Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: KSchG § 1; SGB IX § 85; BGB § 162 (analog)
Instanzenzug: ArbG Karlsruhe 8 Ca 333/03 vom LAG Baden-Württemberg (Mannheim) 12 Sa 116/03 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.
Der 1959 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist gelernter Elektroinstallateur und trat 1997 als Karosserieschlosser in die Dienste der Beklagten.
Von April bis August 1999 war der Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig. Ab Januar 2001 arbeitete er in der PVC-Nahtabdichtung. Infolge einer neuerlichen Bandscheibenerkrankung war er ab bis zur Kündigung im Mai 2003 durchgehend arbeitsunfähig. Ambulante und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen hatten keinen Erfolg. Im Anschluss an eine Kur im Februar 2003 wurde der Kläger als nach wie vor arbeitsunfähig entlassen. In einem Gespräch mit einer Personalbetreuerin äußerte er Ende Februar 2003, dass er sich zur Zeit eine Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht vorstellen könne. Er erwähnte die Möglichkeit einer Operation sowie die Stellung eines Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Personalbetreuerin wies den Kläger darauf hin, bei gleichbleibender Situation werde im Mai 2003 die Kündigung erfolgen.
Am stellte der Werksarzt der Beklagten in einer arbeitsmedizinischen Beurteilung des Klägers fest, dass mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit für die verfügbaren Tätigkeiten in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei.
Die Beklagte hörte daraufhin den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Sie führte ua. aus, der Kläger sei nicht schwerbehindert und habe laut Steuerkarte keine unterhaltspflichtigen Kinder. Unter dem widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung und wies darauf hin, der Kläger habe einen Antrag beim Versorgungsamt auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt.
Der Kläger hatte tatsächlich am einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt auf Feststellung seiner Schwerbehinderung gestellt. Mit Bescheid vom wurde ein Grad der Behinderung von 30 rückwirkend seit dem festgestellt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, dem nicht abgeholfen wurde. Über die dagegen beim Sozialgericht erhobene Klage ist bislang nicht entschieden. Auf seinen Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit vom wurde der Kläger mit Bescheid vom mit Wirkung zum einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Unter dem hatte die Beklagte im Rahmen einer innerbetrieblichen Stellenausschreibung 22 Mitarbeiter als Pförtner gesucht. Die Stellen waren vom bis befristet und waren Ende April/Anfang Mai 2003 besetzt.
Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum .
Der Kläger hat geltend gemacht, er könne zwar die bisherige Arbeit nicht mehr verrichten, die Beklagte habe ihn aber - ggf. nach einer Änderungskündigung - auf einen freien Arbeitsplatz als Pförtner umsetzen können, den auszufüllen er in der Lage sei. Wegen seines Kuraufenthaltes habe er von den Pförtnerstellen keine Kenntnis gehabt. Die Unterrichtung des Betriebsrats sei unzutreffend gewesen. Er sei gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtig. Schließlich sei die Kündigung auch wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Er sei im Kündigungszeitpunkt schwerbehindert gewesen.
Der Kläger hat beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom nicht beendet wird.
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die Pförtnerstellen seien im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung schon besetzt gewesen. Sie habe den Kläger nicht auf die Pförtnerstellen hinweisen müssen, da auf Grund seiner eigenen Angaben zum Gesundheitszustand eine ernsthafte Einsetzbarkeit während der Befristungszeit nicht gewährleistet gewesen sei. Es handele sich nicht um gleichwertige Stellen, die die Beklagte dem Kläger im Rahmen des Direktionsrechts habe zuweisen können. Auch sei der Kläger leidensbedingt als Pförtner nicht einsetzbar. Dem Betriebsrat habe sie ihren Wissensstand, der maßgeblich auf den Eintragungen in der Steuerkarte des Klägers beruhe, korrekt mitgeteilt. Die Zustimmung des Integrationsamts habe sie nicht einholen müssen, da der Kläger im Kündigungszeitpunkt weder einem Schwerbehinderten gleichgestellt noch seine Schwerbehinderung festgestellt gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag weiter.
Gründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, wegen der Erkrankung des Klägers sei seine Beschäftigung im Produktionsbereich nicht mehr möglich. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf freie Pförtnerstellen hinzuweisen. Sie habe den Kündigungsentschluss erst am 13. Mai und damit zu einem Zeitpunkt gefasst, als die Stellen bereits besetzt gewesen seien. Der Betriebsrat sei nach den Grundsätzen der subjektiven Determination ordnungsgemäß unterrichtet worden. Die Zustimmung des Integrationsamts sei nicht erforderlich, da der Kläger im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs keinen Sonderkündigungsschutz genossen habe. Für den Fall des positiven Ausgangs des sozialgerichtlichen Verfahrens stehe dem Kläger die Restitutionsklage zu.
