Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BGB § 123; BGB § 144; BGB § 242
Instanzenzug: ArbG Erfurt 4 Ca 1489/01 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über eine von dem beklagten Freistaat erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages und eine zeitgleich ausgesprochene ordentliche Kündigung.
Der 1962 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit Januar 2000 stand er, zunächst befristet und ab August 2000 unbefristet, als Lehrer für Sport und Werken im Schuldienst des Beklagten, zuletzt an der Förderschule für Lernbehinderte in B.
Vor Abschluss des unbefristeten Vertrages hatte der Kläger eine ihm vom Beklagten vorgelegte "Erklärung über Mitgliedschaft oder Verbindungen zu bestimmten Organisationen, politischen Parteien und zu bestimmten Institutionen" abgegeben. Die dort unter Ziff. 1 gestellte Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit oder dem Amt für Nationale Sicherheit verneinte der Kläger.
Nach dem Einzelbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom war der Kläger im Anschluss an eine Kontaktphase vom bis als Gesellschaftlicher Mitarbeiter (GMS) registriert, nachdem er am eine Bereitschaftserklärung unterzeichnet hatte. Der Kläger berichtete überwiegend mündlich. Es gab lediglich einen handschriftlichen Bericht, den der Kläger mit seinem Decknamen unterzeichnete. Der Kläger hatte mehrere Führungsoffiziere. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten gab es 18 Treffberichte und 65 Berichte der Führungsoffiziere nach Informationen des Klägers. Die letzte mündliche Information des Klägers datierte vom . Dem Kläger wurden während des Wehrdienstes vor allem personenbezogene Aufträge übertragen. Während des Studiums und einer späteren Trainertätigkeit standen nach Auskunft der Bundesbeauftragten die Erarbeitung von Personeneinschätzungen wie zB über Leumund, Arbeitsklima, Meinungsäußerungen zum Privatleben und zur politischen Haltung im Mittelpunkt des Interesses. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten erhielt der Kläger 1987 drei Karten für ein Sportereignis im Wert von 45,30 M als Anerkennung für seine Leistungen in der inoffiziellen Zusammenarbeit.
Die Mitteilung der Bundesbeauftragten ging dem Beklagten am zu. Nach Anhörung des Klägers am sprach sich der zuständige Staatssekretär gegen eine Kündigung aus. Der zuständige Minister traf die gegenteilige Entscheidung. Sodann wurde der Hauptpersonalrat zu der beabsichtigten außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört. Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Nachdem der Kläger hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben hatte, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom ordentlich und focht den Arbeitsvertrag ebenfalls mit Schreiben vom wegen arglistiger Täuschung an. Kündigung und Anfechtungsschreiben gingen dem Kläger am zu.
Der Kläger macht, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, geltend: Er leugne zwar nicht, sich zur Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet zu haben. Zu berücksichtigen sei aber, dass er keinen einzigen schriftlichen Bericht geliefert und die Mehrzahl der mündlichen Berichte nicht autorisiert habe, sondern sie bestreite. Er sei auch von Anfang an bemüht gewesen, den Informationswert seiner Berichte möglichst klein zu halten und in seinen Darstellungen wegzulassen, was aus der Sicht dieser Zeit tatsächlich mit Konsequenzen für einzelne Personen hätte verbunden sein können. Das Gewicht der Zusammenarbeit mit dem MfS sei gering gewesen. Der inzwischen erreichte zeitliche Abstand und insbesondere seine konkrete Motivlage schlössen die Rechtswidrigkeit der Falschbeantwortung aus. Hinzu komme, dass er sich von der Stasi-Frage nicht angesprochen gefühlt habe, weil er zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen sei, dass seine Zusammenarbeit auf Grund fehlender schriftlicher Berichte nicht aktenkundig geworden sei. Die Rechtslage des Beklagten sei im Zeitpunkt der Anfechtung nicht mehr objektiv beeinträchtigt gewesen. Es sei auch ein Unterschied, ob ein Lehrer am Gymnasium unterrichte oder an einer Förderschule Sport und Werken wie er. Der Beklagte habe mit dem Ausspruch der Kündigung das Arbeitsverhältnis bestätigt und dadurch zu erkennen gegeben, dass er auf sein Anfechtungsrecht verzichte.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Anfechtung vom noch durch die ordentliche Kündigung vom beendet ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, der Kläger versuche vergeblich in Zweifel zu ziehen, dass seine Berichtstätigkeit für das MfS besonders schwerwiegend und intensiv gewesen sei. Auch die vom Kläger bestrittenen Berichte seien so, wie schriftlich niedergelegt, erfolgt. Auf einen zeitlichen Abstand könne sich der Kläger nicht berufen, da seine Tätigkeit weit nach 1970 und nachweislich bis Dezember 1989 stattgefunden habe. Als Lehrer habe der Kläger eine besondere Vorbildfunktion. Durch den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung habe der Beklagte den Arbeitsvertrag nicht bestätigt. Ebenso wenig habe der Beklagte auf die Anfechtung verzichtet oder verstoße er gegen Treu und Glauben, indem er sich auf sein Anfechtungsrecht berufe.
Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung (insoweit rechtskräftig) festgestellt und die Klage im übrigen abgewiesen, weil die Anfechtung wirksam sei. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Anfechtung sei nicht nach § 144 BGB ausgeschlossen gewesen. In der zeitgleich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung liege keine Bestätigung des Arbeitsvertrages. Durch die außerordentliche Kündigung habe der Beklagte gezeigt, dass er nicht am Arbeitsverhältnis festhalten wolle. Die Anfechtung sei nach § 123 BGB zu Recht erfolgt, weil der Kläger den Beklagten durch die Falschbeantwortung der zulässigerweise gestellten Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit arglistig getäuscht habe. Die Täuschung sei auch rechtswidrig gewesen. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgehe, dass der Grad seiner Verstrickung äußerst gering gewesen sei, so habe sie sich doch bis ins Jahr 1989 erstreckt. Die Ausübung des Anfechtungsrechts sei nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen gewesen. Eine Weiterbeschäftigung des Angestellten trotz Tätigkeit für das MfS könne nur dann erfolgen, wenn die Verstrickung als absolut geringfügig zu bewerten sei. Das sei hier nicht der Fall.
B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung.
I. Der Beklagte hat den Arbeitsvertrag nicht iSd. § 144 BGB bestätigt.
1. Zwar kann eine solche Bestätigung auch durch schlüssige Handlung erfolgen, jedoch muss das Verhalten den eindeutigen Willen offenbaren, trotz der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festzuhalten; jede andere den Umständen nach einigermaßen verständliche Deutung muss ausgeschlossen sein ( - RzK I 9h Nr. 34; - BGHZ 110, 220; - XII ZR 20/91 - NJW-RR 1992, 779 f., jeweils mwN).
2. Entgegen der Auffassung der Revision lag weder in dem der Anfechtungserklärung vorausgegangenen Ausspruch der fristlosen Kündigung noch in der gleichzeitig erfolgten ordentlichen Kündigung eine Bestätigung im vorgenannten Sinn.
a) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die außerordentliche Kündigung ziele auf die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses und könne schon von daher nicht die Erwartung des Empfängers begründen, der Kündigende wolle das Rechtsverhältnis fortsetzen. Daneben ist von Bedeutung, dass die außerordentliche Kündigung an die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gebunden und für sie die Mitwirkung des Personalrates vorgeschrieben ist. Es ist also nachzuvollziehen, wenn der Arbeitgeber in einem Fall, in dem neben einer Anfechtung nach § 123 BGB auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, bestrebt ist, zunächst einmal fristwahrend eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, und sich erst danach weiteren Beendigungsmöglichkeiten zuwendet. Dies gilt insbesondere, wenn - wie hier - Zweifel aufkommen, ob die nach § 626 Abs. 2 BGB zu beachtenden und die kollektivrechtlichen Wirksamkeitserfordernisse für die außerordentliche Kündigung eingehalten wurden. Es waren daher mehrere Gründe dafür denkbar, dass der Beklagte zunächst nur eine außerordentliche Kündigung aussprach. Ein eindeutiger Wille des Arbeitgebers, vom Anfechtungsrecht Abstand zu nehmen, lag in der außerordentlichen Kündigung nicht.
