Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 321 a
Instanzenzug: AG Hersbruck 4 C 1301/04 vom AG Hersbruck 4 C 1301/04 vom
Gründe
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung einer Klage auf Zahlung rückständiger Miete.
1. Im Januar 2001 minderte der Mieter einer vom Beschwerdeführer vermieteten Wohnung die Miete um 480 DM (245,42 €). Mit Schreiben vom wies der Beschwerdeführer den Mieter darauf hin, dass kein Mietminderungsgrund bestehe. Mit weiterem Schreiben vom forderte er den Mieter zur Zahlung auf und drohte einen Mahnbescheid an. Im Oktober 2001 minderte der Mieter erneut die Miete, diesmal um 288 DM (147,25 €). Der Beschwerdeführer erklärte daraufhin mit Schreiben vom gegenüber dem Mieter, dass die Minderungen in den Monaten Januar und Oktober "offensichtlich unberechtigt" gewesen seien.
Zwischenzeitlich hatte der Beschwerdeführer das Mietverhältnis aus anderen Gründen fristlos gekündigt. Er erhob Räumungsklage und wies in der am zugestellten Klageschrift erneut darauf hin, dass die Minderungen in den Monaten Januar und Oktober 2001 unberechtigt gewesen seien. Im Rahmen dieses Rechtsstreits kündigte er mit Schriftsatz vom an, wegen der ausstehenden Beträge ein Mahnverfahren einzuleiten.
Der - nicht anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer erwirkte am einen Mahnbescheid über die nicht gezahlten Mietanteile. Nach Einleitung des Streitverfahrens bestimmte das Amtsgericht Termin zur Güteverhandlung sowie gegebenenfalls zur Verhandlung im frühen ersten Termin. Drei Tage vor dem Termin wurde dem Beschwerdeführer die Klageerwiderung zugestellt, in der der Mieter unter anderem geltend machte, der Anspruch sei verwirkt.
In dem Termin wurde nach dem Scheitern der Güteverhandlung streitig verhandelt. Am Schluss der Sitzung verkündete der Richter ein klageabweisendes Urteil, wobei in das Sitzungsprotokoll "Gründe" aufgenommen wurden.
Die "Gründe" lauten, soweit sie die Entscheidung in der Hauptsache betreffen, wie folgt:
Nach Meinung des Gerichts ist der hier geltend gemachte Anspruch des Klägers verwirkt.
Es ist richtig, dass der Anspruch des Klägers noch nicht verjährt ist, da insoweit von einer 4-jährigen Verjährungsfrist auszugehen ist.
Allerdings hat der Kläger bereits im Verfahren ... (Räumung des streitgegenständlichen Anwesens) die von ihm geltend gemachten Mieten nicht eingefordert.
Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beklagte davon ausgehen durfte, dass auch in der Folgezeit die Mieten nicht weiter eingefordert werden.
Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass es für den Beklagten auch nicht zumutbar ist, jetzt nach einer derartig langen Zeit die von ihm behaupteten Mängel unter Beweis stellen zu müssen.
Aus diesem Grund hat das Gericht die Klage abgewiesen.
Der Beschwerdeführer erhob die Anhörungsrüge nach § 321 a ZPO. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Wenn der Beschwerdeführer meine, eine Diskussion, die er mit dem Gericht habe führen wollen, sei zu früh abgebrochen worden, so müsse ihm gesagt werden, dass die Auslegung und die Anwendung der Rechtsvorschriften grundsätzlich die Aufgabe des Richters und nicht die des Klägers sei.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil er in der mündlichen Verhandlung zur Frage der Verwirkung nicht ausreichend habe Stellung nehmen können. Der Richter habe erklärt, über Rechtsfragen diskutiere er nicht mit dem Beschwerdeführer, und habe sodann das Urteil verkündet. Er, der Beschwerdeführer, hätte sonst ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Verwirkung nicht vorgelegen hätten.
Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Urteil sachlich schlechthin unhaltbar und objektiv willkürlich sei. Es entbehre jeglicher Logik und der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Allein daraus, dass jemand eine Mietzahlungsklage nicht mit einer Räumungsklage verbunden habe, folge nicht, dass der Anspruch auf Mietzahlung verwirkt sei.
