BFH Urteil v. - I R 76/04 BStBl 2006 II S. 274

Leitsatz

Die Einführung des besonderen Kirchgelds für Kirchenmitglieder, die in glaubensverschiedener Ehe leben, zum nach dem Kirchensteuergesetz Nordrhein-Westfalen, den einschlägigen Kirchensteuerordnungen und dem Kirchensteuerbeschluss 2001 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1GG Art. 3 Abs. 1GG Art. 20 Abs. 3GG Art. 140WRV Art. 137 Abs. 3 und 6KiStG NW § 4 Abs. 1 Nr. 5

Instanzenzug: Ki (EFG 2004, 1547) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit des besonderen Kirchgelds.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 2001 Mitglied der evangelischen Kirche; ihr Ehemann gehörte keiner Kirche an. Die Eheleute leben im Güterstand der Gütertrennung. Sie wurden für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Das Familieneinkommen wurde allein von dem Ehemann erwirtschaftet, während die Klägerin selbst keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielte. Auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens der Eheleute von 80 879 DM und unter Berücksichtigung eines Freibetrags für ein Kind in Höhe von 9 936 DM wurde gegen die Klägerin evangelische Kirchensteuer in Form des besonderen Kirchgelds in Höhe von 180 DM festgesetzt. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1547 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass die Erhebung des besonderen Kirchgelds gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 des GrundgesetzesGG—), gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Bescheid über evangelische Kirchensteuer 2001 vom aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (der Evangelische Stadtkirchenverband —Beklagter—) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der angefochtene Kirchensteuerbescheid ist rechtmäßig. Insbesondere verstoßen die Regelungen über das besondere Kirchgeld nicht gegen Verfassungsrecht.

1. a) Gemäß § 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom —KiStG NW— (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen —GVBl NW— 1975, 438), zuletzt geändert durch Gesetz vom (GVBl NW 2001, 103), erheben die Katholische Kirche und die Evangelische Kirche im Land Nordrhein-Westfalen Kirchensteuern auf Grund eigener Steuerordnungen. Kirchensteuerpflichtig sind nach § 3 Abs. 1 KiStG NW alle Angehörigen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i.S. der §§ 8 und 9 der Abgabenordnung (AO 1977) im Land Nordrhein-Westfalen haben. Von Kirchensteuerpflichtigen, deren Ehegatte nicht kirchensteuerpflichtig ist, können Kirchensteuern gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 KiStG NW als besonderes Kirchgeld erhoben werden; diese Regelung ist durch das genannte Änderungsgesetz vom geschaffen worden. Gemäß § 16 Abs. 1 KiStG NW bedürfen Kirchensteuerordnungen und -beschlüsse der staatlichen Anerkennung.

b) Auf der Grundlage von § 1 KiStG NW haben die evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen (Rheinland/Westfalen/Lippische Landeskirche) eine Kirchensteuerordnung (KiStO NW) erlassen, die zum in Kraft getreten ist. Auch diese bestimmt, dass die Kirchensteuer bei kirchensteuerpflichtigen Gemeindegliedern, deren Ehegatte nicht kirchensteuerpflichtig ist, als besonderes Kirchgeld erhoben werden kann (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 KiStO NW). Bemessungsgrundlage ist das zu versteuernde Einkommen der Ehegatten, das sich bei entsprechender Anwendung des § 51a Abs. 2 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergibt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 KiStO NW). Das besondere Kirchgeld wird nach Maßgabe einer besonders festzulegenden Steuertabelle erhoben (§ 11 Abs. 2 Satz 1 KiStO NW). Staffelung und Bemessungsgrundlage werden durch einen Kirchensteuerbeschluss festgelegt (§ 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 KiStO NW).

c) Der für das Streitjahr 2001 maßgebliche Kirchensteuerbeschluss vom ist am staatlich genehmigt und am im Kirchlichen Amtsblatt veröffentlicht worden (vgl. auch BStBl I 2001, 625). Ausgehend von einer in 13 Stufen gestaffelten Bemessungsgrundlage legt dieser Beschluss mit Wirkung zum ein sich progressiv erhöhendes Kirchgeld von 180 DM bis höchstens 7 200 DM fest. Bei Einkommen unter 60 000 DM fällt kein besonderes Kirchgeld an, bei Einkommen zwischen 60 000 DM und 74 999 DM ein Kirchgeld in Höhe von 180 DM. Der Höchstsatz gilt für Einkommen von 600 000 DM und mehr. Maßgeblich ist das zu versteuernde Einkommen der Ehegatten gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 KiStO NW. Aufgrund dieser Anknüpfung wird das besondere Kirchgeld nur dann erhoben, wenn die Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden (§§ 26, 26b EStG, vgl. auch Finanzministerium —FinMin— NRW vom , Steuer-Eildienst —StEd— 2001, 573).

