BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2561/03

Leitsatz

§ 29 Abs. 3 Satz 1 der Bundesnotarordnung ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit Anwaltsnotaren in überörtlichen Sozietäten untersagt wird, die Amtsbezeichnung als Notar auf Geschäftspapieren anzugeben, die nicht von der Geschäftsstelle des Notars aus versandt werden.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1

Instanzenzug: KG Berlin Not 11/03 vom

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das an Anwaltsnotare in überörtlichen Sozietäten gerichtete Verbot, die Amtsbezeichnung als Notar auf Geschäftspapieren anzugeben, die nicht von der Geschäftsstelle des Notars aus versandt werden.

I.

Nach § 3 der Bundesnotarordnung (BNotO) werden Notare entweder zur hauptberuflichen Amtsausübung (Nur-Notare, Absatz 1) oder zu gleichzeitiger Amtsausübung neben dem Beruf des Rechtsanwalts bestellt (Anwaltsnotare, Absatz 2). Jedem Notar ist ein bestimmter Ort - in Großstädten kann das auch ein bestimmter Stadtteil oder Amtsgerichtsbezirk sein - als Amtssitz zugewiesen; an seinem Amtssitz hat der Notar seine Geschäftsstelle zu halten (§ 10 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Während sich hauptberufliche Notare, vorbehaltlich landesrechtlicher Bestimmungen, nur mit anderen Nur-Notaren am selben Amtssitz zusammenschließen dürfen (§ 9 Abs. 1 BNotO), ist es Anwaltsnotaren nach § 9 Abs. 2 BNotO erlaubt, auch überörtliche Verbindungen zur gemeinsamen Berufsausübung insbesondere mit Rechtsanwälten und anderen Anwaltsnotaren einzugehen oder mit ihnen gemeinsame Geschäftsräume zu haben.

Durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I S. 2585; im Folgenden: Berufsrechtsnovelle 1998), wurden in die Bundesnotarordnung unter anderem Vorschriften eingefügt, die das Werberecht der Notare regeln. Die maßgebende Vorschrift der Bundesnotarordnung lautet:

§ 29

(1) Der Notar hat jedes gewerbliche Verhalten, insbesondere eine dem öffentlichen Amt widersprechende Werbung zu unterlassen.

(2) ...

(3) Ein Anwaltsnotar, der sich nach § 9 Abs. 3 mit nicht an seinem Amtssitz tätigen Personen verbunden oder mit ihnen gemeinsame Geschäftsräume hat, darf seine Amtsbezeichnung als Notar auf Drucksachen und anderen Geschäftspapieren nur angeben, wenn sie von seiner Geschäftsstelle aus versandt werden und auch nur auf demjenigen Amts- oder Namensschild führen, das an seinem Amtssitz auf seine Geschäftsstelle hinweist. ...

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 13/4184, S. 28) sollen durch § 29 Abs. 3 BNotO zwei Ziele erreicht werden. Zum einen solle das Verbot, die Amtsbezeichnung als Notar auf Geschäftspapieren anzugeben, die nicht von der Geschäftsstelle des Anwaltsnotars aus verschickt würden, eine dem öffentlichen Amt widersprechende Werbung im Sinne von § 29 Abs. 1 BNotO verhindern. Es sei nämlich kein Anlass zu erkennen, der es rechtfertigen könne, dass auf dem Geschäftspapier der überörtlichen Anwaltssozietäten auf ein notarielles Dienstleistungsangebot an einem anderen Ort aufmerksam gemacht werde. Zum anderen habe sich bei bereits bestehenden überörtlichen Sozietäten gezeigt, dass diese beruflichen Verbindungen in vielfältiger Weise auch dazu genutzt werden könnten, dem beteiligten Anwaltsnotar notarielle Mandate, insbesondere auch solche, die außerhalb seines Amtssitzes anfielen, zukommen zu lassen. Eine solche zielgerichtete Verlagerung notarieller Amtsgeschäfte könne im Interesse einer geordneten Rechtspflege nicht hingenommen werden. Das im Rahmen der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO besonders zu beachtende Kriterium einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen könne nur dann zuverlässig und zutreffend berücksichtigt werden, wenn das zu seiner Beurteilung herangezogene Urkundsaufkommen auf einer gleichmäßig und unbeeinflusst angewandten Grundlage beruhe.

