BFH Urteil v. - III R 35/04

Entnahme aufgrund sogenannter disquotaler Kapitalerhöhung bei der Betriebskapitalgesellschaft

Leitsatz

Die Zulassung eines Dritten zur Kapitalerhöhung der Betriebskapitalgesellschaft bewirkt beim Besitzunternehmen eine Entnahme in Höhe der Differenz zwischen dem Wert des übernommenen Anteils abzüglich der geleisteten Einlage. Eine Kapitalerhöhung, mit der ein bisher schon an der Betriebskapitalgesellschaft, nicht aber an der Besitzgesellschaft beteiligter Angehöriger seine Beteilungsquote vergrößern kann, stellt sich in gleicher Weise als Entnahme aus dem Besitzunternehmen dar. Ob die übergegangenen Vermögenswerte einem Bezugsrecht oder einer Anwartschaft auf Teilnahme an einer Kapitalerhöhung zuzuordnen sind, ist unerheblich. Für den Tatbestand der Entnahme ist auch ohne Bedeutung, ob der Nur-Betriebsgesellschafter, auf den stille Reserven des Besitzunternehmens übergegangen sind, nach der Kapitalerhöhung i.S. von § 17 EStG wesentlich beteiligt ist.

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Inhaber eines Einzelunternehmens. Mit notariellem Vertrag vom hatte er zusammen mit seinem Sohn die…GmbH gegründet. Am Stammkapital von 100 000 DM waren der Kläger zu 80 % und sein Sohn zu 20 % beteiligt. In der Folgezeit verpachtete der Kläger sämtliche Betriebsgrundstücke und das Anlagevermögen seines Einzelunternehmens an die GmbH und begründete damit eine Betriebsaufspaltung, die auch im Streitjahr 1994 bestand. Der Kläger erfasste seine GmbH-Anteile im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens. Der Sohn hielt seine Beteiligung im Privatvermögen.

Mit notariellem Vertrag vom beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 100 000 DM, die am im Handelsregister eingetragen wurde. Die neuen Stammeinlagen wurden zum Nennwert ausgegeben. Der Kläger übernahm einen Anteil von 40 000 DM und der Sohn von 60 000 DM, so dass der Kläger nach der Kapitalerhöhung nur noch mit 60 % und sein Sohn mit 40 % an der GmbH beteiligt waren.

Nach einer Betriebsprüfung des Einzelunternehmens ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) davon aus, dass 20 % der stillen Reserven der GmbH-Anteile des Klägers im Zuge der Kapitalerhöhung unentgeltlich auf den Sohn übergegangen seien. Unter Hinweis auf den (BStBl I 1985, 97) beurteilte das FA diesen Vorgang als Privatentnahme beim Einzelunternehmen des Klägers und erhöhte den Gewinn des Klägers um einen Entnahmegewinn von ... DM.

Auf den Einspruch des Klägers gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 1994 verminderte das FA den Entnahmegewinn auf ... DM. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung der Klage trugen die Kläger vor, eine Entnahme habe nicht stattgefunden. Der Wert der Geschäftsanteile sei niedriger als vom FA angenommen; die GmbH-Anteile dürften nicht nach dem Stuttgarter Verfahren bewertet werden.

Das Finanzgericht (FG) erließ ein Zwischenurteil mit folgendem Tenor:

„Dadurch, dass der Sohn der Kläger anlässlich der am beschlossenen Kapitalerhöhung der…GmbH einen Kapitalanteil erworben hat, der seine bisherige Beteiligungsquote übersteigt, ist es zu einer Entnahme aus dem Betriebsvermögen des Klägers gekommen.

Die Revision wird zugelassen.”

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1817 abgedruckt.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie meinen, eine Entnahme i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe nicht stattgefunden; das FG habe § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG falsch ausgelegt. Die Privatentnahme setze einen Realakt voraus, der nicht allein durch eine Kapitalerhöhung begründet werden könne. Stille Reserven als solche seien kein entnahmefähiges Wirtschaftsgut. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom VIII R 63/87 (BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832) eine Entnahme bejaht, wenn der Unternehmer des Besitzunternehmens es einer nahe stehenden Person ermögliche, Anteile an der Betriebsgesellschaft gegen Leistung einer Einlage zu erwerben, die niedriger sei als der Wert der übernommenen Anteile. Diese Grundsätze seien auf den Streitfall aber nicht übertragbar, da der Sohn nach der Kapitalerhöhung wesentlich i.S. des § 17 EStG beteiligt gewesen und deshalb eine Besteuerung der im Zuge der Kapitalerhöhung auf ihn übergegangenen stillen Reserven gewährleistet sei.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 i.d.F. der Einspruchsentscheidung ohne Berücksichtigung des Entnahmegewinns in Höhe von ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die nicht mit den Beteiligungsverhältnissen übereinstimmende (sog. disquotale) Kapitalerhöhung zu Recht als Entnahme des Klägers beurteilt.

1. Verfahrensfehler des FG sind weder gerügt noch sonst ersichtlich. Das Zwischenurteil war angesichts des weiteren Streites über die Bewertung sachdienlich und die Beteiligten haben nicht widersprochen (§ 99 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

2. Der Senat hat mit Urteil vom III R 8/03 (BFHE, ..., ...) unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832 entschieden, dass die Zulassung eines Dritten zur Kapitalerhöhung der Betriebskapitalgesellschaft bei dem Besitzunternehmen eine Entnahme in Höhe der Differenz zwischen dem Wert des übernommenen Anteils abzüglich der geleisteten Einlage bewirkt (§ 4 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Eine Kapitalerhöhung, mit der ein bisher schon an der Betriebskapitalgesellschaft, nicht aber an der Besitzgesellschaft beteiligter Angehöriger seine Beteiligungsquote vergrößern kann, stellt sich in gleicher Weise als Entnahme aus dem Besitzunternehmen dar.

a) Die in den Anteilen der Betriebskapitalgesellschaft ruhenden stillen Reserven gehören zum Betriebsvermögen des Besitzunternehmens, soweit dieses beteiligt ist. Gehen sie durch eine disquotale Kapitalerhöhung teilweise auf einen Nur-Betriebsgesellschafter über, so wird ihr Funktionszusammenhang zum Besitzunternehmen endgültig gelöst. Darin liegt eine Wertabgabe zu Zwecken, die für das Besitzunternehmen betriebsfremd sind. Ob die übergegangenen Vermögenswerte einem Bezugsrecht oder einer Anwartschaft auf Teilnahme an einer Kapitalerhöhung zuzuordnen sind, ist dabei unerheblich (BFH-Urteile in BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832, und vom IX R 36/01, BFHE 207, 543, BStBl II 2006, 12; vgl. auch Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 17 Rz. 27 zu § 17 Abs. 1 Satz 3).

b) Für den Tatbestand der Entnahme ist ohne Bedeutung, ob der Nur-Betriebsgesellschafter, auf den stille Reserven des Besitzunternehmens übergegangen sind, nach der Kapitalerhöhung i.S. von § 17 EStG wesentlich beteiligt ist.

Die Einkommensteuer ist subjektbezogen, jede natürliche Person ist individuell nach ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern (Großer Senat des , BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782, unter C. IV. 1. b der Entscheidungsgründe). Deshalb stellt sich die Frage, ob von der Erfassung einer Entnahme abgesehen werden kann, weil die spätere Gewinnrealisierung gewährleistet bleibt, nur dann, wenn die Besteuerung bei demselben Steuerpflichtigen erfolgen würde. Wird das Wirtschaftsgut hingegen auf einen anderen Rechtsträger übertragen, so kann auf die Besteuerung der Entnahme nicht verzichtet werden, weil die „übergesprungenen” stillen Reserven nunmehr bei dem anderen Rechtsträger steuerverhaftet bleiben (, BFHE 207, 120, BStBl II 2005, 378).

c) Angesichts der klaren und einer teleologischen Einschränkung nicht zugänglichen Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG könnte auf die Gewinnerhöhung nur verzichtet werden, wenn dies gesetzlich angeordnet wäre (vgl. z.B. § 7 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung a.F., § 6 Abs. 5 EStG n.F., § 6b EStG und das Umwandlungssteuergesetz).

3. Da im Streitfall die Beteiligung des Klägers an der GmbH zum Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens gehörte und sich der Anteil seines Sohnes an der GmbH mit dem Wirksamwerden der Kapitalerhöhung zum Nennwert durch Eintragung im Handelsregister von 20 % auf 40 % erhöhte, gingen insoweit die in den Anteilsrechten des Klägers ruhenden stillen Reserven, deren Höhe das FG in seinem Zwischenurteil offen gelassen hat, auf den Sohn über. Die Besteuerung der Entnahme kann nicht unterbleiben, da es an einer entsprechenden Ausnahmevorschrift fehlt. Eine Steuerermäßigung (z.B. §§ 16, 34 EStG) kommt nicht in Betracht.

4. Das Verfahren ist beim FG fortzusetzen, damit über die Höhe der Entnahme entschieden werden kann.

5. Die Kosten des Revisionsverfahrens gegen das Zwischenurteil haben die Kläger zu tragen, weil sie unterlegen sind. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung erfährt insoweit durch § 135 Abs. 2 FGO eine gesetzliche Ausnahme (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 120, BStBl II 2005, 378; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 143 Rz. 2; Lange, Deutsche Steuer-Zeitung 2005, 693).

Das FA hat nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet. Es ist sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1262 Nr. 7
DB 2007 S. 7 Nr. 27
DStRE 2006 S. 903 Nr. 15
EStB 2006 S. 243 Nr. 7
GmbH-StB 2006 S. 191 Nr. 7
GmbHR 2006 S. 720 Nr. 13
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2006 S. 2001
NWB-Eilnachricht Nr. 34/2006 S. 5
StBW 2006 S. 2 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2006 S. 561
RAAAB-84329