Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug: LG Düsseldorf 21 S 387/99 vom
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrages und die Verwerfung einer Berufung als unzulässig. Die fristgerecht per Telefax beim Landgericht eingegangene, insgesamt neun Seiten umfassende Berufungsbegründung war auf Seite fünf nur zur Hälfte lesbar, die Seite sechs fehlte gänzlich. Der Originalschriftsatz ging nach Fristablauf bei dem Gericht ein.
Mit dem angegriffenen Urteil wies das Landgericht Düsseldorf die Berufung als unzulässig zurück. Die Berufungsbegründung sei nicht formgerecht innerhalb der Frist des § 519 Abs. 2 ZPO eingegangen. Die Berufung sei unzulässig, da der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers die fehlerhafte Übertragung hätte erkennen und den fristgerechten Eingang durch Einwurf des Originals in den Gerichtsbriefkasten hätte sicherstellen können. Wegen originären Anwaltsverschuldens komme auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
II.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie Art. 103 Abs. 1 GG.
III.
Der Landesregierung Nordrhein-Westfalen sowie den Beteiligten des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.
1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Gewährung rechtlichen Gehörs sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>; 69, 145 <148 f.>; 74, 228 <233 f.>; 75, 302 <312>).
2. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig verstößt gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör.
a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet es, dass sowohl die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 54, 277, <291>) folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden, und das den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs muss aber den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 67, 208 <211>; 74, 228 <233 f.>). Die Verletzung solcher Bestimmungen stellt nicht generell zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts liegt erst dann vor, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der Verfahrensvorschriften die Bedeutung oder Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt hat (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>; 74, 228 <233>; 75, 302 <312>). Da die das rechtliche Gehör in verfassungsrechtlich zulässiger Weise einschränkenden Formvorschriften in gleicher Weise wie Fristvorschriften einschneidende Folgen für die Parteien nach sich ziehen und sich regelmäßig im grundrechtsrelevanten Bereich bewegen, ist die Auslegung und Anwendung dieser, das rechtliche Gehör beschränkenden Vorschriften durch die Fachgerichte einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht (vgl. BVerfGE 75, 302 <312>). Art. 103 Abs. 1 GG ist daher nicht nur dann verletzt, wenn die Entscheidung einer bloßen Willkürkontrolle nicht standhält, sondern auch dann, wenn die Rechtsanwendung offenkundig unrichtig ist (vgl. BVerfGE 75, 302 <312>).
b) Gemessen an diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Die von dem Landgericht vertretene Auffassung, die Berufung sei aufgrund der auf einem Verschulden des Anwaltes beruhenden unvollständigen Übersendung der Berufungsbegründung unzulässig, ist offenkundig rechtsfehlerhaft. Sie findet in den Vorschriften der §§ 519 b, 519 Abs. 2 und 3 ZPO a.F. keine Stütze, nach denen sich die Zulässigkeit der Berufung verschuldensunabhängig danach bestimmt, ob neben den sonstigen Frist- und Formvoraussetzungen die Berufungsbegründung den in § 519 Abs. 3 ZPO a.F. abschließend bestimmten Inhalt aufweist. Ohne jegliche Überprüfung der fristgerecht per Telefax eingegangenen Berufungsbegründung auf den - vorliegend enthaltenen - Mindestinhalt hat das Landgericht die Unzulässigkeit allein aus einem von der Partei verschuldeten, generellen Fehlen einzelner Passagen des Berufungsbegründungschriftsatzes geschlossen. Die Entscheidung entbehrt damit jeder rechtlichen Grundlage.
c) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf beruht auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht bei Beachtung des Art. 103 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Es bedarf daher auch keiner Prüfung, ob die darüber hinaus gerügten Grundrechtsverletzungen vorliegen.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegen-standswertes folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 2 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366>).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Fundstelle(n):
ZAAAB-86023