Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ArbGG § 9 Abs. 5; ArbGG § 66; ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2
Instanzenzug: ArbG Köln 3 Ca 7605/01 vom LAG Köln 3 Sa 232/03 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung, in der Revisionsinstanz allerdings nur über die Frage der fristgerechten Berufungseinlegung.
Der 1967 geborene Kläger war seit 1998 bei der Beklagten beschäftigt. Nach zwei schriftlichen Abmahnungen wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen bzw. geschäftsschädigenden Verhaltens kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom zum mit der Begründung, der Kläger habe sich angekündigt krankschreiben lassen.
Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen die Kündigung gewandt und insbesondere bestritten, gegenüber dem Sohn des Geschäftsführers oder gegenüber Arbeitskollegen eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt zu haben.
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom nicht beendet werde,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe,
3. falls er mit dem Feststellungsantrag zu 1) obsiege, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags behauptet, der Kläger habe am nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer dessen Büro verlassen und erklärt: "So, jetzt lernt ihr mich kennen. Der Lkw bleibt stehen; wenn ihr mir so kommt, lasse ich mich krank schreiben."
Durch Urteil vom hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Es enthielt die Rechtsmittelbelehrung, die Berufungsschrift müsse innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils beim Landesarbeitsgericht eingegangen sein. Die Berufung sei gleichzeitig oder innerhalb eines weiteren Monats nach Eingang der Berufung bei Gericht schriftlich zu begründen.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit einem am Montag, dem beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt und die Berufung mit einem am beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine oben wiedergegebenen Klageanträge weiter.
Gründe
Die Revision ist begründet. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen zum Kündigungsgrund lässt sich noch nicht abschließend entscheiden, ob die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat. Dies führt zur Zurückverweisung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat - kurz zusammengefasst - angenommen, die Berufung sei unzulässig. Sie sei nicht fristgerecht eingelegt worden. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG beginne die einmonatige Berufungsfrist spätestens fünf Monate nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils. § 9 Abs. 5 ArbGG sei neben der Fünfmonatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom nicht anwendbar. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG stelle eine Spezialvorschrift zu § 9 Abs. 5 ArbGG dar. Auch die Berufungsbegründung sei damit verspätet erfolgt. Vertrauensschutzerwägungen führten ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Berufung. Insbesondere scheitere eine Wiedereinsetzung an der fehlenden Antragstellung iSv. § 234 Abs. 1 ZPO bzw. der Nichteinhaltung der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO, soweit eine Wiedereinsetzung von Amts wegen zu erwägen wäre.
II. Dem folgt der Senat nur in Teilen der Begründung, nicht jedoch im Ergebnis.
1. In Übereinstimmung mit den Entscheidungen des Achten Senats vom - 8 AZR 492/03 - zur Veröffentlichung vorgesehen <zVv.> und des Vierten Senats vom - 4 AZR 531/03 - geht der Senat davon aus, dass der Lauf der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist nach der Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bereits nach fünf und nicht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung nach 17 Monaten seit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils beginnen. Nur diese Gesetzesauslegung, die auch nach dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Neuregelung nahe liegt, dient der vom Gesetzgeber beabsichtigten Verfahrensbeschleunigung und ist geeignet, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass § 9 Abs. 5 ArbGG nur eine Rechtsmittelbelehrung über die Berufungsfrist, nicht über die Begründungsfrist vorschreibt. Würde man an der bisherigen Rechtsprechung (17 Monate) festhalten, so ließe sich kaum das absurde Ergebnis vermeiden, dass dann der Beginn der Berufungsbegründungsfrist nach fünf Monaten, der der Berufungsfrist erst nach 17 Monaten einträte. Auf die ausführliche Begründung des Achten Senats in seinem Urteil vom - 8 AZR 492/03 - zVv. wird insoweit Bezug genommen.
2. Im Ergebnis zu Unrecht hat jedoch das Landesarbeitsgericht eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgelehnt. Nach dieser Vorschrift kann eine Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn innerhalb der Antragsfrist nach § 234 Abs. 1 ZPO die versäumten Prozesshandlungen, hier also die Berufungseinlegung und die Berufungsbegründung nachgeholt worden sind. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen sind im Gegensatz zu der Annahme des Landesarbeitsgerichts gegeben.
a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ua. zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden bzw. ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die Berufungsfrist und/oder die Frist für die Begründung der Berufung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuhalten. In Fällen, in denen die Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts beruht, sind bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung vor allem die Grundrechte der Partei aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 19 Abs. 4 GG zu berücksichtigen ( - BVerfGE 93, 99; - 1 BvR 1892/03 - NJW 2004, 2887). Nach dem Gebot eines fairen Verfahrens darf das Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl. - BVerfGE 78, 123). Das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie der Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG erfordern es, bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften der jeweiligen Prozessordnung den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren. Insbesondere dürfen die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden ( - aaO mwN). Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben.
b) Diese Grundsätze sind insbesondere dann zu beachten, wenn die Fristversäumung auf einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung durch das zuständige Gericht beruht. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung rechtfertigt zwar nicht stets die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung. Ist die Rechtsmittelbelehrung offenkundig falsch und daher nicht einmal geeignet, den Anschein der Richtigkeit zu erwecken, so ist die Fristversäumnis regelmäßig trotzdem als schuldhaft anzusehen. Die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis ist allerdings gerechtfertigt, wenn die unrichtige Rechtsmittelbelehrung zu einem zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum geführt hat. Dies setzt voraus, dass der vom Gericht mitverursachte Irrtum nachvollziehbar und daher verständlich erscheint, beispielsweise in dem Fall, dass die richtigen Rechtsmittelfristen fraglich sind und das Gericht sie selbst unzutreffend beurteilt hat (vgl. - VersR 1996, 1522; - IX ZB 36/03 - ZiP 2003, 2382; - LwZR 10/92 - NJW 1993, 3206).
c) Die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist durch den Kläger sind danach als unverschuldet iSv. § 233 ZPO anzusehen. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nF unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung (Berufung innerhalb eines Monats ab Zustellung, Berufungsbegründung innerhalb eines weiteren Monats ab Berufungseinlegung) noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist von fünf Monaten (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nF) und einem weiteren Monat (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) zugestellt worden. Durch diese Rechtsmittelbelehrung innerhalb der noch laufenden Berufungsfrist ist ein Vertrauenstatbestand begründet worden, dem bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Rechnung zu tragen ist. Die Rechtsmittelbelehrung war nicht offenkundig falsch. Sie war daher geeignet, den Anschein der Richtigkeit zu erwecken. Zu der bisherigen Rechtslage galt eine ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die bei der Verzögerung der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils von einer Berufungsfrist von insgesamt 17 Monaten ausging und an die fünfmonatige Frist der §§ 516, 522 ZPO die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG anschloss ( - 2 AZR 584/99 - BAGE 95, 73 mwN). Die gesetzliche Neuregelung ist auch nicht so eindeutig, dass im Zeitpunkt der Berufungseinlegung die Prozessbevollmächtigten des Klägers als offensichtlich davon hätten ausgehen können, die Berufungsfrist beginne nunmehr bereits nach fünf Monaten. Höchstrichterliche Rechtsprechung lag nicht vor und die Frage wurde - soweit überhaupt - in der Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte unterschiedlich beurteilt. Unter diesen Umständen konnten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden auf die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung verlassen. Der vom Gericht zumindest entscheidend mitverursachte Irrtum über die richtige Berufungs- und Begründungsfrist ist nachvollziehbar und daher verständlich. Unter dem Gesichtspunkt des Rechts des Klägers auf ein faires Verfahren ist er nicht geeignet, dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist zu verwehren.
d) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts scheitert die Wiedereinsetzung nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch nicht an der rechtzeitigen Nachholung der versäumten Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist des § 234 ZPO. Nach § 234 Abs. 1 und 3 ZPO beträgt die Antragsfrist zwei Wochen, höchstens ein Jahr, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet. Die Frist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO allerdings erst mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Das Hindernis, die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, bestand hier in dem durch die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung verursachten Rechtsirrtum der Prozessbevollmächtigten des Klägers über den Fristablauf. Dieses Hindernis ist ausweislich der Gerichtsakten erst dadurch behoben worden, dass das Berufungsgericht in der Sitzung vom , also vor Ablauf der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO, auf seine - zutreffende - Auslegung des § 66 Abs. 1 ArbGG nF hingewiesen hat. Bei Behebung des Hindernisses und damit noch vor dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 ZPO war die Berufung jedoch längst eingelegt und begründet. Deshalb kann nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO eine Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
3. Da die Zulässigkeit der Berufung wegen der dem Kläger zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht - wie vom Landesarbeitsgericht angenommen - an der Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist scheitert, ist eine materielle Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung erforderlich. Dies führt zur Zurückverweisung. Zu den Kündigungsgründen hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen. Es hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, im Fall der Zulässigkeit der Berufung sei aus seiner Sicht eine weitergehende Beweisaufnahme erforderlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 3515 Nr. 48
CAAAB-93766
1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein