Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Prüfung der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.
Gesetze: InsO § 133 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der R. -P. GmbH & Co. (im folgenden: Schuldnerin). Das verklagte Land, handelnd durch das Finanzamt H. , mahnte spätestens ab dem immer wieder rückständige Umsatz- und Lohnsteuerbeträge an, wobei es auch Vollstreckungsmaßnahmen ankündigte und einleitete. Auf einen Antrag der Schuldnerin vom stundete das Finanzamt die Umsatzsteuer für zwei vorangegangene Monate, lehnte aber die Stundung von Lohnsteuer ab. Am befand sich von den fälligen Forderungen ein Betrag von ca. 230.000 DM in der Vollstreckung. Mit Scheck vom zahlte die Schuldnerin einen Betrag in Höhe von 320.407,47 DM und mit Scheck vom einen weiteren Betrag in Höhe von 165.190,80 DM an das Finanzamt.
Auf einen am gestellten Antrag wurde am das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.
Mit der Anfechtungsklage hat der Kläger - soweit noch von Interesse - die Rückzahlung der von der Schuldnerin an den Beklagten mit den beiden Scheckzahlungen geleisteten Beträge in Höhe von insgesamt 485.598,27 DM verlangt. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Klägers.
Gründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Rückgewähr gemäß § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO in Höhe von 485.598,27 DM mit folgender Begründung verneint: Die beiden Scheckzahlungen an das Finanzamt vom und vom seien als Rechtshandlungen der Schuldnerin im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO anzusehen, die auch zu einer zumindest mittelbaren Gläubigerbenachteiligung geführt hätten. Dem Kläger sei es jedoch nicht gelungen, den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin darzulegen. Auf das Beweisanzeichen einer inkongruenten Deckung könne er sich nicht berufen.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei den angefochtenen Zahlungen um Rechtshandlungen der Schuldnerin im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO handelt.
a) Eine zur Abwehr oder aus Anlaß einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung, an welcher der Schuldner mitgewirkt hat, ist unter den Voraussetzungen des § 133 InsO anfechtbar (BGHZ 155, 75, 79; , NZI 2004, 87).
Das beklagte Land hat die Geldbeträge hier nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, sondern aufgrund von Scheckzahlungen erhalten, die die Schuldnerin geleistet hat. Daß diese einen Teil des Betrages auch unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung gezahlt haben mag, rechtfertigt keine Gleichsetzung dieser (Teil-)Leistungen der Schuldnerin mit Vermögenszugriffen, die durch Vornahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen (vgl. hierzu BGH, jeweils aaO).
b) Der vom Senat in der Entscheidung vom - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194 ausgesprochene Grundsatz, daß die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurücktritt, gilt für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers nach dem System der Anfechtungsregeln der Insolvenzordnung lediglich für den von § 131 InsO erfaßten Zeitraum. Die Wertung des § 133 Abs. 1 InsO, daß die vorsätzliche Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch den Schuldner innerhalb einer längeren Frist zur Anfechtung befugt, trifft jedoch auch für solche Rechtshandlungen zu, die der Schuldner aus Anlaß oder im Rahmen der Zwangsvollstreckung vornimmt (BGHZ 155, 75, 80).
2. Das Berufungsgericht hat ferner mit Recht das Vorliegen einer objektiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) als Voraussetzung eines jeden anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruches bejaht (vgl. BGHZ 124, 76, 78 f). Die Schecks wurden zu Lasten des Kontos der Schuldnerin bei der bezogenen Bank eingelöst; daher bestehen an dem Vorliegen einer zumindest mittelbaren Gläubigerbenachteiligung, die für § 133 Abs. 1 InsO genügt (MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 11), keine Zweifel (vgl. BGHZ 114, 315, 322; , ZIP 2001, 1641, 1644). Dies gilt auch für den geleisteten Lohnsteueranteil; denn die entsprechende Zahlung erfolgte aus dem Vermögen des Arbeitgebers (vgl. , WM 2004, 517, 520, z.V.b. in BGHZ).
3. Das Berufungsgericht konnte nicht feststellen, daß die Schuldnerin die angefochtenen Steuerzahlungen mit dem Vorsatz vorgenommen hat, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Die dagegen von der Revision erhobenen Rügen haben im Ergebnis Erfolg.
a) Das Berufungsgericht ist mit Recht von einer kongruenten Deckung ausgegangen; dies stellt auch die Revision nicht in Abrede. Wie der Senat in seinem Urteil vom in der Sache IX ZR 169/02 im einzelnen ausgeführt hat (BGHZ 155, 75, 83), stellt sich eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag gewährt, nicht bereits deshalb als inkongruente Deckung dar, weil sie zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgt.
b) Zu Recht beanstandet die Revision jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO setze ein unlauteres Handeln voraus. Für den Benachteiligungsvorsatz reicht vielmehr auch bei kongruenten Deckungsgeschäften die Feststellung aus, der Schuldner habe sich eine Benachteiligung nur als möglich vorgestellt, sie aber in Kauf genommen, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (Senat, Urt. v. - IX ZR 272/02, NZI 2003, 597, 598; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 13; Nerlich, in: Nerlich/Römermann, InsO § 133 Rn. 23). Bei einem kongruenten Deckungsgeschäft, bei dem der Schuldner dem Gläubiger nur das gewährt, worauf dieser einen Anspruch hatte, sind allerdings erhöhte Anforderungen an die Darlegung und den Beweis des Benachteiligungsvorsatzes zu stellen. In diesem Sinne hat das Berufungsgericht zwar auch geprüft, ob die Schuldnerin deswegen mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt haben könnte, weil sie das beklagte Land gegebenenfalls auf Kosten anderer Insolvenzgläubiger begünstigen wollte. Wenn ein Schuldner zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung an einen einzelnen Gläubiger leistet, obwohl er weiß, daß er nicht mehr alle seine Gläubiger befriedigen kann und infolge der Zahlung an einen einzelnen Gläubiger andere Gläubiger benachteiligt werden, so ist in aller Regel die Annahme gerechtfertigt, daß es dem Schuldner nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner vertraglichen oder - wie hier - gesetzlichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers ankommt (vgl. BGHZ 155, 75, 83 f; , NZI 2004, 87, 88). Die Sichtweise des Berufungsgerichts erschöpft aber den entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers nicht (§ 286 ZPO):
Dieser hatte mit der Klageschrift ein Schreiben der Steuerberaterin der Schuldnerin vom vorgelegt. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht befaßt. Mit Blick auf die bevorstehende Prüfung des Jahresabschlusses 2000 führt die Steuerberaterin aus, daß die Schuldnerin zum Jahresende, selbst wenn die Verkehrswerte zugrunde gelegt würden, voraussichtlich in Höhe von mindestens 500.000 ¤ überschuldet sein werde. Ferner sei angesichts der Rückstände gegenüber dem Finanzamt, den Sozialversicherungsträgern und den Lieferanten Zahlungsunfähigkeit gegeben.
Aus den Ausführungen der Steuerberaterin ergibt sich jedenfalls ein wesentliches Indiz dafür, daß die Schuldnerin zur Zeit der Vornahme der Scheckzahlungen zahlungsunfähig war. Unter dieser Voraussetzung geht der Senat in der Regel davon aus, daß ein Insolvenzschuldner die angefochtenen Rechtshandlungen mit Benachteiligungsvorsatz vorgenommen hat (vgl. BGHZ 155, 75, 84; jeweils aaO). Allerdings sind in dem hier zu beurteilenden Fall die angefochtenen Scheckzahlungen ungewöhnlich hoch. Sie überstiegen den in der Vollstreckung befindlichen Betrag offenbar bei weitem. Zwar steht es der Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen, daß der Schuldner noch einzelne - sogar beträchtliche - Zahlungen leistet, sofern die unerfüllt gebliebenen Verbindlichkeiten nicht unwesentlich sind (, NJW 1985, 1785; v. - IX ZR 231/96, NJW 1998, 607, 608; v. - IX ZR 272/02, aaO). Da das Berufungsgericht aber die Höhe der Zahlungen und deren nähere Umstände nicht gewürdigt hat, verfügt der Senat über keine tatsächliche Grundlage, insoweit abschließend zu entscheiden.
III.
Folglich ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 ZPO).
Wenn das Berufungsgericht nach erneuter mündlicher Verhandlung zu dem Ergebnis kommt, daß die Schuldnerin die Scheckzahlungen mit Benachteiligungsvorsatz vorgenommen hat, wird es weiter zu prüfen haben, ob das beklagte Land den Vorsatz der Schuldnerin zur Zeit der Handlung (§ 140 InsO) kannte. Dabei wird es insbesondere berücksichtigen müssen, wie lange die Schuldnerin mit der Begleichung ihrer Steuerschulden schon im Rückstand war und in welcher Höhe solche Rückstände bestanden. Nur aufgrund näherer Feststellungen hierzu kann der Umstand rechtsfehlerfrei bewertet werden, daß die Schuldnerin offenbar wesentlich mehr gezahlt hat, als zur Abwendung der Vollstreckung erforderlich gewesen wäre. Für den Beklagten war es jedenfalls offensichtlich, daß die Verbindlichkeiten der gewerblich tätigen Schuldnerin ihm gegenüber nicht annähernd die einzigen waren (vgl. BGHZ 149, 100, 111; 155, 75, 86). Näherer Feststellungen zur Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes bedarf es nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen der Beweisregel in § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO gegeben sind und dem Beklagten der Beweis des Gegenteils nicht gelingt. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des anderen Teils - hier des Beklagten - vermutet, wenn er wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Diese Voraussetzungen können schon dann gegeben sein, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen wurden und jenem den Umständen nach bewußt ist, daß es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt. Hierzu hat der Kläger bereits in der Klageschrift schlüssig vorgetragen (vgl. hierzu auch BGHZ 155, 75, 85 f; jeweils aaO). Beweist der Insolvenzverwalter, daß der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuteten, greift § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls ein. Von einem Gläubiger, der solche Umstände kennt, ist - widerleglich - zu vermuten, daß er auch die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Benachteiligung der Gläubiger kennt (, ZInsO 2004, 385, 386).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 35/2007 S. 3067
MAAAB-82793