BAG Urteil v. - 2 AZR 214/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 1 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 3

Instanzenzug: ArbG Hagen 5 Ca 2197/02 vom LAG Hamm 4 Sa 839/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine ordentliche, auf betriebsbedingte Gründe gestützte Kündigung.

Die bei Klageerhebung 54 Jahre alte Klägerin trat im Jahre 1966 als Bürokauffrau in die Dienste der E GmbH in H, über deren Vermögen 1997 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Aus diesem Verfahren gingen als Rechtsnachfolgerinnen die E A GmbH (im Folgenden: Armaturentechnik), die E M GmbH (im Folgenden: Presswerk) und die E E GmbH (im Folgenden: Engineering) hervor. Die drei Unternehmen standen unter einheitlicher Leitung und hatten einen gemeinsamen Betriebsrat sowie eine gemeinsame kaufmännische Verwaltung, angesiedelt bei der Armaturentechnik. Zu dieser stand die Klägerin bis zur Kündigung im Arbeitsverhältnis. Über die Vermögen aller drei Auffanggesellschaften wurden durch Beschlüsse des Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter aller drei Schuldnerinnen bestellt.

Mit Schreiben vom teilte der Beklagte dem "Betriebsrat der E-Gruppe" mit, es habe sich weder für die Armaturentechnik noch für die Engineering ein Übernehmer gefunden. Sämtliche zu diesen beiden Unternehmen bestehenden Arbeitsverhältnisse werde er deshalb kündigen. Dagegen habe sich für die "Produktionsstätte in der Färberstraße" (Presswerk) ein Kaufinteressent gemeldet, der allerdings nur bei einer Reduzierung der Belegschaft auf 12 bis 13 Mitarbeiter zur Übernahme bereit sei.

Der Beklagte kündigte in der Folge allen Arbeitnehmern der Armaturentechnik, darunter der Klägerin mit Schreiben vom , zum nächstmöglichen Termin.

Unter den mit Schreiben vom gekündigten Mitarbeitern der Armaturentechnik befand sich auch die kaufmännische Angestellte Frau B. Frau B ist sechs Jahre jünger als die Klägerin und weist eine um neun Jahre geringere Beschäftigungszeit auf. Sie wurde vom Beklagten im Zusammenhang mit der Kündigung rückwirkend ab auf die Gehaltsliste des weiter geführten Presswerks gesetzt und auf dieser Grundlage weiterbeschäftigt.

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Die Armaturentechnik habe mit den beiden anderen Schuldnerinnen einen Gemeinschaftsbetrieb jedenfalls hinsichtlich der Verwaltungstätigkeiten gebildet. Der Beschäftigungsbedarf für sie sei nicht entfallen. Es habe eine soziale Auswahl stattfinden müssen, bei der ihr gegenüber Frau B, mit der sie vergleichbar sei, der Vorzug gebührt habe. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, weil eine Reihe von Sozialdaten in der nachgereichten Liste falsch gewesen sei und im Übrigen die kaufmännische Verwaltung nicht endgültig eingestellt worden sei, sondern, wie sich an der Beschäftigung von Frau B zeige, teilweise fortgeführt werde.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die Kündigung für wirksam. Sie sei durch dringende betriebliche Erfordernisse, nämlich die Stilllegung des Betriebs der Armaturentechnik gerechtfertigt. Die Produktion sei zum eingestellt, letzte Abwicklungsarbeiten seien bis zum erledigt worden. Auf die Fortführung des Presswerks könne sich die Klägerin nicht berufen, weil es sich insoweit um ein rechtlich und wirtschaftlich selbständiges Unternehmen gehandelt habe. Deshalb habe die Beschäftigung von Frau B keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Kündigung. Die Möglichkeit der Veräußerung des Presswerks habe sich erst nach Kündigung ergeben. Die Übernahme sei letztlich zum erfolgt. Die Anhörung des Betriebsrats sei nicht zu beanstanden.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt, weil der Betrieb der Armaturentechnik unstreitig stillgelegt worden sei. Die Notwendigkeit einer unternehmensübergreifenden Sozialauswahl entfalle im Gemeinschaftsbetrieb anerkanntermaßen auch dann, wenn bei Ausspruch der Kündigung greifbare Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Betriebsteil, in dem der Gekündigte beschäftigt wird, zum Kündigungstermin stillgelegt werde. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Weiterbeschäftigung bei der Schuldnerin Armaturentechnik, sondern in einem anderen Teilbetrieb des ehemaligen Gemeinschaftsbetriebs. Hier stelle sich nicht das Problem der Sozialauswahl, sondern es gehe darum, ob die Klägerin auf Grund ihrer Tätigkeit dem Presswerk zuzuordnen gewesen sei. Das sei nicht der Fall gewesen. Sowohl Frau B als auch die Klägerin hätten für den gesamten ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb gearbeitet. Das Direktionsrecht des Beklagten habe die Umsetzung der Klägerin in das Presswerk nicht erlaubt. Deshalb habe der Beklagte zwischen der Klägerin und Frau B frei wählen können.

