BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 449/05

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 3; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: BGH 3 StR 411/04 vom LG Lübeck 720 Js 9323/02 - 6 KLs 12/04 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft unter anderem die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslegung und Anwendung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Begründungsanforderungen an Verfahrensrügen) durch das Revisionsgericht.

A.

I.

1. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen Betruges in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hierzu hat der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerde-Verfahren folgendes Prozessgeschehen vorgetragen:

a) In der Mittagspause des einzigen Hauptverhandlungstages habe der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu dem Beschwerdeführer, der sich bis dahin stets aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gegen die Tatvorwürfe verteidigt habe, gesagt, er werde für den Fall, dass der Angeklagte seine Einlassung aufrechterhalte, einen hohen Strafantrag stellen. Diese Erklärung habe auf den Beschwerdeführer einen so starken Eindruck gemacht, dass er sich in einem weiteren Gespräch nach der Rückkehr aus der Mittagspause, an dem sein Verteidiger und der Staatsanwalt teilgenommen hätten, zu einem Geständnis bereit erklärt habe, sofern dann eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe erfolge. Der Staatsanwalt habe erklärt, auch ein Geständnis werde keinesfalls zu einer Bewährungsstrafe, sondern allenfalls zu einer milderen Freiheitsstrafe führen. Bei Ausbleiben eines Geständnisses könne die Freiheitsstrafe sechs bis sieben Jahre betragen. Aus Angst vor einer derart hohen Freiheitsstrafe habe sich der Beschwerdeführer entschlossen, den Anklagevorwurf in vollem Umfang einzuräumen. Die entsprechende geständige Einlassung habe sein Verteidiger schriftlich niederlegen und verlesen sollen.

b) Nach der Sitzungspause seien die Mitglieder der Kammer über das Gespräch zwischen Staatsanwalt, Verteidiger und Beschwerdeführer unterrichtet und darüber informiert worden, dass im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis nach Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von sechs bis sieben Jahren zu erwarten sei. Die Mitglieder der Strafkammer hätten keine neue eigene Strafmaßprognose für den Fall einer geständigen Einlassung des Beschwerdeführers geäußert. Sie seien der Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft - insbesondere den Äußerungen zum Strafantrag - nicht entgegengetreten, sondern hätten die Hauptverhandlung fortgesetzt, in welcher der Beschwerdeführer nun geständige Einlassungen zur Sache gemacht habe. Zuvor habe der Vorsitzende zu erkennen gegeben, die Kammer bewerte ein vom Angeklagten in eigenen Worten abgegebenes Geständnis höher als ein vom Verteidiger verlesenes Geständnis. Zudem werde sie den Beschwerdeführer auf dem Weg zum Geständnis leiten. Das Gericht habe keine weiteren Beweise erhoben. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten beantragt, der Verteidiger eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten.

2. a) Gegen die Entscheidung des Landgerichts legte der Beschwerdeführer Revision ein. Diese begründete er unter anderem mit einem Verstoß gegen die Garantie eines fairen Verfahrens. Zu den Vorgängen in und nach der Mittagspause enthält das Revisionsvorbringen folgende Ausführungen:

"Kurz nach Verlassen des Sitzungssaales trat der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt von B., auf Herrn K. [Beschwerdeführer] und seinen Verteidiger, Herrn Rechtsanwalt O. [Instanzverteidiger], zu und stellte für den Fall, dass Herr K. seine Einlassung aufrechterhalte, er habe von den Betrügereien nichts gewusst, einen hohen Strafantrag für Herrn K. in Aussicht. Diese Erklärung machte auf Herrn K. einen so starken Eindruck, dass er sich bei einem weiteren Gespräch nach der Rückkehr aus der Mittagspause, an dem sowohl sein Verteidiger, Rechtsanwalt O., als auch Staatsanwalt von B. teilnahmen, zu einem Geständnis bereiterklärte, sofern eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe erfolgen werde. Überraschenderweise erklärte Staatsanwalt von B. allerdings, dass auch ein Geständnis in keinem Fall zu einer Bewährungsstrafe führen werde, sondern allenfalls zu einer milderen Freiheitsstrafe. Er, Staatsanwalt von B., werde bei einem Geständnis eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten beantragen, während die Strafe ohne Geständnis 6 bis 7 Jahre betragen könne. [...] Um 14.18 Uhr wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt und die Mitglieder der Kammer vom Inhalt der Gespräche in der Mittagspause unterrichtet. [...] In entscheidender Weise hat die Kammer aber insbesondere dadurch gegen die Garantie eines fairen Verfahren[s] verstoßen, dass sie sich in der Fortsetzung der Hauptverhandlung nach der Mittagspause am und der Unterrichtung über die in der Mittagspause stattgefundenen Gespräche [...] die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht hat, dass im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis eine Freiheitsstrafe von 6 bis 7 Jahren zu erwarten sei. [...] Indem [...] die Kammer nach Unterrichtung über den Inhalt der in der Mittagspause geführten Gespräche [...] dem so in Aussicht gestellten Strafmaß nicht entgegengetreten ist, hat sie sich die Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht und damit die Willensentschließungsfreiheit des Herrn K. [...] beeinträchtigt. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Erklärung, man wolle Herrn K. auf dem Weg zu einem Geständnis leiten."

b) Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vermöge nicht durchzugreifen. Dieser Grundsatz komme nicht zur Anwendung, weil § 136 a StPO die speziellere Vorschrift sei. Die Rüge einer rechtswidrigen Druckausübung durch das Gericht sei aber nicht schlüssig dargetan, denn das Gericht selbst habe keine in Betracht kommende Strafe für den Fall genannt, dass der Beschwerdeführer kein Geständnis ablege. An den Antrag der Staatsanwaltschaft sei es nicht gebunden. Aus dem Revisionsvorbringen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Gericht die Straferwartung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht und damit unzulässigen Einfluss auf die Willensbildung des Beschwerdeführers genommen habe.

c) In einer beim Bundesgerichtshof nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO eingegangenen Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 StPO wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass zwar die Strafkammer selbst keine Strafmaßerwartung genannt, sich aber die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht habe, im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis sei eine Freiheitsstrafe von sechs bis sieben Jahren zu erwarten. Sie sei der Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft nicht entgegengetreten, im Fall einer Verurteilung ohne Geständnis sei eine Freiheitsstrafe von sechs bis sieben Jahren zu erwarten. Die Kammer habe gemäß der in die Hauptverhandlung eingeführten Absprache, wonach der Beschwerdeführer ein Geständnis ablegen wollte, weiter verhandelt.

3. Der Bundesgerichtshof hat die Revision als unbegründet verworfen:

a) Die Rüge, das Landgericht habe das von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis nicht verwerten dürfen, weil die Kammer sich die in der Sitzungspause abgegebene Erklärung des Staatsanwalts zu eigen gemacht habe, sei nicht hinreichend ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Weder lasse sich dem Revisionsvortrag entnehmen, dass der Kammer ausdrücklich auch die vom Staatsanwalt angekündigten Strafanträge mitgeteilt worden seien, noch werde erkennbar, in welcher Weise sie sich die Straferwartung des Staatsanwalts zu eigen gemacht habe. Der Senat vermöge daher nicht zu prüfen, ob die Kammer den Angeklagten tatsächlich durch unzulässige Mittel zu einem Geständnis veranlasst habe.

b) Sollte der Staatsanwalt den Beschwerdeführer zu seinem Geständnis durch die Äußerung veranlasst haben, er werde bei geständiger Einlassung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten beantragen, während sich die Strafe ohne Geständnis auf sechs bis sieben Jahre belaufen könne, lägen hierin "allerdings" ein Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 Satz 3 StPO (Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils) bzw. eine mit den Grundsätzen eines fairen Strafverfahrens nicht zu vereinbarende Androhung einer die Schuldangemessenheit übersteigenden Strafe. Ein so gravierender Unterschied in den Schlussanträgen sei mit der strafmildernden Wirkung eines Geständnisses nicht mehr erklärbar und als unzulässiges Druckmittel zur Erwirkung eines verfahrensverkürzenden Geständnisses zu bewerten. An die behauptete Äußerung des Staatsanwalts knüpfe die Revisionsrüge aber nicht an. Sie wolle die Unverwertbarkeit des Geständnisses ausdrücklich aus einer Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Angeklagten durch die Strafkammer ableiten. Wegen dieser eindeutigen Stoßrichtung der Rüge könne diese nicht dahin verstanden werden, der Beschwerdeführer wolle die mangelnde Verwertbarkeit seiner Einlassung allein auf die behauptete Vorgehensweise des Staatsanwalts stützen.

4. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom am beschlossen, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Die nunmehr zuständige 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die einstweilige Anordnung mit Beschluss vom wiederholt.

II.

Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 3 GG.

1. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verletze den verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch. Der Bundesgerichtshof habe mit seiner Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und mit seiner Interpretation des Revisionsvorbringens den Zugang zur Rechtsmittelinstanz in verfassungswidriger Weise erschwert. Er habe das Revisionsvorbringen in sinnwidriger Weise aufgespalten und hieran die Zulässigkeit der Verfahrensrüge scheitern lassen. Der Senat stelle zu Unrecht darauf ab, dass eine Verletzung des Verfahrensrechts durch die Strafkammer nicht dargelegt sei, weil sich aus der Revisionsbegründung nicht ergebe, wodurch sich die Strafkammer die Strafdrohung des Staatsanwalts zu eigen gemacht habe. Andererseits lege der Beschluss dar, das Verhalten des Staatsanwalts sei zwar rechtswidrig gewesen, eine Verletzung des Verfahrensrechts gerade hierdurch sei aber von der Revision nicht gerügt worden. Die Aufspaltung in zwei selbständig zu rügende Verfahrensfehler erschwere den Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer Weise.

a) Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs sei in der Revisionsbegründung und der nach § 349 Abs. 3 StPO abgegebenen Gegenerklärung vorgetragen worden, dass die Kammer über den Inhalt des Gesprächs zwischen Staatsanwalt und Verteidiger informiert worden sei und auf Basis der Absprache weiterverhandelt habe. Der Beschwerdeführer habe zwar keine konkrete Handlung benannt; aus der Formulierung "zu eigen gemacht" in der Revisionsbegründung und der Gegenerklärung ergebe sich aber unmissverständlich als Tatsachenkern, dass die Verhandlung fortgesetzt worden sei, ohne dass eines der Mitglieder des Gerichts die von der Staatsanwaltschaft geäußerte Einschätzung als unzutreffend bezeichnet hätte oder ihr sonst entgegengetreten wäre.

b) Der Bundesgerichtshof habe dargelegt, im Verhalten des Staatsanwalts liege eine Verletzung des § 136 a Abs. 1 Satz 3 StPO. Eine Urteilsaufhebung komme aber nicht in Betracht, weil die Rüge nicht an die behauptete Äußerung des Staatsanwalts anknüpfe, sondern die Unverwertbarkeit des Geständnisses aus einer rechtsstaatswidrigen Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch die Strafkammer ableiten wolle. Diese Interpretation entferne sich von dem erkennbaren Ziel des Vorbringens und verzichte darauf, es in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise so auszulegen, dass das erkennbare Ziel möglichst erfasst werde. Verstoße die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gegen § 136 a Abs. 1 Satz 3 StPO, müsse das Gericht dies als verfahrensleitende Instanz unterbinden. Komme es dieser Verpflichtung nicht nach, verstoße es schon hierdurch gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren und fördere den Verstoß, weil es die Korrektur unterlasse. Wegen des engen Zusammenhangs des Handelns der Verfahrensbeteiligten sei mit der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren zugleich auch der zu Grunde liegende Rechtsverstoß anderer Prozessbeteiligter im revisionsrechtlichen Sinne "mit beanstandet". Ein Fall, in dem der Beschwerdeführer zwar das Verhalten der Strafkammer, die ihn verurteilt hat, beanstanden will, das Verhalten des Staatsanwalts, das hierzu beigetragen hat, jedoch ausdrücklich davon ausnehmen wolle, sei nicht denkbar.

2. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verstoße gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Beschluss entferne sich mit seiner Interpretation des Rügevorbringens vom erkennbaren Sinn des Textes der Revisionsbegründung. Dies gelte sowohl für die Behauptung, der Beschwerdeführer habe die vom Staatsanwalt angekündigten Strafanträge nicht mitgeteilt, als auch für die Annahme, die Revision habe nur ein fehlerhaftes Verhalten der Strafkammer, nicht aber ein solches der Staatsanwaltschaft beanstandet. Die Unterscheidung in eine Beanstandung, die sich gegen die Kammer, und eine (fehlende) Beanstandung, die sich gegen die Staatsanwaltschaft richte, sei objektiv willkürlich.

3. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs verletze den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ernstlich erwogen, sondern nach formalen Gesichtspunkten zurückgewiesen worden sei.

4. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts verletzten Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Wegen der unzulässigen Willensbeeinflussung im Sinne des § 136 a StPO sei zugleich die Menschenwürde des Beschwerdeführers verletzt, weil er zum Objekt des Strafverfahrens geworden sei. Unabhängig von Art. 1 Abs. 1 GG folge ein Verbot der Willensbeeinflussung auch aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

III.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein, der Präsident des Bundesgerichtshofs und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Das Bundesministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen repliziert. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat zu der Erwiderung des Beschwerdeführers sowie zu den Äußerungen des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein und des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof ergänzend Stellung genommen.

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. zuletzt Beschluss des Zweiten Senats des , 657/99, 683/99 -, NJW 2005, S. 1999 ff.). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.

1. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Sie erschwert durch ihre Auslegung und Anwendung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO den Zugang zum Revisionsgericht in einer Weise, die aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen ist.

a) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dessen Anwendungsbereich auf die vollziehende öffentliche Gewalt beschränkt ist (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des , 657/99, 683/99 -, NJW 2005, S. 1999 ff.; BVerfGE 15, 275 <280>; 49, 329 <340>; 65, 76 <90>; 107, 395 <403 ff.>), garantiert sie vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 94, 166 <226>; stRspr). Die Rechtsschutzgarantie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; 107, 395 <401>). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>).

Die Rechtsschutzgarantie gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 88, 118 <125>). Zwar gewährleistet sie keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 <410>; stRspr). Wird ein Instanzenzug aber von den Prozessordnungen eröffnet, dann gebietet die Rechtsschutzgarantie in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen seine Effektivität; der Einzelne muss seine Rechte tatsächlich wirksam durchsetzen können (vgl. BVerfGE 104, 220 <232> m.w.N.; stRspr).

Die Garantie effektiven Rechtsschutzes richtet sich auch an den die Verfahrensordnung anwendenden Richter (vgl. BVerfGE 97, 298 <315>). Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 96, 27 <39>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. ausdrücklich zu § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, BVerfGE 63, 45 <70 f.>; s. auch BVerfGE 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>).

b) Die angegriffene Entscheidung gibt zu verfassungsrechtlicher Beanstandung keinen Anlass, soweit sie sich in den Grenzen der allgemeinen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bewegt.

Nach dieser Rechtsprechung muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO so vollständig und so genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. stRspr seit BGHSt 3, 213 <214>). Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BGHSt 2, 168). Unklarheiten der Begründung können durch Auslegung behoben werden. Hierbei ist der Grundgedanke des § 300 StPO zu berücksichtigen, wonach der mit dem Rechtsmittel erstrebte Erfolg nach Möglichkeit erreicht werden soll (vgl. BGH, StV 1993, S. 459).

Eine Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in diesem Sinne ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 63, 45 <70 f.>; BVerfG <Vorprüfungsentscheid>, Beschluss vom - 2 BvR 1350/84 -, NJW 1985, S. 125 <126>) und wird vom Beschwerdeführer auch nicht beanstandet.

c) Aus Sachgründen nicht gerechtfertigt ist jedoch die Anwendung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO im konkreten Fall. Der Bundesgerichtshof hat die Anforderungen an das Rügevorbringen hinsichtlich einer Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens im Zusammenhang mit einer Verfahrensabsprache überspannt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Bundesgerichtshof - wie der Beschwerdeführer meint - einen als einheitlichen Komplex dargestellten Sachverhalt und die darauf gestützte Verfahrensrüge in zwei Problemkreise aufgeteilt hat. Der Beschwerdeführer hat nämlich bereits im Hinblick auf das Verhalten des Gerichts einen Verfahrensmangel so vollständig und so genau angegeben, dass der Bundesgerichtshof allein aufgrund der Revisionsrechtfertigungsschrift hätte prüfen können, ob ein Verfahrensfehler vorgelegen hätte, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen worden wären.

aa) Je nach der Eigenart des gerügten Verfahrensverstoßes ergeben sich auf der Grundlage der vorhandenen Dogmatik im Bereich des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO spezielle Anforderungen an die Begründung der Revisionsrüge (vgl. Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. 2003, § 344 StPO Rn. 43). Die dem Beschluss des Bundesgerichtshofs zu Grunde liegende spezifische Konstellation ist - soweit ersichtlich - zum ersten Mal Gegenstand einer revisionsrechtlichen Überprüfung gewesen. Wegen der Weite und relativen Unbestimmtheit des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes des fairen Verfahrens einerseits (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 57, 250 <276>; 66, 313 <318>) sowie der fehlenden gesetzlichen Regelung der Absprachenpraxis andererseits sind die Anforderungen an den Revisionsvortrag, ein Gericht habe sich den auf die Erzielung einer Absprache gerichteten Druck des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht, nicht leicht zu bestimmen. Anregungen der Rechtsprechung zu einer gesetzlichen Regelung der Absprachenpraxis hat der Gesetzgeber bislang nicht aufgegriffen (vgl. zuletzt Beschluss des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen vom - GSSt 1/04 -, NJW 2005, S. 1440 <1446 f.>). Jedenfalls darf eine gewollte oder geduldete Informalisierung des Verfahrens durch Absprachen im Strafverfahren nicht durch eine Überspannung der Anforderungen an den Vortrag zur Verfahrensrüge zum Ausschluss der rechtlichen Kontrolle dieser Verfahrensart praeter legem führen. Wenn sowohl das zu Grunde liegende "Verfahrensrecht" als auch der angelegte Prüfungsmaßstab noch nicht derart verfestigt sind, wie dies im Hinblick auf die Verfahrensvorschriften und -prinzipien der StPO der Fall ist, gebietet die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in besonderem Maße, Unklarheiten der Begründung einer Verfahrensrüge durch Auslegung zu beheben.

bb) Wenn der Bundesgerichtshof zu dem gerügten Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens durch das Gericht ausführt, dem Revisionsvorbringen lasse sich nicht entnehmen, dass der Strafkammer ausdrücklich die vom Staatsanwalt angekündigten Strafanträge mitgeteilt worden seien, lässt er diesen Grundsatz außer Acht.

Das Revisionsvorbringen teilt mit, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe in der Mittagspause erklärt, er werde bei einem Geständnis eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten beantragen, während die Strafe ohne Geständnis sechs bis sieben Jahre betragen könne. Wenn die Revisionsbegründung nur wenige Sätze später ausführt, die Mitglieder der Kammer seien vom Inhalt der Gespräche in der Mittagspause "unterrichtet worden", und ergänzt, die Kammer habe sich die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht, "dass im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis eine Freiheitsstrafe von 6 bis 7 Jahren zu erwarten sei", ist dem Revisionsvorbringen eindeutig zu entnehmen, dass die Kammer Kenntnis von den in der Mittagspause geäußerten, eine Druckausübung darstellenden Strafmaßerwartungen des Staatsanwalts erlangt hat.

cc) Auch im Hinblick auf den vom Bundesgerichtshof vermissten Vortrag, in welcher Weise sich die Strafkammer die Straferwartung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft "zu eigen gemacht" hat, liegt eine Überspannung der Anforderungen an das Revisionsvorbringen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vor.

(1) Die Revision führt aus, die Kammer habe dadurch gegen die Garantie eines fairen Verfahrens verstoßen, dass sie sich die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht habe, im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis sei eine Freiheitsstrafe von sechs bis sieben Jahren zu erwarten.

Bereits mit der Verwendung des Begriffs "zu eigen machen" beschreibt die Revisionsbegründung ein Verhalten der Strafkammer so konkret, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen konnte, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären. "Zu eigen machen" bedeutet nach dem gebräuchlichen Wortsinn "aneignen" (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Eintrag "Eigen"), "etwas übernehmen" (Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 2, S. 930 f., Eintrag "Eigen"). "Übernehmen" wiederum bedeutet etwas von jemand anderem verwenden, etwa Gedanken, Ideen, Methoden von jemandem übernehmen (a.a.O., Bd. 9, S. 4027, Eintrag "übernehmen"). Mit dem Begriff "zu eigen machen" ist somit im Revisionsvorbringen als Tatsachenkern beschrieben, dass die Strafkammer die Straferwartungen des Staatsanwalts - konkludent - für sich übernommen und zur Grundlage der weiteren Verhandlung gemacht hat.

Ob in der Übernahme der eine "Sanktionsschere" öffnenden, vom Staatsanwalt unter Verstoß gegen § 136 a StPO geäußerten Straferwartungen (vgl. BGHSt 43, 195 <204, 208 ff.> sowie den vom 5. Strafsenat vorgelegten Beschluss vom - 5 StR 579/03 -, StV 2004, S. 470 <471>) tatsächlich ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens lag, ist demgegenüber eine Frage der Begründetheit der Verfahrensrüge.

(2) Auf den weiteren Gesichtspunkt der für die Unzulässigkeit angeführten Begründung, es bleibe unklar, in welcher Weise sich die Kammer das Vorbringen zu eigen gemacht habe, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick auf einen im Zusammenhang mit einer Absprache stehenden Rechtsmittelverzicht des Angeklagten dann eine Willensbeeinträchtigung angenommen, wenn ein Gericht nach Ausübung sachwidrigen Drucks durch die Staatsanwaltschaft versäumt, dieser Haltung entgegenzutreten, und sich diese so zu eigen macht (vgl. Beschluss vom - 5 StR 11/04 -, NJW 2004, S. 1885). Genau dies - dass die Kammer der vom Staatsanwalt geäußerten Straferwartung nicht entgegengetreten sei - hat der Beschwerdeführer in seiner Revisionsbegründung zur näheren Bestimmung des Begriffs "zu eigen gemacht" wörtlich vorgetragen.

dd) Nach alledem hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die Angabe der den Mangel enthaltenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO überspannt. Er hat Unklarheiten in der Revisionsbegründung nicht durch eine nahe liegende, vom Wortlaut und Sinn des Vorbringens gedeckte Auslegung beseitigt und konnte nur deshalb zu dem Ergebnis gelangen, der Rüge liege kein Tatsachenvortrag zu Grunde, der die Prüfung ermögliche, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären. Der Bundesgerichtshof hat auf diese Weise das Rechtsmittel der Revision - gerade für den mangels gesetzlicher Regelung auf revisionsrichterliche Kontrolle verstärkt angewiesenen Bereich der Absprachen im Strafverfahren - ineffektiv gemacht und für den Beschwerdeführer leer laufen lassen.

ee) Die Revisionsentscheidung beruht auf diesem Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Rüge für zulässig und begründet erachtet hätte.

2. Ob in der Behandlung der Verfahrensrüge durch den Bundesgerichtshof auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot liegt, kann ebenso dahin stehen wie die Beantwortung der Frage, ob der Bundesgerichtshof den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, weil der Beschluss vom bereits wegen der Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aufzuheben ist. Mit der Rüge der Verletzung des Willkürverbots und der Gehörsrüge hat der Beschwerdeführer kein weiter gehendes Anfechtungsziel verfolgt.

3. Die Rüge, das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Bundesgerichtshofs verletzten ihn in seiner Menschenwürde und in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), ist unbegründet. Der zu Grunde liegende Verfassungsverstoß ist nicht erwiesen. Die gegen das landgerichtliche Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde ist daher nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

Bei der erneuten Behandlung der Sache durch den Bundesgerichtshof wird Gelegenheit bestehen, im Freibeweisverfahren unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel aufzuklären, ob sich das Verfahrensgeschehen tatsächlich so, wie es der Beschwerdeführer vorträgt, abgespielt hat.

II.

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich die einstweilige Anordnung.

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
HAAAB-87199