b) Ebenso wenig liegt eine Bestätigung des Arbeitsvertrages darin, dass der Beklagte datumsgleich mit der Anfechtung auch ordentlich kündigte. Dass der Beklagte durch Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts dem zeitgleich ausgeübten Anfechtungsrecht den Boden hätte entziehen wollen, lag fern. Im Gegenteil musste sich auch dem Kläger aufdrängen, dass der Beklagte in der Absicht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auf jede rechtlich zulässige Art zu beenden, von allen seinen Rechten Gebrauch machen wollte, die zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen konnten.
II. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger habe den Beklagten arglistig getäuscht iSd. § 123 BGB.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit BAG 1. - 1 AZR 594/56 - BAGE 5, 159) kann der Arbeitsvertrag grundsätzlich auch durch Anfechtung gemäß § 123 BGB beendet werden.
a) Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt. Ein und derselbe Sachverhalt kann sowohl zur Anfechtung als auch zur außerordentlichen und zur ordentlichen Kündigung berechtigen ( - BAGE 32, 237; - 2 AZR 92/73 - AP BGB § 119 Nr. 3 = EzA BGB § 119 Nr. 5; - 1 AZR 594/56 - BAGE 5, 159; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 44; APS-Preis 2. Aufl. GrundlagenK Rn. 22; ErfK-Müller-Glöge 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 28 ff.). Dem Anfechtungsberechtigten steht in diesen Fällen ein Wahlrecht zu. Die von der Revision befürwortete Gegenauffassung ist seit den 50er Jahren im wesentlichen unvertreten geblieben. Sie widerspricht dem Gesetz (vgl. ausführlich Picker ZfA 1981, 1 ff.; ebenso Hönn ZfA 1987, 61 ff.).
b) Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst. Allerdings stellt nicht jede falsche Angabe des Arbeitnehmers bei den Einstellungsverhandlungen bereits eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB dar. Wird der Arbeitnehmer nach dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet, falls die gestellte Frage zulässig ist. Ein Fragerecht des Arbeitgebers bei den Einstellungsverhandlungen ist insoweit anzuerkennen, als der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat ( - BAGE 96, 123; - 2 AZR 467/93 - BAGE 75, 77; - 2 AZR 923/94 - BAGE 81, 120 jeweils mwN).
2. Die vom Beklagten in dem Fragebogen gestellte Frage nach etwaiger Zusammenarbeit mit dem MfS war zulässig und von dem Kläger wahrheitsgemäß zu beantworten (st. Rspr., vgl. ua. -, - 195/95 und 2189/95 - BVerfGE 96, 171; - BAGE 74, 120; - 2 AZR 483/95 - BAGE 83, 181; - 2 AZR 543/99 - AP BGB § 123 Nr. 58 = EzA BGB § 123 Nr. 55; - 2 AZR 699/01 - AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 81).
a) Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Zur Eignung in diesem Sinne gehören auch die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstliche Aufgabe nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als einer Vorausschau steht dem öffentlichen Dienst im Rahmen der Gewichtung der Einzelkriterien und bei der Gesamtabwägung aller Umstände ein nur im Hinblick auf sachwidrige Erwägungen oder Verkennung des Art. 33 Abs. 2 GG beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (st. Rspr., vgl. zuletzt - zur Veröffentlichung vorgesehen <zVv.>). Danach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst als Kriterium auch eine etwaige frühere Mitarbeit für das MfS herangezogen wird.
