BFH Beschluss v. - XI B 122/05

Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung bei eventueller Verjährung der zu prüfenden Steueransprüche

Gesetze: AO § 196, AO § 169

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt und als Insolvenzverwalter tätig. Für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 1997 erklärte er insoweit freiberufliche Einkünfte; Gewerbesteuererklärungen reichte er nicht ein.

Unter dem erließ das Wohnsitzfinanzamt einen Gewerbesteuermessbescheid für 1995. Dagegen hat der Kläger Einspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.

Mit Bescheid vom ordnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gegenüber dem Kläger eine Außenprüfung an, die sich auf Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1997 bis 2000 und auf Gewerbesteuer 1995 bis 2000 erstrecken sollte. In der auf Einspruch ergangenen Einspruchsentscheidung vom hob das FA die Prüfungsanordnung bezüglich der Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1997 auf und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Bezüglich der Gewerbesteuermessbeträge sei keine Festssetzungsverjährung eingetreten. Die Außenprüfung wurde durchgeführt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der auf die Gewerbesteuer 1995 bis 1997 gerichteten Prüfungsanordnung begehrte, als unbegründet ab. Die Frist zur Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge sei noch nicht abgelaufen gewesen. Die Geltendmachung der Gewerbesteueransprüche sei nicht verwirkt und auch nicht offenkundig verfassungswidrig. Der Geltendmachung der Gewerbesteuer stehe auch nicht die Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide für die Zeiträume 1995 bis 1997 entgegen. Soweit der Kläger geltend mache, seine Einkünfte als Insolvenzverwalter unterlägen nicht der Gewerbesteuer, die Heranziehung zur Gewerbesteuer verstoße wegen sachwidriger Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Insolvenzverwaltern gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), die tatsächliche Steuerbelastung einschließlich der Gewerbesteuer habe Erdrosselungscharakter und verstoße gegen den sog. Halbteilungsgrundsatz, könne er damit im Verfahren gegen die Rechtsmäßigkeit der Prüfungsanordnung nicht gehört werden.

Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend:

1. Er habe die Anlage „GSE” eingereicht. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien jeweils mit 0 DM erklärt worden; die entsprechenden Felder seien nicht ausgefüllt worden. Seine Einkünfte habe er als solche aus selbständiger Arbeit/freiberuflicher Tätigkeit erklärt. Zugleich sei in dem Datenfeld Nr. 32 vermerkt worden: Konkursverwalter bzw. Rechtsanwalt.

2. Das FG sei der Auffassung, dass die Frage der Verjährung letztendlich offen bleiben könne, da die Gewerbesteueransprüche jedenfalls nicht offenkundig verjährt seien. Die Frage, ob die Einreichung der Anlage „GSE” im Rahmen der Einkommensteuererklärung die Festsetzungsfristen auch für die Gewerbesteuer in Bezug auf die erklärten Einkünfte in Lauf bringe, werde nicht beantwortet.

Das FG habe sich in dem Urteil nicht mehr —wie noch in der Aussetzungsentscheidung vom 14 V 6399/03 A (AO)— mit dem (BFH/NV 1999, 1309) auseinander gesetzt.

3. Die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, weil klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen zu entscheiden seien und weil die konkrete Sachbehandlung des FG erkennen lasse, dass es sich mit den vorgetragenen Argumenten nicht auseinander gesetzt habe. Dies belege auch, dass die Vorinstanz in entscheidungserheblicher Weise das rechtliche Gehör verletzt habe.

4. Es sei die Frage zu beantworten, ob die Einreichung der Anlage „GSE” der Einreichung einer Steuererklärung i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gleichstehe. Würde die Frage in seinem, des Klägers, Sinne beantwortet, wäre die Außenprüfung darauf gerichtet, verjährte Steueransprüche zu ermitteln. Das wäre rechtswidrig. Stehe die Anlage „GSE” einer Steuererklärung gleich, seien der Fristablauf und damit die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung offensichtlich.

Der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 schließe nicht aus, dass als Steuererklärung auch die Anlage „GSE” angesehen werden könne; eine Auslegung, die sich am Sinn und Zweck der Vorschrift orientiere, komme eindeutig zu dem Ergebnis, dass im konkreten Fall die Anlage „GSE” als Steuererklärung auch in Bezug auf die Gewerbesteuer anzusehen sei, soweit Einkünfte betroffen seien, die Gegenstand der Einkommensteuererklärung seien. Auch entspreche es der Intention des Gesetzgebers, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 so auszulegen, dass widerstreitende Steuerfestsetzungen gar nicht erst entstehen könnten.

Mit der Entscheidung vom XI B 166/02 (BFH/NV 2005, 504) sei die Frage, ob die Anlage „GSE” als Steuererklärung anzusehen sei, nicht geklärt.

5. Die vom FG vorgenommene Auslegung der §§ 169 ff. AO 1977 verstoße gegen das grundgesetzlich verankerte Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 2 und 14 GG. Er, der Kläger, habe einer der damaligen Verwaltungspraxis entsprechende Subsumtion vorgenommen, als er für die Jahre 1995 bis 1997 in der Anlage „GSE” seine Einkünfte als freiberufliche deklariert habe. Nun würden bis zu zehn Jahren später Ansprüche geprüft, die aufgrund analoger Anwendung zu Lasten des Steuerpflichtigen geltend gemacht würden.

Ein Steuerpflichtiger müsse grundsätzlich vor Beginn des Besteuerungszeitraums wissen und wissen können, welchen steuerlichen Pflichten er unterliege. Es sei ein schwerer Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, dem Steuerpflichtigen vorzuhalten, er hätte eine Gewerbesteuererklärung „0” abgeben müssen, um in den Genuss der Rechtssicherheit nach vier Jahren zu kommen. Es sei in jeder Hinsicht willkürlich, wenn er, der Kläger, im Jahr 2005 noch nicht wisse, ob er für das Jahr 1995 gewerbesteuerpflichtig sei.

Das Vorgehen des FA beruhe auf einer analogen Anwendung von Steuervorschriften zu Lasten des Steuerpflichtigen aufgrund der BFH-Entscheidung vom XI R 56/00 (BFHE 197, 442, BStBl II 2002, 202). Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters sei keine Vermögensverwaltung. Die Insolvenzverwaltertätigkeit stelle sich bei einem Rechtsanwalt als Ausübung des Rechtsanwaltsberuf dar, nicht als Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Vor 1960 sei die Insolvenzverwaltung durch einen Rechtsanwalt als freiberufliche Tätigkeit qualifiziert worden. Auch die Neuregelung zur Vervielfältigungstheorie sei zum Schutz der Steuerpflichtigen rückwirkend eingeführt worden.

Die Begründung eines Steuertatbestandes im Wege eines Analogieschlusses nach Eintritt der Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide in Bezug auf die Einkünfte, die Gegenstand dieser Bescheide seien, sei nicht voraussehbar und verletze das Rechtsstaatsprinzip.

6. Ein Steuerpflichtiger, der sich in jeder Hinsicht rechtmäßig verhalte und der seine Steuererklärungen logisch und folgerichtig abgebe, dürfe darauf vertrauen, dass er nach Eintritt der Bestandskraft im Hinblick auf die erklärten Einkünfte von den Finanzbehörden nicht mehr wegen der erklärten Einkünfte behelligt werde (Verstoß gegen Art. 1 und 2 GG). Die hier in Rede stehende Prüfungsanordnung sei Teil dieses staatlichen Willküraktes.

7. Gerügt werde auch die Verletzung des Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Zugleich verstoße das FG auch gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK. Zwischen dem Allgemeininteresse der Gemeinschaft und dem Grundrechtsschutz des Einzelnen müsse ein fairer Ausgleich vorgenommen werden. Es bedeute die Auferlegung einer exzessiven Last, wenn der Steuerpflichtige über elf Jahre hinweg 20 % seiner Einkünfte zuzüglich Zinsen an den Staat abführen solle. Schließlich sei das Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer massiv verletzt worden (Verstoß gegen Art. 6 EMRK).

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

1. Rechtserheblich könnten in diesem Verfahren die Vorschriften über die Festsetzungsfrist nur werden, wenn aufgrund dieser Vorschriften der Zweck der Prüfung offensichtlich nicht mehr erreicht werden könne, also ein Ermessensfehler unterlaufen sei (, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433; st. Rspr). Von dieser Rechtsauffassung sei das FG ausgegangen.

2. Ausführungen zur Fortbildung des Rechts oder zu einer Divergenz fehlten. Ob der Kläger mit seinen Ausführungen zu § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 einen abstrakten Rechtssatz des FG und eine Divergenz zu dem Beschluss in BFH/NV 1999, 1309 herausgearbeitet habe, könne dahinstehen, da jedenfalls auf der Grundlage des Beschlusses in BFH/NV 2005, 504 eine „Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen” nicht erkennbar sei.

3. Auch ein Verfahrensfehler sei nicht gegeben. Das FG habe zu allen Argumenten des Klägers Stellung genommen. Der Umstand, dass das FG keine offensichtlichen Verstöße gegen geltendes Recht habe erkennen können, sei kein Verfahrensfehler, sondern betreffe die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes „Prüfungsanordnung”. Auch verlange eine ordnungsgemäße Rüge unzureichender Sachaufklärung den Vortrag, inwieweit das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre.

II. Die Beschwerde ist unzulässig; ihre Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO.

1. Gemäß § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn einer der in Nr. 1 bis 3 genannten Gründe gegeben ist. Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen diese Voraussetzungen dargelegt werden (dazu vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 25 f.). Bei den Zulassungsgründen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO sind substantielle und konkrete Angaben darüber erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts über eine bestimmte (erhebliche) Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt, insbesondere auch, warum auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung die Rechtsfrage nicht beantwortet werden kann.

Im Streitfall hat der Kläger die Erheblichkeit der für grundsätzlich gehaltenen Rechtsfrage, ob nämlich die Anlage „GSE” als Steuererklärung für Zwecke der Gewerbesteuer anzusehen ist, nicht ausreichend dargelegt.

Nach der Rechtsprechung ist eine Prüfungsanordnung nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Steueransprüche, die überprüft werden sollen, möglicherweise verjährt sind oder aus anderen Gründen nicht durchgesetzt werden können (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 1/01, BFH/NV 2001, 1569, und vom XI B 122/01, BFH/NV 2002, 1012). Das ist nur der Fall, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Festsetzung wegen Verjährung nicht mehr durchgeführt werden kann (, BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827; Pahlke/Koenig/Intemann, Abgabenordnung, § 194 Rz. 27). Der Kläger hätte daher darlegen müssen, dass bereits die Abgabe der Anlage „GSE” den Ablauf der Festsetzungsfrist in Gang gesetzt habe und infolgedessen zweifelsfrei Festsetzungsverjährung eingetreten sei, zumal er selbst der Auffassung ist, dass mit der Entscheidung in BFH/NV 2005, 504, die Frage, ob die Anlage „GSE” als Steuererklärung anzusehen sei, nicht geklärt sei.

2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben, unter gleichzeitigem schlüssigen Vortrag, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Daran fehlt es.

Der Kläger rügt ohne Erfolg, dass das FG nicht festgestellt habe, welches Sachverhaltselement das FA im Rahmen der Außenprüfung für die Frage des Fristablaufs noch hätte ermitteln sollen. Das FG durfte sich insoweit mit der Feststellung begnügen, dass die Gewerbesteueransprüche nicht offenkundig verjährt gewesen seien.

Ebenso war das FG nicht verpflichtet, zu ermitteln, wie Konkursverwalter in der Vergangenheit in der Bundesrepublik steuerlich behandelt worden sind. Auch diese Frage ist für die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung ohne Bedeutung.

Das FG war mangels Erheblichkeit auch nicht verpflichtet, auf den Beschluss in BFH/NV 1999, 1309 näher einzugehen. Im Übrigen kann nach diesem Beschluss eine mangels Unterzeichnung nicht wirksame (Einkommen-)Steuererklärung die reguläre Festsetzungsfrist des § 170 Abs. 1 AO 1977 nicht in Gang setzen.

Schließlich hat das FG dadurch, dass es die Frage, ob die Anlage „GSE” als Steuererklärung zu werten sei, nicht beantwortet hat, nicht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt. Diese Frage war bei der vom FG vertretenen (zutreffenden) Rechtsauffassung für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung nicht erheblich.

3. Soweit der Kläger die Recht- und Verfassungsmäßigkeit der Festsetzung von Gewerbesteuermessbeträgen und die Richtigkeit der Entscheidung in BFHE 197, 442, BStBl II 2002, 202 (zur Nichtannahme der gegen diese Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde vgl. , nicht veröffentlicht) in Zweifel zieht, kann er mit diesen Einwendungen in diesem Verfahren, das lediglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Außenprüfung betrifft, nicht gehört werden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1789 Nr. 10
ZAAAB-92623