BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 225/00

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4

Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg A 13 S 2467/98 vom VG Stuttgart A 16 K 10105/98 vom

Gründe

I.

1. Der Beschwerdeführer stellte im September 1997 einen Asylfolgeantrag. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG nicht vorlägen, und drohte dem Beschwerdeführer die Abschiebung nach Sierra-Leone an.

2. Auf seine Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Bundesrepublik Deutschland zu der Feststellung, dass beim Beschwerdeführer Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen, und hob den Bescheid des Bundesamtes insoweit auf; im Übrigen wies es die Klage ab. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom ab.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs wurde den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am zugestellt; der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt nach Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart seit dem , nach eigenen Angaben seit September 1999 in Untersuchungshaft.

3. Mit der am per Telefax eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Hinsichtlich der Versäumung der Monatsfrist beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe erst nach dem von der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs und der Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde erfahren. Er befinde sich seit Anfang September 1999 in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach in Untersuchungshaft; er könne weder lesen noch schreiben und habe daher auch keine Kenntnis von der Adresse der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten gehabt. Er habe allenfalls eine Telefonnummer besessen, die er seinem Verteidiger im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am gegeben habe. Von diesem hätten dann seine Prozessbevollmächtigen im Asylrechtsverfahren erfahren, wo er sich befinde und ihm Kenntnis von der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verschaffen können. Er habe nicht ohne weiteres aus der Justizvollzugsanstalt Rheinbach telefonischen Kontakt mit seinen Prozessbevollmächtigten aufnehmen können.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde wegen Versäumung der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG unzulässig ist.

1. Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom wurde den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers nach dessen eigenen Angaben am zugestellt. Die erst am eingegangene Verfassungsbeschwerde ist deshalb verspätet.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Beschwerdeführer nicht zu gewähren, weil er weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

a) Ein Verschulden liegt vor, wenn ein Beschwerdeführer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl., 1996, § 93 Rn. 53; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., 2003, § 60 Rn. 9). Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht dürfen jedoch nicht überspannt werden; es kommt darauf an, ob dem Betroffenen nach den gesamten Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat bzw. nicht alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, damit das Hindernis baldmöglichst wegfällt (Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rn. 9; Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 60 Rn. 19). Verschulden seines Anwalts wird dem Beschwerdeführer zugerechnet (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG).

b) Dass seine Bevollmächtigten den Beschwerdeführer nicht rechtzeitig über die den Rechtsweg abschließende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs informieren konnten, ist der Tatsache geschuldet, dass er diese nicht über seinen neuen Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt hatte. Der Beschwerdeführer hat weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er tatsächlich daran gehindert gewesen wäre, seine Bevollmächtigten zu erreichen (1) und dass ihm eine entsprechende Benachrichtigung unzumutbar gewesen wäre (2).

(1) Selbst wenn man dem Vortrag des Beschwerdeführers Glauben schenkt, dass er in der Justizvollzugsanstalt nur die Telefonnummer seiner Bevollmächtigten besaß, nicht aber den Namen ihrer Kanzlei kannte, ist jedenfalls nicht dargelegt, dass er nicht die Möglichkeit gehabt hätte, seine Bevollmächtigten aus der Justizvollzugsanstalt heraus telefonisch zu erreichen und ihnen so seinen Aufenthaltswechsel mitzuteilen, um sicherzustellen, dass er Kenntnis von Verfahrensmitteilungen erhält. Stattdessen hat er lediglich die Behauptung aufgestellt, dass er nicht "ohne weiteres" aus der Justizvollzugsanstalt heraus habe telefonieren können. Zwar ist zutreffend, dass ein Untersuchungsgefangener ein Telefonat mit Personen außerhalb der Haftanstalt grundsätzlich wohl nur in Ausnahmefällen und nur mit Zustimmung der Anstaltsleitung oder des Richters führen kann (vgl. Boujong, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., 2003, § 119 Rn. 56). Der Beschwerdeführer hat indessen nicht einmal dargelegt, dass er um eine entsprechende Erlaubnis nachgesucht, geschweige denn, dass ihm eine solche Erlaubnis verweigert worden wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ihm die Bitte um Erlaubnis eines Telefonats auf Grund seiner mangelnden deutschen Sprachkenntnisse unmöglich gewesen wäre. Wie das Protokoll der Anhörung im Asylerstverfahren zeigt, ist der Beschwerdeführer der englischen Sprache mächtig. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass er sich jedenfalls hätte verständlich machen und sein Anliegen hätte vortragen können.

(2) Dem Beschwerdeführer, einem afrikanischen Asylbewerber, der nach eigenen Angaben Analphabet, gleichzeitig aber 1. Vorsitzender einer von ihm gegründeten exilpolitischen Vereinigung ist, wäre auch zumutbar gewesen zu versuchen, seine Bevollmächtigten auf seine Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt zeitnah zu seiner Verhaftung hinzuweisen. Zum einen musste ihm aus dem vorangegangenen Klageverfahren bekannt sein, dass seine Erreichbarkeit auch für seine Bevollmächtigten von großer Bedeutung für das Verfahren oder die Einlegung von Rechtsmitteln ist. Zum anderen musste ihm auch bewusst sein, dass noch eine endgültige Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Asylanspruch ausstand, zumal der Grund für seinen Aufenthalt in Deutschland gerade die Nachsuche um Asyl war. Zwar war ihm rechtskräftig bereits Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG zuerkannt worden; der Beschwerdeführer war jedoch der Auffassung, dass ihm darüber hinaus auch ein Anspruch auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG zustehe, und hatte aus diesem Grund einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das insoweit klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts gestellt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Stellung des Berufungszulassungsantrags des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Verhaftung bereits geraume Zeit zurücklag, musste diesem jedenfalls bewusst sein, dass sein Verfahren noch nicht abgeschlossen war.

Zwar wird man nicht verlangen können, dass ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Asylbewerber noch am Tage seiner Verhaftung und Verbringung in Untersuchungshaft oder unmittelbar danach seine Bevollmächtigten im Asylverfahren hiervon benachrichtigt. In Anbetracht der auch aus Sicht des Asylbewerbers nicht absehbaren Dauer der Untersuchungshaft muss sich ihm aber aufdrängen, dass er seine Bevollmächtigten im noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren von der Verhaftung in Kenntnis setzt, um für diese erreichbar zu sein, sei es zur Übermittlung gerichtlicher Entscheidungen - etwa auch einer eventuellen Terminsladung des Verwaltungsgerichtshofs nach Zulassung der Berufung -, sei es für Rücksprachen zum weiteren Vorgehen. Dies alsbald ohne schuldhaftes Zögern zu tun, ist ihm daher zuzumuten.

Das hat der Beschwerdeführer jedoch nicht getan. Legt man seinen eigenen Vortrag zu Grunde, wonach er seit September 1999 in Untersuchungshaft gewesen sein will, so hat er fast fünf Monate gewartet, bevor er seine Bevollmächtigten aus dem Asylverfahren über seinen Verteidiger von seiner Inhaftierung informiert hat. Auch wenn der Beschwerdeführer erst seit Anfang Dezember 1999 in Untersuchungshaft gewesen sein sollte, genügte eine Benachrichtigung seiner Bevollmächtigten am nicht den dargestellten Sorgfaltspflichten.

Von einer weiter gehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Fundstelle(n):
HAAAB-87014