BAG Urteil v. - 5 AZR 248/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 315; GG Art. 12; TVK vom ; TV für die Musiker des Philharmonischen Orchesters der Altenburg-Gera Theater GmbH vom

Instanzenzug: ArbG Gera 7 Ca 2584/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Widerruf der Tätigkeit des Klägers als Solo- Hornist im Orchester der Beklagten.

Der Kläger ist Musiker in dem Philharmonischen Orchester der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom in der jeweils geltenden Fassung und die ihn ergänzenden, ändernden und an seine Stelle tretenden Tarifverträge Anwendung. Arbeitsvertraglich wurde dem Kläger die Tätigkeit eines Solo-Hornisten übertragen. Zunächst war der Kläger Orchestermusiker der Landeskapelle Altenburg. Nach der Fusion der Theater Altenburg und Gera zur beklagten Altenburg-Gera Theater GmbH ging das Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom auf die Beklagte über. Die Landeskapelle Altenburg und das Philharmonische Orchester Gera blieben nach der Zusammenlegung der beiden Theater zunächst getrennte Einheiten.

Zum erfolgte eine Zusammenlegung der beiden Orchester zum Philharmonischen Orchester des Theaters Altenburg-Gera. In Folge dieser Fusion wurden die Instrumentengruppen neu geordnet, um Doppelbesetzungen aufzulösen. Zur Durchführung dieser Maßnahme schlossen der Deutsche Bühnenverein und die Deutsche Orchestervereinigung für die Musiker des Philharmonischen Orchesters der Altenburg-Gera Theater GmbH den Tarifvertrag vom (im Folgenden: TV Musiker Altenburg-Gera). Dieser bestimmt in § 1 Nr. 5:

"§ 26 TVK findet mit folgender Maßgabe Anwendung:

a) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe des fusionierten Philharmonischen Orchesters der Altenburg-Gera Theater GmbH bis zum darauf, wer zukünftig welche nach § 26 zulageberechtigende Tätigkeit in ihrer Instrumentengruppe ausüben soll, werden alle bis zum gezahlten Tätigkeitszulagen bis zum uneingeschränkt weitergezahlt, sofern eine zulageberechtigende Tätigkeit nicht einem Musiker übertragen wird, der bisher die entsprechende Tätigkeit nicht ausgeübt hat, und die zulageberechtigende Tätigkeit jeweils nur einem Musiker übertragen wird.

b) Im Arbeitsvertrag kann befristet bis zum mit Musikern, denen eine Tätigkeit der Stufe 1 oder 2 übertragen ist, vereinbart werden, dass die Tätigkeit "koordiniert" ausgeübt wird. In diesem Fall werden die Tätigkeitszulagen der Stufen 1 und 2 zusammengezählt und 50 vH. dieser Summe dem jeweiligen Musiker als Tätigkeitszulage gezahlt. Die Koordinierung kann an die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltende tatsächliche Stellenbesetzung geknüpft werden.

c) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe nicht bis zum gemäß Buchstabe a), werden sämtliche Tätigkeitszulagen mit Wirkung zum um 20 % gekürzt und mit dieser Kürzung bis zum weitergezahlt, unabhängig davon, ob die zulageberechtigende Tätigkeit ausgeübt wird oder nicht. Die Verpflichtung zur Ausübung dieser Tätigkeit bleibt unberührt.

d) Verständigen sich im Falle des Buchstaben c) die Musiker einer Instrumentengruppe nicht bis zum , wer zukünftig welche nach § 26 zulageberechtigende Tätigkeit in ihrer Instrumentengruppe ausüben soll, ist der Generalintendant berechtigt, die Übertragung der Tätigkeit spätestens zum zu widerrufen. § 26 Abs. 1 Satz 5 und § 26 Abs. 6 finden dann keine Anwendung. Bis zum Wirksamwerden des Widerrufs werden sämtliche Tätigkeitszulagen in der bis zum gezahlten Höhe weiter gezahlt.

e) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe gemäß Buchstaben a), c) und d), endet die Übertragung der zulageberechtigenden Tätigkeit der Musiker, auf die sich die Instrumentengruppe verständigt hat, zum jeweils festgelegten Zeitpunkt. Der Inhalt der Verständigung wird der Orchestervorstand dem Generalintendanten schriftlich mitteilen. Der Generalintendant wird den jeweiligen Musikern das Ende der Übertragung schriftlich bestätigen. An diese Musiker wird ab dem keine Tätigkeitszulage mehr gezahlt."

In § 26 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) ist Folgendes bestimmt:

"§ 26

Tätigkeitszulagen

(1) Der Arbeitgeber kann dem Musiker mit seiner Zustimmung bei der Einstellung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmte Tätigkeiten und das Spielen von Nebeninstrumenten übertragen. Die Übertragung bedarf der Schriftform.

Der Arbeitgeber kann die Übertragung jederzeit widerrufen, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Der Widerruf bedarf der Schriftform. Er ist unwirksam, wenn er aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen.

..."

Neun Instrumentengruppen erzielten auf der Grundlage des TV Musiker Altenburg-Gera eine Einigung über ihren Solisten. In vier Gruppen (erste Violinen, Klarinetten, Hörner sowie Pauken/Schlagzeug) kam eine solche Einigung nicht zustande. Wegen der unterbliebenen Einigung machte der Generalintendant von dem tariflichen Widerrufsrecht Gebrauch. Drei der Betroffenen, darunter der Kläger, haben sich gerichtlich gegen die Widerrufe gewandt. Der Kläger hat geltend gemacht, der Widerruf entspreche nicht billigem Ermessen und sei willkürlich erfolgt.

Der Kläger hat beantragt

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger vertragsgemäß als Solo-Hornisten zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, auf Grund der Regelung in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera habe sie die dem Kläger arbeitsvertraglich übertragene Tätigkeit eines Solo-Hornisten frei widerrufen können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte hat die dem Kläger übertragene Tätigkeit eines Solo-Hornisten wirksam widerrufen.

I. Die Beklagte war nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK iVm. § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera zum Widerruf der dem Kläger übertragenen Tätigkeit als Solo- Hornist berechtigt. Das ergibt die Auslegung dieser Tarifregelungen.

1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK kann der Arbeitgeber die Übertragung einer bestimmten Tätigkeit jederzeit widerrufen, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das jederzeitige Widerrufsrecht ist nach Satz 5 dieser Bestimmung jedoch unwirksam, wenn der Widerruf aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder sonstigen Eignung des Musikers liegen. Diese Einschränkung des Widerrufsrechts gilt nach § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera nicht, wenn sich die Musiker einer Instrumentengruppe bis zum nicht darüber verständigt haben, wer zukünftig die zulageberechtigende Tätigkeit in der Instrumentengruppe ausführen soll. Mit der Aufhebung des § 26 Abs. 1 Satz 5 TVK durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera ist die Übertragung besonderer Tätigkeiten gem. § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK jederzeit widerruflich. Die Widerrufsmöglichkeit unterliegt damit nach der Formulierung des Tarifvertrags weder einer zeitlichen noch einer inhaltlichen Bindung, weil die zeitliche Ungebundenheit ein Indiz für das Fehlen einer inhaltlichen Bindung für den Widerruf ist (vgl. - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 172 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 121).

2. Der Zusammenhang zwischen § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera und § 26 Abs. 1 TVK bestätigt, dass der TV Musiker Altenburg-Gera die Beklagte von einer Bindung des Widerrufsrechts an billiges Ermessen iSv. § 315 BGB freigestellt hat. Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK kann der Arbeitgeber die Übertragung jederzeit widerrufen, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das Widerrufsrecht ist damit nicht an die Voraussetzungen des § 2 KSchG gebunden. Der Widerruf ist allerdings gem. § 26 Abs. 1 Satz 5 TVK unwirksam, wenn er aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen. Durch den in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera geregelten Ausschluss der Anwendbarkeit dieser Regelung entfällt die dort vorgesehene Kontrolle des Widerrufs. Der Beklagten wird ein freies Widerrufsrecht eingeräumt.

3. Das Recht zum freien Widerruf entspricht dem Zweck des § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera, wie er im weiteren tariflichen Gesamtzusammenhang zum Ausdruck kommt. Hierdurch sollte eine Einigung unter den Musikern der jeweiligen Instrumentengruppe gefördert werden. Die Mitglieder der Instrumentengruppe sollten möglichst einvernehmlich ihre Solisten bestimmen. § 1 Nr. 5 Buchst. a) und b) TV Musiker Altenburg-Gera bietet einigungsbereiten Musikern entsprechende Anreize. In § 1 Nr. 5 Buchst. c) TV Musiker Altenburg-Gera wird für den Fall einer bis zum unterbliebenen Einigung der Einigungsdruck durch eine Kürzung sämtlicher Tätigkeitszulagen erhöht. Ultima ratio ist das in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera iVm. § 26 Abs. 1 TVK geregelte jederzeitige Widerrufsrecht des Generalintendanten. Dieses Widerrufsrecht, das nur einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle unterliegt, soll die Musiker zu einer einvernehmlichen Lösung veranlassen.

II. Die durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera bewirkte Herstellung eines jederzeitigen Widerrufsrechts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der TV Musiker Altenburg-Gera ist ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag. Er ist auf Arbeitgeberseite vom Deutschen Bühnenverein und auf Gewerkschaftsseite von der Deutschen Orchestervereinigung abgeschlossen worden. Beide Vereinigungen haben auch den TVK abgeschlossen. Die Tarifvertragsparteien des TV Musiker Altenburg-Gera konnten deshalb ohne weiteres § 26 Abs. 1 TVK ändern.

2. Der Kläger hat durch § 26 Abs. 1 TVK keine Rechtsposition gewonnen, in die nicht durch einen anderen Tarifvertrag - wie den TV Musiker Altenburg-Gera - derselben Tarifvertragsparteien hätte eingegriffen werden können.

a) Ein Arbeitnehmer muss mit einer nachträglichen Änderung tariflicher Regelungen rechnen. Tarifverträge tragen bereits während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer Abänderbarkeit durch einen neuen Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für sog. "wohlerworbene Rechte". Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (vgl. - BAGE 78, 309; - 4 AZR 216/99 - BAGE 94, 349).

b) Durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera wird nicht in abgeschlossene Tatbestände eingegriffen, sondern eine Einschränkung des Widerrufsrechts des Arbeitgebers für die Zukunft aufgehoben. Insoweit geht der vom Kläger angestellte Vergleich mit der Situation eines unkündbaren Arbeitnehmers fehl. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer frühen Entscheidung die Unzulässigkeit des Entzugs der fest erworbenen Rechtsposition der Unkündbarkeit durch eine spätere tarifliche Regelung damit begründet, die Tarifregelung wolle die Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Hinblick auf langjährige von ihm geleistete treue Dienste so sichern, dass er gegen den Verlust seines Arbeitsplatzes durch ordentliche Kündigung auf alle Zukunft gesichert sein solle ( - AP TVG § 4 Günstigkeitsprinzip Nr. 11). Eine solche dauerhafte Sicherung einer Rechtsposition enthält § 26 Abs. 1 TVK jedoch nicht. Diese Regelung bezweckt nicht die Schaffung einer gesicherten Rechtsposition des Arbeitnehmers, sondern die Erweiterung der Rechte des Arbeitgebers (so bereits Senat - 5 AZR 55/65 - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 20). Der Arbeitgeber soll nach § 26 Abs. 1 TVK besondere Tätigkeiten des Arbeitnehmers einseitig widerrufen können und nicht auf den Ausspruch einer Änderungskündigung verwiesen sein. Nur wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass der Widerruf aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen, ist der Widerruf unwirksam.

3. Eine Billigkeitskontrolle ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Durch das im TV Musiker Altenburg-Gera enthaltene Recht der Beklagten, die übertragene Solistentätigkeit frei widerrufen zu können, werden die betroffenen Arbeitnehmer nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit verletzt. Insoweit ist zu beachten, dass es nach dem Zusammenschluss der beiden Orchester zu einer Doppelbesetzung der Solistenstellen kam. Die Auflösung dieser Doppelbesetzungen führte notwendig zum Wegfall einer der beiden Solistenstellen in jeder Instrumentengruppe. Durch den Widerruf wird deshalb immer einer der beiden Solisten in seiner Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt. Darüber hinaus steht dem Grundrecht der Arbeitnehmer auf Seiten der Beklagten die durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG geschützte unternehmerische Entscheidung gegenüber, nur mit einem Solisten in jeder Instrumentengruppe zu arbeiten. Beide kollidierenden Grundrechtspositionen sind im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Das ist hier durch das von den Tarifvertragsparteien in § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera geregelte abgestufte Verfahren erfolgt. Die betroffenen Musiker konnten ihre Interessen angemessen einbringen, weil ihrer Einigung auf einen Solisten nach dem Tarifvertrag Vorrang vor der Entscheidung der Beklagten zukam. Nur wenn sich die Musiker nicht auf einen Solisten verständigten, kam dem Generalintendanten das Bestimmungsrecht zu. Dieses Verfahren hat die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung erfasst und sie so begrenzt, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam wurden.

III. Der Widerruf ist nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Der Kläger hat ein unredliches Verhalten der Beklagten nicht schlüssig dargelegt. Aus der ganz überwiegenden Besetzung der Solostellen mit Musikern des Philharmonischen Orchesters Gera kann nicht auf ein unredliches Verhalten der Beklagten geschlossen werden. Hiergegen spricht bereits, dass sich die Musiker von neun Instrumentengruppen auf die Besetzung der jeweiligen Stellen einigten und nur in vier Gruppen die Beklagte durch ihren Intendanten entschied. Die überwiegende Besetzung der Solostellen ist daher nicht durch die Beklagte erfolgt, sondern durch die betroffenen Musiker.

IV. Da der Widerruf wirksam war, hat der Kläger keinen Beschäftigungsanspruch. Deshalb hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

V. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.

Fundstelle(n):
FAAAB-94280

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