Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BRAO § 226 Abs. 2; BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 4; BRAO § 25; BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1;
Gründe
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich ein Rechtsanwalt mittelbar gegen § 226 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach für die Zulassung zum Oberlandesgericht bzw. Kammergericht eine fünfjährige Zulassung bei einem Gericht des ersten Rechtszuges erforderlich ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde am als Rechtsanwalt beim Landgericht zugelassen. Er war im Jahr 1997 amtlich bestellter Vertreter einer Rechtsanwältin, wobei er auch häufig beim Kammergericht auftrat. Sein im November 1997 gestellter Antrag auf gleichzeitige Zulassung beim Kammergericht wurde von der Präsidentin des Kammergerichts zurückgewiesen. § 226 Abs. 2 BRAO eröffne anders als § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO keinen Ermessensspielraum. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb ohne Erfolg. Die sofortige Beschwerde wies der Bundesgerichtshof zurück. Die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO gelte nur in Ländern, in denen die Zulassung beim Oberlandesgericht gemäß § 25 BRAO zwangsläufig den Verlust der Zulassung beim Amts- und Landgericht nach sich ziehe. Dort seien Rechtsanwälte möglicherweise zu einer Aufgabe der Zulassung bei den erstinstanzlichen Gerichten wegen der für sie damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile nicht bereit, so dass das Oberlandesgericht unter Umständen auf Bewerber zurückgreifen müsse, die noch nicht fünf Jahre lang als Rechtsanwalt tätig seien. In den Bundesländern mit Simultanzulassung bestehe für eine entsprechende Regelung kein Bedürfnis, weil die Rechtsanwälte dort ihre bisherige Zulassung bei Amts- und Landgericht behielten. Die Regelung des § 226 Abs. 2 BRAO sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der sachlich vertretbare Sinn der Bestimmung liege darin, dass beim Oberlandesgericht nur Anwälte auftreten sollten, die regelmäßig schon über eine mehrjährige Berufserfahrung verfügten. Die Fünf-Jahres-Frist sei grundsätzlich geeignet, den mit der gesetzlichen Regelung verfolgten Zweck zu erfüllen. Allerdings lasse sich nicht ausschließen, dass auch ein Anwalt nach fünfjähriger Berufstätigkeit die Zulassung beim Oberlandesgericht erhalte, obwohl er bisher selten oder nie Prozessparteien bei den erstinstanzlichen Zivilgerichten vertreten habe. Dies hindere den Gesetzgeber jedoch nicht, die hier gewählte generelle Regelung zu treffen, weil sie bei einer Abwägung zwischen dem mit ihr verfolgten Zweck und den dadurch für den einzelnen Anwalt entstehenden Belastungen vertretbar erscheine.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Bei § 226 Abs. 2 BRAO handele es sich um eine nicht zulässige subjektive Regelung der Berufsausübungsfreiheit, die in die Berufswahlfreiheit übergreife. Die Zulassungsversagung wirke sich wirtschaftlich vor allem bei Berufsanfängern und in Kleinsozietäten negativ aus; dies gelte besonders in den neuen Bundesländern und in Berlin wegen des Gebührenabschlages. Da lediglich formal darauf abgestellt werde, ob fünf Jahre seit der ersten Zulassung vergangen seien, sei schon zweifelhaft, ob die Vorschrift Praxiserfahrung gewährleisten könne. Erforderlich sei sie auch nicht, was sich in allen anderen Gerichtsbarkeiten zeige, wo es eine derartige Zulassungshürde nicht gebe. Der wirkliche Grund liege im Schutz der älteren Kollegen vor Konkurrenz. Auch ein Rechtsanwalt ohne OLG-Zulassung müsse das gesamte Berufungsrecht beherrschen. Die Versagung der höheren Gebühreneinnahmen vor dem Kammergericht könne aber in einer jungen Kanzlei am wenigsten hingenommen werden. Die Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen mit OLG-Zulassung führe zu mindestens 50%igen Einnahmeverlusten, obwohl der erstinstanzlich tätige Anwalt faktisch die gesamte Schriftsatzarbeit nebst Personaleinsatz habe und der OLG-Kollege lediglich den Termin wahrnehme, bei dem sogar dem LG-Kollegen dann das Wort erteilt werde. § 226 Abs. 2 BRAO verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Er benachteilige Anwälte in kleinen Kanzleien, insbesondere junge Selbständige, in nicht vertretbarer Weise gegenüber mittelgroßen und großen Kanzleien. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten auch Art. 103 Abs. 1 GG, da sich die Instanzgerichte mit dem konkreten Vorbringen zur gänzlich geänderten heutigen Situation der Anwaltschaft nicht auseinander gesetzt hätten.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Beurteilung von § 226 Abs. 2 BRAO als Berufsausübungsregelung, zu den Voraussetzungen einer mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbaren Berufsausübungsregelung, zur Sicherung der fachlichen Kompetenz von Rechtsanwälten im Dienst der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als Gemeinwohlbelang von großer Bedeutung, zum Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Beurteilung von Erforderlichkeit und Geeignetheit eines Eingriffs in die Berufsausübung sowie zur Zulässigkeit typisierender Regelungen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. das Urteil des Ersten Senats des -, Umdruck S. 15; BVerfGE 93, 362 <369>; 85, 248 <259> m.w.N.; 93, 213 <236>; 87, 287 <321>; 50, 290 <332 f.>; 57, 139 <159>; 26, 265 <275 f.>; 98, 365 <385>; 99, 280 <290>).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der von dem Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Fünf-Jahres-Frist des § 226 Abs. 2 BRAO ist insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
Zwar schränken die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegende gesetzliche Vorschrift die Berufsausübung des Beschwerdeführers ein. Ihm wird ein Teil der beruflichen Betätigung, nämlich das Auftreten vor dem Oberlandesgericht in Anwaltsprozessen, für einen Zeitraum von fünf Jahren untersagt. Solche gesetzlichen Regelungen der Berufsausübung sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 93, 362 <369>; 71, 183 <196 f.>). Diesen Anforderungen genügt die mittelbar angegriffene Regelung.
