Zusätzlicher Einfuhrzoll auf Zucker
Leitsatz
[1] 1. Artikel 234 Absatz 3 EG erlegt einem nationalen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, auch dann die Verpflichtung auf, dem Gerichtshof eine Frage nach der Gültigkeit von Bestimmungen einer Verordnung vorzulegen, wenn der Gerichtshof entsprechende Bestimmungen einer anderen, vergleichbaren Verordnung bereits für ungültig erklärt hat.
2. Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1423/95 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen für die Einfuhr von Erzeugnissen des Zuckersektors außer Melasse ist ungültig, soweit er vorsieht, dass für die Bestimmung des darin genannten Zusatzzolls grundsätzlich der repräsentative Preis im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung und nur auf Antrag des Einführers der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung herangezogen wird.
Gesetze: VO EG Nr. 1423/95 Art. 4; EG Art. 234
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 234 EG sowie die Gültigkeit des Artikels 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1423/95 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen für die Einfuhr von Erzeugnissen des Zuckersektors außer Melasse (ABl. L 141, S. 16).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gaston Schul Douane-expediteur BV (im Folgenden: Gaston Schul) und dem Minister van Landbouw, Natuur en Voedselkwaliteit (im Folgenden: Landwirtschaftsminister) über die Einfuhr von Rohrzucker.
Rechtlicher Rahmen
3. Artikel 234 EG lautet:
"Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung dieses Vertrags,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der EZB,
c) über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit diese Satzungen dies vorsehen.
Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet."
4. Das Übereinkommen über die Landwirtschaft in Anhang 1A des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), das durch Artikel 1 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses 94/800/EG des Rates vom über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) (ABl. L 336, S. 1) im Namen der Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche genehmigt wurde, bestimmt in Artikel 5 Absätze 1 Buchstabe b und 5:
"1. Unbeschadet des Artikels II Absatz 1 Buchstabe b) des GATT 1994 kann sich jedes Mitglied ... auf die Absätze 4 und 5 berufen, wenn
a) ...
b) der Preis, zu dem Einfuhren eines solchen Erzeugnisses in das Zollgebiet des das Zugeständnis gewährenden Mitglieds [der WTO] gelangen, auf der Grundlage des cif-Einfuhrpreises der betreffenden Lieferung in Landeswährung unter einen Schwellenpreis fällt, welcher dem durchschnittlichen Referenzpreis des betreffenden Erzeugnisses in den Jahren 1986 bis 1988 entspricht.
...
5. Ein gemäß Absatz 1 Buchstabe b) erhobener Zusatzzoll wird nach folgendem Schema festgesetzt:
..."
5. Nach Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1785/81 des Rates vom über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl. L 177, S. 4) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 3290/94 des Rates vom über erforderliche Anpassungen und Übergangsmaßnahmen im Agrarsektor zur Anwendung der im Rahmen der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkünfte (ABl. L 349, S. 105, im Folgenden: Grundverordnung) werden die "zur Erhebung eines zusätzlichen Einfuhrzolls zu berücksichtigenden Einfuhrpreise ... anhand der cif-Einfuhrpreise der betreffenden Sendung bestimmt" und die "cif-Einfuhrpreise ... zu diesem Zweck unter Zugrundelegung der repräsentativen Preise des betreffenden Erzeugnisses auf dem Weltmarkt oder dem Gemeinschaftsmarkt überprüft".
6. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erließ mit der Verordnung Nr. 1423/95 die Durchführungsbestimmungen zu der Grundverordnung. Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 lautet:
"(1) Wird kein Antrag gemäß Absatz 2 gestellt oder liegt der in Absatz 2 genannte cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung unter dem betreffenden von der Kommission festgesetzten repräsentativen Preis, so wird für die Bestimmung des Zusatzzolls der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung als repräsentativer Preis gemäß Artikel 1 Absatz 2 bzw. Absatz 3 herangezogen.
(2) Ein Einführer kann auf Antrag bei der Annahme der Einfuhrerklärung bei der zuständigen Behörde des Einfuhrmitgliedstaats beantragen, dass zur Bestimmung des Zusatzzolls entweder der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung für in Standardqualität gemäß Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 793/72 umgerechneten Weißzucker bzw. für in Standardqualität gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 431/68 umgerechneten Rohzucker oder der dem Erzeugnis des KN-Codes 1702 90 99 entsprechende Preis herangezogen wird, wenn der genannte cif-Preis über dem in Artikel 1 Absatz 2 bzw. Absatz 3 genannten anwendbaren repräsentativen Preis liegt.