b) Dem steht nicht entgegen, dass die Frage hier Vorgänge betraf, die zur Zeit der Fragestellung bereits seit über zehn Jahren abgeschlossen waren. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, auch im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Fragen nach früherer Tätigkeit für das MfS müsse dem Zeitfaktor Rechnung getragen werden. Persönliche Haltungen könnten sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Lauf der Zeit ändern. Längere beanstandungsfreie Zeiträume könnten auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen. Auch die gesellschaftliche Ächtung von Fehlverhalten verliere sich mit der Zeit. Deshalb dürfe eine zum Zeitpunkt des Beitritts bereits seit zwanzig Jahren abgeschlossene MfS-Tätigkeit nicht ohne Weiteres zum Anlass einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses genommen werden (, 195/95 und 2189/95 - BVerfGE 96, 171; ebenso Senat - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 123 Nr. 49; - 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53, zu II 2 c der Gründe; - 2 AZR 42/97 - RzK I 5 i Nr. 127, zu II 2 der Gründe). Ob diese Gesichtspunkte auch dann in vollem Umfang gelten, wenn, wie hier, die Tätigkeit für das MfS praktisch erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat und die "Beanstandungsfreiheit" möglicherweise allein auf der fehlenden Gelegenheit zur Fortsetzung der MfS-Tätigkeit beruht, während die gesellschaftliche Ächtung jedenfalls in den Kreisen der Opfer fortbesteht, kann dahin stehen. Denn im Zeitpunkt der Fragestellung lag die Tätigkeit des Klägers für das MfS erst etwas mehr als zehn Jahre zurück. Dieser Zeitraum ist in jedem Fall zu kurz, um die Annahme zu rechtfertigen, die MfS-Tätigkeit habe so lange zurückgelegen, dass allein der Ablauf der Zeit die Wunden geheilt habe.
c) Die Tätigkeit des Klägers für das MfS war auch nicht von geringer Bedeutung. Das ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanz.
aa) Allerdings hat das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen zunächst ausgeführt, selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgehe, seine Verstrickung sei "äußerst gering" gewesen, ändere dies nichts an der Rechtswidrigkeit der Täuschung. Gleichwohl hat das Landesarbeitsgericht jedoch die Frage, ob die Verstrickung des Klägers äußerst gering war, weder bejaht noch hat es sie im Urteil offen gelassen. Im weiteren Gang der Entscheidungsgründe schließt sich nämlich das Berufungsgericht ausdrücklich den Erwägungen des Arbeitsgerichts an, mit denen dieses angenommen hatte, die Verstrickung sei nicht absolut geringfügig.
bb) Diese vom Landesarbeitsgericht übernommene Würdigung des Arbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zulässige Verfahrensrügen gegen die tatsächlichen Feststellungen hat die Revision nicht erhoben. Der Kläger hat demnach aufgrund einer freiwillig abgegebenen und unterzeichneten Bereitschaftserklärung über Jahre hinweg über Personen in seinem beruflichen Umfeld an das MfS umfangreich berichtet. Er hat Einzelheiten aus deren Privatleben weitergegeben und auch aus damaliger Sicht möglicherweise den betreffenden Personen schädliche Umstände, wie Westkontakte und Ausreiseneigungen erwähnt. Die Berichte erfolgten wissentlich und willentlich. Der Kläger wurde nicht etwa ohne sein Zutun "abgeschöpft". Die Berichtstätigkeit des Klägers begann zwar in noch recht jungem Alter, wurde aber mit zunehmendem Alter häufiger und endete erst kurz vor dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in der DDR und der Auflösung des MfS.
