zu Gunsten einer vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert. Dabei bezieht sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl, also insbesondere auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf grobe Fehler überprüft.
Wegen des gerade im Insolvenzfall bestehenden Bedürfnisses nach einer zügigen Durchführung einer Betriebsänderung und eines größeren Personalabbaus, um erfolgreiche Sanierungen zu fördern, erscheint es nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts demnach gerechtfertigt, die soziale Rechtfertigung einer vom Insolvenzverwalter in Anwendung einer Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung nur noch in Ausnahmefällen in Frage zu stellen. Die Beschränkung der Prüfung erstreckt sich dabei auch auf die Frage, inwieweit Arbeitnehmer gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind. Die zu § 1 Abs. 5 KSchG aF vom Bundesarbeitsgericht noch ausdrücklich offen gelassene Frage ( - BAGE 88, 363) ist nach zutreffender Ansicht bei § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO dahingehend zu beantworten, dass hiermit die gesamte Sozialauswahl in jeder Hinsicht, also insbesondere auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen erfasst wird ( - AP InsO § 125 Nr. 1 = EzA InsO § 125 Nr. 1 mwN; - LAGE InsO § 125 Nr. 7). § 125 InsO knüpft ebenso wie § 1 Abs. 5 KSchG aF an eine konkrete Namensliste an, auch erstreckt sich die - korrespondierende - Auskunftspflicht des Arbeitgebers auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ( - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 56 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 48). Überdies entspricht es den Intentionen der Insolvenzordnung, im Rahmen marktwirtschaftlicher Sanierungen Kündigungsverfahren für den Insolvenzverwalter und die betroffenen Arbeitnehmer besser berechenbar zu machen. Die Tätigkeit des Arbeitsgerichts soll erleichtert und die Kündigungsschutzverfahren sollen beschleunigt werden (KR-Weigand 7. Aufl. § 125 InsO Rn. 22). Die Festlegung des Kreises der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer ist demnach Teil der sozialen Auswahl iSd. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, deren Bestimmung nur auf grobe Fehler überprüft werden kann.
bb) Im Streitfall hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis weder den Rechtsbegriff der sozialen Auswahl noch den des groben Fehlers verkannt.
aaa) Auch wenn ein Arbeitnehmer in eine Namensliste aufgenommen worden ist, ist der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz KSchG verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Insoweit besteht eine abgestufte Darlegungslast ( - EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10, zu § 1 Abs. 5 KSchG aF). Erst nach Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Es reicht dabei nicht aus, dass er die gesetzliche Vermutung erschüttert, er muss vielmehr das Gegenteil beweisen (APS/Dörner 2. Aufl. InsO § 125 Rn. 24). Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts ( - aaO).
bbb) Grob fehlerhaft iSd. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt ( - AP InsO § 125 Nr. 1 = EzA InsO § 125 Nr. 1 mwN) bzw. tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind (ErfK/Ascheid 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 514). Die Bewertung ist deshalb auch dann grob fehlerhaft, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist und bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind (Bader NZA 2004, 65).
ccc) Der Beklagte ist seiner Auskunftspflicht hinreichend nachgekommen, so dass es an dem Kläger war, die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl durch die Betriebsparteien darzulegen. Dies ist ihm nicht gelungen.
(1) Die Betriebsparteien haben in dem Interessenausgleich mit Namensliste die Sozialauswahl auf einen der Geschäftsbereiche beschränkt, weil dort die Arbeitnehmer anderer Geschäftsbereiche nicht ohne Einarbeitungszeit beschäftigt werden konnten.
