BFH Urteil v. - I R 80/04

Leitsatz

Die festgesetzte Steuer wird aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt, wenn entsprechend dem Antrag einer GmbH eine Gewinnausschüttung sowie die darauf entfallende anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG 1990 bei ihr als Einnahmen erfasst worden sind und infolge der erstmaligen Anrechnung der auf der Gewinnausschüttung beruhenden Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer ein Steuererstattungsanspruch entstanden ist. Auf diesen Erstattungsbetrag sind Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzen.

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Beteiligten stritten ursprünglich darüber, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, im Streitjahr 1990 die Gewinnausschüttung einer Tochtergesellschaft, ebenfalls einer GmbH, zuzurechnen war. Das wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) wegen der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977—) verneint, jedoch vom Senat durch Urteil vom I R 48/97 (BFHE 196, 128) bejaht. Dementsprechend wurden der ausgeschüttete Gewinnanteil sowie die darauf entfallende anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 des EinkommensteuergesetzesEStG 1990— (i.V.m. § 8 Abs. 1, § 49 Abs. 1 des KörperschaftsteuergesetzesKStG 1984—) als Einnahmen der Klägerin erfasst und die Körperschaftsteuer nach einem zu versteuernden Einkommen von 284 055 DM und einer Tarifbelastung von 142 027 DM festgesetzt. Infolge der Anrechnung der Körperschaftsteuer in Höhe von 1 205 165 DM und der Kapitalertragsteuer in Höhe von 535 629 DM gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 2 und 3 EStG 1990 errechnete sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 817 436,59 €, auf die (nach betraglicher Abrundung, § 238 Abs. 2 AO 1977 auf 817 400 €) gemäß § 233a AO 1977 Erstattungszinsen für die Zeit vom (Ablauf der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977) bis zum in Höhe von 196 176 € festgesetzt wurden (nämlich: 48 volle Monate zu 0,5 v.H. = 24 v.H., § 238 Abs. 1, § 239 Abs. 1 AO 1977).

Die Klägerin beantragte, den Erstattungsbetrag zusätzlich für die Zeit vom (Tag der Klageerhebung) bis zum (Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrages) gemäß § 236 AO 1977 zu verzinsen. Das FA lehnte das ab. Durch das Senatsurteil in BFHE 196, 128 sei die Körperschaftsteuer 1990 von bisher 0 DM auf 142 027 DM heraufgesetzt worden. Nur durch die erstmalige Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer habe sich eine Steuererstattung ergeben. Die Anrechnung sei nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung erfolgt, sondern durch einen sonstigen Verwaltungsakt außerhalb der Steuerfestsetzung. Eine Verzinsung des Erstattungsbetrages werde deswegen nicht ausgelöst.

Das Finanzgericht (FG) Münster gab dem FA durch Urteil vom 9 K 2742/02 S recht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1742 abgedruckt.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und auf den im Körperschaftsteuerbescheid 1990 festgesetzten Körperschaftsteuer- und Kapitalertragsteuervergütungsbetrag in Höhe von 817 436,59 € unter Anrechnung der nach § 233a AO 1977 festgesetzten Zinsen ab dem bis zum Prozesszinsen festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe. Das FG hat die Festsetzung von Erstattungszinsen auf die Anrechnungsbeträge gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu Unrecht versagt.

1. Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 —von dem hier nicht einschlägigen Vorbehalt des § 236 Abs. 3 AO 1977 abgesehen— vom Tag der Rechtshängigkeit bis zum Tag der Auszahlung zu verzinsen.

a) Die erste Alternative der Vorschrift erfordert eine Herabsetzung einer festgesetzten Steuer durch die gerichtliche Entscheidung. Daran fehlt es im Streitfall, weil die festgesetzte Steuer durch den Senat im angefochtenen Umfang gerade nicht herabgesetzt, vielmehr —nach vorheriger Erfassung der anzurechnenden Körperschaftsteuer als Einnahmen aus Kapitalvermögen— zu Lasten der Klägerin heraufgesetzt wurde, wenn auch mit dem Ziel der Steueranrechnung und damit im Ergebnis der Steuererstattung (vgl. § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 i.V.m. § 8 Abs. 1, § 49 Abs. 1 KStG 1984). Der Anspruch auf Steuererstattung resultiert indes nicht unmittelbar aus einer Änderung der Steuerfestsetzung und erfolgt nicht „durch” eine solche, sondern aus der Steueranrechnung als Teil des Steuererhebungsverfahrens (vgl. z.B. Kögel in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Rz. 18 f.; Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 236 Rz. 13; Bundesfinanzhof —BFH—, Urteile vom VII R 203/83, BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702; vom VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865; vom VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476).

b) Den tatbestandlichen Anforderungen des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wird jedoch in der zweiten Alternative genügt.

aa) Hiernach reicht es aus, wenn die festgesetzte Steuer „auf Grund” einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt wird. Es ist zumindest zweifelhaft, ob sich diesem Regelungswortlaut ohne weiteres entnehmen lässt, dass die Steuerherabsetzung zwingend durch Änderung des angefochtenen Festsetzungsbescheides selbst geschehen müsste. Der Begriff des Herabsetzens ist durchaus mehrdeutig. Er mag im Regelfall mit einer Änderung der Steuerfestsetzung auf Grund der gerichtlichen Entscheidung einhergehen. Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, ihn „wirtschaftlich” mit Blick auf das angestrebte und erzielte Ergebnis der Steuerminderung zu verstehen. Eine formal-rechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerfestsetzung und dem Herabsetzen ist nach dem Regelungstext des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht zwangsläufig (vgl. insoweit bereits Senatsurteil vom I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, 601; Senatsbeschluss —im vorliegenden Verfahren— vom I R 80/04, BFH/NV 2005, 1481). Allerdings wird dies in Rechtsprechung, Schrifttum und Verwaltungspraxis durchgängig anders gesehen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702; in BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865; in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476; vom VII R 2/89, BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719, 721; vom X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169; , BFH/NV 1999, 1055; Kögel, ebenda; Koenig, ebenda; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO Rz. 12 ff., 15; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Tz. 6; BStBl I 2005, 3, dort unter 1. zu § 236 AO 1977). Das entspricht im Ergebnis auch der bisherigen Sichtweise des erkennenden Senats (vgl. Urteil in BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, 601).

bb) Im Einzelnen kann dies für die im Streitfall zu beurteilende besondere Verfahrenskonstellation dahinstehen. Das von der Klägerin mit ihrer ursprünglichen Klage verfolgte Ziel —die höhere Steueranrechnung und damit die Steuererstattung— ergibt sich jedenfalls für diese Konstellation „auf Grund” einer rechtskräftigen Entscheidung des angerufenen FG:

Erst die Einbeziehung der Brutto-Gewinnausschüttung und der anzurechnenden Körperschaftsteuer (infolge des Senatsurteils in BFHE 196, 128) ermöglichte die (korrespondierende) Anrechnung sowohl der Körperschaftsteuer als auch der Kapitalertragsteuer. Die Anrechnung ergibt sich unter diesen Umständen also aus der „technischen”, materiell-rechtlichen Verknüpfung zwischen der zuvorigen Erfassung der betreffenden Beträge als Kapitaleinkünfte, welche den Steuerpflichtigen zwingt, in einem ersten Schritt eine höhere Steuerfestsetzung einzuklagen, um anschließend in einem zweiten Schritt die begehrten Anrechnungen zu verwirklichen. Der bei Gericht anhängige Rechtsstreit war sonach unvermeidliche —und damit im Ergebnis „ursächliche” (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169)— Voraussetzung für die Steuererstattung. Diese besondere verfahrensrechtliche Situation rechtfertigt es, die Erstattung als eine Herabsetzung der Steuer „auf Grund” einer gerichtlichen Entscheidung anzusehen; sie ist nicht mit jener Situation vergleichbar, in der der Steuerpflichtige von vornherein und ausschließlich Klage gegen einen Verwaltungsakt im steuerlichen Erhebungsverfahren erhebt.

Eine davon abweichende, an einem eng verstandenen Wortlaut haftende Regelungsauslegung würde demgegenüber zu sinnwidrigen und wirtschaftlich ungerechtfertigten Ergebnissen führen und dem Zweck des § 236 AO 1977, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169, m.w.N.), widersprechen. In vergleichbarer Weise hat der erkennende Senat in der Vergangenheit zur Verzinsung von Erstattungsbeträgen auf Grund Abkommensrecht entschieden (, BFHE 134, 242, BStBl II 1982, 104; I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150), vor allem aber jüngst der VIII. Senat des BFH bezogen auf § 233a Abs. 3 Satz 3 AO 1977 zu vorab —vor der tatsächlichen Herabsetzung der Steuer in einem nachfolgenden Änderungsbescheid— im Wege der Aufhebung der Vollziehung erstatteten Beträgen (, BFHE 209, 409, BStBl II 2005, 683).

2. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab. Zwar hat der VII. Senat des BFH auf Anfrage des erkennenden Senats (Beschluss in BFH/NV 2005, 1481) beschlossen, an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, wonach „der Anspruch auf Prozesszinsen für eine Steuererstattung nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 voraussetzt, dass der Erstattungsanspruch auf einer Herabsetzung einer festgesetzten Steuer durch oder auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung beruht, und dass das Gesetz für Erstattungen, die sich ohne Änderung einer Steuerfestsetzung auf Grund gerichtlicher Entscheidungen im Steuererhebungsverfahren ergeben, Prozesszinsen nicht vorsieht” (Beschluss vom VII ER -S- 1/05, BFH/NV 2006, 6). Diese Auffassung fußt auf den zitierten Urteilen in BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702, in BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865 sowie in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476 (vgl. überdies Urteil in BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719, 721). Der erkennende Senat sah sich auf Grund dieser Urteile zu seiner Anfrage veranlasst, weil er nicht ausschließen wollte, mit seiner beabsichtigten Entscheidung von jener Rechtsprechung abzuweichen (vgl. § 11 Abs. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Eine eingehendere Prüfung der Rechtsprechung des VII. Senats hat jedoch ergeben, dass dies nicht der Fall ist (vgl. ebenso —als Mitglied jenes Senats— Rüsken, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung —BFH-PR— 2006, 33, 34 f.). Keines der angeführten Urteile betraf die im Streitfall in Rede stehenden besonderen Gegebenheiten. Es ging ausnahmslos um Streitigkeiten im Erhebungsverfahren ohne Bezug zu einer Steuerfestsetzung. Ähnlich ist es im Hinblick auf die vom VII. Senat herangezogenen Entscheidungen des IV. und des X. Senats des BFH (Beschluss in BFH/NV 1999, 1055; Urteil in BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169).

3. Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Zinsen sind antragsgemäß festzusetzen. Die Ermittlung und Berechnung der festzusetzenden Beträge wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 199 Nr. 8
BFH/NV 2006 S. 1435 Nr. 8
DStRE 2006 S. 1029 Nr. 16
HFR 2006 S. 761 Nr. 8
KÖSDI 2006 S. 15235 Nr. 9
KÖSDI 2007 S. 15423 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 2319
NWB-Eilnachricht Nr. 34/2006 S. 4
TAAAB-88783