d) Ausgehend von diesen Bestimmungen hat der Beklagte gegen die Klägerin bei einer Bemessungsgrundlage von 70 943 DM zutreffend ein besonderes Kirchgeld in Höhe von 180 DM festgesetzt.

2. Die Einführung des besonderen Kirchgelds zum verletzt nicht das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.

a) Die Religionsgemeinschaften üben, soweit sie von dem ihnen nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) verliehenen Besteuerungsrecht Gebrauch machen, hoheitliche Befugnisse aus. Dabei sind sie an die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, mit der Folge, dass die Kirchensteuern in Bezug auf Rechtsetzung und Vollzug rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen müssen (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2002, 1129, 1131 f.; v. Campenhausen in v. Mangoldt/Klein/ Starck, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., Art. 137 WRV Rdnr. 271; Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 249 ff., m.w.N.). Dementsprechend unterliegen die von den zuständigen kirchlichen Stellen erlassenen Kirchensteuerordnungen, Kirchengesetze und Kirchensteuerbeschlüsse, die jeweils den normativen Rahmen der Kirchensteuergesetze der Länder ausfüllen, (u.a.) auch dem Rückwirkungsverbot.

In Zweifelsfällen haben die staatlichen Gerichte, wenn sie von Kirchenmitgliedern angerufen werden, zu prüfen, ob die kirchlichen Steuernormen rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht werden (BVerfG-Beschluss in HFR 2002, 1129, 1131, m.w.N.). Die Gerichte ihrerseits müssen bei dieser Prüfung das —ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete— kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV berücksichtigen. Sie sind gehalten, das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen kirchlicher Selbstbestimmung einerseits und den Anforderungen der rechtsstaatlichen Ordnung andererseits zu einem tragfähigen Ausgleich zu bringen (BVerfG-Beschluss in HFR 2002, 1129, 1131, m.w.N.; vgl. hierzu auch Hesse in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland —HdbStKirchR—, 2. Aufl., Bd. I, S. 522 ff.; P. Kirchhof, ebenda, S. 676 f.; Hammer, a.a.O., S. 250; Waldhoff, Steuer und Wirtschaft 2005, 37, 42).

b) Nach der vom BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze entwickelten Systematik verstößt eine steuerbegründende oder steuererhöhende Norm in der Regel gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wenn und soweit sie für einen Veranlagungszeitraum gelten soll, der im Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossen war („echte” Rückwirkung, „Rückbewirkung von Rechtsfolgen”). Dagegen sieht es das BVerfG im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG grundsätzlich als unbedenklich an, wenn der Gesetzgeber während eines Veranlagungszeitraums eine solche Norm in Kraft setzt und zugleich bestimmt, dass sie von Beginn dieses Veranlagungszeitraums an gelten soll („unechte” Rückwirkung, „tatbestandliche Rückanknüpfung”). In diesem Fall darf die steuerbegründende oder -erhöhende Norm regelmäßig auch diejenigen Sachverhalte erfassen, die auf einer vor ihrem In-Kraft-Treten getätigten Disposition des Bürgers beruhen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; vom 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, 40). Wegen weiterer Einzelheiten zu dieser Rechtsprechung wird auf die Beschlüsse des (BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257, 261 ff.) und vom IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 289 ff.) sowie auf das (BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398, 401 ff.) Bezug genommen.

c) Gemessen an diesen Grundsätzen entfaltet der Kirchensteuerbeschluss für das Steuerjahr 2001 eine im Regelfall zulässige „unechte” Rückwirkung („tatbestandliche Rückanknüpfung”).

