BAG Urteil v. - 4 AZR 55/04

Leitsatz

[1] Die Wendung in einem Kündigungsschreiben eines Arbeitgeberverbandsmitglieds "Hiermit kündigen wir die Mitgliedschaft ... zum nächstmöglichen Termin" ist in der Regel als eine satzungsgemäße Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband auszulegen.

Gesetze: TVG § 3 ; TVG § 3 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 3; TVG § 4 Abs. 1; Satzung des Arbeitgeberverbandes der Chemischen Industrie Saarland e.V. § 5 Abs. 4; BGB § 39; GG Art. 9 Abs. 3

Instanzenzug: ArbG Neunkirchen 3 Ca 1958/2000 vom LAG Saarland 2 Sa 52/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über der Höhe nach unstreitige Vergütungsdifferenzen für die Monate August 2000 bis November 2000 sowie um das Monatsentgelt von 4.573,00 DM (2.338,14 Euro) für die Zeit vom bis einschließlich. Dabei geht es um die Frage, ob die Beklagte trotz ihres Austritts aus dem Arbeitgeberverband noch gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG, jedenfalls aber nach § 3 Abs. 3 TVG an den Entgelttarifvertrag vom , in Kraft ab , erstmals mit Monatsfrist kündbar zum , abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. und der IG Bergbau, Chemie, Energie Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland (im Folgenden: ETV) gebunden war.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie. Die Klägerin war bei ihr seit als Chemielaborantin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des . Die Klägerin war jedenfalls seit August 2000 Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Beklagte gehörte seit 1980 dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. Saarbrücken an. Die Klägerin erhielt seit ihrer Einstellung Vergütung nach den zwischen diesen Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifverträgen. Mit dem Tarifvertrag vom vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Erhöhung der Löhne um 2,2 % mit Wirkung ab sowie eine weitere Erhöhung um 2 % ab dem . Bestandteil des Tarifvertrages sind Entgelttabellen, in denen die Entgeltsätze für die jeweilige Entgeltgruppe beziffert bezeichnet sind. Der Tarifvertrag trat am in Kraft und sollte erstmals zum gekündigt werden können.

Bereits mit Schreiben vom hatte die Beklagte ihre Mitgliedschaft in dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. Saarbrücken gekündigt, und zwar "zum nächstmöglichen Termin". Mit Schreiben vom teilte der Arbeitgeberverband mit, der nächstmögliche Termin sei nach seiner Satzung der . § 5 Ziff. 4 der "Satzung des Arbeitgeberverbandes der Chemischen Industrie Saarland e.V. Saarbrücken" lautet:

"Ein Mitglied kann nur zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verband freiwillig ausscheiden. Die Kündigung muss bis zum 30.VI. durch eingeschriebenen Brief erfolgen."

Unter Hinweis auf den Austritt aus dem Arbeitgeberverband hat es die Beklagte abgelehnt, die tariflichen Lohnerhöhungen zum und zum weiterzugeben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ab dem der erhöhte Tariflohn zu. Der Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband sei erst zum wirksam geworden. Der neue Tarifvertrag sei aber vorher geschlossen worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für die Monate August, September, Oktober und November 2000 jeweils 50,11 Euro (98,00 DM) brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus 50,11 Euro brutto vom 1. bis , aus 100,22 Euro brutto vom 1. bis zum , aus 150,33 Euro brutto vom 1. bis zum und aus 200,44 Euro seit dem zu zahlen.

Weiter hat sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Dezember 2000 bis einschließlich März 2001 eine Vergütung iHv. monatlich 4.573,00 DM (2.338,14 Euro) brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Bezugnahme im Arbeitsvertrag sei als Gleichstellungsklausel anzusehen. Mangels fortbestehender eigener Tarifgebundenheit bei Abschluss des Tarifvertrages sei sie nicht verpflichtet gewesen, die Tariferhöhungen weiterzugeben. Ihr Austritt aus dem Arbeitgeberverband sei bereits zum wirksam geworden. Die in der Satzung des Arbeitgeberverbandes enthaltene Regelung der Kündigungsfrist für den Austritt aus dem Verband widerspreche der verfassungsrechtlich verankerten negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Wie für den Austritt aus der Gewerkschaft sei auch für die Kündigung der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband höchstens eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zulässig. Die Beiträge an den Arbeitgeberverband habe sie nur deshalb noch für das ganze Jahr 2000 gezahlt, weil sie einem Streit mit dem Arbeitgeberverband habe aus dem Weg gehen wollen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und der Anschlussberufung der Klägerin auf Zahlung höherer Zinsen entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen für die Monate August bis November 2000 und auf das Tarifentgelt iHv. 2.388,14 Euro brutto monatlich für die Zeit vom bis . Die Beklagte wurde von dem Entgelttarifvertrag vom noch erfasst. Ihre Tarifgebundenheit endete durch ihre Kündigungserklärung vom erst mit Ablauf des . Das haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt.

