BFH Beschluss v. - VI R 79/04

Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis wegen Programmabsturzes des zur Fristenüberwachung eingesetzten Computerkalendariums

Leitsatz

Ein auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt" oder "Computer-Absturz" gestützter Wiedereinsetzungsantrag bedarf vor allem näherer Darlegungen zur Art des Defekts und zu seiner Behebung, z. B. Zeitpunkt der Löschung und Wiederherstellung des Fristenkalendariums. Setzt ein Prozessbevollmächtigter zur Überwachung der Rechtsmittel-(begründungs-)Fristen ein Computerkalendarium ein, muss er im Fall des Absturzes dieses Programms der Sache nachgehen und von sich aus prüfen, welche Rechtsmittel-(begründungs-)Fristen in seiner Kanzlei abzulaufen drohten oder während des Programmausfalls bereits abgelaufen waren. Das Hindernis für die Fristversäumnis i. S des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist deshalb bereits zum Zeitpunkt seiner Kenntnis vom Programmabsturz und nicht erst dann weggefallen, wenn er von der Fristversäumnis tatsächlich Kenntnis erlangt.

Gesetze: FGO § 56

Instanzenzug: (L) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Gegen die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Urteil des Finanzgerichts (FG) hatte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beim beschließenden Senat erfolgreich Beschwerde eingelegt. Der Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) über die Zulassung der Revision wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Er war mit dem Hinweis versehen, dass das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt werde, ohne dass die Klägerin noch gesondert Revision einlegen müsse; innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses sei jedoch beim BFH eine Begründung der Revision einzureichen.

Mit einem am zugestellten Schreiben wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass die Frist für die Begründung der Revision am abgelaufen sei und eine Begründung bislang nicht vorliege. Daraufhin begründete der Prozessbevollmächtigte die Revision der Klägerin zunächst am mit einem nicht unterschriebenen Telefax und sodann mit einem am Folgetag auf dem Postwege beim BFH eingegangenen inhaltsgleichen unterzeichneten Schriftsatz. In beiden Schriftsätzen stellte der Prozessbevollmächtigte für die Klägerin zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zu dessen Begründung trägt er für die Klägerin im Wesentlichen vor:

Im Rahmen der vom 5. bis zum erfolgten Verlegung der Steuerkanzlei des Prozessbevollmächtigten sei dort auch eine Erweiterung der EDV-Anlage vorgenommen worden. Im Zuge dieser Erweiterung sei es zu einem Programmabsturz der in der Kanzlei verwendeten Software „Microsoft Outlook” gekommen, wobei ein Teil des Kalendariums gelöscht worden sei. Dadurch sei eine Reihe von Terminen versäumt worden und in der Folge wohl auch die eingetragene Frist für die Revisionsbegründung verlorengegangen. Diesen technischen Mangel hätten weder der Prozessbevollmächtigte noch dessen Mitarbeiter zu vertreten. Im Übrigen habe die Klägerin schon im Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom auf den (BFH/NV 2004, 1257) hingewiesen. Dieser Hinweis mache deutlich, welche Gründe für die Revision vorlägen, und könne deshalb bereits als Revisionsbegründung betrachtet werden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, ihr wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) aufzuheben und den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom dergestalt abzuändern, dass die Fahrtenbuch-Eintragungen ihrer Arbeitnehmer im Wege der Schätzung der Besteuerung zugrunde gelegt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Das FA macht geltend, es gehöre zu den Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, in seiner Kanzlei eine zuverlässige Fristenkontrolle zu organisieren. Komme es zu computertechnischen Problemen bei der Terminüberwachung, so müsse der Prozessbevollmächtigte auf andere Weise für eine Einhaltung der Fristen Sorge tragen. Dergleichen habe die Klägerin indessen nicht dargelegt. Im Übrigen könne der Computerabsturz schon in zeitlicher Hinsicht für die Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen sein, weil die Revisionsbegründungsfrist frühestens am und damit mehr als zwei Wochen nach der Erweiterung der EDV-Anlage habe eingetragen werden können. Unter diesen Voraussetzungen sei eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren.

Die Klägerin entgegnet darauf, die Fristversäumnis erscheine entschuldbar. Tatsächlich sei die Aufrüstung der EDV-Anlage in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten erst am erfolgt. Zur Glaubhaftmachung überreicht sie die Kopie einer sog. „Übernahmebestätigung”, mit der der Prozessbevollmächtigte gegenüber seinem Lieferanten bescheinigt, einen „Fileserver” nebst Software und Zubehör sowie Installation am mangelfrei übernommen zu haben.

II. Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Sie war daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Die Klägerin hat die am abgelaufene Frist zur Begründung ihrer Revision (§ 116 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) versäumt. Sowohl die am eingereichte (unterschriebene) Revisionsbegründung als auch der am Vortag () per Telefax übermittelte inhaltsgleiche, jedoch nicht unterzeichnete Schriftsatz sind beim BFH verspätet eingegangen. Ob Letzterer den Anforderungen an einen prozessleitenden Schriftsatz genügt, kann deshalb offen bleiben.

2. Der Schriftsatz der Klägerin vom kommt für sich genommen schon deswegen nicht als Begründung der Revision in Betracht, weil er noch im Beschwerdeverfahren und damit zu einem Zeitpunkt eingereicht worden ist, an dem über die Zulassung der Revision noch nicht entschieden war. Entgegen der Auffassung der Klägerin erfüllt im Übrigen der bloße Hinweis auf eine (vorgebliche) Ähnlichkeit des Streitfalls mit dem Sachverhalt, der dem Beschluss in BFH/NV 2004, 1257 über die Aussetzung der Vollziehung in einem gänzlich anderen Verfahren zugrunde gelegen hat, nicht die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Angabe der Revisionsgründe einschließlich der Revisionsanträge i.S. des § 120 Abs. 3 FGO (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom VIII R 91/03, juris Nr. STRE200451086; vom VII R 49/03, BFH/NV 2004, 521; vom X R 71/01, BFH/NV 2002, 1320).

3. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist liegen nicht vor.

a) Es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der dafür maßgeblichen Antragsfrist gestellt hat. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO kann Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird. Das war der Zeitpunkt, an dem der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich die Klägerin zurechnen lassen muss (§ 56 Abs. 1, § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der ZivilprozessordnungZPO—), erkannt hatte, dass das Computerkalendarium und damit möglicherweise auch der eingetragene Termin für die Revisionsbegründung verlorengegangen war. Seither hatte der Prozessbevollmächtigte konkrete Veranlassung, der Sache nachzugehen und von sich aus zu prüfen, welche Rechtsmittel-(begründungs-)Fristen in seiner Kanzlei abzulaufen drohten oder während des Programmausfalls bereits abgelaufen waren. Das Hindernis für die Fristversäumnis war daher schon zu diesem Zeitpunkt weggefallen und nicht erst am , als der Prozessbevollmächtigte infolge der Mitteilung des BFH tatsächlich erkannte, dass er die seiner Mandantin gesetzte Revisionsbegründungsfrist versäumt hatte (vgl. im Einzelnen , BFH/NV 2004, 1108).

b) Dies kann jedoch dahinstehen, weil das Vorbringen der Klägerin auch im Übrigen nicht geeignet ist, ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen.

Es wäre Sache der Klägerin gewesen, die erforderlichen Tatsachen zur Begründung ihres Antrags im Wiedereinsetzungsverfahren hinreichend glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung gehört dazu eine substantiierte, vollständige und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom X R 11/04, BFH/NV 2005, 1115, und vom VI R 69/04, BFH/NV 2005, 2016). Ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag bedarf vor allem näherer Darlegungen zur Art des Defekts und zu seiner Behebung (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2004, 2525, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2005, 68). Daran fehlt es im Streitfall.

Dem Vortrag der Klägerin ist weder zu entnehmen, wann das Fristenkalendarium im Kanzleicomputer des Prozessbevollmächtigten gelöscht noch wann es wiederhergestellt worden ist. Nicht einmal die Ursächlichkeit des Programmabsturzes für die Fristversäumnis hat die Klägerin substantiiert behauptet, wenn sie lediglich ausführt, nach einer Reihe von Terminversäumnissen sei „in der Folge” „wohl” auch der eingetragene Termin für die hier streitige Revisionsbegründung verlorengegangen.

Einer Präzisierung hätte es insoweit schon deswegen bedurft, weil das FA in seiner Antragserwiderung zu Recht auf die bestehenden Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten im Sachvortrag der Klägerin hingewiesen hat. Zur Aufklärung war indessen die Vorlage einer Kopie der „Übernahmebestätigung” vom unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet. Denn aus der Bestätigung geht gerade hervor, dass die neue Software in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten am Tag der Zustellung der Revisionszulassung mangelfrei installiert worden war. Inwiefern Softwareprobleme für die Versäumnis der erst anschließend eingetragenen und erst einen Monat später abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist ursächlich geworden sein könnten, erschließt sich daraus nicht.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 787 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 16/2006 S. 1279
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 4
WAAAB-76998