Obgleich der Beschluss bereits im Jahr 2000 von den zuständigen kirchlichen Gremien gefasst wurde, hat er die Qualität eines für den staatlichen Bereich wirksamen Rechtssatzes erst durch die staatsaufsichtliche Anerkennung (§ 16 Abs. 1 KiStG NW) und die anschließende Bekanntmachung im kirchlichen Amtsblatt bzw. im Bundessteuerblatt im Oktober 2001 erlangt (vgl. auch v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., S. 265; Marré in Listl/Pirson, HdbStKirchR, Bd. I, S. 1115 f.). Da nach den hier maßgeblichen Bestimmungen die Kirchensteuer ungeachtet der Form, in der sie erhoben wird, eine Jahressteuer ist, die mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG, § 38 AO 1977 i.V.m. § 8 Abs. 3 KiStG NW, § 1 der Verordnung zur Durchführung des KiStG NW vom , GVBl NW 1963, 52), wirkt der Beschluss somit (lediglich) auf einen noch nicht abgeschlossenen Veranlagungszeitraum zurück.

d) Allerdings hat der IX. Senat des BFH, ausgehend von der neueren Rechtsprechung des BVerfG zum Dispositionsschutz im Bereich steuerlicher Lenkungsnormen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 80; in BVerfGE 105, 17, 40) und unter Berücksichtigung der im Schrifttum geäußerten Kritik an der bisherigen Rechtsprechung, entschieden, dass der vom BVerfG bislang nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährte verstärkte Schutz von Dispositionen auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken sei. Auch bei einer tatbestandlichen Rückanknüpfung müsse —so der IX. Senat— in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestehende (günstige) Rechtslage schützenswert sei und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigten, dieses Vertrauen überwögen. Das gelte für den rückwirkenden Wegfall einer Steuervergünstigung in gleicher Weise wie für die rückwirkende Belastung mit einem neu begründeten Steueranspruch und ebenso für die Aufhebung von steuerlichen „Freiräumen” (BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 292, m.w.N.; a.A. wohl der VIII. Senat des BFH in BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398, 403; offen gelassen: , BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351). Der IX. Senat hat in dem bei ihm geführten Verfahren das BVerfG angerufen.

e) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Auch dann, wenn man der Entscheidung des Streitfalls die Maßstäbe der neuen Rechtsprechung des IX. Senats zugrunde legt, verstößt die Einführung des besonderen Kirchgelds zum nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG.

Das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, tritt regelmäßig dort zurück, wo sich ausnahmsweise kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte. Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht mit dem Fortbestand der geltenden Rechtslage rechnen durften. Dasselbe gilt, wenn durch die Rückwirkung ein nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (vgl. , BVerfGE 88, 384, 404; vom 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 87).

Im Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob im Sinne dieser Rechtsprechung überhaupt eine Vertrauensgrundlage bestand. Da die zuständigen kirchlichen Gremien den hier maßgeblichen Kirchensteuerbeschluss bereits im Jahr 2000 gefasst haben und über die Einführung des besonderen Kirchgelds insbesondere auch in der Tagespresse berichtet worden ist, durften die hiervon betroffenen Kirchensteuerpflichtigen nicht darauf vertrauen, dass sie auch im Streitjahr keine Kirchensteuer würden zahlen müssen.

Des Weiteren fällt die tatsächliche Belastung des einzelnen Kirchenmitglieds mit dem besonderen Kirchgeld eher gering aus. Sie beträgt für 2001 in der niedrigsten Stufe (der auch die Klägerin zuzuordnen ist) 180 DM; das entspricht zwischen 0,24 und 0,3 v.H. des gemeinsam zu versteuernden Einkommens (im Fall der Klägerin etwas über 0,25 v.H.). Auf der höchsten Stufe liegt die prozentuale Belastung bei maximal 1,2 v.H. Diese Belastung wird durch die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG im Ergebnis noch einmal gemindert.

Zudem fehlt es an der erforderlichen Vertrauensbetätigung. Der erkennende Senat geht mit dem FG davon aus, dass das Fortbestehen der Kirchenzugehörigkeit bzw. der nicht erfolgte Kirchenaustritt keine schutzwürdige wirtschaftliche Disposition im Sinne eines dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriffs darstellt.

Schließlich wäre den Interessen der evangelischen Kirche an einer Änderung der bislang geltenden Rechtslage Vorrang vor dem Vertrauen der betroffenen Kirchenmitglieder in den Fortbestand der bis 2001 geltenden Kirchensteuerfreiheit einzuräumen. Mit den Regelungen über das besondere Kirchgeld sollte den nordrhein-westfälischen Kirchen die —in den meisten übrigen Bundesländern bereits bestehende— Möglichkeit eröffnet werden, Kirchenangehörige, die in glaubensverschiedener Ehe leben und deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach Einschätzung der Kirchen bislang überhaupt nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden konnte, in einem angemessenen Umfang zur Tragung kirchlicher Lasten heranzuziehen (vgl. Landtag NRW Drucks 13/439, S. 16 und 18; ebenso FinMin NRW in StEd 2001, 573; s. hierzu auch v. Campenhausen, a.a.O., S. 264 f.). Gleichzeitig sollte die Besserstellung glaubensverschiedener Ehen gegenüber konfessionsgleichen oder konfessionsverschiedenen Ehen —wenigstens teilweise— ausgeglichen werden (Landtag NRW Drucks 13/439, S. 18). In Anbetracht der geringen Höhe des besonderen Kirchgelds treten die Belange der betroffenen Kirchenmitglieder hinter diesen Erwägungen zurück.

3. Auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) wird im Streitfall nicht verletzt.

a) Die Klägerin beruft sich auf das (BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 196). Diesem Urteil zufolge ist es mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn im Falle einer glaubensverschiedenen Ehe die Kirchensteuer des kirchenangehörigen Ehegatten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wird. Die Kirchensteuer dürfe —so die Begründung des BVerfG— nur an Merkmale anknüpfen, die in der Person des kirchenangehörigen Ehegatten gegeben sind (BVerfG-Urteil in BVerfGE 19, 268, 274, BStBl I 1966, 196).

b) Diese Entscheidung steht den Regelungen über das besondere Kirchgeld nicht entgegen.

aa) Die Ausführungen des BVerfG beziehen sich auf Kirchensteuern, die als Zuschlagsteuer zur Einkommensteuer erhoben werden (Kircheneinkommensteuer). Das besondere Kirchgeld ist jedoch keine solche Annexsteuer, sondern eine eigenständige Steuer, die auf einem kircheneigenen Steuertarif beruht (vgl. hierzu: Marré in Listl/Pirson, HdbStKirchR, Bd. I, S. 1135; v. Campenhausen in v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 137 WRV Rdnr. 281; Hammer, a.a.O., S. 327 ff. und 473 ff., m.w.N.).

Die Schaffung solcher Steuern ist grundsätzlich zulässig; denn es ist den Religionsgemeinschaften im Rahmen ihres Besteuerungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV) nicht verwehrt, für die Erhebung der Kirchensteuer neben dem Einkommen andere, nach eigenen Kriterien gestaltete Besteuerungsmaßstäbe heranzuziehen. Der ihnen dabei eröffnete Gestaltungsspielraum ist grundsätzlich weit (vgl. BVerfG-Beschlüsse in HFR 2002, 1129; vom 2 BvL 7, 8/84, BVerfGE 73, 388, 399; ebenso: , BFHE 183, 107, BStBl II 1997, 545). Die hierzu erforderliche landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage enthält § 4 Abs. 1 Nr. 5 KiStG NW (vgl. insoweit auch BVerfG-Beschluss in BVerfGE 73, 388, 401; , BFH/NV 2002, 674).

Der für die Bemessung des besonderen Kirchgelds herangezogene Besteuerungsmaßstab geht seinerseits wiederum auf die genannte Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1965 zurück. Das BVerfG hat in diesem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es unbillig erscheinen könne, wenn Kirchenangehörige, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch eine Eheschließung im Hinblick auf das Einkommen des —konfessionslosen— Ehegatten erhöht habe, mangels eigenen Einkommens im Sinne des Einkommensteuergesetzes kirchensteuerfrei blieben. Die Kirchensteuer könne sich, um dies zu vermeiden, der Höhe nach an dem tatsächlichen Lebenszuschnitt des kirchensteuerpflichtigen Ehegatten orientieren. Ein im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG unbedenkliches Besteuerungsmerkmal sei insoweit der „Lebensführungsaufwand” des kirchenangehörigen Ehegatten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 19, 268, 282, BStBl I 1966, 196; ebenso: VII C 48.73, BVerwGE 52, 104; BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 674, m.w.N.).

bb) Angesichts der Schwierigkeiten, den tatsächlichen „Lebensführungsaufwand” des kirchenangehörigen Ehegatten zu ermitteln, ist es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Sinne einer Typisierung verfassungsrechtlich zulässig, die diesem Begriff zugrunde liegende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit am Einkommen beider Ehegatten zu messen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 73, 388, 398 ff.; BVerwG-Urteile in BVerwGE 52, 104, 109; vom 8 C 10/87, Neue Juristische Wochenschrift 1989, 1747, 1748; , BFHE 177, 303, BStBl II 1995, 547, 548; vom II R 170/81, BFHE 140, 338, BStBl II 1984, 332; BFH-Beschlüsse vom I B 23/96, BFH/NV 1997, 299; in BFH/NV 2002, 674, jeweils m.w.N.; vgl. ferner: v. Campenhausen in v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 137 WRV Rdnr. 287; Marré in Listl/Pirson, HdbStKirchR, Bd. I, S. 1124 f.; Hammer in Seer/Kämper, Bochumer Kirchensteuertag, S. 121 f.; ders., a.a.O., S. 329 f.). Dass auf diese Weise, wie die Klägerin mit der Revision vorträgt, mittelbar auch das Einkommen des konfessionslosen Ehegatten in die Kirchenbesteuerung mit einbezogen wird, ist der Anknüpfung an den Lebensführungsaufwand als eigenständigem Besteuerungsmaßstab immanent. Gerechtfertigt ist dies nicht zuletzt dadurch, dass der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Ehegatten auf einen angemessenen Teil des gemeinsamen Einkommens gemäß § 1360a des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB— (sog. Taschengeldanspruch) den Gesetzesmaterialien zufolge ausdrücklich auch der Deckung von kirchlichen Mitgliedsbeiträgen dienen soll (vgl. Schriftlicher Bericht zu BTDrucks 2/3409, S. 37). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Entscheidungen, insbesondere auf das Urteil des BVerwG in BVerwGE 52, 104 (108 ff.), Bezug genommen.

cc) Bei der gesetzlichen Ausgestaltung eines am Lebensführungsaufwand des Kirchensteuerpflichtigen ausgerichteten besonderen Kirchgelds muss berücksichtigt werden, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten bei geringerem Einkommen beider Ehegatten stark eingeschränkt ist, dass ein Teil des gemeinsamen Einkommens nicht zur Erhöhung dieses Lebensführungsaufwandes führt und dass von einer gewissen Einkommenshöhe an der Lebensführungsaufwand nicht mehr steigt (so zuletzt BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 674, 675, m.w.N.). Eine ausdrückliche Bezeichnung des Lebensführungsaufwands als Bemessungsgrundlage ist hingegen nicht erforderlich. Es muss auch nicht danach differenziert werden, ob die Ehegatten in einer Zugewinngemeinschaft leben oder Gütertrennung vereinbart haben; denn der Güterstand ist für die Bestimmung des Lebensführungsaufwands als steuerliche Bemessungsgrundlage ohne Bedeutung. Lediglich die Wahl der getrennten Veranlagung schließt die Bestimmung des Lebensführungsaufwands nach dem gemeinsamen Einkommen der Ehegatten aus. Eine, wie die Klägerin es nennt, „freie Wahl der Veranlagungsform” in der Weise, dass die Ehegatten einkommensteuerrechtlich zusammenveranlagt werden, kirchensteuerrechtlich jedoch wie getrennt Veranlagte zu behandeln sind, ist einfachgesetzlich nicht vorgesehen und verfassungsrechtlich nicht geboten (, BVerfGE 20, 40, 45).

c) Den genannten Vorgaben entspricht der für den Streitfall maßgebliche Kirchensteuerbeschluss mit der in 13 Stufen gestaffelten Bemessungsgrundlage und dem sich progressiv erhöhenden Kirchgeld von 180 DM bis höchstens 7 200 DM (s.o. unter II.1.c). Dass nicht das gesamte Einkommen beider Ehegatten der Sicherstellung des Lebensführungsaufwandes dient, wird in der Weise berücksichtigt, dass das besondere Kirchgeld erheblich niedriger ist, als es eine Kirchensteuer vom (anteiligen) Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten nach dem sog. Halbteilungsgrundsatz wäre (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss in BFHE 140, 338, BStBl II 1984, 332).

d) Unerheblich ist demgegenüber sowohl der Einwand der Klägerin, Eheleute könnten über die Verwendung des gemeinsamen Einkommens individuelle Vereinbarungen treffen, die eine Begleichung des besonderen Kirchgelds aus dem Einkommen des konfessionslosen Ehegatten ausschlössen, als auch das Vorbringen, sie und ihr Ehemann hätten eine solche Vereinbarung getroffen. Denn bei der Erfassung des Lebensführungsaufwands des kirchenangehörigen Ehegatten in Form des gemeinsamen Einkommens handelt es sich um eine Typisierung, die die Umstände des konkreten Einzelfalls im Wesentlichen außer Betracht lässt. Individuelle Besonderheiten werden lediglich im Rahmen des § 51a Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG (i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 2 KiStO NW) erfasst und im Übrigen durch den gegenüber der regulären Kirchensteuer deutlich reduzierten Steuersatz pauschal berücksichtigt (vgl. BVerwG-Urteil in BVerwGE 52, 104, 117). Das gilt auch für die von der Klägerin vorgetragenen, wenn auch nicht weiter konkretisierten, Sonderlasten.

4. Die Regelungen über das besondere Kirchgeld verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sind insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig.

a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass Steuerpflichtige durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen (, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; vom 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 268 ff., BStBl II 1991, 654, 664 ff.).

Das ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der Fall, wenn sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig auswirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (BVerfG-Urteile in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56, 62; in BVerfGE 84, 239, 268, BStBl II 1991, 654, 666). In seinem Urteil zur Zinsbesteuerung hat das BVerfG diese Voraussetzung für den Fall bejaht, dass „jedenfalls die Hälfte” der betroffenen steuerbaren Erträge nicht erfasst werde (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, 268, BStBl II 1991, 654, 667). In seinem Urteil zu privaten Spekulationsgeschäften stellt das BVerfG auf „wesentliche” Erhebungsdefizite bzw. auf „gravierende” Erhebungsmängel ab (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56, 64 f.).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Zwar trifft es zu, dass das besondere Kirchgeld nicht von allen Kirchensteuerpflichtigen, die in glaubensverschiedener Ehe leben und unter die genannten Bestimmungen fallen, erhoben wird. Denn die Pflicht zur Zahlung des besonderen Kirchgelds begründet keinen eigenen Veranlagungstatbestand. Eine Festsetzung erfolgt nur, wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer bereits aus anderen Gründen durchzuführen ist (vgl. auch FinMin NRW in StEd 2001, 573). Sie unterbleibt damit insbesondere in den Fällen, in denen die Einkommensteuer durch den Lohnsteuerabzug beim alleinverdienenden, konfessionslosen Ehegatten als abgegolten gilt (§ 46 Abs. 4 EStG).

Jedoch ist bereits nicht ersichtlich, dass damit der kirchliche Besteuerungsanspruch im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG „weitgehend” nicht durchgesetzt würde. Vor allem aber muss berücksichtigt werden, dass das besondere Kirchgeld seinerseits dazu dient, bestehende Lücken im System der Kirchensteuer zu schließen und auf diese Weise für mehr Finanzierungsgerechtigkeit zu sorgen. Wenn die Erhebung des besonderen Kirchgelds aus Gründen der Verwaltungsökonomie an das bestehende Verfahren zur Einkommensteuer angelehnt wird, ist ein dadurch gleichwohl verbleibendes Defizit —jedenfalls in dem hier erkennbaren Umfang— in Anbetracht dieser Zielsetzung und unter Berücksichtigung des in diesem Bereich grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums der Religionsgemeinschaften (s.o. unter II.3.b aa) unbedenklich.

5. Eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG liegt schließlich ebenfalls nicht vor. Die Glaubensfreiheit schützt den Kirchenangehörigen nicht vor der Erhebung von Kirchensteuern und ähnlichen Abgaben (, HFR 1984, 73; BFH-Urteil in BFHE 183, 107, BStBl II 1997, 545).

Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 274
BB 2006 S. 90 Nr. 2
BFH/NV 2006 S. 451 Nr. 2
BStBl II 2006 S. 274 Nr. 6
DB 2006 S. 486 Nr. 9
DStRE 2006 S. 528 Nr. 9
DStZ 2006 S. 58 Nr. 3
EStB 2006 S. 53 Nr. 2
FR 2006 S. 390 Nr. 8
HFR 2006 S. 284 Nr. 3
KÖSDI 2006 S. 14922 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2006 S. 13
StB 2006 S. 44 Nr. 2
StBW 2006 S. 8 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2006 S. 112
MAAAB-73523