1. Tarifrechtlich galt der ETV für das Arbeitsverhältnis unmittelbar und zwingend. Beide Parteien waren in den streitigen Zeiträumen tarifgebunden.

Die Klägerin war in der streitbefangenen Zeit Mitglied der IG Bergbau, Chemie, Energie. Sie war damit an den ETV gebunden. Das galt auch für die Beklagte. Sie wurde trotz der Kündigung ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. mit Schreiben vom noch vom ETV vom erfasst. Die Kündigungserklärung der Beklagten vom "zum nächstmöglichen Termin" hat diese Mitgliedschaft erst zum beendet. Das hat zur Folge, dass für die Beklagte der während des Bestehens der Mitgliedschaft abgeschlossene ETV galt, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG, und mit Ablauf des die verlängerte Tarifgebundenheit, Nachgeltung oder Nachbindung des § 3 Abs. 3 TVG eintrat.

a) Der Verbandsaustritt mit der in der Satzung vorgesehenen Frist von sechs Monaten zum Jahresschluss hat keine Tatbestandswirkung. Vielmehr findet eine Rechtskontrolle der Kündigungsfrist als Vorfrage zur Tarifgebundenheit oder zur Weitergeltung nach § 3 Abs. 3 TVG statt. Darüber ist im Rahmen einer Entgeltklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren und nicht etwa in einem Verfahren vereinsrechtlicher Art vor den ordentlichen Gerichten zu befinden.

Das folgt schon daraus, dass ein vereinsrechtliches Verfahren vor den ordentlichen Gerichten lediglich Rechtskraft zwischen der Beklagten einerseits und dem Arbeitgeberverband andererseits entfalten würde, der Kläger als Arbeitnehmer also nicht einbezogen wäre. "Inter partes" wirkt nur die Entscheidung zwischen dem Kläger und der Beklagten mit der Folge, dass für die Frage der Tarifgebundenheit der Beklagten der Bestand der Mitgliedschaft beim Arbeitgeberverband als Vorfrage zu entscheiden ist. Das betrifft auch die Zulässigkeit der Kündigungsfrist, weil nach dem Verbandsaustritt neu geschlossene Tarifverträge für den ausgeschiedenen nicht mehr gelten (vgl. Senat - 4 AZR 603/94 - AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 19). Entsprechendes gilt für die Frage der verlängerten Tarifgebundenheit des § 3 Abs. 3 TVG. Auch insoweit ist als Vorfrage zu klären, ob der Tarifvertrag noch zu einer Zeit abgeschlossen wurde, in der die Mitgliedschaft zum Verband noch bestand, mag er auch erst nach Ablauf der Verbandszugehörigkeit "in Kraft getreten" oder sich "Wirkung" beigemessen haben.

b) Ob die satzungsrechtliche Einschränkung des Kündigungsrechts der Beklagten deren negative Koalitionsfreiheit unverhältnismäßig beschränkt und deshalb in verfassungskonformer Auslegung des § 39 Abs. 2 BGB die Kündigungsfrist verkürzt werden müsste, bedarf entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keiner Entscheidung. Die Beklagte hat ihre Mitgliedschaft nicht zu einem Zeitpunkt beenden wollen, der vor dem lag. Das ergibt die Auslegung der Kündigungserklärung gemäß §§ 133, 157 BGB.

aa) Grundsätzlich ist die Auslegung untypischer Willenserklärungen den Tatsacheninstanzen vorbehalten und durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar. Der Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht unterliegt allein, ob bei der Auslegung einer Willenserklärung die Rechtsvorschriften über die Auslegung richtig angewandt worden sind, ob der Tatsachenstoff vollständig verwertet oder bei der Auslegung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder eine gebotene Auslegung unterlassen worden ist ( - BAGE 95, 62 = AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 35 mwN). Dabei darf das Revisionsgericht bei untypischen Willenserklärungen eine vom Landesarbeitsgericht unterlassene Auslegung selbst vornehmen, wenn es um die Auslegung einer Urkunde geht und besondere Umstände des Einzelfalles, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, ausscheiden ( - AP HRG § 57b Nr. 30 mwN).

bb) So liegt der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung die gebotene Auslegung der Kündigungserklärung vom unterlassen. Es hat sich lediglich mit der Wirksamkeit der satzungsrechtlichen Kündigungsfrist befasst und deswegen nicht erkannt, dass die Beklagte unabhängig davon die Kündigung erst zum erklärt hat.

(1) Nach den Kündigungsregelungen in der Satzung kann ein Mitglied nur zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verband freiwillig ausscheiden, wobei die Kündigung bis zum 30. Juni durch eingeschriebenen Brief erfolgen muss. Die Beklagte hat den Begriff "Kündigung" und den Begriff "kündigen" in ihrer Erklärung vom gebraucht. Schon dies deutet für den Empfänger der Erklärung auf eine Beendigung der Mitgliedschaft nach Maßgabe der Satzung hin. Zwar hat die Beklagte nicht den in der Satzung vorgesehenen Zeitpunkt genannt, vielmehr "zum nächstmöglichen Termin" gekündigt. Das steht der Auslegung der Erklärung im Sinne einer satzungsgemäßen Beendigung des Mitgliedschaftsverhältnisses aber nicht entgegen, weil diese Wendung im Zusammenhang mit dem Begriff "Kündigung" und mit dem Begriff "kündigen" gebraucht worden ist. Deshalb stellt der "nächstmögliche Termin" hier den satzungsmäßigen Beendigungstermin dar.

(2) Der Arbeitgeberverband konnte und durfte - aus der Sicht eines ordentlichen Erklärungsempfängers - die Kündigungserklärung der Beklagten vom auch nur als satzungsgemäße Kündigung verstehen. Zwar können sich aus der Erklärung selbst oder aus dem Empfänger selbst erkennbaren Umständen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Verbandsmitglied vorzeitig aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entlassen werden will, etwa mit Zugang der Erklärung. Daran fehlt es hier. Denn die Beklagte hat ihre Kündigung "zum nächstmöglichen Termin" erklärt. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzungsbestimmung des § 5 Ziff. 4 hat sie nicht zum Ausdruck gebracht; ein vor dem liegender Beendigungszeitpunkt ist unerwähnt geblieben. Für den Arbeitgeberverband als Empfänger der Kündigungserklärung deutete nichts auf einen Willen der Beklagten hin, die Mitgliedschaft abweichend von der satzungsmäßigen Kündigungsfrist zu einem früheren Zeitpunkt beenden zu wollen.

Einen Vorbehalt hinsichtlich der Satzungsbestimmung hat die Beklagte nicht geäußert. Dementsprechend hat der Arbeitgeberverband mit Schreiben vom den letzten Tag der Mitgliedschaft der Beklagten im Arbeitgeberverband auf den datiert. Dieser Mitteilung hat die Beklagte nicht widersprochen; die Beiträge hat sie für das gesamte Jahr bezahlt. Wenn auch dem letztgenannten Umstand im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten, sie habe einem Streit mit dem Arbeitgeberverband aus dem Wege gehen wollen, keine überragende Bedeutung zukommt, verhält sich die Beklagte nach Abgabe ihrer Willenserklärung widersprüchlich, wenn sie einerseits dem Arbeitgeberverband gegenüber die Kündigung zum satzungsmäßigen Beendigungstermin des erklärt, sich jedoch gegenüber den Entgeltklagen ihrer Arbeitnehmer auf einen früheren Zeitpunkt - zunächst , dann im Lichte des Zeitpunktes des Abschlusses des ETV am auf den - beruft. An dem von ihr selbst erklärten Austrittszeitpunkt muss sich die Beklagte im Streit über die Dauer ihrer Tarifgebundenheit ihren Arbeitnehmern gegenüber festhalten lassen.

cc) Bei dieser Auslegung der Kündigungserklärung kommt eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit der Beklagten wegen des von ihr selbst gewählten Beendigungszeitpunktes nicht in Betracht. Ob eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit auf Grund einer satzungsrechtlichen Kündigungsbeschränkung vorliegt, war sonach nicht zu entscheiden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2005 S. 1800 Nr. 33
DB 2005 S. 1282 Nr. 23
MAAAB-94136

1Für die Amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein