BFH Beschluss v. - VIII B 174/03

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Gesetze: FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die sich mit der Vermietung von Grundstücken an private und gewerbliche Abnehmer befasst. Im Jahr 1989 veräußerte die Klägerin ein bebautes Grundstück in K, das sie 1980 erworben hatte. Sie veräußerte ferner in den Jahren 1988 bis 1992 mehrere Teilflächen eines Fabrikgrundstücks in B.

Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 1989 bis 1991 vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA— die Auffassung, die Klägerin sei hinsichtlich der Verkäufe bezüglich des Fabrikgrundstücks in B seit 1988 gewerblich tätig geworden. Das FA erließ aufgrund der Prüfungsfeststellungen u.a. einen Bescheid zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für 1989. Den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks in K erfasste es nicht.

Einspruch und Klage, mit denen sich die Klägerin gegen die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels wandte und die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids beantragte, blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte in der Begründung seines Urteils aus, das FA habe zu Unrecht nur die positiven Einkünfte aus dem Objekt in B als gewerbliche qualifiziert, nicht dagegen die negativen Einkünfte aus der Vermietung der übrigen Grundstücke der Klägerin in Höhe von ./. 207 083 DM. Gleichwohl sei eine Herabsetzung des Gewerbeertrags nicht möglich, weil es das FA zu Unrecht unterlassen habe, den Gewinn aus dem Verkauf des Objekts K, der nach den Ermittlungen des Außenprüfers 420 000 DM betrage, zu berücksichtigen. Das FG nahm insoweit auf die Angaben des Prüfers in der Außenprüfer-Handakte Bezug. Diese Akte lag dem FG nicht vor, als der Prozessbevollmächtigte am von seinem Recht auf Akteneinsicht Gebrauch machte. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das FA dem FG die Außenprüfer-Handakte erst kurz vor der mündlichen Verhandlung (am ) übergeben hat; aus den Gerichtsakten ist nicht ersichtlich, dass dies der Klägerin mitgeteilt wurde.

In der mündlichen Verhandlung vom wies das FG die Beteiligten darauf hin, dass eine Herabsetzung des im angefochtenen Bescheid festgestellten Gewerbesteuermessbetrags 1989 nicht in Betracht komme, weil das FA zu Unrecht davon abgesehen habe, in die gewerblichen Einkünfte der Klägerin den in 1989 erzielten Gewinn aus der Veräußerung des Objekts K in Höhe von 420 000 DM einzubeziehen.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin als Verfahrensfehler, dass das FG gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen habe. Es habe bei seiner Entscheidung den Inhalt der Handakte des Außenprüfers verwertet, ohne dies der Klägerin mitzuteilen und ohne den Inhalt dieser Akte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen. Ohne diesen Verfahrensfehler wäre die Entscheidung des FG möglicherweise anders ausgefallen. Denn der Veräußerungsgewinn für das Objekt in K sei vom Außenprüfer unzutreffend berechnet worden. Die Differenz zwischen Anschaffungskosten und Veräußerungserlös habe nicht 420 000 DM, sondern 270 716 DM betragen. Unter Berücksichtigung des Bauindexes für Wohngebäude zum wäre im Übrigen nur ein Veräußerungsgewinn für das Objekt K in Höhe von 132 400 DM anzusetzen. Wenn das FG der Klägerin Gelegenheit gegeben hätte, die Handakte einzusehen, hätte ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung Einwendungen gegen die Berechnung des Veräußerungsgewinns vorgetragen. Das FG hätte dann den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid zugunsten der Klägerin ändern müssen.

Das FA beantragt, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu verwerfen.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Der von der Klägerin schlüssig geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor und das Urteil des FG kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen (§ 115 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).

1. Die Klägerin hat den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs ausreichend bezeichnet i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Sie hat insbesondere dargelegt, dass ihr eine Rüge des Verfahrensfehlers in der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen sei, da der Vorsitzende den in der Urteilsbegründung verwerteten Teil der Handakte des Betriebsprüfers nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht habe. Sie hat ferner hinreichend dargelegt, was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung dieses Vorbringens möglicherweise eine andere Entscheidung in der Sache getroffen worden wäre.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 FGO) dadurch verletzt, dass es bei seiner Entscheidung den Inhalt der Außenprüfer- Handakte berücksichtigt hat, ohne diese Akte zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (, BFH/NV 1990, 296; vom IV R 129/90, BFHE 168, 11, BStBl II 1992, 841).

a) Nach § 78 FGO können die Beteiligten die dem Gericht vorgelegten Akten (vgl. § 71 Abs. 2 FGO) einsehen. Das Recht auf Akteneinsicht ist insofern Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) als es gewährleisten soll, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten Akten dokumentierten Tatsachen Stellung nehmen können, bevor das Gericht sie zur Grundlage seiner Entscheidung macht (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 78 Rz. 1). Über den Wortlaut des § 96 Abs. 2 FGO umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Recht zu den voraussichtlich entscheidungserheblichen Rechtsfragen Stellung zu nehmen (, BVerfGE 74, 220, 224, m.w.N.). Im Streitfall ist der Klägerin am Einsicht in die dem FG vorgelegten Steuerakten gewährt worden. Die Betriebsprüfer-Handakte lag dem FG zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Die Klägerin konnte deshalb bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Akteneinsicht den Inhalt dieser Akte nicht zur Kenntnis nehmen. Das FG hat die Klägerin über die nachträgliche Vorlage der Betriebsprüfer-Handakte nicht unterrichtet und ihr auch nicht Gelegenheit gegeben, diese Akte —spätestens in der mündlichen Verhandlung— einzusehen und sich zu ihrem Inhalt, insbesondere zu den Grundlagen der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung des Objekts K zu äußern.

b) Entgegen der Ansicht des FA hat die Klägerin ihr Rügerecht nicht verloren. Zwar kann dies bei verzichtbaren Mängeln —wie dem der Verletzung des Rechts auf Gehör— auch durch bloßes Unterlasen einer rechtzeitigen Rüge geschehen (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—). Dies kann jedoch nicht gelten, wenn sich der gerügte Verfahrensverstoß —wie im Streitfall— erst aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergibt und den Beteiligten daher eine rechtzeitige Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht möglich war (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I B 18/03, BFH/NV 2004, 207; vom IX B 149/00, BFH/NV 2001, 1037; vom IV B 98/01, BFH/NV 2003, 326). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil das FG die Prozessbeteiligten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass nach seiner Auffassung der im Streitjahr erzielte Gewinn aus der Veräußerung des Objekts K von 420 000 DM in den Gewerbeertrag einzubeziehen sei. Denn die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Grundlagen der Berechnung dieses Veräußerungsgewinns, die sich aus der Handakte des Prüfers ergaben, nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Zu der Berechnung des Veräußerungsgewinns konnte die Klägerin sich nicht äußern, da ihr der Inhalt der Handakte des Prüfers nicht bekannt war.

c) Die Entscheidung des FG kann auch auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen. Auf die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit des Mangels kann nicht deshalb verzichtet werden, weil es sich bei dem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs um einen absoluten Revisionsgrund handelt, bei dem die Kausalität des Mangels nach § 119 FGO unwiderleglich vermutet wird. Denn die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO greift nicht ein, wenn sich der Verfahrensverstoß nur auf einzelne Feststellungen des FG bezieht, auf die es für die Entscheidung (möglicherweise) nicht ankommt (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom VIII R 32/95, BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, m.w.N.). Im Streitfall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vermeidung des Verfahrensfehlers und damit eine ordnungsgemäße Prüfung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu einer anderen, für die Klägerin günstigeren Entscheidung geführt hätte. Bei der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit eines Verfahrensmangels ist die materiell-rechtliche Auffassung des FG zugrunde zu legen (, BFH/NV 1995, 861).

Nach Ansicht des FG hätte der Gewerbeertrag einerseits um negative Einkünfte aus gewerblicher Vermietung in Höhe von 207 083 DM vermindert, andererseits um den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks K erhöht werden müssen. An einer Änderung des Bescheides zum Nachteil der Klägerin sah sich das FG durch das Verböserungsverbot gehindert. Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich nicht, zu welchem Zeitpunkt nach Auffassung des FG der gewerbliche Grundstückshandel der Klägerin begonnen hat und ob das Grundstück K bereits im Zeitpunkt des Beginns des gewerblichen Grundstückshandels zum Umlaufvermögen gehörte oder ob es während der Zeit seiner Vermietung dem Anlagevermögen zuzurechnen war und erst im Zeitpunkt seiner Veräußerung zum Umlaufvermögen wurde (vgl. dazu , BFHE 133, 44, BStBl II 1981, 522, und vom IV R 2/92, BFHE 180, 121, BStBl II 1996, 369, unter I.4. der Gründe). Von der Klärung dieser Fragen hängt es jedoch ab, mit welchem Wert das im Streitjahr veräußerte Grundstück K in der Bilanz der Klägerin zu aktivieren war. Sollte der gewerbliche Grundstückshandel erst mit dem Erwerb des Fabrikgrundstücks B im Jahre 1988 begonnen haben, war das Grundstück K gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit seinem Teilwert in das Betriebsvermögen einzulegen. Hatte die Klägerin das Objekt K mit bedingter Veräußerungsabsicht erworben, war es als Umlaufvermögen mit seinen Anschaffungskosten (ohne Abzug von Absetzung für Abnutzung) zu erfassen.

Die erforderlichen Feststellungen zur Höhe des Veräußerungsgewinns wird das FG im zweiten Rechtszug treffen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG auch dem vom FA mit seiner Gegenrüge erhobenen Einwand nachgehen, die negativen Vermietungseinkünfte der Klägerin beruhten im Wesentlichen auf Schuldzinnen, die ganz oder teilweise als Dauerschuldzinnen zu beurteilen und dem Gewerbeertrag mit 50 v.H. hinzuzurechnen seien.

3. Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, kann der BFH durch Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 749 Nr. 4
KÖSDI 2006 S. 15157 Nr. 7
EAAAB-73906