B. Dem stimmt der Senat zwar in weiten Teilen der Begründung, nicht aber im Ergebnis zu. Ob die Beklagte dem Kläger die Beschäftigung als Pförtner hätte anbieten müssen und die Kündigung deshalb unwirksam ist, steht noch nicht fest.
I. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.
1. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ist subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (st. Rspr. Senat - 2 AZR 461/03 - AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; - 2 AZR 690/02 - BAGE 108, 269). Insoweit muss der Arbeitgeber seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung stellt keine ordnungsgemäße Anhörung dar (Senat - 2 AZR 181/95 -; - 2 AZR 453/88 - AP LPVG Schleswig-Holstein § 77 Nr. 1). Hingegen ist der Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsanhörung nicht verpflichtet, die Richtigkeit dokumentierter Daten zu überprüfen ( - LAGE BetrVG 1972 § 102 Nr. 25; - LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 30; KR-Etzel 7. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 58b; HaKo-Griebeling KSchG 2. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 84; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 396). Er kann deshalb mangels anderweitiger Kenntnisse auch von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen, hat dies aber dann gegenüber dem Betriebsrat zu kennzeichnen (KR-Etzel aaO).
2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört.
a) Sie hat dem Betriebsrat den aus ihrer Sicht bestehenden Kündigungssachverhalt vollständig, nicht irreführend und nach ihrem Kenntnisstand zutreffend mitgeteilt.
Dies gilt auch, soweit die Beklagte weiter ausgeführt hat, leidensgerechte Tätigkeiten außerhalb der Produktion seien nicht verfügbar. Denn dies entsprach ihrer Auffassung.
b) Zu Unrecht meint die Revision, die Angabe der Beklagten, der Kläger habe laut Lohnsteuerkarte keine Kinder, sei nicht ausreichend. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer für die Unterrichtung des Arbeitgebers über Veränderungen seiner Personalien verantwortlich (Senat - 2 AZR 292/96 - BAGE 85, 114; HaKo-Griebeling KSchG 2. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 84). Überreicht er lediglich eine Lohnsteuerkarte, ohne den Arbeitgeber über darüber hinaus gehende persönliche Daten aufzuklären, muss er davon ausgehen, dass der Arbeitgeber sich zunächst auf die dort dokumentierten Daten verlässt.
c) Soweit der Kläger - erstmals - in der Revision geltend macht, dass seine Kinder bis zum April 2002 auf seiner Steuerkarte eingetragen gewesen seien, führt dieser Umstand nicht zu einer anderen Würdigung. Die Streichung der Kinderfreibeträge auf der Lohnsteuerkarte konnte unterschiedliche Gründe haben. Dem Kläger stand es frei, diese Gründe seinem Arbeitgeber mitzuteilen. Tat er dies nicht, so hatte die Beklagte dies hinzunehmen.
II. Die Kündigung ist aus derzeitiger Sicht nicht nach § 85 SGB IX unwirksam.
Die Beklagte war nicht verpflichtet, vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen.
1. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger mit Bescheid der Bundesanstalt für Arbeit - jetzt Bundesagentur für Arbeit - vom rückwirkend zum einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde.
a) Gem. § 85 iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gem. § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf Grund einer Feststellung nach § 69 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Gleichstellung wird gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die Gleichstellung ist ein konstitutiver Verwaltungsakt. Sie begründet den Schutz für den Behinderten erst durch den Verwaltungsakt im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung ein bestehender Rechtsschutz nur festgestellt wird ( - AP BAT § 59 Nr. 6 = EzA BGB § 620 Nr. 134; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 11. Aufl. § 68 Rn. 23; Kossens/von der Heide/Maaß Praxiskommentar zum Behindertenrecht (SGB IX) § 68 Rn. 7; APS/Vossen 2. Aufl. § 85 SGB IX Rn. 11; ErfK/Rolfs 5. Aufl. § 85 SGB IX Rn. 7 und § 69 SGB IX Rn. 15). Die erst nach Zugang der Kündigung beantragte Gleichstellung hat für die ausgesprochene Kündigung keine Bedeutung mehr (Braasch in Neumann Handbuch SGB IX § 19 Rn. 68; ErfK/Rolfs aaO; KR-Etzel 7. Aufl. vor §§ 85 - 92 SGB IX Rn. 24).
b) Der Kläger hat den Antrag auf Gleichstellung erst am und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Dementsprechend stellte die Bundesagentur im Bescheid vom das Wirksamwerden der Gleichstellung mit dem fest.