Der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung wird durch Anpassung gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Artikels 5 der Verordnung (EWG) Nr. 784/68 in den Preis für Zucker der Standardqualität umgerechnet.
In diesem Fall wird der cif-Preis der betreffenden Sendung für die Bestimmung des Zusatzzolls herangezogen, sofern der Einführer zur Stützung seines Antrags binnen 30 Tagen nach Annahme der Einfuhrerklärung den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaates mindestens folgende Nachweise vorlegen kann:
- Kaufvertrag oder jeden entsprechenden Nachweis,
- Versicherungsvertrag,
- Rechnung,
- (gegebenenfalls) Beförderungsvertrag,
- Ursprungsbescheinigung,
- Konnossement im Fall der Beförderung auf dem Seeweg.
Der betreffende Mitgliedstaat kann zur Stützung dieses Antrags weitere Informationen und Papiere verlangen. Der betreffende von der Kommission festgesetzte Zusatzzoll wird zum Zeitpunkt der Antragstellung anwendbar.
Der Einführer muss allerdings bei der Antragstellung eine Sicherheit gemäß Artikel 248 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission in Höhe der Differenz zwischen dem betreffenden von der Kommission festgesetzten Zusatzzoll und dem anhand des cif-Einfuhrpreises der betreffenden Sendung bestimmten Zusatzzoll hinterlegen.
Diese Sicherheit wird freigegeben, sobald die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats dem Antrag auf Basis der vom Antragsteller vorgelegten Belege stattgegeben hat.
Die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats gibt dem Antrag nicht statt, wenn sie diesen aufgrund der vorliegenden Belege für nicht gerechtfertigt hält.
Die Sicherheit verfällt, wenn die zuständige Behörde dem Antrag nicht stattgibt."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7. Am meldete Gaston Schul 20 000 kg rohen Rohrzucker aus Brasilien zu einem cif-Preis von 31 916 NLG zur Einfuhr an. Der geschuldete Einfuhrzoll, der am von den Zollbehörden mit der Angabe "abgeschlossene Prüfung ohne Korrektur" mitgeteilt wurde, belief sich auf 20 983,70 NLG. Am übermittelte der Inspecteur des Zollamts für den Zollbezirk Roosendaal im Namen des Landwirtschaftsministers Gaston Schul einen Zahlungsbescheid über einen als "Landwirtschaftsabgabe" bezeichneten Betrag von 4 968,30 NLG. Diese Abgabe war wie folgt berechnet: 20 000 kg mal 24,841182 NLG (11,11 ECU) Zusatzzoll pro 100 kg. Nach erfolglosem Einspruch gegen diesen Zahlungsbescheid erhob Gaston Schul Klage beim vorlegenden Gericht.
8. Dieses Gericht stellt zunächst fest, dass Artikel 15 der Grundverordnung, der die Regelung der Zusatzabgaben im Zuckersektor festlege, den gleichen Inhalt habe wie der - durch die Verordnung Nr. 3290/94 geänderte - Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2777/75 des Rates vom über die gemeinsame Marktorganisation für Geflügelfleisch (ABl. L 282, S. 77), wobei diese beiden Bestimmungen in ihrer gegenwärtigen Fassung am selben Tag erlassen worden seien.
9. In diesen Sektoren Geflügelfleisch und Eier habe der Gerichtshof mit Urteil vom in der Rechtssache C-317/99 (Kloosterboer Rotterdam, Slg. 2001, I-9863) Artikel 3 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1484/95 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen zur Regelung der zusätzlichen Einfuhrzölle in den Sektoren Geflügelfleisch und Eier sowie für Eieralbumin, zur Festsetzung dieser zusätzlichen Einfuhrzölle und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 163/67/EWG (ABl. L 145, S. 47) für ungültig erklärt, soweit dieser bestimme, dass der dort vorgesehene Zusatzzoll grundsätzlich auf der Grundlage des in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1484/95 vorgesehenen repräsentativen Preises und nur auf Antrag des Importeurs auf der Grundlage des cif-Einfuhrpreises der betreffenden Sendung festgesetzt werde. Nach den Ausführungen dieses Urteils habe die Kommission die Grenzen ihrer Durchführungsbefugnis überschritten.
10. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts entspricht der vom Gerichtshof für ungültig erklärte Artikel 3 Absätze 1 und 3 dieser Verordnung in den vom Gerichtshof berücksichtigten Punkten Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95. In beiden Fällen gehe es um eine Grundverordnung, die gemäß Artikel 5 des Übereinkommens über die Landwirtschaft in Anhang 1A des Übereinkommens zur Errichtung der WTO vorsehe, dass der zusätzliche Einfuhrzoll auf der Grundlage des cif-Preises berechnet werde, während in einer Durchführungsverordnung der Kommission als allgemeine Regel gelte, dass dieser Zusatzzoll auf der Grundlage des repräsentativen Preises berechnet werde.
11. Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 sei daher mit Artikel 15 der Grundverordnung unvereinbar.
12. Das vorlegende Gericht stellt aber unter Bezugnahme auf das Urteil vom in der Rechtssache 314/85 (Foto-Frost, Slg. 1987, 4199) fest, dass es ausschließlich dem Gerichtshof vorbehalten sei, über die Ungültigkeit einer Handlung der Gemeinschaftsorgane zu entscheiden.
13. Doch sei eine Auslegung des Artikels 234 Absatz 3 EG im Hinblick auf die Frage erforderlich, ob etwas anderes gelte in einem nationalen Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem sich eine Frage nach der Gültigkeit von Bestimmungen stelle, die anderen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen entsprächen, die der Gerichtshof bereits in einer Vorabentscheidung wie dem Urteil Kloosterboer Rotterdam für ungültig erklärt habe.
14. Unter diesen Umständen hat das College van Beroep voor het bedrijfsleven beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist ein nationales Gericht im Sinne von Artikel 234 Absatz 3 EG nach dieser Bestimmung auch dann verpflichtet, sich mit einer Frage wie der folgenden nach der Gültigkeit von Bestimmungen einer Verordnung an den Gerichtshof zu wenden, wenn die Ungültigkeit entsprechender Bestimmungen einer anderen, vergleichbaren Verordnung vom Gerichtshof festgestellt worden ist, oder kann es die erstgenannten Bestimmungen wegen der besonderen Übereinstimmungen mit den für ungültig erklärten Bestimmungen unangewendet lassen?
2. Ist Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung ... Nr. 1423/95 ... ungültig, soweit er vorsieht, dass für die Bestimmung des darin genannten Zusatzzolls grundsätzlich der repräsentative Preis im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung ... Nr. 1423/95 ... und nur auf Antrag des Einführers der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung heranzuziehen ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
15. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 234 Absatz 3 EG einem nationalen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, auch dann die Verpflichtung auferlegt, dem Gerichtshof eine Frage nach der Gültigkeit von Bestimmungen einer Verordnung vorzulegen, wenn der Gerichtshof entsprechende Bestimmungen einer anderen, vergleichbaren Verordnung bereits für ungültig erklärt hat.
16. In Bezug auf Auslegungsfragen ergibt sich aus dem Urteil vom in der Rechtssache 283/81 (Cilfit u. a., Slg. 1982, 3415, Randnr. 21), dass ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, seiner Vorlagepflicht nachkommen muss, wenn sich in dem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, es hat festgestellt, dass die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende Gemeinschaftsbestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung des Gerichtshofes war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch Urteil vom in der Rechtssache C-495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 33).
17. Dagegen sind die nationalen Gerichte, wie sich aus Randnummer 20 des Urteils Foto-Frost ergibt, nicht befugt, selbst die Ungültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane festzustellen.
18. Abweichungen von der Regel, nach der die nationalen Gerichte nicht befugt sind, selbst die Ungültigkeit von Gemeinschaftshandlungen festzustellen, können unter bestimmten Umständen im Fall eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes geboten sein (Urteil Foto-Frost, Randnr. 19, vgl. dazu auch Urteile vom in der Rechtssache 107/76, Hoffmann-La Roche, Slg. 1977, 957, Randnr. 6, vom in den Rechtssachen 35/82 und 36/82, Morson und Jhanjan, Slg. 1982, 3723, Randnr. 8, vom in den Rechtssachen C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Slg. 1991, I-415, Randnrn. 21 und 33, und vom in der Rechtssache C-465/93, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], Slg. 1995, I-3761, Randnrn. 30, 33 und 51).
19. Demgegenüber kann die im Urteil Cilfit u. a. vorgenommene Auslegung, die Auslegungsfragen betrifft, nicht auf Fragen nach der Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen ausgedehnt werden.
20. Vorab ist festzustellen, dass es sich bei eingehender Prüfung auch in auf den ersten Blick ähnlich gelagerten Fällen insbesondere aufgrund ihres unterschiedlichen rechtlichen oder gegebenenfalls tatsächlichen Kontextes zeigen kann, dass eine Bestimmung, deren Gültigkeit in Frage steht, nicht einer bereits für ungültig erklärten anderen Bestimmung gleichgestellt werden kann.
21. Die dem Gerichtshof durch Artikel 234 EG zuerkannten Befugnisse bezwecken im Wesentlichen, eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte zu gewährleisten. Dieses Erfordernis der Einheitlichkeit ist besonders zwingend, wenn es um die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung geht. Denn Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen wären geeignet, die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst zu gefährden und das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen (Urteil Foto-Frost, Randnr. 15).
22. Die Möglichkeit für das nationale Gericht, über die Ungültigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu entscheiden, wäre auch unvereinbar mit der notwendigen Kohärenz des durch den Vertrag geschaffenen Rechtsschutzsystems. Insoweit stellt die Vorabentscheidungsvorlage zur Beurteilung der Gültigkeit ebenso wie die Nichtigkeitsklage eine Form der Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftshandlungen dar. Mit seinen Artikeln 230 EG und 241 EG auf der einen und Artikel 234 EG auf der anderen Seite hat der Vertrag ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe dadurch gewährleisten soll, dass damit der Gemeinschaftsrichter betraut wird (vgl. Urteile vom in der Rechtssache 294/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23, Foto-Frost, Randnr. 16, und vom in der Rechtssache C-50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Randnr. 40).
23. Eine Verkürzung der Verfahrensdauer wäre kein Argument, um einen Eingriff in die ausschließliche Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters für die Entscheidung über die Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen.
24. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass der Gemeinschaftsrichter am besten in der Lage ist, über die Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen zu entscheiden. Denn die Gemeinschaftsorgane, deren Handlungen in Frage gestellt werden, können sich nach Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligen, um die Gültigkeit dieser Handlungen zu verteidigen. Außerdem kann der Gerichtshof nach Artikel 24 Absatz 2 seiner Satzung von den Gemeinschaftsorganen, die nicht Parteien in dem Rechtsstreit sind, alle Auskünfte verlangen, die er zur Erledigung des Rechtsstreits für erforderlich erachtet (vgl. Urteil Foto-Frost, Randnr. 18).
25. Nach alledem ist auf die ersten Frage zu antworten, dass Artikel 234 Absatz 3 EG einem nationalen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, auch dann die Verpflichtung auferlegt, dem Gerichtshof eine Frage nach der Gültigkeit von Bestimmungen einer Verordnung vorzulegen, wenn der Gerichtshof entsprechende Bestimmungen einer anderen, vergleichbaren Verordnung bereits für ungültig erklärt hat.
Zur zweiten Frage
26. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 ungültig ist, soweit er vorsieht, dass für die Bestimmung des darin genannten Zusatzzolls grundsätzlich der repräsentative Preis im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung und nur auf Antrag des Einführers der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung heranzuziehen ist.
27. Aus dem Wortlaut von Artikel 15 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Grundverordnung ergibt sich eindeutig, dass nur der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung für die Bestimmung eines Zusatzzolls herangezogen werden kann.
28. Die Anwendung dieser Regel ist von keiner Bedingung abhängig, und sie gilt ohne Ausnahme.
29. Artikel 15 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Grundverordnung bestimmt unmissverständlich, dass der repräsentative Preis des betreffenden Erzeugnisses nur zur Überprüfung der Richtigkeit des cif-Einfuhrpreises herangezogen wird.
30. Dagegen ist nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 die Heranziehung des cif-Einfuhrpreises für die Bestimmung des Zusatzzolls davon abhängig, dass der Einführer einen entsprechenden förmlichen Antrag stellt, dem bestimmte Belege beizufügen sind, und in allen anderen Fällen vorgeschrieben, dass auf den repräsentativen Preis abzustellen ist, was damit zur allgemeinen Regel wird.
31. Da Artikel 15 Absatz 3 der Grundverordnung keine Ausnahme von der Regel der Bestimmung des Zusatzzolls auf der Grundlage des cif-Einfuhrpreises vorsieht, verstößt Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 gegen diese Bestimmung.
32. Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1423/95 ungültig ist, soweit er vorsieht, dass für die Bestimmung des darin genannten Zusatzzolls grundsätzlich der repräsentative Preis im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung und nur auf Antrag des Einführers der cif-Einfuhrpreis der betreffenden Sendung herangezogen wird.
Kostenentscheidung:
Kosten
33. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAB-80345
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg