BFH Urteil v. - III R 29/05

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 5 K 1601/03 (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Gebäudes im Fördergebiet.

Das Gebäude besteht aus zwei Einraum-Wohneinheiten, zehn Zimmern, zwei Küchen, Bad mit WC, Bad mit Dusche, zwei Club- und Mehrzweckräumen sowie einem „Leiterbüro”. Es ist seit dem Jahr 2002 an die Arbeiterwohlfahrt vermietet.

Die Klägerin modernisierte das Gebäude im Jahr 2001 für 457 550 DM und beantragte hierfür eine Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999 in Höhe von 15 %.

Nach den Ermittlungen der Prüferin bei einer Investitionszulagensonderprüfung betreute die Arbeiterwohlfahrt in dem Gebäude chronisch psychisch Kranke in einer Wohngemeinschaft. Die Plätze in der Wohngruppe würden in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt zugewiesen. Ziel sei, die Menschen auf ein Leben in einer eigenen Wohnung vorzubereiten. Die Wohngruppe stelle eine Zwischenlösung zwischen Heimunterbringung und eigener Wohnung dar. Die Prüferin war der Auffassung, das Gebäude diene nicht Wohnzwecken, weil die Wohnungen nicht dem freien Wohnungsmarkt zur Verfügung gestanden hätten und nicht zur dauerhaften Nutzung überlassen würden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die Investitionszulage unter Bezugnahme auf den Bericht der Investitionszulagensonderprüfung auf 0 DM fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat die Investitionszulage unter Berücksichtigung der auf die beiden Einraum-Wohnungen entfallenden Aufwendungen in Höhe von 112 237 DM festgesetzt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1375 veröffentlicht.

Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, aus der amtlichen Überschrift des § 3 InvZulG 1999 und den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass nur Mietwohnungen gefördert werden sollten. Bei den abgeschlossenen Zimmern, die nur über außerhalb der abgeschlossenen Räumlichkeit gelegene, für die Haushaltsführung notwendige Gemeinschaftsräume (Küche, Bad, WC) verfügten, handle es sich nicht um Mietwohnungen. Die Bewohner übten weder die rechtliche noch die tatsächliche Herrschaft über die Wohnung insgesamt aus, da sie auf die Auswahl der Mitbewohner keinen Einfluss hätten und ihnen hinsichtlich Küche, Bad und WC lediglich ein Mitbenutzungsrecht zustünde.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Investitionszulagenbescheids die Investitionszulage unter Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 457 550 DM abzüglich des Selbstbehalts von 5 000 DM (= 231 385,14 €) festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG können Gebäude auch dann Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 dienen, wenn den Bewohnern nur einzelne Zimmer zur ausschließlichen Nutzung überlassen werden und ihnen hinsichtlich der für eine eigenständige Haushaltsführung notwendigen Einrichtungen Küche, Bad und Toilette ein Mitbenutzungsrecht zusteht.

1. Nach § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 sind nachträgliche Herstellungsarbeiten und Erhaltungsarbeiten an Gebäuden —unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen— begünstigt, soweit die Gebäude mindestens fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahmen der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken dienen.

a) Ein Gebäude dient Wohnzwecken, wenn es dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen. Dies setzt die Eignung der betreffenden Räume zur eigenständigen Haushaltsführung und die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft der Bewohner über sie voraus. Räume, die Wohnzwecken dienen, müssen als Mindestausstattung eine Heizung, eine Küche, ein Bad und eine Toilette enthalten (Senatsurteil vom III R 12/03, BFHE 205, 561, BStBl II 2004, 837, unter Berufung auf das , BFHE 203, 368, BStBl II 2004, 225; vgl. ferner , BFHE 203, 359, BStBl II 2004, 221; IX R 7/03, BFHE 203, 364, BStBl II 2004, 223, jew. zu § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des EinkommensteuergesetzesEStG—).

b) Anspruch auf Investitionszulage besteht entsprechend der Zielsetzung des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999, die Modernisierung des sanierungsbedürftigen Mietwohnungsbestands zu fördern (BTDrucks 13/7792, S. 7), nur für Räume, die zur Deckung eines dauernden Wohnbedarfs bereitgestellt werden. Nicht begünstigt sind daher Räume, die nur für vorübergehende Aufenthalte bestimmt sind wie z.B. Ferienwohnungen, Hotelzimmer, Zimmer in einem Sanatorium u.Ä. (vgl. , BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66).

Maßgebend für die Entscheidung, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung vorliegt, ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare Absicht des Vermieters. Eine nur kurzfristige Beherbergung ist anzunehmen, wenn das konkrete Mietverhältnis nach den Vorstellungen des Vermieters nicht länger als sechs Monate dauern sollte (vgl. , BFH/NV 1999, 84, m.w.N.).

c) Nicht zu Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 dienen „Gemeinschaftsunterkünfte zur fremdbestimmten Unterbringung” (vgl. , BFH/NV 1998, 155, und vom IX R 23/01, BFH/NV 2003, 1551).

2. Nach diesen Grundsätzen können die zehn Einzelzimmer Wohnzwecken i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 dienen.

a) Die Bewohner können in den überlassenen Räumen einen eigenständigen Haushalt führen, da die für eine eigenständige Haushaltsführung erforderlichen Räume, nämlich Küche, Bad und Toilette, vorhanden sind.

Entgegen der Auffassung des FG kann aus der amtlichen Überschrift zu § 3 InvZulG 1999 „Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohngebäuden ...” und der Gesetzesbegründung, nach der die Modernisierung der bestehenden „Mietwohnungen” gefördert werden soll, nicht gefolgert werden, dass ein Anspruch auf Investitionszulage nur bei der Vermietung von abgeschlossenen Wohnungen besteht, da eine solche Einschränkung in der Vorschrift selbst nicht zum Ausdruck kommt.

Anders als z.B. § 4 InvZulG 1999, der Modernisierungsmaßnahmen an (eigenen Wohnzwecken dienenden) Wohnungen fördert, begünstigt § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 Modernisierungsmaßnahmen an Gebäuden, die der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken dienen. Es ist daher nicht erforderlich, dass die einzelnen vermieteten Räume die Merkmale des Wohnungsbegriffs erfüllen. Die vermieteten Einheiten müssen daher nicht notwendig mit einem eigenen Bad oder einer eigenen Küche ausgestattet sein. Es reicht aus, dass die Bewohner durch Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume einen eigenen Haushalt führen können.

Das vom FG zitierte (BFHE 183, 104, BStBl II 1997, 611) ist auf den Streitfall nicht anwendbar. Nach dieser Entscheidung ist ein Appartement in einem Studentenwohnheim mit Gemeinschaftsteeküche u.a. wegen fehlender Kochgelegenheit keine Wohnung i.S. des § 10e EStG und daher nicht begünstigt. Im Streitfall ist aber nicht entscheidend, ob die einzelnen Zimmer den Wohnungsbegriff erfüllen, sondern ob sie Wohnzwecken dienen.

b) Die Bewohner der Einzelzimmer haben auch die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft über die ihnen überlassenen Räume.

Hinsichtlich Küche, Bad und Toilette genügt es für die Annahme der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft, dass die Bewohner diese Räume gemeinsam nutzen können. Auch bei einer Wohngemeinschaft ist die gemeinsame Nutzung von Küche, Bad und Toilette üblich. Nach der Verkehrsanschauung kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass eine von einer Wohngemeinschaft bewohnte Wohnung Wohnzwecken dient und die Bewohner der Gemeinschaft die Sachherrschaft über die von ihnen bewohnten Räume innehaben. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Bewohner auf die Auswahl der Mitbewohner Einfluss haben. Die gemeinsame Nutzungsmöglichkeit von Küche, Bad und Toilette hängt nicht davon ab, ob sich die Bewohner nahe stehen.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Plätze den Bewohnern in dem Wohnheim zwangsweise zugewiesen werden oder ob die Überlassung der Räume auf einem freiwillig geschlossenen Untermietvertrag beruht. Die im Tatbestand der Entscheidung wiedergegebenen Prüfungsfeststellungen des FA sind zu dem dort gleichfalls aufgeführten Vorbringen der Klägerin widersprüchlich. Würden die Plätze in dem Wohnheim zur „fremdbestimmten Unterbringung” zur Verfügung gestellt, wäre das Merkmal „Wohnzwecken dienen” nicht erfüllt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1998, 155, und in BFH/NV 2003, 1551, m.w.N.).

Sofern die Arbeiterwohlfahrt mit den Bewohnern Untermietverträge abgeschlossen hat, ist zu prüfen, ob die Überlassung der Wohnräume auf Dauer (länger als sechs Monate) vorgesehen war. Unerheblich ist, dass die Klägerin —wie sie vorträgt— mit der Arbeiterwohlfahrt einen „üblichen Wohnraummietvertrag” geschlossen hat. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es grundsätzlich auf die von der Arbeiterwohlfahrt beabsichtigte Nutzung an. Eine andere Beurteilung käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Klägerin mit der Arbeiterwohlfahrt eine bestimmte, Wohnzwecken dienende Nutzung vereinbart hätte und die Arbeiterwohlfahrt die Räume vertragswidrig ohne Kenntnis der Klägerin in anderer, nicht Wohnzwecken dienender Weise genutzt hätte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1346 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 19/2007 S. 1626
NWB-Eilnachricht Nr. 19/2007 S. 1626
StBW 2006 S. 6 Nr. 12
OAAAB-84771