BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1114/05

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 34a Abs. 2; BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b; BVerfGG § 93c; GG Art. 13 Abs. 1; GG Art. 13 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4

Instanzenzug: LG Bad Kreuznach 2 Qs 2/05 vom LG Bad Kreuznach 2 Qs 2/05 vom AG Bad Kreuznach 4 Gs 1483/04 vom

Gründe

I.

1. Bei dem Beschwerdeführer wurde an einem Freitag gegen 17.15 Uhr anlässlich einer Verkehrskontrolle ein THC-Test mit positivem Ergebnis durchgeführt. Bei seiner Befragung gab er an, eine kleine Menge Cannabis in seiner Wohnung aufzubewahren. Der Staatsanwalt ordnete zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach 18.00 Uhr fernmündlich eine Wohnungsdurchsuchung an, ohne zuvor den Versuch unternommen zu haben, einen Ermittlungsrichter einzuschalten. Bei der zwischen 19.30 Uhr und 20.30 Uhr vollzogenen Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers stellte die Polizei 0,5 Gramm Haschisch sicher. Am darauf folgenden Tage vermerkte der die Strafanzeige bearbeitende Polizeibeamte in der Ermittlungsakte:

"Am wurde um 17.15 Uhr der Beschuldigte S. in Oberstdorf einer Verkehrskontrolle unterzogen. Ein hierbei durchgeführter Mahsan-Test verlief positiv (THC). Bei einer Befragung gab der Beschuldigte an, zu Hause in seinem Zimmer noch eine kleine Menge Cannabis aufzubewahren.

Nach Rücksprache mit Herrn K. der Staatsanwaltschaft B. wurde eine Durchsuchung seines Zimmers veranlasst. Hierbei wurde auf seinem Schreibtisch in einer Utensilienbox ein Plastiktütchen mit vermutlich Haschisch aufgefunden und sichergestellt ... ." Einen weiteren Tag später hat der polizeiliche Ermittlungsbeamte einen Bericht gefertigt, der als zusätzliche Information nur den Beginn der Durchsuchung enthält.

2. Das Amtsgericht erklärte mit dem angegriffenen Beschluss die Durchsuchung für rechtmäßig. Gefahr im Verzug habe vorgelegen, weil im fraglichen Zeitraum noch kein durchgehender richterlicher Bereitschaftsdienst im Bereich des Landgerichts Bad Kreuznach eingerichtet gewesen sei.

3. Auf die Beschwerde erklärte das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss die Durchsuchung ebenfalls für rechtmäßig. Der fehlende Versuch, den zuständigen Ermittlungsrichter zu informieren, sei unschädlich, weil der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sei, dass der Richter zum Zeitpunkt der Entstehung des Tatverdachts konkret nicht erreichbar gewesen sei. Ein durchgehender richterlicher Bereitschaftsdienst sei zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorhanden gewesen. Ohne eine Durchsuchung sei ein Beweismittelverlust zu erwarten gewesen. Die Polizei habe ihre Dokumentationspflichten erfüllt und damit das Landgericht in die Lage versetzt, die erforderliche Überprüfung der Umstände, welche Gefahr im Verzug begründeten, vorzunehmen.

Außerdem seien die Vermerke angesichts der Evidenz des Falles inhaltlich ausreichend gewesen.

4. Das Landgericht hat auf Antrag des Beschwerdeführers rechtliches Gehör nachgeholt und seinen Beschluss aufrechterhalten.

II.

In seiner Verfassungsbeschwerde trägt der Beschwerdeführer vor, Amtsgericht und Landgericht hätten ihn in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Mit der verfassungsrechtlich gebotenen engen Auslegung des Begriffs "Gefahr im Verzuge" sei es nicht vereinbar, bei Tage den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erlangen, für entbehrlich zu halten. Darüber hinaus fehle es an einer zeitnahen Dokumentation der die Gefahr im Verzug begründenden Umstände durch den handelnden Beamten.

III.

1. Das Land Rheinland-Pfalz hatte Gelegenheit zur Äußerung (§ 94 Abs. 2 BVerfGG).

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 1043 Js 9265/04 der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach vorgelegen.

IV.

Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben, weil sie zulässig und offensichtlich begründet ist. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Amtsgerichts verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 und 2 und Art. 19 Abs. 4 GG, indem sie die Durchsuchung seiner Wohnung für rechtmäßig erklären.

a) Art. 13 Abs. 1 GG gewährt einen räumlich geschützten Bereich der Privatsphäre, in dem jedermann das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 51, 97 <107>; 103, 142 <150 f.>). Eine Wohnungsdurchsuchung greift in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein.

Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Der persönlich und sachlich unabhängige, strikt dem Gesetz unterworfene Richter kann die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren (vgl. BVerfGE 103, 142 <151>). Deshalb muss die Anordnung durch die Staatsanwaltschaft oder deren Hilfsbeamte bei Gefahr im Verzuge (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO), durch die ein schnelles, situationsgerechtes Handeln der Ermittlungsbehörden ermöglicht werden soll, nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Ausnahme neben der Regel richterlicher Anordnung bleiben (vgl. BVerfGE 103, 142 <153, 158>). Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des Ermittlungsrichters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. BVerfGE 103, 142 <155 f.>).

