Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 33 Abs. 2
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ordentliche Kündigung eines Lehrers, der in der Deutschen Demokratischen Republik ehrenamtlicher Parteisekretär war.
1. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (EV), dem Bundestag und Bundesrat durch Gesetz vom zugestimmt haben (BGBl II S. 885), regelt unter anderem die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Beitrittsgebiet. Nach Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 EV (künftig: Abs. 4 Nr. 1 EV) ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher oder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht (zu Sinn und Zweck der Regelung vgl. BVerfGE 92, 140 <142, 151 f.>).
2. a) Der Beschwerdeführer ist Lehrer und war seit 1967 im Schuldienst der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigt. Er unterrichtete an einer Oberschule Physik und Mathematik. 1972 bis 1975 war er Mitglied der Parteileitung an seiner Schule, 1975 bis 1989 ehrenamtlicher Parteisekretär. 1975 und 1984 besuchte er die Kreisparteischule, 1989 die Bezirksparteischule. Mit Schreiben vom kündigte der Freistaat Sachsen, gestützt auf Abs. 4 Nr. 1 EV, das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers zum .
b) Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil und wies die Klage ab. Aufgrund der Wahrnehmung des Amtes eines ehrenamtlichen Parteisekretärs über 14 Jahre und des 1989 begonnenen Besuchs der Bezirksparteischule fehle dem Beschwerdeführer für eine Tätigkeit als Lehrer die persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Nr. 1 EV. Der Besuch der Bezirksparteischule habe nach ihren Zielsetzungen der gründlichen marxistisch-leninistischen Bildung des Beschwerdeführers sowie der Festigung seines Klassenstandpunktes und seiner sozialistischen Denk- und Verhaltensweise gedient. Er habe dadurch in die Lage versetzt werden sollen, gesellschaftliche Prozesse zu leiten. Von der Möglichkeit, die Schulung abzulehnen, habe der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht. Bis zur Wende habe er Linientreue und Gefolgschaft bewiesen.
Gründe, die geeignet wären, die sich aus den genannten Tatbeständen ergebende besondere Identifikation mit dem SED-Staat und die daraus folgende Ungeeignetheit für den Lehrerberuf zu entkräften, habe der Beschwerdeführer nicht vorgetragen. Daß der Beschwerdeführer nach der Wende bis zur Kündigung politisch und fachlich unbeanstandet weiter Unterricht erteilt und eine ordentliche Beurteilung erhalten habe, ändere daran nichts. Eine zwischenzeitliche zweifelsfreie Manifestation seines Bekenntnisses zum Grundgesetz, daß er künftig und gerade auch in Krisenzeiten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten werde, sei nicht ersichtlich. Eine Abwägung der beiderseitigen Interessen des Beschwerdeführers und des beklagten Landes führe zu keinem anderen Ergebnis.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Beschwerdeführers zurück. Das Landesarbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, daß die langjährige Tätigkeit des Beschwerdeführers als ehrenamtlicher Parteisekretär für seine Ungeeignetheit spreche, weiter als Lehrer tätig zu sein. Hingegen indiziere der Besuch der Bezirksparteischule keine mangelnde Eignung. Hierbei habe es sich wie bei Besuchen der Kreisparteischule um aus der SED-Mitgliedschaft erwachsende, allgemein übliche und zudem kurzfristige Betätigungen für die Partei gehandelt, aus denen ein besonderes Engagement für den SED-Staat nicht hergeleitet werden könne. Deshalb habe die Ablehnung der Schulung durch den Beschwerdeführer nicht verlangt werden können. Im Ergebnis zutreffend habe das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Beschwerdeführer die sich aus der ausgeübten Funktion ergebende Indizwirkung nicht entkräftet habe.
c) Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG durch die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts und Bundesarbeitsgerichts.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Sächsische Staatsministerium der Justiz namens der Sächsischen Staatsregierung, der Vorsitzende des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Stellung genommen.
Nach Ansicht des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz haben sowohl das Landesarbeitsgericht wie auch das Bundesarbeitsgericht die Persönlichkeit des Beschwerdeführers in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gewürdigt. Die Entscheidungen stellten nicht nur auf die frühere Position des Beschwerdeführers als ehrenamtlicher Parteisekretär ab, sondern mäßen vor allem der langen und ununterbrochenen Dauer dieser Tätigkeit von 14 Jahren Bedeutung bei. Die Schlußfolgerung, daß sich der Beschwerdeführer durch die wiederholte Wahl und die langjährige Tätigkeit in diesem Amt besonders mit den Zielen des SED-Staates identifiziert habe und deshalb die Aufgaben eines Lehrers in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht glaubwürdig wahrnehmen könne, sei nicht zu beanstanden und halte sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
II.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die angegriffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in dem genannten Grundrecht. Die für diese Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Art. 12 Abs. 1 GG schützt unter anderem die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese umfaßt neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des Einzelnen, den Arbeitsplatz beizubehalten. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 84, 133 <146>; 92, 140 <150>). Soweit es um Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes geht, trifft Art. 33 Abs. 2 GG eine ergänzende Regelung. Die angegriffenen Entscheidungen, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beschwerdeführers bestätigen, greifen in diese Rechte des Beschwerdeführers ein.
2. a) Die Arbeitsplatzwahl kann ebenso wie die anderen Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 1 GG durch Gesetz beschränkt werden. Die Anforderungen hierfür sind höher als bei Regelungen der Berufsausübung. Gerechtfertigt ist eine Einschränkung jedenfalls dann, wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls sie erfordern (vgl. BVerfGE 92, 140 <151 f.>) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet worden ist. Zu den Gemeinwohlgründen gehören insbesondere die Belange, denen Art. 33 Abs. 2 GG mit den Anforderungen an den Zugang zum öffentlichen Dienst Rechnung trägt. Diese gelten auch dann, wenn - wie hier - auf der Grundlage des Einigungsvertrages die Prüfung der Zugangsvoraussetzungen im Rahmen der Entscheidung über die Aufrechterhaltung eines Arbeitsverhältnisses nachgeholt wird (vgl. BVerfG, NZA 1997, S. 932 <933>).
b) Der in Abs. 4 Nr. 1 EV enthaltene Sonderkündigungstatbestand, auf den die angegriffenen Entscheidungen gestützt sind, genügt diesen Anforderungen (vgl. BVerfGE 92, 140 <150 ff.>).
3. a) Bei der Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungsvorschriften im öffentlichen Dienst müssen die Gerichte allerdings den Schutz beachten, den Art. 12 Abs. 1 GG insofern gewährt. Steht zugleich die Eignung für den öffentlichen Dienst in Rede, tritt Art. 33 Abs. 2 GG ergänzend hinzu. Diese Rechte sind verletzt, wenn ihre Bedeutung und Tragweite bei der Auslegung und Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich verkannt wird. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (BVerfGE 92, 140 <152 f.>).
b) Im Lichte der genannten Verfassungsnormen darf bei der Auslegung von Abs. 4 Nr. 1 EV die erkennbare Absicht des Einigungsvertrages nicht außer acht gelassen werden, die Mitarbeiter nicht abgewickelter Einrichtungen des öffentlichen Dienstes der Deutschen Demokratischen Republik weitgehend in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland einzugliedern und ihre Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten, soweit nicht im Einzelfall Eignungsmängel im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG festgestellt werden. Da Beschäftigung und Fortkommen im öffentlichen Dienst der Deutschen Demokratischen Republik regelmäßig von einer gesteigerten Loyalität gegenüber Staat und Partei sowie der Bereitschaft zum Engagement in parteilichen und gesellschaftlichen Organisationen abhingen, können die damit verbundenen Positionen oder Funktionen für sich allein in der Regel eine Kündigung nicht rechtfertigen. Die persönliche Eignung des Mitarbeiters für eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik ist vielmehr im Zeitpunkt der Kündigung aufgrund einer Prognose festzustellen, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung seiner gesamten Persönlichkeit voraussetzt.
Sein Verhalten und seine Einstellung in der Vergangenheit sind dafür zwar eine wesentliche Erkenntnisquelle. Die danach verfassungsrechtlich gebotene Gesamtwürdigung darf aber nicht dadurch verkürzt werden, daß einer vom Mitarbeiter früher innegehabten Funktion eines Schulparteisekretärs das Gewicht einer gesetzlichen Vermutung beigemessen wird, die einen Eignungsmangel begründet, wenn sie nicht widerlegt wird. Diese Funktion war weder so herausgehoben noch so einflußreich, daß allein aus ihrer Wahrnehmung der Schluß auf eine fortbestehende Verbundenheit mit dem Herrschaftssystem der Deutschen Demokratischen Republik gezogen und nur durch besondere Umstände, die das Gegenteil belegen, entkräftet werden kann (vgl. BVerfG, NZA 1997, S. 932 <933 f.>). Ohne Hinzutreten weiterer belastender Umstände läßt sich daher allein aus der früheren Wahrnehmung dieses Amtes der Schluß auf eine mangelnde Eignung nicht ziehen (BVerfG, NZA 1997, S. 932 <934>).
4. Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Urteile nicht gerecht. Sie verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG.
a) Das Bundesarbeitsgericht läßt allein die durch die Wahrnehmung der Funktion eines ehrenamtlichen Parteisekretärs begründeten Zweifel an der persönlichen Eignung des Beschwerdeführers für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Abs. 4 Nr. 1 EV ausreichen. Es verkennt damit den Einfluß und die Herausgehobenheit des Amtes eines Schulparteisekretärs und mißt seiner Wahrnehmung der Sache nach die Bedeutung einer widerlegbaren Vermutung bei. Allein der Umstand, daß der Beschwerdeführer die Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär 14 Jahre lang ausgeübt hat, ist für sich genommen nicht geeignet, ihn über die Wahrnehmung der Funktion hinaus zu belasten.
b) Das Urteil des Landesarbeitsgerichts verletzt ebenfalls die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers. Zwar leitet das Landesarbeitsgericht die Indizwirkung für die Nichteignung zudem aus dem Besuch der Bezirksparteischule ab. Nachvollziehbare Gründe, warum der Besuch der Bezirksparteischule geeignet sein soll, die Eignung des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen, lassen sich der Entscheidung jedoch nicht entnehmen. Das Bundesarbeitsgericht hält den Besuch der Bezirksparteischule für unerheblich. Das Landesarbeitsgericht stellt lediglich die allgemeinen Zielstellungen dieser Parteiinstitution dar. Auch das Landesarbeitsgericht verkennt damit den Einfluß und die Herausgehobenheit des von dem Beschwerdeführer wahrgenommenen Amtes und mißt seiner Wahrnehmung der Sache nach die Bedeutung einer widerlegbaren Vermutung bei.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
FAAAB-86141