d) Der Kläger lässt in seiner Argumentation anklingen, es müsse zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, dass er an einer Schule für Lernbehinderte arbeitet. Er meint möglicherweise, gegenüber Schülern mit geringerer intellektueller Aufnahmefähigkeit komme es weniger darauf an, ob ein Lehrer die innere Bereitschaft aufweise, die dienstliche Aufgabe nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Zwar richtet sich das Maß der zu fordernden Verfassungstreue als Eignungsmerkmal iSd. Art. 33 Abs. 2 GG danach, welche konkreten Aufgaben der Arbeitnehmer wahrzunehmen hat ( - AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 81; - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 123 Nr. 49). Insofern trifft es zu, dass an den Kläger nicht die besonderen Anforderungen zu stellen sind, wie sie für Lehrer mit Fächern gelten, deren glaubwürdige Unterrichtung stärker vom weltanschaulichen und ethischen Vorverständnis geprägt ist als der Unterricht in Sport und Werken. Jedoch sind an einen Lehrer, der lernbehinderte Schüler in diesen Fächern zu unterrichten hat, keinesfalls geringere Anforderungen zu stellen als sie üblicherweise von Lehrern mit dieser Fächerkombination zu verlangen sind. Die geltende Verfassungsordnung baut im Kern und entscheidend auf der Achtung und dem Schutz der Menschenwürde durch die staatliche Gewalt auf. Gerade gegenüber Personen, die auf Grund von Behinderungen in der eigenen Rechtsausübung gefährdet sind, bedarf es besonderer und fürsorglicher Beachtung ihrer Menschenwürde und Freiheitsrechte seitens des Staates und der von ihm eingesetzten Lehrer. Außerdem bedarf dieser Kreis der Lehrer an staatlichen Schulen in besonderem Maße des Vertrauens der Eltern, der Öffentlichkeit und des Dienstherrn in ihre innere Einstellung zu den Grundwerten der Verfassung.
III. Dem Beklagten ist es nicht, wie die Revision aber meint, nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf sein Anfechtungsrecht zu berufen.
1. Das Anfechtungsrecht kann auch nach § 242 BGB verwirkt werden. Das ist der Fall, wenn der Anfechtungsberechtigte das Recht längere Zeit nicht ausübt, obwohl ihm dies möglich und zumutbar war - Zeitmoment - , und wenn dadurch beim Anfechtungsgegner das berechtigte Vertrauen genährt wurde, die Anfechtung werde unter- bleiben, so dass er sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eingerichtet hat - Umstandsmoment - ( - RzK I 9h Nr 34).
a) Allerdings ergibt sich aus der dem Getäuschten vom Gesetzgeber gem. § 124 Abs. 1 BGB für die Anfechtung gewährten Jahresfrist, dass er das Interesse des Täuschenden an baldiger Entscheidung über die Anfechtung gering einschätzt ( - AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 45 = EzA BGB § 242 Prozessverwirkung Nr. 2). Ein Zeitraum von weit unter einem Jahr zwischen vollständiger Kenntnis der Anfechtungsgründe und Zugang der Anfechtungserklärung erfüllt deshalb das Zeitmoment nicht ( - RzK I 9h Nr. 34).
b) Danach scheitert Verwirkung hier bereits daran, dass es am Zeitmoment fehlt. Dem Beklagten wurde der Einzelbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR am bekannt. Bereits am wurde der Kläger hierzu angehört. Außerordentliche Kündigung, Anfechtung und ordentliche Kündigung erfolgten bereits Ende März/Ende April 2001, also schon kurze Zeit später.
2. Die Ausübung des Anfechtungsrechts verstieß im vorliegenden Fall auch nicht deshalb gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil die Rechtslage des Beklagten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt gewesen wäre.
a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt steht, dass seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (vgl. zuletzt etwa - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46). Gerade auf Grund der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, dass der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung soviel an Bedeutung verloren hat, dass er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann. Dagegen ist in diesem Zusammenhang nicht, wie bei einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung, eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ( - aaO). Für die Frage, ob die Rechtslage des Beklagten zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung nicht mehr beeinträchtigt war, ist vielmehr auf die vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck abzustellen.
