Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt —HZA—) gemäß §§ 191 und 71 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung für bei der Einfuhr von geschmuggelten Zigaretten entstandenen Abgaben (Zoll, Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer) als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen. Dabei wertete das HZA die Übersetzung eines in einem Hotelzimmer geführten Gesprächs zwischen den aus Litauen stammenden Haupttätern und einem Scheinaufkäufer des Zolls als Beihilfehandlung zur Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei.
Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid hatte keinen Erfolg. Noch vor Ergehen der Einspruchsentscheidung wurde die Klägerin wegen der Steuerstraftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die gegen das Strafurteil eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Die vor dem Finanzgericht (FG) erhobene Klage gegen den Haftungsbescheid führte lediglich zu einer Herabsetzung der Haftungssumme. Das FG machte sich die in den Strafurteilen gemachten Feststellungen zu eigen und urteilte, dass die Klägerin zu Recht als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden sei. Entgegen der Einlassung der Klägerin ging das FG davon aus, dass der Klägerin aufgrund der Übersetzungstätigkeit sehr wohl bewusst gewesen sei, dass es bei dem Geschäft um unverzollte und unversteuerte Zigaretten ging und dass das Geschäft nicht ohne ihre Mitwirkung zustande gekommen wäre. Auch habe das HZA das ihm zustehende Ermessen sachgerecht ausgeübt. Da im Streitfall alle in Betracht kommenden Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden seien, sei die Frage der Vorprägung des Ermessens unbeachtlich.
Soweit die Klägerin geltend mache, dass das HZA nach dem (U) (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1998, 1038) im Rahmen der Ermessensausübung ihre persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse hätte berücksichtigen müssen, übersehe sie, dass diese Verhältnisse im Streitfall nicht offenkundig gewesen seien. Darin liege ein beachtlicher Unterschied zu dem vom FG Düsseldorf entschiedenen Fall. Überlegungen in Bezug auf den Umfang des Haftungsanspruchs hätte das HZA nicht anstellen müssen, denn die Höhe der Haftungssumme werde durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 71 AO 1977 vorgegeben und durch die vom Vorsatz des Täters oder Teilnehmers umfassten Straftaten begrenzt.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO).
Grundsätzliche Bedeutung komme den Rechtsfragen zu, ob im Falle der Verwirklichung des Haftungstatbestandes des § 71 AO 1977 die von der Finanzbehörde zu treffende Ermessensentscheidung in jedem Fall vorgeprägt sei und ob diese Vorprägung auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasse. In seinem Urteil vom VII R 3/90 (BFH/NV 1991, 504) habe der Bundesfinanzhof (BFH) eine Vorprägung des Ermessens nur für den Regelfall angenommen. Dies lasse den Schluss zu, dass das Ermessen nicht auf Null reduziert sei, sondern dass eine sachgerechte Ermessensausübung vorgenommen werden müsse. Darüber hinaus weiche das erstinstanzliche Urteil von der Instanzrechtsprechung ab. So habe das FG Düsseldorf in seinem Urteil in EFG 1998, 1038 darauf hingewiesen, dass ein Automatismus mit dem Ermessensbegriff nicht vereinbar sei und dass in die Ermessenserwägungen sowohl die Höhe des Haftungsanspruchs als auch die Schwere der Schuld mit einzubeziehen seien. Mit Völlmeke (Das Entschließungsermessen beim Haftungsbescheid, Deutsches Steuerrecht 1991, 1001) vertrete das FG Düsseldorf die Ansicht, dass gerade dann eine differenzierte Ausübung des Ermessens geboten sei, wenn der vermeintliche Haftungsschuldner bei rigoroser Anwendung der Haftungsvorschriften für den Rest seines Lebens an der Armutsgrenze leben und endgültig gesellschaftlich ausgegrenzt würde. Soweit das FG das Urteil des FG Düsseldorf allein deshalb nicht glaubte beachten zu müssen, weil im Streitfall ein anderer Sachverhalt vorliege, sei diese Annahme unzutreffend. Denn anlässlich der Vernehmung der Klägerin durch die Zollfahndung seien ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenbart worden. Auch aus den Strafurteilen hätten diese entnommen werden können.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Senat kann es offen lassen, ob die Klägerin die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt hat. Jedenfalls kommt den von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen mangels Klärungsbedürftigkeit keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt nicht in Betracht, denn die behauptete Divergenz liegt nicht vor.
1. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf (Senatsentscheidungen vom VII B 213/04, BFH/NV 2005, 1217; vom VII R 17/03, BFHE 204, 380, und vom VII B 54/01, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern —ZfZ— 2002, 55, m.w.N.). Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 71 AO 1977 Schadensersatzcharakter hat und nicht zu einer weiteren Sanktion führen soll. Diesen für die Einführung des Haftungstatbestandes maßgebenden Überlegungen würde es zuwiderlaufen, wenn die Finanzbehörde bei Vorliegen des Tatbestandes der Haftungsnorm erneut Überlegungen zur Höhe des Anspruchs anstellen müsste. Deshalb kann eine den Zweck des § 71 AO 1977 berücksichtigende und an § 5 AO 1977 orientierte Ermessensausübung nur dazu führen, dass die Höhe des Haftungsanspruchs durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 71 AO 1977 vorgegeben ist. Im Rahmen der Betätigung des Auswahl- und Entschließungsermessens besteht danach kein Grund, Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des Haftungsschuldners ergeben (Senatsentscheidung in ZfZ 2002, 55, m.w.N.). Somit ist die Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Teilnahme an der Steuerhinterziehung nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben (, BFHE 205, 394).
Mit den zitierten Entscheidungen setzt sich die Beschwerde auch nicht ansatzweise auseinander. Gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte, die in der Rechtsprechung oder der Literatur gegen diese Entscheidungen vorgebracht worden sind, vermag sie nicht darzulegen. Der allein angeführten Ansicht von Völlmeke ist die Rechtsprechung nur insoweit gefolgt, als der Finanzbehörde ein Entschließungsermessen bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme zugebilligt worden ist. Zudem übersieht die Klägerin, dass der Senat zu dem Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1998, 1038 bereits Stellung genommen und dazu ausgeführt hat, dass die Entscheidung keine neuen Argumente enthalte, mit der sich der BFH noch nicht auseinander gesetzt hätte (BFH-Entscheidung in ZfZ 2002, 55). Da die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt sind, kommt ihnen keine grundsätzliche Bedeutung zu.
2. Auch eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) kommt nicht in Betracht. Denn das angefochtene Urteil weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab, so dass eine Entscheidung des BFH nicht erforderlich ist. Selbst die behauptete Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung vom Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1998, 1038 liegt nicht vor. Wie die Klägerin selbst ausführt, ist das FG im Gegensatz zum FG Düsseldorf von einem Sachverhalt ausgegangen, bei dem die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Haftungsschuldners bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung nicht offenkundig waren. Gegen diese Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil hat die Klägerin keine substantiierten Verfahrensrügen erhoben.
Aber selbst wenn eine Divergenz angenommen werden könnte, würde dies eine Zulassung der Revision nicht erfordern. Denn wie bereits ausgeführt, sind dem Urteil keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die von der BFH-Rechtsprechung nicht schon erwogen und berücksichtigt worden wären. Dies gilt auch für das von der Klägerin angeführte (EFG 2004, 74) das sich mit der Frage einer Vorprägung des Entschließungsermessens bei vorsätzlich begangenen Steuerstraftaten überhaupt nicht befasst. Vielmehr geht es in dieser Entscheidung um eine Haftung nach § 69 AO 1977 wegen grob fahrlässiger Verletzung der Geschäftsführerpflichten und um die sachgerechte Betätigung des Auswahlermessens bei mehreren Haftungsschuldnern. Im Gegensatz zu dieser Entscheidung hat die Finanzbehörde im Streitfall sämtliche in Betracht kommenden Haftungsschuldner in Anspruch genommen, so dass sich vorliegend die Frage einer sachgerechten Betätigung des Auswahlermessens nicht stellt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 140 Nr. 6
BFH/NV 2006 S. 1246 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 11/2008 S. 955
GAAAB-82730