II.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und Notar. Er ist Mitglied einer als Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführten überörtlichen Sozietät, die zwei Kanzleistandorte unterhält. An dem Kanzleistandort in Berlin sind neben Rechtsanwälten auch Anwaltsnotare, darunter der Beschwerdeführer, tätig. Der andere Kanzleistandort befindet sich in Brandenburg. Dort sind ausschließlich Rechtsanwälte beschäftigt, weil in diesem Bundesland nur hauptberufliche Notare bestellt werden.

Die Sozietät verwendet an beiden Standorten einheitliche Briefbögen, auf denen unter dem Namen der Gesellschaft der Zusatz "Rechtsanwälte und Notare" angeführt wird. Am Rand der Briefbögen sind die Namen der Rechtsanwälte getrennt nach den Standorten Berlin und Brandenburg aufgelistet. Den Namen der vier Berliner Anwaltsnotare ist die Angabe "Notar" oder "Notarin" nachgestellt.

Mit Bescheid vom sprach die Notarkammer gegen den Beschwerdeführer eine Ermahnung gemäß § 75 Abs. 1 BNotO aus. Indem er geduldet habe, dass auswärtige Mitglieder seiner Sozietät Briefbögen verwendeten, auf denen er auch als Notar bezeichnet werde, habe er gegen § 29 Abs. 3 BNotO verstoßen. Der gegen die Ermahnung gerichtete Einspruch des Beschwerdeführers wurde von der Notarkammer zurückgewiesen. Vor dem Kammergericht blieb der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung ebenfalls ohne Erfolg. § 29 Abs. 3 BNotO verstoße weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift sei eine Ausprägung des Verbots berufswidriger Werbung, das die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Notars sichern solle. Zweck der Regelung sei es, einer zielgerichteten Verlagerung notarieller Urkundsgeschäfte entgegenzuwirken. Nur durch den Schutz ortsansässiger Notare werde dem gemäß § 4 BNotO besonders zu beachtenden Kriterium einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen Rechnung getragen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei geeignet und erforderlich zur Erreichung des angestrebten Zwecks. Hinweise auf den zur Berufsverbindung gehörenden Notar könnten dazu führen, dass Mandanten der miteinander verbundenen Rechtsanwälte diesen Notar beauftragten, auch wenn er seinen Amtssitz an einem anderen Ort habe. § 29 Abs. 3 BNotO könne eine Verschiebung von Urkundsgeschäften zumindest erschweren. Die Regelung sei auch angemessen. Der gezielte Einsatz des Notariats zu Werbezwecken in Form der Ausdehnung der Eigenwerbung des Notars für die Kanzleiwerbung sei mit dem öffentlichen Amt des Notars nicht zu vereinbaren. Da hiernach auch ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Anwaltsnotaren in ortsgebundenen Sozietäten und solchen in überörtlicher Verbindung bestehe, sei Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls nicht verletzt.

III.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

§ 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO stelle keine verfassungsmäßige Eingriffsermächtigung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Durch die befürchtete Beeinflussung des Beurkundungsaufkommens würden die Landesjustizverwaltungen nicht gehindert, die erforderliche Anzahl von Notarstellen zu besetzen. Erst wenn die Verlagerungen des Beurkundungsaufkommens ein Ausmaß annähmen, das die Besetzung der für die Versorgung der Rechtsuchenden erforderlichen Notarstellen gefährde, wäre es zweckmäßig, dem zu begegnen. Dies sei jedoch nicht zu besorgen. Es sei nicht bekannt geworden, dass durch die von überörtlichen Sozietäten seit langem geübte Praxis, Anwaltsnotare auf sämtlichen Briefbögen der Sozietät zu kennzeichnen, nennenswerte Wanderungsbewegungen zu ortsfremden Anwaltsnotaren stattgefunden hätten. Im Übrigen sei eine mögliche Verlagerung von Urkundsgeschäften hinzunehmen, weil sie auf der Entscheidung des Gesetzgebers beruhe, keine örtliche Zuständigkeit von Notaren festzulegen. Das Verbot sei auch nicht geeignet, einer Verlagerung von Urkundsgeschäften vorzubeugen. Wesentlich bedeutsamere Informationsquellen als die Briefbögen seien Kanzleibroschüren sowie der persönliche Kontakt zum Anwalt. Die zunehmend an Bedeutung gewinnende Informationswerbung über die neuen Medien, zum Beispiel das Internet, lasse eine Beschränkung des Empfängerkreises nicht zu. Die gezielte Verlagerung von Urkundsgeschäften werde zudem durch andere gesetzliche Bestimmungen verhindert. Schließlich stehe das Verbot außer Verhältnis zu dem Zweck, eine derartige Verlagerung notarieller Amtsgeschäfte zu unterbinden. Bei der Angabe des Notaramts auf dem Briefbogen handele es sich nicht um unzulässige Werbung, sondern um ein im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG zulässiges werbewirksames Verhalten.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestehe darin, dass es Anwaltsnotaren in ortsgebundenen Sozietäten erlaubt sei, in Drucksachen auf ihr Notaramt hinzuweisen, während das Anwaltsnotaren in überörtlichen Sozietäten verboten werde. Überdies sei der Gleichheitssatz auch deshalb verletzt, weil das Verbot nicht nach dem Sitz des Empfängers differenziere. So sei es durch § 29 Abs. 3 BNotO nicht verboten, auswärtige Mandanten unter dem Briefkopf mit der Bezeichnung "Notar" anzuschreiben, obwohl dies ebenfalls zu einer Verlagerung des Urkundsaufkommens führen könne.

IV.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen das Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Notarverein und der Deutsche AnwaltVerein. Die Notarkammer Berlin hat sich auf die im Beschluss ihres Vorstandes im Ausgangsverfahren dargestellte Rechtsauffassung bezogen. Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass von ihm noch keine Entscheidung zu § 29 Abs. 3 BNotO ergangen sei.

Das Bundesministerium hält § 29 Abs. 3 BNotO für verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Regelung sei mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG geeignet und erforderlich, um der zielgerichteten Verlagerung notarieller Dienstgeschäfte entgegenzuwirken und damit zur angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Dienstleistungen beizutragen. Urkundsverlagerungen hätten Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit von Notarstellen und könnten die flächendeckende Versorgung mit notariellen Dienstleistungen gefährden. Der Erforderlichkeit der Regelung stehe nicht entgegen, dass andere Informationsquellen keinen solchen Begrenzungen unterlägen. Nach der vertretbaren Beurteilung des Gesetzgebers stellten die § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO unterfallenden Drucksachen und Geschäftspapiere die wesentlichen Werbemittel dar. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG sei ebenfalls nicht erkennbar. Das Verbot treffe alle Anwaltsnotare. Hauptberufliche Notare hätten ohnehin keine Möglichkeit, auf ihr Amt in Geschäftspapieren hinzuweisen, die von dritter Stelle versandt würden.

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz ist der Ansicht, vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich die Belange einer geordneten Rechtspflege, ließen die in § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO enthaltene Beschränkung der Möglichkeiten der beruflichen Außendarstellung eines Notars zweckmäßig und geboten erscheinen. Hinsichtlich der Gefahr einer Verlagerung anderenorts anfallender notarieller Amtsgeschäfte besitze der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Weiterer Zweck der Vorschrift sei die Verhinderung einer dem öffentlichen Amt des Notars widersprechenden Werbung. Die Bezeichnung "Notar" im Briefkopf einer überörtlichen Sozietät könne beim Publikum die Fehlvorstellung hervorrufen, die Kanzlei biete von jedem ihrer Büros aus auch notarielle Dienstleistungen an. Deshalb sei § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO verfassungskonform dahin auszulegen, dass nicht jede Angabe der Amtsbezeichnung auf einem von einem auswärtigen Büro versandten Geschäftspapier untersagt sei, sondern nur eine solche, die das Notaramt nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer bestimmten Geschäftsstelle nenne. Zulässig sei es dagegen, alle Sozien, auch die mit Notaramt, namentlich nach Standort aufzuführen.

Die Bundesnotarkammer und der Deutsche Notarverein halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO greife in verhältnismäßiger Weise in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. Die Vorschrift diene insbesondere der Vermeidung irreführender Hinweise auf ein notarielles Leistungsangebot an einem anderen Ort und der geordneten Rechtspflege, nämlich der Aufrechterhaltung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Leistungen.

Demgegenüber sehen die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche AnwaltVerein die Verfassungsbeschwerde als begründet an. Der Beschwerdeführer sei in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. § 29 Abs. 3 BNotO stelle eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit dar. Soweit der Eingriff nicht bereits für den angestrebten Zweck, der zielgerichteten Verlagerung notarieller Urkundsgeschäfte entgegenzuwirken, ungeeignet und nicht erforderlich sei, fehle es jedenfalls an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

Die angegriffenen Entscheidungen der Notarkammer und des Kammergerichts sowie die ihnen zugrunde liegende Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO mit dem an Anwaltsnotare in überörtlicher Sozietät gerichteten Verbot, auf Geschäftspapieren die Amtsbezeichnung als Notar anzugeben, wenn die Versendung nicht von ihrer Geschäftsstelle aus erfolgt, greifen in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in die Freiheit der Berufsausübung des Beschwerdeführers ein. Sie verletzen ihn in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Einer zusätzlichen Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG bedarf es nicht.

1. Auch für den Beschwerdeführer, der als Notar einen "staatlich gebundenen" Beruf ausübt, gilt grundsätzlich Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 7, 377 <398>; 17, 371 <377 ff.>; 73, 280 <292>). Zu den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Handlungen gehört die berufliche Außendarstellung einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>; 94, 372 <389>). Das Verbot des § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO, unter bestimmten Voraussetzungen auf die Amtsbezeichnung als Notar hinzuweisen, bedeutet ebenso wie die Ermahnung nach § 75 BNotO, dieses Verbot zu beachten, eine Beschränkung der beruflichen Außendarstellung der Anwaltsnotare und greift somit in die Freiheit der Berufsausübung ein.

2. Eine gesetzliche Beschränkung der freien Berufstätigkeit, der mit der ausgesprochenen Ermahnung als Reaktion auf ein ordnungswidriges Verhalten leichterer Art (vgl. § 75 Abs. 1 BNotO) Nachdruck verliehen wird, hält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Nachprüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nur stand, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 106, 181 <191 f.>; stRspr).

3. § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil der in dem Verbot liegende Eingriff in die Berufsfreiheit nicht hinreichend durch die Verfolgung von Gemeinwohlzielen gerechtfertigt werden kann.

a) Eine Rechtfertigung durch den in den Gesetzesmaterialien benannten Regelungszweck, berufswidrige Werbung zu verhindern (BTDrucks 13/4184, S. 28), scheidet aus.

aa) Bei den durch § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO untersagten Hinweisen in Geschäftspapieren handelt es sich nicht ohne weiteres um eine dem öffentlichen Amt des Notars widersprechende Werbung. Soweit § 29 Abs. 1 BNotO eine berufswidrige Werbung verbietet, ist dies als flankierende Maßnahme zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Berufsausübung der Notare gerechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1997, S. 2510 <2511>). Zweifel an der damit angesprochenen Unparteilichkeit oder Gewissenhaftigkeit des Anwaltsnotars können jedoch nicht schon dadurch begründet werden, dass er als Notar in Geschäftspapieren einer überörtlichen Sozietät benannt wird, wenn die Versendung nicht vom Ort der Geschäftsstelle des Notars aus erfolgt. Insbesondere kann nicht unterstellt werden, diese Art der Information signalisiere die Bereitschaft des Notars, unter Verletzung seiner Amtspflichten Urkundstätigkeit außerhalb seines Amtsbereiches (§ 10 a BNotO) oder außerhalb seines Amtsbezirkes (§ 11 BNotO) auszuüben.

bb) Die ordnungsmäßige Berufsausübung des Notars wird allerdings durch eine irreführende Werbung in Frage gestellt. Diese zu verhindern, stellt mithin ein legitimes Ziel des Gesetzgebers dar. Irreführend wären die durch § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO für Geschäftspapiere verbotenen Angaben aber nur dann, wenn sie bei den Rechtsuchenden die Fehlvorstellung hervorrufen könnten, notarielle Leistungen der angeführten Anwaltsnotare seien an jedem Kanzleistandort der Sozietät verfügbar. Selbst wenn dies ebenso unterstellt wird wie die Eignung des Verbots, eine Irreführung zu verhindern, ist die Einschränkung der Berufsfreiheit nicht gerechtfertigt. Denn zur Vermeidung einer Irreführung ist es nicht erforderlich, in Geschäftspapieren jeden Hinweis auf Notare mit auswärtiger Geschäftsstelle zu untersagen. Es genügt vielmehr, wenn die Anwaltsnotare in den Geschäftspapieren der überörtlichen Sozietät mit ihrem jeweiligen Amtssitz aufgeführt sind. Auf diese Weise erhalten die Rechtsuchenden zum einen die erforderliche Information über die Orte, an denen sich die notariellen Geschäftsstellen befinden, während zum anderen die Anwaltsnotare auf die Angabe ihrer Amtsbezeichnung nicht verzichten müssen und damit in ihrer beruflichen Außendarstellung nicht eingeschränkt werden.

b) Auch das weitere Ziel des Gesetzgebers, einer zielgerichteten Verlagerung notarieller Amtsgeschäfte entgegenzuwirken, kann den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nicht rechtfertigen.

aa) Mit Blick auf die durch § 4 Satz 2 BNotO geforderte angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen verfolgt der Gesetzgeber bei dieser Steuerung der Auftragserteilung an Notare ein legitimes Ziel (vgl. BVerfGE 17, 371 <379 f.>). Werden notarielle Leistungen verstärkt bei auswärtigen Anwaltsnotaren nachgefragt, so kann dies dazu führen, dass die zuständige Landesjustizverwaltung zur Erhaltung leistungsfähiger Notariate mit einer Verminderung der örtlichen Notarstellen reagieren muss und sich hiermit das Angebot notarieller Leistungen vor Ort verschlechtert. Das ebenfalls in Betracht kommende Interesse, Wettbewerb zwischen den in überörtlichen Sozietäten tätigen Anwaltsnotaren und den übrigen Notaren zu verhindern, erlangt daneben keine eigenständige rechtfertigende Bedeutung. Es kann als Gemeinwohlbelang nur insoweit Berücksichtigung finden, als es den Erhalt eines leistungsfähigen Notariats zu sichern gilt (vgl. BVerfGE 94, 372 <395>; 97, 12 <31>), der hier durch die bereits erörterte regionale Ausdünnung der Notarstellen gefährdet sein kann.

bb) Das Verbot aus § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO ist allerdings in nur sehr geringem Umfang geeignet, das Ziel einer ausgewogenen Versorgung der Bevölkerung mit Notarstellen zu erreichen.

(1) Die Rechtsuchenden werden ohnehin durch andere gesetzliche Regelungen in mehrfacher Hinsicht und auf effektive Weise von einer Inanspruchnahme auswärtiger Anwaltsnotare in überörtlichen Sozietäten abgehalten.

So ist nach den §§ 10 a, 11 BNotO eine Urkundstätigkeit des Notars außerhalb seines Amtsbereichs und Amtsbezirks nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erlaubt. Nach einhelliger Auffassung begründet ein Vertrauensverhältnis zwischen einem Rechtsuchenden und einem bestimmten Notar noch nicht das besondere berechtigte Interesse, das § 10 a Abs. 2 BNotO für ein Tätigwerden des Notars außerhalb seines Amtsbereichs verlangt (vgl. Schippel, in: Schippel, Bundesnotarordnung, 7. Aufl. 2000, § 10 a Rn. 5 m.w.N.). Für eine Urkundstätigkeit außerhalb des Amtsbezirks setzt § 11 Abs. 2 BNotO sogar Gefahr im Verzug oder die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde voraus. Da die schuldhafte Verletzung der Amtspflichten aus den §§ 10 a, 11 BNotO als Dienstvergehen disziplinarisch geahndet wird (§ 95 BNotO), ist sichergestellt, dass ein Anwaltsnotar nicht häufig oder gar regelmäßig an einem anderen Kanzleistandort der Sozietät Beurkundungen vornimmt. Mandanten des anderen Kanzleistandorts der Sozietät müssen daher in aller Regel die Anreise zur auswärtigen Geschäftsstelle des Anwaltsnotars in Kauf nehmen, wenn sie ihn mit Urkundsgeschäften beauftragen wollen.

Selbst wenn sich Mandanten bereit finden, den damit verbundenen zusätzlichen Aufwand an Zeit und Kosten zu tragen, verhindern weitere disziplinarrechtlich relevante Vorschriften ein systematisches Zuführen von Urkundsgeschäften von einem Rechtsanwalt an einen in der Sozietät tätigen Anwaltsnotar. Zunächst wird durch § 14 Abs. 4 Satz 1 BNotO, der im Rahmen der Berufsrechtsnovelle 1998 gerade wegen der spezifischen Gefahren durch interprofessionelle und überörtliche Berufsverbindungen neu gefasst wurde (vgl. BTDrucks 13/4184, S. 24), einem Notar verboten, "sich an jeder Art der Vermittlung von Urkundsgeschäften zu beteiligen". Hinzu tritt die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 in Verbindung mit Nr. 4 des Beurkundungsgesetzes. Danach soll ein Notar nicht an einer Beurkundung in Angelegenheiten eines Mandanten mitwirken, für den eine Person, mit der er sich zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden hat, in derselben Angelegenheit bereits tätig war. Diese Bestimmung wurde durch die Berufsrechtsnovelle 1998 ebenfalls zu dem Zweck eingefügt, Mandatsverlagerungen innerhalb der Sozietät auszuschließen (vgl. BTDrucks 13/4184, S. 36).

(2) Auch das vom Gesetzgeber zur Steuerung notarieller Auftragserteilung gewählte Mittel ist nur in geringem Maße zur Zielerreichung geeignet. Es beschränkt sich darauf, durch das Verbot entsprechender Angaben in Geschäftspapieren zu verhindern, dass Rechtsuchende auf diesem Wege Kenntnis von dem Notaramt erlangen.

Zweifelhaft ist bereits, ob § 29 Abs. 3 BNotO auch das Zusenden einer Kanzleibroschüre der überörtlichen Sozietät mit Angaben über das Notaramt erfasst (verneinend etwa Sandkühler, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, Bundesnotarordnung, 5. Aufl. 2003, § 29 Rn. 42). In jedem Fall wird ein Anwaltsnotar nicht gehindert, auf andere Weise als durch Geschäftspapiere, insbesondere durch das Internet, sein Notaramt außerhalb seines Amtsbereiches bekannt zu machen.