B. Dem stimmt der Senat nur in Teilen der Begründung zu. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

I. Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Darin folgt der Senat dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis.

1. Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen gehört die Stilllegung des gesamten Betriebs durch den Arbeitgeber. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen (st. Rspr. -BAGE 97, 10; - 2 AZR 666/93 - AP BGB § 613a Nr. 105 = EzA BGB § 613a Nr. 116; - 2 AZR 612/85 - AP KSchG 1969 § 1 Konzern Nr. 4 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 22). Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Es kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben. Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf Grund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben ( - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 64 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128; - 2 AZR 256/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; - 2 AZR 514/99 -BAGE 97, 10; - 2 AZR 477/95 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 87; - 8 AZR 101/96 - BAGE 86, 20).

2. Wird einer der einen Gemeinschaftsbetrieb bildenden Teile stillgelegt, so ist die Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern dieses Teils durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt (vgl. - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 64 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128), wenn - was regelmäßig der Fall ist - mit der Stilllegung des Teils auch die Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs, insbesondere der einheitlichen personellen Leitung verbunden ist.

3. Allerdings blieb die einheitliche Leitung im vorliegenden Fall erhalten und wurde vom Beklagten ausgeübt. Der Beklagte nutzte die in seiner Person für die - an sich getrennten - Vermögensmassen aller drei Schuldnerinnen zusammenfließende Leitungsmacht einheitlich. Dadurch erhielt er die vor Insolvenzeröffnung bestehende einheitliche Leitung aufrecht und vermied die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens uU eintretende Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs (vgl. - BAGE 55, 177). Ihren deutlichsten Ausdruck findet die vom Beklagten für alle Schuldnerinnen fortgeführte gemeinsame personelle Leitung in der Umsetzung von Frau B. Dass bei faktischer Fortführung der einheitlichen personellen Leitung der Gemeinschaftsbetrieb als Bezugsrahmen arbeitsrechtlicher Pflichten bestehen bleiben kann, hat das Bundesarbeitsgericht auch in anderen Fällen angenommen ( - 1 ABR 6/97 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 42 = EzA BetrVG 1972 § 111 Nr. 36).

4. Gleichwohl liegt ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vor. Voraussetzung für die Betriebsbedingtheit einer Kündigung ist nicht der Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes, sondern die Verringerung des Beschäftigungsbedarfs für bestimmte Tätigkeiten. Der Beschäftigungsbedarf im Bereich "kaufmännische Verwaltung", in dem die Klägerin tätig war, hat sich durch die Schließung der Produktion der Armaturentechnik und die Schließung der Engineering in der Weise verringert, dass er nur noch im Umfang einer Arbeitskraft fortbesteht. Die Frage, welchem der in diesem Betätigungsbereich beschäftigten Arbeitnehmer zu kündigen ist, ist demgegenüber eine Frage der Sozialauswahl.

II. Ob die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, weil der Beklagte bei der Auswahl der Klägerin als der zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat, kann noch nicht festgestellt werden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war der Beklagte aber zu einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten verpflichtet.

1. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das Direktionsrecht des Beklagten habe nicht die Befugnis umfasst, der Klägerin die Frau B zugewiesene Arbeit zu übertragen und deshalb sei die Klägerin nicht mit Frau B vergleichbar, teilt der Senat nicht. Vielmehr war der Beklagte berechtigt, der Klägerin die betreffenden Tätigkeiten zuzuweisen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit ( - 2 AZR 697/01 - BAGE 104, 138; - 2 AZR 142/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 46 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 43). An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann ( - 2 AZR 697/01 - BAGE 104, 138; - 2 AZR 142/99 -aaO).

b) Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens war der Beklagte Arbeitgeber der Klägerin geworden. Die Tätigkeit der Klägerin umfasst auch diejenigen kaufmännischen Verwaltungsarbeiten, die sich auf das Presswerk bezogen. Auch die vorherige Arbeitgeberin der Klägerin, die Insolvenzschuldnerin Armaturentechnik, war berechtigt, der Klägerin eben diese Arbeiten zuzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit festgestellt, dass "die Mitarbeiterin B und die Klägerin ... die kaufmännische Verwaltung für den gesamten ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb erledigt (haben), ohne dass eine der beiden Mitarbeiterinnen nach der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich oder überwiegend für die E M GmbH tätig bzw. oder nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages allein für das Presswerk zuständig gewesen wäre". Diese Feststellung ist vom Beklagten nicht angegriffen worden. Danach umfasste das Direktionsrecht des Beklagten - wie schon vorher der Insolvenzschuldnerin - auch die Tätigkeiten für das Presswerk.

c) Deshalb rechtfertigt der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom (- 8 Sa 131/03 -), wonach die Sozialauswahl dann auf den Beschäftigungsbetrieb oder -betriebsteil beschränkt sei, wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag nicht in andere Betriebsteile versetzt werden könne, nicht die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, die Klägerin und Frau B seien nicht vergleichbar. Denn im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber der Klägerin die Frau B übertragenen Tätigkeiten zuweisen.

2. Die Vergleichbarkeit der Klägerin mit Frau B war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst worden wäre.

a) Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinschhaftlichen Betrieb, so ist die Sozialauswahl bis zu einer etwaigen Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs auf den gesamten Betrieb zu erstrecken ( - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 72 = EzA KSchG § 1 Nr. 48). Eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl ist dann nicht vorzunehmen, wenn der Gemeinschaftsbetrieb im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr besteht ( - aaO; Ascheid/Schmidt/Kiel Kündigungsrecht 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 665; KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 609; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 436; Sowka/Schiefer/Heise-Meisel KPK 3. Aufl. S. 1066 ff.; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 347; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 436; aA Annuß/Hohenstatt NZA 2004, 420, die eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl auch im Gemeinschaftsbetrieb ablehnen). Ist im Zeitpunkt der Kündigung einer der Betriebe, die einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, stillgelegt, so sind damit idR die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen und personellen Angelegenheiten sowie die unternehmerischen Funktionen im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten dem vormals einheitlichen Leitungsapparat der beteiligten Unternehmen entzogen, der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst. In diesem Fall ist die "gemeinsame Klammer", die eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl veranlasst hat, entfallen.

b) Gleiches gilt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der eine der Betriebe, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird. Kündigungsgrund ist in einem solchen Fall das dringende betriebliche Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem stillzulegenden Betrieb nach Ablauf seiner Kündigungsfrist entgegensteht. Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem bis zur Stilllegung des einen Betriebsteils zwischen beiden Unternehmen gebildeten Gemeinschaftsbetrieb kommt damit nicht mehr in Betracht. Wird, wie dies regelmäßig geschieht, mit der Stilllegung des einen Betriebs auch die gemeinsame Leitungsstruktur beseitigt, so besteht ab dem Stilllegungszeitpunkt nur noch ein Betrieb fort, in dessen Führung durch den Unternehmer, dessen Betrieb stillgelegt worden ist, nicht mehr eingegriffen werden kann. Der Inhaber des stillzulegenden Betriebs ist damit nicht mehr in der Lage, eine Weiterbeschäftigung seiner Arbeitnehmer, denen wegen der Stilllegung betriebsbedingt zu kündigen ist, in dem fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmers rechtlich durchzusetzen (vgl. - AP KSchG 1969 Konzern § 1 Nr. 12). Damit fehlt es für eine Sozialauswahl zwischen den Arbeitnehmern des ursprünglichen Gemeinschaftsbetriebs an der Vergleichbarkeit ( - 2 AZR 48/03 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 64 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128).

c) Im vorliegenden Fall ist jedoch die, wie ausgeführt, einheitliche personelle Leitung und damit die "gemeinsame Klammer", durch die die unternehmensübergreifende Sozialauswahl ermöglicht wird, erhalten geblieben. Der Beklagte war rechtlich in der Lage, der Klägerin die Arbeit für das Presswerk zuzuweisen und konnte dies auch gegenüber der von ihm zu verwaltenden Vermögensmasse des Presswerks durchsetzen. Deshalb besteht nicht die Schwierigkeit, eine Weiterbeschäftigung in dem fortgeführten Betriebsteil durchzusetzen. Die einheitliche personelle Leitung hat im vorliegenden Fall weiter bestanden. Von dieser Rechtsmacht hat der Beklagte auch Gebrauch gemacht, indem er nämlich - noch vor der Stilllegung - Frau B rückwirkend "auf die Lohnliste" des Presswerks setzte. Der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG stand demnach nichts im Wege. Der Beklagte war rechtlich nicht gehindert, der Klägerin die Frau B übertragene Arbeit zuzuweisen. Der Fall ist vergleichbar dem einer beabsichtigten Teilbetriebsstilllegung. Auch in diesem Fall muss eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl stattfinden ( - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 69).

III. Da sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig erweist und der Rechtsstreit auch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 ZPO), muss er zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

1. Ob der Beklagte bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat, steht noch nicht fest.

a) Hat der Arbeitgeber entgegen § 1 Abs. 3 KSchG keine Sozialauswahl vorgenommen, so steht damit zwar noch nicht fest, dass die Sozialauswahl tatsächlich fehlerhaft ist, da auch unrichtige Verhaltensweisen zufällig zu richtigen Ergebnissen führen können. Es spricht jedoch in einem solchen Fall eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass die Auswahl dann auch im Ergebnis sozialwidrig ist ( - EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 47; - 2 AZR 580/88 - BAGE 62, 116; - 2 AZR 61/83 - AP KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33). Es ist dann Aufgabe des Arbeitgebers, näher darzulegen, weshalb trotz der gegen § 1 Satz 3 KSchG verstoßenden Überlegungen ausnahmsweise im Ergebnis soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt sein sollen.

b) Der Beklagte hat unstreitig keine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG vorgenommen, weil er davon ausgegangen ist, er sei dazu nicht verpflichtet gewesen. Die Unterlassung einer sozialen Auswahl bei der Kündigung der Klägerin war damit nach § 1 Abs. 3 KSchG nur dann nicht zu beanstanden, wenn auf Grund des im Prozess nachgeholten und berücksichtigungsfähigen Vorbringens des Beklagten angesichts der Sozialdaten eine ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte festzustellen war. Ob dies der Fall ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

c) Frau B weist eine um neun Jahre kürzere Beschäftigungszeit und ein um sechs Jahre geringeres Lebensalter als die Klägerin auf. Sie ist damit in zwei der drei stets zu berücksichtigenden Sozialdaten weniger schützenswert als die Klägerin. Hinsichtlich der Unterhaltspflichten hat der Beklagte im Berufungsverfahren allerdings vorgetragen, die Klägerin sei kinderlos verheiratet, während Frau B ihrem Ehemann und zwei Kindern unterhaltspflichtig sei. Die Klägerin hat demgegenüber behauptet, Frau B habe keine eigenen Kinder, sondern es handele sich um zwei Kinder aus der ersten Ehe ihres Mannes. Trifft die Behauptung des Beklagten zu, so kommt in Betracht, dass die soziale Auswahl noch "ausreichend" war. Die Frage bedarf daher der Aufklärung.

2. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht ebenfalls darüber entscheiden müssen, ob der Betriebsrat auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen zu den Kündigungsgründen einschließlich der Sozialauswahl ordnungsgemäß angehört worden ist. Dabei wird das Berufungsgericht die ständige Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen haben ( - 2 AZR 429/83 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 31 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 55; - 2 AZR 580/88 - BA-GE 62, 116; - 2 AZR 720/95 - RzK III 1b Nr. 26; - 2 AZR 385/99 - AP Nr. 111 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 107; - 2 AZR 536/02 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 65 = EzA BetrVG 2001 Nr. 5).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
DB 2005 S. 1523 Nr. 28
SAAAB-93645

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