Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 288; ZPO § 290; ZPO § 138 Abs. 3; BGB § 464; BVerfGG § 93 Abs. 1 Satz 1; BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1; BVerfGG § 93 Abs. 2 Satz 1; BVerfGG § 93 Abs. 2 Satz 2; BVerfGG § 34 a Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1;
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit einem vom Berufungsgericht angenommenen gerichtlichen Geständnis im Sinne von § 288 ZPO.
I.
1. Die Beschwerdeführer machten im Ausgangsverfahren gegenüber den Beklagten, von denen sie ein Hausgrundstück erworben hatten, Gewährleistungsansprüche hinsichtlich eines mitverkauften Teppichbodens geltend. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, die Übergabe des Grundstücks sei ohne Vorbehalte seitens der Beschwerdeführer erfolgt. Um sich mögliche Gewährleistungsansprüche zu erhalten, hätten sie gemäß § 464 BGB ihre Vorbehalte über die Güte und Beschaffenheit des Teppichbodens zum Ausdruck bringen müssen.
Die Beschwerdeführer legten gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein, mit der sie unter anderem geltend machten, sie hätten den Zustand des Teppichbodens rechtzeitig gerügt und sich insoweit alle Rechte vorbehalten. Zum Beweis für diese Behauptung boten sie einen Zeugen an.
Das Landgericht wies die Berufung zurück, ohne den zum Verhandlungstermin geladenen und auch erschienenen Zeugen zu vernehmen. Die Beschwerdeführer hätten das Vorbringen der Beklagten, bei Übergabe des Hauses seien Mängel des Teppichbodens nicht gerügt worden, in erster Instanz im Sinne von § 288 ZPO zugestanden. Dies sei zwar nicht ausdrücklich geschehen, ergebe sich aber aus dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens der Beschwerdeführer und der Würdigung ihres Parteiverhaltens. Die Replik der Beschwerdeführer auf den entsprechenden Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung enthalte keine Hinweise auf eine Mängelrüge und habe daher nur so verstanden werden können, dass der mangelnde Vorbehalt bei Übergabe nicht in Abrede gestellt werden sollte. In einem weiteren, im abschließenden erstinstanzlichen Verhandlungstermin übergebenen Schriftsatz hätten die Beklagten erneut darauf hingewiesen, dass bei Übergabe des Hauses Mängel am Teppichboden nicht gerügt worden seien. Auch hierauf hätten die Beschwerdeführer nicht erwidert. Das Sitzungsprotokoll enthalte keinen Antrag der Beschwerdeführer auf Gewährung einer Schriftsatznachlassfrist. Nicht einmal bis zur Verkündung des Urteils sei eine Stellungnahme der Beschwerdeführer auf den Schriftsatz erfolgt. Es liege daher nicht lediglich ein Stillschweigen auf gegnerische Behauptungen vor, dem gesamten Verhalten der Beschwerdeführer sei vielmehr ein konkludentes Geständnis zu entnehmen. Im Hinblick auf die Bindungswirkung dieses Geständnisses sei keine weitere Beweisaufnahme geboten, sondern die Berufung aufgrund des fehlenden Vorbehalts gemäß § 464 BGB, der zu einem Verlust etwaiger Gewährleistungsansprüche geführt habe, zurückzuweisen.
2. Das Urteil des Landgerichts wurde den Beschwerdeführern am zugestellt. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde ging am ohne Anlagen per Telefax beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Anlagen einschließlich der angegriffenen Entscheidung gelangten erst am zusammen mit dem Original der Beschwerdeschrift zu den Akten. Letzteres wurde der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführer mit am zugegangenem Schreiben mitgeteilt.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor:
Die Wertung des Landgerichts, es liege ein gerichtliches Geständnis vor, verletze Art. 103 Abs. 1 GG. Ein Geständnis im Sinne des § 288 ZPO erfordere in jedem Fall eine Erklärung. Die anders lautende Auffassung des Landgerichts führe zu einer weitreichenden Präklusion, die vom Gesetz nicht gewollt sei. Eine solche Auslegung des § 288 ZPO sei willkürlich und verfassungswidrig. Die Gerichte könnten auf diese Weise bloße Missverständnisse oder Irrtümer im Prozessverhalten als konkludentes Geständnis werten, ohne dass ein solches von der Partei beabsichtigt gewesen sei.
4. Mit am eingegangenem Schreiben haben die Beschwerdeführer unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung eines Mitarbeiters ihrer Verfahrensbevollmächtigten gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der stets zuverlässige Mitarbeiter habe das Original der Verfassungsbeschwerdeschrift zusammen mit den Anlagen bereits am richtig adressiert und frankiert in einen Briefkasten in Bremen eingeworfen, der noch am selben Tag geleert werden sollte. Die übliche Postlaufzeit zwischen Bremen und Karls-ruhe betrage nach Auskunft der zuständigen Postzentrale einen Tag ("Einlieferungstag plus einen Tag"). Die Sendung sei daher rechtzeitig zur Post gegeben worden und hätte an sich einen Tag vor Fristablauf beim Bundesverfassungsgericht eingehen müssen. Die erfolgte Verzögerung in der Briefbeförderung dürfe den Beschwerdeführern nicht als Verschulden angelastet werden.
5. Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 141 <143 f.>; 69, 145 <148 f.>; 75, 302 <312>).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Die Beschwerdeführer haben die Verfassungsbeschwerde zwar innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht in einer den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG genügenden Weise begründet. Da in der fristgerecht eingegangenen Beschwerdeschrift das angegriffene Urteil nicht in einer Weise wiedergegeben ist, die eine Beurteilung erlaubt, ob es mit dem Grundgesetz in Einklang steht oder nicht, war zur hinreichenden Substantiierung der Verfassungsbeschwerde die Vorlage einer Ablichtung der Entscheidung erforderlich (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 93, 266 <288>), die erst einen Tag nach Fristablauf zu den Akten gelangte. Den Beschwerdeführern war jedoch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu gewähren. Sie haben innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG glaubhaft gemacht, dass sie das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben haben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge das Bundesverfassungsgericht fristgerecht hätte erreichen können. Die Verzögerung der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG darf den Beschwerdeführern nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom , 1 BvR 762/99, veröffentlicht in JURIS).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Dem Anspruch der Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens auf rechtliches Gehör entspricht die Verpflichtung des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Erhebliche Beweisanträge muss das Gericht berücksichtigen. Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist jedoch den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt deshalb keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfGE 69, 145 <148 f.> m.w.N.). Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 69, 141 <143 f.> m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den unter Beweis gestellten Vortrag der Beschwerdeführer, sie hätten sich bei der Übergabe des Hausgrundstücks ihre Rechte wegen etwaiger Mängel des Teppichbodens gemäß § 464 BGB vorbehalten, nicht berücksichtigt, weil es angenommen hat, die Beschwerdeführer hätten durch ihr Verhalten in der ersten Instanz das Gegenteil im Sinne von § 288 ZPO zugestanden und seien hieran gemäß § 290 ZPO gebunden. Die Anwendung der §§ 288, 290 ZPO durch das Gericht hatte für die Beschwerdeführer im konkreten Fall daher dieselben einschneidenden Folgen, wie sie die zivilprozessualen Präklusionsvorschriften für die betroffene Partei nach sich ziehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Auslegung und Anwendung der das rechtliche Gehör beschränkenden Präklusionsvorschriften einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung muss über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehen (vgl. BVerfGE 75, 302 <312>). Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung der entsprechenden Vorschrift durch das Fachgericht offenkundig unrichtig ist (vgl. BVerfGE 69, 145 <149>).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Auslegung und Anwendung des § 288 ZPO durch das Landgericht durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Ein gerichtliches Geständnis im Sinne des § 288 ZPO, das von der betroffenen Partei nur unter den engen Voraussetzungen des § 290 ZPO widerrufen werden kann, ist von dem bloßen Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO) zu unterscheiden, das eine solche Bindungswirkung nicht entfaltet (vgl. BGH, NJW 1994, S. 3109; Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 288 Rn. 3; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1996, § 288 Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Ge-ständnis zwar nicht ausdrücklich abgegeben werden, das bloße Stillschweigen auf gegnerische Behauptungen genügt jedoch nicht. Dem Verhalten der Prozesspartei muss ein konkludenter Geständniswille zu entnehmen sein (vgl. BGH, NJW 1991, S. 1683). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn zu der ausdrücklichen Erklärung, dass eine Behauptung des Gegners nicht bestritten werden solle, weitere Umstände hinzutreten, die den Schluss auf ein Geständnis nahe legen (vgl. BGH, NJW 1994, S. 3109).
Das Landgericht hat im vorliegenden Fall die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar zitiert, letztlich aber keine Umstände aufgezeigt, die über ein bloßes Stillschweigen der Beschwerdeführer zu dem als zugestanden erachteten Vorbringen der Beklagten hinausgingen. Die Beschwerdeführer haben die gegnerische Behauptung, Mängel am Teppichboden seien bei der Übergabe des Hauses nicht gerügt worden, weder ausdrücklich außer Streit gestellt, noch sind sonstige Äußerungen der Beschwerdeführer ersichtlich, die den unzweideutigen Schluss auf einen entsprechenden Geständniswillen zuließen.
Das Gericht hat es im Ergebnis vielmehr als ausreichend für die Bejahung der Voraussetzungen des § 288 ZPO angesehen, dass sich die Beschwerdeführer zu dem fraglichen Punkt überhaupt nicht geäußert und auf den zweimaligen Vortrag der Beklagten nicht reagiert haben. Warum ein solches bloßes Untätigbleiben, das ebenso auf einem Versehen oder einer Verkennung der Rechtslage beruhen konnte, unzweifelhaft Ausdruck eines Geständniswillens sein sollte, hat es nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt.
Der Sache nach hat das Landgericht somit an ein bloßes erstinstanzliches Nichtbestreiten im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO eine Präklusionsfolge für die zweite Instanz geknüpft, die in der Zivilprozessordnung keine Stütze findet. Dies ist mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu vereinbaren.
c) Der Verfassungsverstoß ist für die angegriffene Entscheidung auch kausal. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den Vortrag der Beschwerdeführer, sie hätten sich bei der Übergabe des Hauses ihre Rechte wegen der behaupteten Mängel vorbehalten, berücksichtigt und den von ihnen hierzu benannten Zeugen vernommen hätte.
3. Da das angegriffene Urteil schon wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG aufzuheben ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
PAAAB-85170