b) Der Beklagte ist eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts. Nach Art. 23 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen vom (GVBl. 1993, S. 625, zuletzt geändert durch Gesetz vom , GVBl. 2003, S. 494) steht das gesamte Schulwesen in Thüringen unter der Aufsicht des Beklagten. Nach Art. 22 der Verfassung haben Erziehung und Bildung ua. "die Aufgabe, selbständiges Denken und Handeln, Achtung vor der Würde des Menschen und Toleranz gegenüber der Überzeugung anderer, Anerkennung der Demokratie und Freiheit" zu fördern. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass, wie es in der Präambel heißt, die Verfassung "in dem Bewusstsein des kulturellen Reichtums ... des Landes, seiner wechselvollen Geschichte, der leidvollen Erfahrungen mit überstandenen Diktaturen und des Erfolges der friedlichen Veränderungen im Herbst 1989, in dem Willen, Freiheit und Würde des einzelnen zu achten" ergangen ist, muss der Beklagte darauf bedacht sein, dass die Auswahl der Lehrer den Vorgaben der Verfassung entspricht. Der Beklagte muss ferner sicherstellen, dass Eltern und Öffentlichkeit in die dem Buchstaben und dem Geist der Verfassung entsprechende Gestaltung des Unterrichts vertrauen können. Diese wesentlichen Anforderungen an den Schulunterricht muss der Beklagte auch mit arbeitsrechtlichen Mitteln durchsetzen können.
c) Ohne Erfolg weist die Revision in diesem Zusammenhang darauf hin, bei dem angefochtenen Arbeitsverhältnis handele es sich um die erste regelmäßige Beschäftigung des Klägers. Dieser Gesichtspunkt betrifft allein die individuellen Interessen des Klägers und seiner Familie, nicht jedoch diejenigen Werte, um derentwillen dem Beklagten das Recht zustand, die vom Kläger falsch beantworteten Fragen zu stellen. Der Schutz der Willensbildung durch § 123 Abs. 1 BGB stellt die Interessen des Erklärenden in den Mittelpunkt, nicht die des täuschenden Vertragspartners oder Erklärungsempfängers. Da die Privatrechtsordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches auf dem Gedanken aufbaut, dass die in ihrem Willen freien Rechtssubjekte ihre privaten Rechtsbeziehungen grundsätzlich frei regeln, schützt sie in den §§ 119 ff. die Bildung des rechtserheblichen Willens vor bestimmten unerwünschten Beeinträchtigungen, ua. vor manipulativen Einwirkungen durch Täuschung. Es geht also hier nicht um einen allgemeinen Ausgleich der Interessen, sondern darum, Willenserklärungen, die auf Grund der im Gesetz beschriebenen Störungen nicht so vonstatten gingen, wie der Gesetzgeber das voraussetzt, konsequenterweise die Wirksamkeit zu nehmen, wenn der Erklärende die fehlerhaft zustande gekommene Willenserklärung nicht gegen sich gelten lassen will.
d) Auch aus dem zunächst schwankenden Verhalten des Staatssekretärs kann keine dem Kläger günstige Beurteilung folgen. Dass Personen, die eine Entscheidung vorbereiten, über das anzustrebende Ergebnis der Entscheidung unterschiedliche Auffassungen vertreten, ist im Rahmen rationaler, argumentativ geprägter Entscheidungsprozesse nichts Ungewöhnliches und spricht nicht gegen die Verbindlichkeit der schließlich getroffenen Entscheidung.
e) Die beanstandungsfreie Tätigkeit des Klägers und die positiven Beurteilungen seiner geleisteten Arbeit vermögen ebenfalls nichts an der fortdauernden Beeinträchtigung der Rechtslage des Beklagten zu ändern. Der Kläger hatte seine Tätigkeit erst Anfang des Jahres 2000 begonnen. Sie währte also erst ein gutes Jahr, als die Verstrickungen des Klägers bekannt wurden. Dieser Zeitraum ist jedenfalls zu kurz, um die langjährige bewusste und gewollte Spitzeltätigkeit sowie den Umstand der Falschbeantwortung aufzuwiegen und die Annahme zu rechtfertigen, es sei bereits "Gras über die Sache gewachsen". Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit ehemalige Opfer (zB Eltern) seiner MfS-Mitarbeit begegnen. Ein glaubwürdiger rechtsstaatlicher Schulunterricht kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden ( - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 123 Nr. 49; - 8 AZR 702/95 - nv., zu B I 2 der Gründe).
C. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2005 S. 892 Nr. 16
VAAAB-93618
1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein