Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 97 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: LG Düsseldorf III Qs 140/00 vom LG Düsseldorf III Qs 141/00 vom AG Düsseldorf 150 Gs 2953/00 vom AG Düsseldorf 150 Gs 2703/00 vom
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft führte ein Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder der Firma T. (heute Firma T.) wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem so genannten "Panzergeschäft" des Unternehmens mit Saudi-Arabien. Gegenstand war die Geltendmachung von Provisionszahlungen durch die Firma T. als Betriebsausgaben, die an Firmen in Panama und auf den British Virgin Islands geflossen waren. Bei diesen Firmen soll es sich um "Briefkastenfirmen" gehandelt haben, die wirtschaftlich der Firma T. zuzurechnen seien.
Das Amtsgericht ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin, eines Wirtschaftsprüferunternehmens, an. Ziel der Durchsuchung war die Beschlagnahme aller Unterlagen im Zusammenhang mit der Erstellung eines Berichts der Beschwerdeführerin zum "Panzergeschäft" im Auftrag der Firma T., der im Jahre 1996 erteilt und ausgeführt worden war. Am wurde die Durchsuchung vollzogen. Dabei wurden verschiedene Unterlagen beschlagnahmt, die Grundlage des Berichts gewesen waren. Das Amtsgericht bestätigte durch Beschluss gemäß § 98 Abs. 2 StPO diese Beschlagnahme. Das Landgericht verwarf die Beschwerden der Beschwerdeführerin gegen den Durchsuchungsbeschluss und gegen den Beschluss über die Bestätigung der Beschlagnahme als unbegründet. Die Durchsuchung und die Beschlagnahmebestätigung hätten sich nicht auf beschlagnahmefreie Unterlagen im Sinne von § 97 Abs. 1 StPO bezogen. Die Beschwerdeführerin sei nicht speziell in ihrer Funktion als Wirtschaftsprüferin tätig geworden; es sei vorwiegend um eine Sachverhaltsaufklärung gegangen, wie sie sonst im Rahmen einer Innenrevision erfolge. Das Interesse daran, bestimmte Unterlagen in einen gegen Beschlagnahme geschützten Bereich zu verbringen und gleichsam ein "Asyl für die Unterlagen" zu schaffen, begründe keinen Beschlagnahmeschutz. Dass die Beschwerdeführerin für die Durchführung des Auftrags die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Wirtschaftsprüfer zu Grunde gelegt habe, ändere daran nichts. Es könne offen bleiben, ob die Beschuldigten als Vorstandsmitglieder überhaupt ein Vertrauensverhältnis zur Beschwerdeführerin, das strafprozessualen Schutz genieße, in Anspruch nehmen könnten.
II.
Die Beschwerdeführerin rügt mit der Verfassungsbeschwerde, die Verneinung eines Beschlagnahmeverbots gemäß § 97 Abs. 1 StPO verletze ihr Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Die Beschlagnahme von Mandantenunterlagen greife auch in ihre Berufsausübungsfreiheit ein. Mittelbare Regelungen beträfen den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sie in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stünden und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen ließen. Dies sei bei der Beschlagnahme der Mandantenunterlagen anzunehmen. Sie sei als Wirtschaftsprüfungsunternehmen tätig geworden. Die Beschlagnahme von Unterlagen, die einem Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO unterlägen, sei unverhältnismäßig. Die gerichtlichen Entscheidungen seien objektiv willkürlich, weil ein nachvollziehbarer Grund für die getroffenen Entscheidungen fehle. Auch die Hilfserwägung des Landgerichts, dass die beschlagnahmten Unterlagen zu Verdunkelungszwecken bei ihr deponiert gewesen seien, greife nicht durch. Eine Aufhebung des gesetzlichen Beschlagnahmeschutzes sei allenfalls dann gerechtfertigt, wenn das Heraushalten der Unterlagen aus dem Zugriffsbereich der Ermittlungsbehörden der alleinige Grund für die Besitzübertragung auf den Berufsgeheimnisträger sei. So habe es im Ausgangsverfahren aber nicht gelegen. Sie habe nur Kopien von Geschäftsunterlagen der Firma T. erhalten. Diese seien auch nicht das eigentliche Ziel des Zugriffs gewesen, vielmehr sei es den Ermittlungsorganen um ihr "Langzeitgutachten" gegangen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Über die Grenzen der speziellen Verfahrensgrundrechte hinaus gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG den Beteiligten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>; 57, 250 <274 f.>; 63, 45 <60 f.>; 65, 171 <175 f.>; 86, 288 <317 f.>). Auch einem Nichtbeschuldigten, der in ein Strafverfahren verwickelt wird, steht ein Anspruch auf eine faire Vorgehensweise zu (vgl. für Zeugen BVerfGE 38, 105 <111 f.>). Wegen der im Rechtsstaatsprinzip angelegten Gegenläufigkeiten kann eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes aber nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall eindeutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>).
2. Die Auslegung des Strafprozessrechts sowie die Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Strafgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Das Bundesverfassungsgericht greift lediglich bei der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ein (BVerfGE 95, 96 <128>).
3. Die angefochtenen Entscheidungen haben diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen im Ergebnis Rechnung getragen.
a) Das Landgericht hat bei der Prüfung der Beschlagnahmefreiheit der Unterlagen die Tätigkeit der Beschwerdeführerin mit der Sachverhaltsaufklärung des auftraggebenden Unternehmens im Rahmen einer Innenrevision verglichen; zudem hat das Landgericht - zunächst - darauf abgestellt, dass für die Unterlagen lediglich ein "Asyl" bezweckt gewesen sei. Obgleich die fachgerichtliche Verneinung einer Wirtschaftsprüfertätigkeit bedenklich erscheint, kann eine Verletzung des Willkürverbots nicht festgestellt werden. Dabei ist von Bedeutung, dass das Ergebnis der angegriffenen Rechtsanwendung mit dem Wortlaut der strafprozessualen Norm (§ 97 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO) im Einklang steht.
b) Nach herrschender Meinung unterliegt die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger nicht der Schutznorm des § 97 Abs. 1 StPO (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 97 Rn. 1; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 97 Rn. 10; Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 97 Rn. 50).
c) Hier war, handelnd durch ihre Organe, Auftraggeberin und Anvertrauende die Firma T. Wenngleich die juristische Person nur durch ihre Organe handeln kann - und die den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten in einem Zusammenhang mit deren Tätigkeit für die Firma T. standen -, wird nicht erkennbar, weswegen eine über den Wortlaut hinausreichende Auslegung der strafprozessualen Bestimmungen von Verfassungs wegen geboten sein soll. Die rechtliche Eigenständigkeit der Vertragspartnerin der Beschwerdeführerin als juristische Person darf auch im gegenständlichen Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des 2 BvR 1666 und 1667/93 -, NVwZ 1994, S. 54 <56>).
Das Interesse der Vertreter von juristischen Personen und das Interesse der vertretenen juristischen Person können sich einerseits entsprechen, andererseits sich aber auch diametral entgegenstehen (dies gilt insbesondere bei Straftaten zu Lasten der Gesellschaft). Die Rechtsordnung geht nicht von einem schützenswerten Interesse der juristischen Person an strafbaren Handlungen zu ihren Gunsten oder in ihrem Interesse aus, weswegen sich das gemäß § 97 StPO geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und juristischer Person nicht auf deren Organe erstreckt (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 97 Rn. 6; Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 97 Rn. 8). Im Übrigen hat sich der Auftrag der Firma T. nicht unmittelbar auf die Prüfung von Vorgängen bezogen, die Gegenstand des steuerstrafrechtlichen Vorwurfes waren. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nicht sämtliche Organe der Firma T. Beschuldigte des den Maßnahmen zugrunde liegenden Strafverfahrens waren.
d) Greifen die Schutzvorschriften der Strafprozessordnung nicht ein, so schließt dies eine - auch verfassungsrechtlich - schutzwürdige Vertrauensbeziehung nicht allgemein aus. Beschlagnahmeverbote können sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben, wenn wegen der Eigenart des Beweisthemas in grundrechtlich geschützte Bereiche unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingegriffen wird (vgl. BGHSt 43, 300 <303> m.w.N.). Jedoch bedarf es im Einzelfall einer näheren Begründung dafür, warum ausnahmsweise über das geschriebene Strafprozessrecht hinaus unmittelbar von Verfassungs wegen ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein dieses Recht flankierendes Beschlagnahmeverbot bestehen sollen. Abweichungen vom geschriebenen Strafprozessrecht wegen des verfassungsrechtlichen Postulats der Verfahrensfairness sind, wenn überhaupt, mit Behutsamkeit vorzunehmen (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; vgl. auch BVerfGE 77, 65 <76>). Dies gilt auch deshalb, weil Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote die im Interesse der Allgemeinheit bestehende Pflicht der staatlichen Strafverfolgungsorgane zur umfassenden Sachaufklärung begrenzen. Fehlt es an einer eindeutigen Begründung für das Vorliegen eines besonderen Ausnahmefalles, welche die Beschränkung der Strafverfolgungstätigkeit über gesetzliche Ausnahmetatbestände hinaus rechtfertigen soll, dann geht das öffentliche Interesse an vollständiger Wahrheitsermittlung im Strafverfahren dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen vor (vgl. BVerfGE 38, 312 <321>).
e) Dass es sich hier um gegebenenfalls besonders geschützte Verteidigungsunterlagen gehandelt haben könnte (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NStZ 2002, S. 377), wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte für die Betroffenheit eines besonders sensiblen Bereichs der Privatsphäre (vgl. hierzu BVerfGE 32, 373 <379 ff.>) oder dafür, dass durch die Beschlagnahme prozessuale Schutzvorschriften umgangen würden (vgl. zu einem prozessualen Rollentausch BGHSt 43, 300 <304>). Besondere Gründe, weswegen im Verhältnis eines Wirtschaftsunternehmens zur Beschwerdeführerin unmittelbar von Verfassungs wegen ein Vertrauensschutz mit der Folge eines Beschlagnahmeverbots bestehen soll, sind im konkreten Fall nicht festzustellen.
4. Die Rüge der Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und 2 GG beruht auf der Prämisse, dass die Durchsuchung nur beschlagnahmefreie Gegenstände betroffen habe. Dies ist aus den genannten Gründen nicht festzustellen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstelle(n):
IAAAB-86996