Die Landesjustiz- und die Gerichtsverwaltungen sowie die Ermittlungsrichter haben sicherzustellen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Sie müssen die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle der Wohnungsdurchsuchungen schaffen. Dazu gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) - auch außerhalb der üblichen Dienststunden (vgl. BVerfGE 103, 142 <152, 156>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 2004, S. 1442).

Polizei und Staatsanwaltschaft müssen bei ihrem Vorgehen im Ermittlungsverfahren den Ausnahmecharakter der nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung beachten. Die Bemühungen um eine richterliche Entscheidung werden nicht durch den abstrakten Hinweis verzichtbar, eine richterliche Entscheidung sei zur maßgeblichen Zeit gewöhnlicherweise nicht mehr zu erlangen. Die handelnden Beamten, möglichst der - vorrangig verantwortliche - Staatsanwalt, haben die Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten Beweismittel sowie die tatsächlichen Umstände, auf die die Gefahr des Beweismittelverlustes gestützt wird, sowie die Bemühungen, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, in einem vor der Durchsuchung oder unverzüglich danach gefertigten Vermerk vollständig zu dokumentieren. So kann die gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebotene vollständige gerichtliche Nachprüfung der Annahme von Gefahr im Verzuge gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 103, 142 <155, 156, 159 f.>).

b) Amts- und Landgericht haben verkannt, dass die Durchsuchungsanordnung der Wohnung des Beschwerdeführers diesen Anforderungen nicht entsprach. Sie haben bei der Auslegung des Begriffs "Gefahr im Verzug" die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht beachtet.

Die Auffassung der Fachgerichte, der fehlende richterliche Bereitschaftsdienst rechtfertige die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung durch den Staatsanwalt ohne den vorausgegangenen Versuch, einen Beschluss des Ermittlungsrichters zu erwirken, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Denn sie läuft darauf hinaus, die im Grundgesetz verankerte Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters zu unterlaufen.

Eine Ausnahme dahingehend, dass schon die zeitliche Verzögerung wegen eines Versuchs, die Anordnung eines Ermittlungsrichters einzuholen, den Erfolg der Durchsuchung hätte gefährden können, lag fern. Denn der Beschwerdeführer befand sich ausweislich der strafrechtlichen Ermittlungsakten mindestens von 17.15 Uhr (Zeitpunkt der Verkehrskontrolle) bis 19.15 Uhr (Ende seiner förmlichen Vernehmung) im Gewahrsam der Strafverfolgungsbehörden, so dass für ihn keine Möglichkeit bestand, kurzfristig in seiner Wohnung befindliche Beweismittel selbst zu beseitigen oder durch Dritte beseitigen zu lassen.

Darüber hinaus haben Amtsgericht und Landgericht die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft nicht aufgrund hinreichender Dokumentation der Eingriffssituation kontrolliert (vgl. zur Dokumentationspflicht der Strafverfolgungsbehörden BVerfGE 103, 142 <160>). Die nicht unmittelbar nach dem Eingriff, sondern erst am nächsten Tag bzw. zwei Tage nach dem Eingriff gefertigten Vermerke des Polizeibeamten enthielten insbesondere weder Angaben über den Zeitpunkt der Information des Staatsanwalts und über die Dauer des Gewahrsams des Beschuldigten noch eine Darlegung der Umstände, auf die der drohende Beweismittelverlust gestützt wurde. Den angefertigten Vermerken ist nicht einmal zu entnehmen, ob sich die handelnden Polizeibeamten bewusst waren, vom Regelfall einer vorherigen richterlichen Prüfung der Durchsuchungsvoraussetzungen abzuweichen. Es finden sich keine Erwägungen zur besonderen Dringlichkeit der Durchsuchung und ebenso keine Erörterung zu den Gründen, die gegen den Versuch gesprochen haben könnten, vor Durchführung der Durchsuchungsmaßnahme einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Eine solche Darlegung in der Dokumentation war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil allein die Beschreibung der tatsächlichen Umstände die Dringlichkeit der Durchsuchung als evident hätte erscheinen lassen (vgl. zur Frage der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für Durchsuchungsanordnungen zur Nachtzeit: Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 2004, S. 1442). Daher war eine Rekonstruktion der tatsächlichen Umstände, welche Gefahr im Verzug hätten begründen können und eine darauf bezogene verfassungsrechtlich gebotene volle gerichtliche Kontrolle nicht möglich.

2. Die Beschlüsse des Land- und des Amtsgerichts sind wegen des Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 und 2 und Art. 19 Abs. 4 GG aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), das so die Gelegenheit erhält, erneut über die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung und über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.

V.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 3267 Nr. 45
CAAAB-86476