Der Beklagte hat vom Kläger nicht bestritten vorgetragen, der Betriebsrat und der Beklagte hätten im Interesse einer ausgewogenen Personalstruktur und einer reibungslosen Fortführung eine Vergleichbarkeit bei gleicher Ausbildung und gleichem Tätigkeitsbereich unter dem Gesichtspunkt einer sofortigen Substituierbarkeit festgelegt. Diese Vorgehensweise entsprach zum Zeitpunkt der Verhandlungen über den Interessenausgleich - abschließender Verhandlungstermin am - dem Stand der Kommentierungen (vgl. zB Caspers Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren 1988 Rn. 186 ff., 197 f.; Eisenbeis Frankfurter Kommentar zur InsO 3. Aufl. 2002 § 124 Rn. 11) zum Beurteilungsspielraum über die Vergleichbarkeit nach Funktion und ausgeübter Tätigkeit bzw. zum Recht der Betriebsparteien zur Eingrenzung der Sozialauswahl auf Betriebsabteilungen und -gruppen, wenn der Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen Einarbeitungszeiten verursacht. Danach ist die Sozialauswahl nicht als grob fehlerhaft zu bewerten, wenn die Betriebsparteien den auswahlrelevanten Personenkreis dergestalt bestimmen, dass Arbeitnehmer, die sich erst auf einen bestimmten Arbeitsplatz einarbeiten müssen - fehlende sofortige Substituierbarkeit - aus der Vergleichbarkeit ausscheiden.
So liegt es beim Kläger. Er hat zwar vorgetragen, er könne als angelernter Rohrzieher im Bereich "Wärmetechnik" als Bediener der Presse mühelos und kurzfristig angelernt und eingesetzt werden, er hat aber nicht bestritten, in diesem Geschäftsbereich nur nach einer zumindest kurzen Einarbeitungszeit beschäftigt werden zu können.
(2) Ob an der Beschränkbarkeit des auswahlrelevanten Personenkreises auf unmittelbare Substituierbarkeit der Arbeitnehmer in verschiedenen Geschäftsbereichen für einen Interessenausgleich mit Namensliste festzuhalten ist, der erst nach der Veröffentlichung des Urteils des Achten Senats des - 8 AZR 391/03 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 69 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 56) vereinbart wurde, lässt der Senat offen. Nach dieser Entscheidung hat auch in der Insolvenz grundsätzlich eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl zu erfolgen. Das hätte für den Streitfall zur Folge, dass die Sozialauswahl geschäftsbereichsübergreifend hätte erfolgen müssen, also unter Einschluss der im Bereich Solutions beschäftigten Mitarbeiter. Zwar gab es in dem Fall, der dem Urteil vom (- 8 AZR 391/03 - aaO) zugrunde lag, keinen Interessenausgleich mit Namensliste, das Urteil könnte aber auf diesen Fall übertragbar sein. Indes wäre die sofortige uneingeschränkte Anwendung/Umsetzung des Urteils des Achten Senats vom (- 8 AZR 391/03 - aaO) auch auf "Altfälle" mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Es würde sich um eine unechte Rückwirkung handeln, da die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der Kündigung vom auf Grund des Interessenausgleichs mit Namensliste vom gerade streiten. Eine solche unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich jedoch aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit. Zwar entsprach es bisheriger Rechtsprechung, dass bei der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils bei der Sozialauswahl auch ein vergleichbarer Arbeitnehmer in einem anderen Betriebsteil zu berücksichtigen ist. Zu dem auswahlrelevanten Personenkreis gehören daher grundsätzlich alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Beschäftigungsbetriebes ( - AP BetrVG 1972 § 1 Nr. 16 = EzA KSchG § 23 Nr. 14). Bislang war aber nicht entschieden, ob das auch für die Kündigung durch den Insolvenzverwalter gilt und auch für die Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste, in der die zu kündigenden Arbeitnehmer aufgeführt sind. Der Beklagte durfte deshalb auf Grund der genannten Kommentierungen damit rechnen, dass ein Unterbleiben einer geschäftsbereichsübergreifenden Sozialauswahl wegen des von den Betriebsparteien in den Vordergrund gestellten Fehlens unmittelbarer Substituierbarkeit der Mitarbeiter des weitergeführten Bereichs durch diejenigen des stillzulegenden Bereichs Bestand haben werde. Dieses Vertrauen ist zumindest insoweit schützenswert, dass die soziale Auswahl nicht als grob fehlerhaft iSv. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO angesehen werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1636 Nr. 30
DB 2006 S. 844 Nr. 15
NJW 2006 S. 1837 Nr. 25
ZIP 2006 S. 774 Nr. 16
IAAAB-94415
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein