BAG Urteil v. - 2 AZR 255/02

Leitsatz

[1] Der Insolvenzverwalter kann ein Arbeitsverhältnis auch dann mit der kurzen Kündigungsfrist des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO kündigen, wenn er zuvor als vorläufiger Insolvenzverwalter unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt hat.

Gesetze: InsO § 113 Abs. 1

Instanzenzug: ArbG Bielefeld 2 Ca 647/01 vom LAG Hamm 2 Sa 1123/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits zum oder erst mit Ablauf des beendet worden ist.

Der am geborene, verheiratete Kläger war seit dem bei der Schuldnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Buchhalter gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 7.250,00 DM brutto beschäftigt.

Am bestellte das zuständige Amtsgericht den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin und übertrug ihm das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse einschließlich der Ermächtigung zum Ausspruch von Kündigungen. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Dezember 2000 zum und stellte den Kläger ab von der Arbeitsleistung frei. Diese Kündigung ist vom Kläger gerichtlich nicht angegriffen worden.

Am wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser informierte den Betriebsrat am von seiner Absicht, die Arbeitsverhältnisse namentlich genannter 13 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - einschließlich des Klägers - zu kündigen. Zur Begründung gab er an, der Betrieb der Schuldnerin sei bereits zum stillgelegt worden. Er mache nunmehr von seinem Sonderkündigungsrecht als Insolvenzverwalter nach § 113 InsO Gebrauch. Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut zum .

Der Kläger vertritt die Auffassung, es handele sich bei der Kündigung vom um eine unzulässige Nachkündigung. Der Beklagte habe die Stillegung des Betriebes bereits zum Anlaß der Kündigung zum genommen. Es sei ihm daher verwehrt, darauf erneut eine Kündigung mit kürzerer Kündigungsfrist zu stützen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen dem Kläger und der Firma B GmbH in Insolvenz bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund Kündigung des Beklagten vom mit Ablauf des beendet wurde, sondern erst mit Ablauf des geendet hat.

Der Beklagte hat zur Stützung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, er sei verpflichtet gewesen, durch Ausnutzung der nach § 113 InsO ermöglichten kürzeren Kündigungsfrist eine weitere Verringerung der Insolvenzmasse im Interesse anderer Insolvenzgläubiger zu verhindern. Eine unzulässige Nachkündigung liege nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung des Beklagten vom zum aufgelöst worden. Das Kündigungsrecht des Beklagten sei durch die zuvor ausgesprochene Kündigung zum nicht verbraucht gewesen. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe sich der Kündigungssachverhalt in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht verändert.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung. Der Insolvenzverwalter kann ein Arbeitsverhältnis auch dann mit der kurzen Kündigungsfrist des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO kündigen, wenn er zuvor als vorläufiger Insolvenzverwalter unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt hat. Eine unzulässige "Wiederholungskündigung" oder "Nachkündigung" liegt darin nicht.

1. Nach § 113 Abs. 1 InsO kann ein Arbeitsverhältnis vom Insolvenzverwalter stets ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluß des Rechts zur ordentlichen Kündigung mit der kurzen Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, soweit nicht eine noch kürzere Frist maßgeblich ist. Der Gesetzeswortlaut enthält keine Einschränkungen für den Fall, daß aus dem gleichen Kündigungsgrund (beabsichtigte Betriebsstillegung etc.) bereits vorher vom Schuldner oder vom vorläufigen Insolvenzverwalter unter Einhaltung der - längeren - ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt worden ist. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, im Insolvenzfall alle Kündigungsfristen auf höchstens drei Monate zu begrenzen und damit die Beendigung der Arbeitsverhältnisse innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu ermöglichen. Die Interessen der Arbeitnehmer sind durch den Schadensersatzanspruch des § 113 Abs. 1 Satz 3 InsO gewahrt. Dem Ziel des Gesetzes würde es zuwider laufen, würde man das Kündigungsrecht des § 113 Abs. 1 InsO auf die Fälle beschränken, in denen nicht bereits vor Insolvenzeröffnung vom Schuldner oder vom vorläufigen Insolvenzverwalter gekündigt worden ist. Der dadurch entstehende Druck auf den Schuldner und den vorläufigen Insolvenzverwalter, notwendige Kündigungen möglichst bis zur Insolvenzeröffnung hinauszuzögern, um nicht die Insolvenzmasse unnötig zu schmälern, ließe sich mit Sinn und Zweck des § 113 InsO nicht vereinbaren.

2. Die Zulässigkeit einer derartigen "Nachkündigung" hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich für den Fall anerkannt, daß der Konkursverwalter ein zuvor bereits unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigtes Arbeitsverhältnis nach Inkrafttreten des § 113 InsO erneut mit der dort geregelten kürzeren Kündigungsfrist gekündigt hat ( - ZInsO 1999, 714, 716; - 4 AZR 70/99 - AP InsO § 113 Nr. 5 = EzA InsO § 113 Nr. 10). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat für den Fall, daß die erste Kündigung mit der längeren für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Kündigungsfrist vor Insolvenzeröffnung ausgesprochen worden ist und der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung von der gesetzlichen Möglichkeit des § 113 InsO Gebrauch macht. Dies entspricht auch der einhelligen Meinung sowohl in der arbeitsrechtlichen als auch in der konkursrechtlichen Literatur (MünchArbR-Berkowsky 2. Aufl. § 133 Rn. 18; Zwanziger Das Arbeitsrecht der InsO 2. Aufl. § 113 InsO Rn. 5; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 2157; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler KSchR 5. Aufl. §§ 113, 121 InsO Rn. 57 "einigermaßen plausibel"; KR-Weigand 6. Aufl. §§ 113, 120 ff. InsO Rn. 46; Braun-Wolf InsO § 113 Rn. 14; Haarmeyer/Wutzke/Förster Hdb InsO/EGInsO 3. Aufl. Kap. 5 Rn. 256 f.; Kübler/Prütting InsO Stand April 2003 § 113 Rn. 66; MünchKommInsOLöwisch/Caspers § 113 Rn. 23; aA 4 (15) Ca 5991/98 - NZA-RR 1999, 416).

3. Bei der sog. "Nachkündigung" des Insolvenzverwalters handelt es sich nicht, wie die Revision geltend macht, um eine unzulässige Wiederholungskündigung.

a) Zwar kann ein Gestaltungsrecht wie das Kündigungsrecht verbraucht sein (Senat - 2 AZR 159/93 - BAGE 74, 143). Dies betrifft aber nur den Fall, daß zwei Kündigungen auf denselben Kündigungssachverhalt gestützt werden. Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, daß das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozeß materiell geprüft worden sind. Um eine unzulässige Wiederholungskündigung handelt es sich jedoch nicht, wenn der Kündigende die erste Kündigung nicht lediglich wiederholt, sondern sie auf weitere, neue Tatsachen stützt, die den bisherigen Kündigungssachverhalt verändern oder ergänzen.

b) Ein solcher Fall liegt bei der sog. Nachkündigung des Insolvenzverwalters vor. Zwar hat hier der beklagte Insolvenzverwalter sowohl für die erste als auch für die zweite Kündigung die beabsichtigte Betriebsstillegung als Kündigungsgrund angegeben. Schon wegen des unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkts ist jedoch der Kündigungssachverhalt nicht völlig identisch. Bei der ersten Kündigung des Beklagten als vorläufiger Insolvenzverwalter war nach § 1 Abs. 2 KSchG zu prüfen, ob am absehbar war, daß für den Kläger am keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr bestand. Die zweite Kündigung betraf demgegenüber eine am anzustellende Prognose des Beschäftigungsbedarfs am . Jedenfalls hatte sich auch der Kündigungssachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die zwischenzeitliche Insolvenzeröffnung in einem entscheidenden Punkt geändert. Erst nach Insolvenzeröffnung konnte der Beklagte mit der kurzen Kündigungsfrist des § 113 InsO kündigen. Er löste allerdings dadurch, auch dies ist ein erheblicher Unterschied zwischen dem Kündigungssachverhalt der ersten und der zweiten Kündigung, Schadensersatzansprüche nach § 113 Abs. 1 Satz 3 InsO aus. Schließlich hat sich auch die Rechtsstellung des Beklagten durch die Insolvenzeröffnung geändert. Während er als vorläufiger Insolvenzverwalter noch Vertreter der Schuldnerin war, handelte er nach Insolvenzeröffnung als Partei kraft Amtes auf Grund einer eigenen Rechtsstellung im Interesse der Gläubiger ( - EzA KSchG § 4 n.F. Nr. 62).

4. Zu Unrecht macht die Revision geltend, der Beklagte handele rechtsmißbräuchlich, indem er seine eigene, als vorläufiger Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung nunmehr mit verkürzter Kündigungsfrist wiederhole. Der Beklagte hat lediglich nach Insolvenzeröffnung von der erst dann bestehenden Möglichkeit einer Kündigung mit verkürzter Kündigungsfrist Gebrauch gemacht. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist darin nicht zu sehen.

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 2183 Nr. 41
DB 2003 S. 2071 Nr. 38
YAAAB-93669

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