Der Gesetzgeber hat sowohl die Fünf-Jahres-Frist des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO als auch die des § 226 Abs. 2 BRAO auf die Erwägung gestützt, dass der bei dem Oberlandesgericht zuzulassende Rechtsanwalt bereits über anwaltliche Erfahrungen verfügen muss, wenn er seinen Aufgaben gerecht werden soll (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung, BRDrucks 258/52, S. 24; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung, BTDrucks 3/120, S. 65; Sten. Prot. der 14. Sitzung des Rechtsausschusses des 3. Deutschen Bundestages vom , S. 46; Sten. Prot. der 22. Sitzung des Rechtsausschusses des 3. Deutschen Bundestages vom , S. 26; Sten. Prot. der 32. Sitzung des Rechtsausschusses des 3. Deutschen Bundestages vom , S. 17).
Mit dieser Zielsetzung verfolgt die angegriffene gesetzliche Regelung legitime Gemeinwohlzwecke (vgl. BVerfGE 87, 287 <321>). Für die Mitwirkung an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und an der Rechtspflege in der Rechtsmittelinstanz bedarf es eines genauen Einblicks in das Arbeitsgebiet der AG- und LG-Anwälte, ähnlich wie auch die Richter an den Oberlandesgerichten vorher regelmäßig längere Zeit hindurch an den Gerichten der ersten Instanz tätig sein müssen. Im Zuge der Novellierung des anwaltlichen Berufsrechts in den Jahren 1993/94 hat der Gesetzgeber zudem seine Einschätzung überprüft und sich die Auffassung der Länder zu Eigen gemacht, dass sich das strikte Erfordernis einer fünfjährigen Zulassung bewährt habe (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRDrucks 93/93 vom , S. 74 f.).
Die Regelung ist auch geeignet und erforderlich, die Zielvorstellungen des Gesetzgebers zu fördern. Sie geht von der Vermutung aus, dass mit der fünfjährigen Zulassung bei einem Amts- oder Landgericht auch eine Tätigkeit des Rechtsanwalts verbunden ist, die ihn für sein Auftreten vor dem Oberlandesgericht vorbereitet und qualifiziert. Dass diese Vermutung nicht in jedem Einzelfall der Realität entsprechen wird, da manche Anwälte schon zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit überwiegend beratend und nicht forensisch tätig sein mögen, erkranken können oder als Syndikusanwälte arbeiten, widerlegt die Eignung der Regelung nicht. Nach wie vor erscheint die Annahme des Gesetzgebers plausibel, dass die Mehrzahl der zugelassenen Anwälte in den ersten Jahren ihrer anwaltlichen Tätigkeit zumindest teilweise forensisch tätig ist. Dies bezweifelt auch der Beschwerdeführer nicht. Indem der Gesetzgeber auf die Dauer der Zulassung, nicht aber auf die Dauer einer im Einzelnen zu belegenden Tätigkeit abstellt, hat er zur Verwaltungsvereinfachung von einer Einzelfallprüfung abgesehen. Dies ist ein zulässiges Mittel gesetzgeberischer Generalisierung (vgl. BVerfGE 99, 280 <290>). Die Bewertung des Gesetzgebers, dass es ein weniger beeinträchtigendes Mittel gleicher Wirksamkeit zur Erreichung des von ihm verfolgten Zwecks nicht gibt, ist ebenfalls vertretbar. Mögliche Alternativen wären die Einführung einer weiteren Prüfung vor einer zentralen Stelle oder die Vorlage individueller Tätigkeitsnachweise, wie sie für den Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung erforderlich ist. Solche Alternativen führen jedoch nicht zu einem geringeren Eingriff in die Rechtsstellung der Anwälte; sie erkaufen die höhere Zielgenauigkeit lediglich mit einem größeren Verwaltungsaufwand.
Die Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist, also die Betroffenen nicht übermäßig belastet sind. Die angegriffene Regelung ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Das ergibt sich aus einer Gegenüberstellung des angestrebten Nutzens und dem Gewicht des Eingriffs. Dem Ziel, zur Verbesserung der Rechtspflege und zum Schutz des Mandanten diesem einen erfahrenen Rechtsanwalt vor dem Oberlandesgericht zur Seite zu stellen, stehen vor allem vorübergehende Einkommenseinbußen gegenüber, die die Anwälte regelmäßig nicht existentiell betreffen. Die vom Gesetzgeber gewählte Frist von fünf Jahren erscheint auch nicht länger als zur Zielerreichung nötig und ist im Hinblick auf die ihm zukommende Einschätzungsprärogative nicht zu beanstanden. Der Nachteil wird nunmehr alle Berufsanfänger in gleicher Weise treffen, nachdem durch das - § 226 Abs. 2 BRAO im Jahr 2002 bundesweite Geltung erlangen wird.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Fundstelle(n):
NAAAB-85992