Zudem kann § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO nur gewährleisten, dass von einem auswärtigen Kanzleistandort keine Geschäftspapiere mit der Amtsbezeichnung als Notar versandt werden. Hingegen lässt sich durch diese Vorschrift nicht verhindern, dass der Anwaltsnotar von seiner Geschäftsstelle aus Briefe und Drucksachen mit Angabe seiner Amtsbezeichnung als Notar auch an Empfänger außerhalb seines Amtssitzes verschickt. Das Verbot kann somit selbst für Geschäftspapiere nicht ausschließen, dass Rechtsuchende, die nicht am Amtssitz des Notars ansässig sind, von dessen Amt Kenntnis erlangen.

cc) Zwar ist ein weniger einschränkendes Mittel als das für die Angaben in Geschäftspapieren geltende Verbot des § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO nicht zu ersehen, angesichts des geringen Ertrags dieses Verbotes fehlt es jedoch an der Angemessenheit des mit ihm verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht des ihn rechtfertigenden Grundes ist die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt (vgl. BVerfGE 102, 197 <220> m.w.N.).

(1) Die Regelung, die zur Verwendung unterschiedlicher Geschäftspapiere innerhalb einer überörtlichen Sozietät zwingt, verursacht nicht nur einen erhöhten Aufwand und zusätzliche Kosten. Sie führt vor allem deshalb zu einer erheblichen Belastung, weil sie dem Anwaltsnotar die Angabe einer Amtsbezeichnung untersagt, die er bei seiner Berufsausübung grundsätzlich führen darf (§ 2 Satz 2 BNotO). Das damit unter bestimmten Voraussetzungen geforderte Verschweigen der eigenen beruflichen Qualifikation stellt einen empfindlichen Eingriff in die Berufsfreiheit dar; denn es hat zur Folge, dass die notariellen Leistungen nur eingeschränkt angeboten und von den Rechtsuchenden nur eingeschränkt nachgefragt werden können (vgl. BVerfGE 106, 181 <192> für Berufsbezeichnungen von Ärzten). Es ist zudem nicht auszuschließen, dass die fehlenden Angaben zu seinem Notaramt Zweifel an der Seriösität des Rechtsanwalts wecken und damit auch die Ausübung dieses Berufes beeinträchtigen können. So kann etwa ein Mandant, der von dem Notaramt wusste, wegen eines Briefbogens, in dem die Amtsbezeichnung nicht angegeben ist, den Eindruck gewinnen, der betreffende Rechtsanwalt habe sein Amt möglicherweise aufgrund von Verfehlungen verloren.

(2) Dem durchaus gewichtigen Eingriff in die Berufsfreiheit steht als Gemeinwohlbelang das Ziel gegenüber, eine angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen sicherzustellen. Zur Erreichung dieses Ziels kann das Verbot für Geschäftspapiere in § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO wegen seiner erheblich eingeschränkten Eignung allerdings nur einen sehr geringen Beitrag leisten. Unter diesen Umständen wiegen die Interessen der in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffenen Grundrechtsträger ersichtlich schwerer als das Interesse an der Verfolgung des Gemeinwohlbelangs durch ein Mittel von ohnehin sehr geringer Wirksamkeit. Die Regelung, die § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO für Drucksachen und andere Geschäftspapiere trifft, ist demnach unzumutbar und verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

dd) Dieses Ergebnis lässt sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO vermeiden. Insbesondere ist es nicht möglich, die Vorschrift dahin zu interpretieren, dass das Notaramt stets in Geschäftspapieren genannt werden darf, wenn der Amtsbezeichnung der Amtsitz des Anwaltsnotars hinzugefügt wird. Jede verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch geraten würde (vgl. BVerfGE 18, 97 <111>; 101, 54 <86>). Der Gesetzeswortlaut ist hier ebenso eindeutig wie der ihm zugrunde liegende gesetzgeberische Wille. Nach beidem soll für Anwaltsnotare mit auswärtigem Amtssitz schlechthin jeder Hinweis auf deren Notaramt unterbleiben.

4. Die auf der verfassungswidrigen und gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG nichtigen Norm beruhenden Entscheidungen der Notarkammer und des Kammergerichts verstoßen ebenfalls gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie können auch nicht auf anderer gesetzlicher Grundlage aufrechterhalten werden. Der Beschluss des Kammergerichts ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Kammergericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

II.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DNotZ 2005 S. 931 Nr. 12
HAAAB-85874