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
Das Urteil des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ob daneben auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist, bedarf daher keiner Entscheidung.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht schon durch eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet; hinzukommen muss vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Ob eine solchermaßen krasse Fehlentscheidung vorliegt, ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132 <137>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).
a) Hieran gemessen verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts das Willkürverbot, weil es ihr an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt (vgl. BVerfGE 97, 89 <99>).
aa) Nach der auf § 242 BGB gestützten ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird. Dies ist dann der Fall, wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (vgl. BGHZ 84, 280 <281>; 105, 290 <298>; 146, 217 <220>). Ein solcher Vertrauenstatbestand kann nicht entstehen, wenn der Berechtigte deutlich macht, dass er an seinem Recht festhält (vgl. BGH, NJW 1980, S. 880 <881>). Dies gilt auch im Mietrecht, so dass ein Vermieter durch den Widerspruch gegen Mietminderungen ein Vertrauen des Mieters darauf, er werde keine Forderungen mehr erheben, ausschließen kann (vgl. BGH, WuM 2004, S. 198 <199>).
bb) Dieser Rechtsprechung schenkt das Urteil des Amtsgerichts offenkundig keine Beachtung.
(1) Das Amtsgericht begründet die Abweisung der Klage damit, dass der Anspruch auf Mietzahlung verwirkt sei, weil der Beschwerdeführer die rückständigen Mieten nicht zusammen mit der Räumungsklage eingeklagt habe. Ferner weist es darauf hin, dem Mieter sei es nicht zuzumuten, "nach einer derartig langen Zeit" die behaupteten Mietmängel unter Beweis zu stellen.
Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, dass das Erheben einer allein auf Räumung gerichteten Klage ein Vertrauen des Mieters darauf begründen soll, der Beschwerdeführer werde keine Ansprüche mehr wegen der Mietminderung geltend machen. Umstände, die für diese Annahme sprechen könnten, sind im angegriffenen Urteil nicht dargelegt. Es können im Gegenteil prozesstaktische Gründe eher dafür sprechen, eine Räumungsklage nicht mit einer Klage auf Zahlung von Mietrückständen zu verbinden, wenn - wie im Ausgangsverfahren - die Kündigung auf andere Gründe als rückständige Miete gestützt wird. Auf diese Weise wird der Räumungsprozess von der Klärung weiterer Streitpunkte entlastet und kann schneller einer Entscheidung zugeführt werden. Ein Verhalten wie das des Beschwerdeführers erlaubt mithin in aller Regel nicht den Schluss, er werde keine Zahlungsansprüche mehr geltend machen.
Darüber hinaus schweigt das Urteil dazu, dass der Beschwerdeführer mehrfach, insbesondere auch in der Begründung der Räumungsklage, darauf hinwies, die Mietminderungen seien unberechtigt gewesen.
(2) Der Hinweis des Amtsgerichts, dem Mieter sei im Hinblick auf den Zeitablauf ein Beweis der der Minderung zugrunde liegenden Mängel nicht mehr zuzumuten, geht im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls fehl. Die Anerkennung von Beweisschwierigkeiten als Rechtfertigungsgrund des Einwands der Verwirkung würde im praktischen Ergebnis darauf hinauslaufen, dass längere Verjährungsfristen kaum noch ausgeschöpft werden könnten. Das Institut der Verwirkung darf aber nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährungsregelung in weitem Maße unterlaufen wird (vgl. BGH, NJW-RR 1992, S. 1240 <1241>).
cc) Hiernach lässt sich dem angegriffenen Urteil keine verständliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts entnehmen. Soweit die Entscheidung überhaupt Ansätze einer Begründung enthält, sind diese auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nachvollziehbar. Weder ist dargelegt, weshalb die unterbliebene Verbindung von Räumungsklage und Zahlungsklage zur Verwirkung der Zahlungsklage führen soll, noch aus welchem Grund mögliche Beweisschwierigkeiten eine Verwirkung der Klageforderung begründen können. Es gibt zudem keinen Hinweis dafür, dass das Gericht - was mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) eine entsprechende Begründung vorausgesetzt hätte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1995, S. 2911) - zum Rechtsinstitut der Verwirkung eine eigene, von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Auffassung entwickelt und dem angegriffenen Urteil zugrunde gelegt hat.
b) Die Entscheidung beruht auch auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht bei Beachtung der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
2. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum Ablauf der mündlichen Verhandlung liegt auch eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nahe. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts gibt Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>; 98, 218 <263>). Insoweit bedarf es im vorliegenden Fall jedoch keiner Entscheidung mehr.
3. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2, § 93 c Abs. 2 BVerfGG). Die Verweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts erscheint angezeigt.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HAAAB-85916