BFH Beschluss v. - V B 82/05

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 1 K 2415/00

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die Stadtwerke W-GmbH, schloss mit Endabnehmern in der Stadt X und den angrenzenden Gemeinden Wärmelieferungsverträge ab. Die Erfüllung dieser Wärmelieferungsverträge übertrug die Klägerin durch Vertrag vom der Y-GmbH. In der Folgezeit trat die Y-GmbH bei den Lieferungen von Wärme gegenüber den Endabnehmern im Namen und im Auftrag der Klägerin auf. Die von den Endabnehmern entrichteten Entgelte flossen der Y-GmbH zu, die diese in ihren Umsatzsteuererklärungen berücksichtigte und die Umsatzsteuer entsprechend abführte.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) kam im Anschluss an eine im Jahr 1997 bei der Klägerin durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung zu dem Ergebnis, dass die Umsätze aus der Erfüllung der mit den Endabnehmern abgeschlossenen Wärmelieferungsverträge umsatzsteuerrechtlich nicht bei der Y-GmbH, sondern bei der Klägerin zu erfassen seien. Dementsprechend erließ das FA gegenüber der Klägerin geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994 und 1995 (Streitjahre), die nunmehr die Umsätze aus den Wärmelieferungen an die Endverbraucher enthielten; gleichzeitig setzte es Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) fest (Bescheide vom ).

Die Klägerin beantragte im Juli 1998 beim FA den Erlass der festgesetzten Zinsen in Höhe von 94 062,50 DM (1994) und in Höhe von 44 466 DM (1995) aufgrund sachlicher Unbilligkeit. Nach Ablehnung dieses Antrags und Zurückweisung ihres Einspruchs erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG), die ebenfalls erfolglos blieb.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt die Klägerin, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Sie macht in erster Linie geltend, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das FG von Urteilen des BFH abweiche. Überdies habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.

II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die Revision kann nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO zugelassen werden. Die von der Klägerin behauptete Divergenz liegt nicht vor; vielmehr steht die Vorentscheidung mit der Rechtsprechung des BFH im Einklang.

a) Zweck der Regelungen in § 233a AO 1977 ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. , BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39, unter II.2.b, aa; vom V R 76/01, BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236, unter II.1.; vom V R 62/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2005, 627, unter II.2.b).

Überdies hat die Klägerin —entgegen ihrer Annahme— dadurch, dass die Umsatzsteuer für 1994 und 1995 ihr gegenüber erst im Jahr 1998 in zutreffender Höhe festgesetzt worden ist, Liquiditätsvorteile gehabt. Andernfalls hätte sie —wie das FG zutreffend ausgeführt hat— die in ihrem Namen ausgeführten Lieferungen von Wärme an die Endabnehmer bereits in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1994 und 1995 berücksichtigen und die Steuer danach abführen müssen. Weil sie dies nicht tat, standen ihr die entsprechenden Mittel weiterhin zur Verfügung.

Entgegen der Auffassung der Klägerin und Jacobsen/Tietjen (Umsatzsteuer-Rundschau 2003, 417) ist im Rahmen der Frage, ob ein Erlass von gemäß § 233a AO 1977 festgesetzten Nachzahlungszinsen geboten ist, nicht die Liquidität des Steuerpflichtigen aufgrund seines „vorschriftswidrigen” Verhaltens mit der fiktiven Liquidität zu vergleichen, die er besessen hätte, wenn er sich „vorschriftsgemäß” verhalten hätte. § 233a AO 1977 sieht nicht die Berücksichtigung eines fiktiven Sachverhalts vor (vgl. BFH-Urteil in HFR 2005, 627, unter II.2.c).

b) Auch die von der Klägerin gerügte Abweichung vom (BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446) liegt nicht vor.

Nach diesem Urteil ist es Sinn und Zweck des § 233a AO 1977, den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers auszugleichen, ohne dass es auf eine konkrete Berechnung der tatsächlich eingetretenen Zinsvorteile und Zinsnachteile ankommt. Diesem Urteil kann indes nicht entnommen werden, dass gegen einen Steuerpflichtigen nur dann Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 festgesetzt werden dürfen, wenn es auch tatsächlich zu einem Zinsnachteil auf Seiten der Finanzverwaltung gekommen ist. Vielmehr ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er —wie im Streitfall— von der Zahlung der geschuldeten Steuer wegen unzutreffender Steuerfestsetzung vorerst „freigestellt” war (vgl. , BFH/NV 2002, 545; vom V R 66/00, BFH/NV 2003, 591).

2. Die Revision kann auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen werden.

a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage handeln. Eine Rechtsfrage ist dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie anhand der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BFH beantwortet werden kann und keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 832).

b) Deshalb hat die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, „ob eine rein formale Betrachtungsweise eines Sachverhalts eine Vollverzinsung auch dann rechtfertigt, wenn sowohl bei irrtumsbedingter verkürzten Zahlungsweise der Umsatzsteuer, wie auch bei hypothetisch korrekter Behandlung der Verträge weder ein möglicher Zinsvorteil beim Steuerpflichtigen noch ein objektiver Zinsnachteil beim Fiskus entstanden ist”, keine grundsätzliche Bedeutung. Zum einen kommt es —wie dargelegt— im Rahmen des § 233a AO 1977 nicht auf eine hypothetische Betrachtung an. Zum andern trifft auch —wie ebenfalls ausgeführt— die Prämisse der Fragestellung nicht zu, der Klägerin sei kein Zinsvorteil entstanden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1433 Nr. 8
DAAAB-88288