2. Zu Gunsten des Klägers war im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch nicht festgestellt, dass er schwerbehindert iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX ist.
a) Die rechtlichen Wirkungen der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch treten im Fall des Sonderkündigungsschutzes nach der im Zeitpunkt der Kündigung geltenden Fassung des SGB IX nicht ohne weiteres, dh. schon bei bloß bestehender objektiver Schwerbehinderteneigenschaft ein. Voraussetzung ist vielmehr, dass vor Zugang der Kündigung ein entsprechender Bescheid ergangen oder jedenfalls ein Antrag gestellt ist (zuletzt Senat - 2 AZR 675/03 - AP SGB IX § 85 Nr. 1 = EzA SGB IX § 85 Nr. 3). Diesen Antrag hat der Kläger am und damit vor Zugang der Kündigung gestellt. Es war auch ausreichend, dass die Beklagte hiervon durch den Betriebsrat im Rahmen seines Widerspruchs vom erfuhr. Der so erlangten Kenntnis durfte sich die Beklagte nicht verschließen (Senat - 2 AZR 675/03 - aaO).
b) Wird im - noch nicht abgeschlossenen - sozialgerichtlichen Verfahren festgestellt, dass der Kläger tatsächlich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwer behindert war, steht dem Kläger ggf. der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7b ZPO analog zur Seite, da dann die Kündigung rückwirkend wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts nichtig ist, § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB ( - AP SchwbG § 12 Nr. 13 = EzA ZPO § 580 Nr. 2).
3. Zu Unrecht macht die Revision geltend, im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei offenkundig gewesen, dass der Kläger schwerbehindert sei oder mindestens die Voraussetzungen einer Gleichstellung erfüllt habe.
a) Hinsichtlich der Schwerbehinderteneigenschaft kommt es auf eine Offenkundigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Senats ( - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355) nicht an. Denn den Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung hatte der Kläger bereits vor Zugang der Kündigung gestellt, was der Beklagten auf Grund der Mitteilung des Betriebsrats bekannt war.
b) Die Auffassung des Klägers, ihm habe Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX deshalb zugestanden, weil für die Beklagte offenkundig gewesen sei, dass er bereits zum Kündigungszeitpunkt auch ohne Antrag bei der Bundesanstalt für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen gewesen sei, ist nicht zutreffend.
aa) Richtig ist, dass im Einzelfall der kündigungsrechtliche Schutz des schwerbehinderten Menschen auch schon dann zum Tragen kommen kann, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist (Senat - 2 AZR 612/00 - BAGE 100, 355; - NZA 1987, 563). In diesem Fall weiß der Arbeitgeber, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer den Schwerbehindertenschutz in Anspruch nehmen will bzw. kann. Er kann sich darauf einrichten, dass die von ihm auszusprechende Kündigung der Zustimmung des Integrationsamts bedarf. Der Arbeitgeber muss sich dann entsprechend dem Rechtsgedanken des § 162 BGB so behandeln lassen, als habe der Schwerbehinderte den Antrag vor Zugang der Kündigung gestellt (Senat - 2 AZR 612/00 - aaO).
bb) Diese Grundsätze lassen sich auf den Fall der Gleichstellung nach § 2 Abs. 3, § 68 SGB IX nicht übertragen. Während die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft im Wesentlichen auf gesundheitlichen Einschränkungen des betreffenden Arbeitnehmers beruht, folgt die Gleichstellung aus einer Verbindung gesundheitlicher Befunde mit Erkenntnissen und Einschätzungen von Gegebenheiten des Arbeitsmarkts (§ 2 Abs. 3, § 73 SGB IX). Während die gesundheitlichen Einschränkungen des schwerbehinderten Menschen derart auffallend sein können, dass sie "ins Auge springen" und deshalb offenkundig sind, ist dies bei der Gleichstellung in aller Regel ausgeschlossen: Voraussetzung der Gleichstellung ist, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung unter einem Grad von 50 liegt und dementsprechend in den allermeisten Fällen gerade nicht "ins Auge springt". Die weiteren Voraussetzungen der Gleichstellung - Gegebenheiten des Arbeitsmarkts und ihre Einschätzung durch die Bundesagentur für Arbeit - können in aller Regel erst recht nicht im vorgenannten Sinn offenkundig sein. Denn sie bestehen aus dem Arbeitgeber nicht bekannten - jedenfalls nicht sichtbaren - äußeren und inneren Tatsachen.
III. Ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt oder durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), steht noch nicht fest.
1. Bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass lang anhaltender Krankheit ausgesprochen werden, ist eine dreistufige Prüfung vorzunehmen. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe - (st. Rspr. des Senats - 2 AZR 148/01 - BAGE 101, 39; - 2 AZR 431/98 - BAGE 91, 271; - 2 AZR 399/91 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 38).
2. Eine negative Gesundheitsprognose bezogen auf die bisher vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ist gegeben. Das sieht auch die Revision nicht anders. Sowohl aus der arbeitsmedizinischen Beurteilung als auch aus dem eigenen Vorbringen des Klägers ergibt sich, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers für längere Zeit ungewiss ist. Damit war im Kündigungszeitpunkt damit zu rechnen, dass medizinische Maßnahmen zu keiner Besserung des Gesundheitszustands des Klägers führen würden und der Kläger - jedenfalls bezogen auf den bisherigen Arbeitsplatz - unabsehbar arbeitsunfähig bliebe.
IV. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann der Senat jedoch der weiteren Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger keine der im März ausgeschriebenen Pförtnerstellen anbieten müssen, nicht zustimmen.
1. Die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz - ggf. auch zu geänderten Bedingungen (Senat - 2 AZR 62/83 - BAGE 47, 26) - schließt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine krankheitsbedingte Kündigung aus ( - BAGE 33,1; Senat - 2 AZR 205/90 - BAGE 67, 198, 204 f.; - 2 AZR 401/89 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 5). Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, führt die Krankheit zudem nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (Senat - 2 AZR 366/89 - RzK III 1b 13; KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 346).
2. Ist im Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht (mehr) vorhanden, so ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde (zur betriebsbedingten Kündigung: Senat - 2 AZR 260/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121; - 2 AZR 695/00 - EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115; 5 (9) Sa 417/04 - NZA-RR 2005, 300; APS-Kiel 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 608; allgemein: KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 221). Ein solches treuwidriges Verhalten liegt dann vor, wenn für den Arbeitgeber im Zeitpunkt der Stellenbesetzung ein "Auslaufen" der Beschäftigungsmöglichkeit für den später gekündigten Arbeitnehmer absehbar war, Kündigungsentschluss und anderweitige Besetzung der freien Stelle also "uno actu" erfolgten (st. Rspr. vgl. Senat - 2 AZR 208/03 - EzBAT BAT § 53 Betriebsübergang Nr. 8; - 2 AZR 307/03 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 75 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 129; - 2 AZR 195/01 - BAGE 102, 97; - 2 AZR 260/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121). Voraussetzung ist allerdings, dass der durch voreilige Besetzung nicht mehr vakante Arbeitsplatz für den gekündigten Arbeitnehmer geeignet war (vgl. Senat - 2 AZR 326/03 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132).
3. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht verneint werden. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten war sie bereits im Februar 2003 willens, das Arbeitsverhältnis im Mai zu kündigen, falls sich am Gesundheitszustand des Klägers nichts ändern würde. Dass erst das arbeitsmedizinische Gutachten vom den letzten Ausschlag gab, ändert daran nichts. Die Beklagte hat die Kündigung jedenfalls seit Februar 2003 sicher "kommen sehen". Diesen Umstand hat das Landesarbeitsgericht nicht ausreichend gewürdigt.
V. Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest. Der Senat kann in der Sache nicht entscheiden, weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind.
1. Die Beklagte musste dem Kläger die Weiterbeschäftigung auf einer der im fraglichen Zeitraum unzweifelhaft freien Arbeitsstellen als Pförtner nicht anbieten, wenn der Kläger für die Beschäftigung als Pförtner ungeeignet war. Die Beklagte hat insoweit die gesundheitliche Eignung des Klägers in Abrede gestellt. Der Kläger hat dem widersprochen. Dies muss das Landesarbeitsgericht klären.
2. Treuwidrige Vereitelung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann der Beklagten nur dann vorgehalten werden, wenn sich ihr die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung aufdrängen musste. Das mag im vorliegenden Fall deshalb nahe liegen, weil Pförtnertätigkeiten häufig als Schonarbeitsplätze anzusehen sind. Ergab sich aber - entweder aus der konkreten Art der Arbeitsplätze oder aus anderen Gesichtspunkten, etwa ärztlichen Stellungnahmen oder Äußerungen des Klägers -, dass dessen befristeter Einsatz als Pförtner von vornherein ausschied, so war die Beklagte auch nicht gehalten, ihm eine solche Beschäftigung anzubieten. Es wäre - insoweit ist der Beklagten zuzustimmen - eine Überforderung des Arbeitgebers, wenn er jederzeit vorsorglich die ständig wechselnden Beschäftigungsvakanzen mit den individuellen Einsatzmöglichkeiten erkrankter Arbeitnehmer abgleichen müsste.
VI. Sollte das Landesarbeitsgericht feststellen, dass die Beklagte den Kläger nicht auf einem Arbeitsplatz als Pförtner einsetzen musste, wird das Landesarbeitsgericht bei der vorzunehmenden Interessenabwägung auch die Behinderung des Klägers nicht von vornherein außer Betracht lassen dürfen (Senat - 2 AZR 378/99 -BAGE 93, 255, zu B II 5 b der Gründe).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1614 Nr. 22
WAAAB-93742
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein