Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital durch Gebühren für die Beurkundung einer Kapitalerhöhung, einer Änderung der Firma und einer Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft durch staatliche Notariate
Leitsatz
[1] 1 Die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines unter die Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital fallenden Rechtsgeschäfts sind angesichts der Zwecke der Richtlinie, vor allem der Aufhebung der indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer, in einem Rechtssystem, in dem der Notar Beamter ist und ein Teil dieser Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufließt, als Steuer im Sinne der Richtlinie anzusehen.
2 Die Gebühren für die notarielle Beurkundung der Erhöhung des Kapitals sowie der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft sind nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 grundsätzlich verboten, wenn sie eine Steuer im Sinne dieser Richtlinie darstellen, da eine notarielle Beurkundung für die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft zwingend vorgeschrieben ist, sie eine wesentliche Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft und eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit darstellt und die Gebühren für die notarielle Beurkundung der Änderung der Firma oder der Verlegung des Sitzes der Kapitalgesellschaft auf der Grundlage des Kapitals der Gesellschaft berechnet werden.
3 Eine Abgabe für die notarielle Beurkundung der Erhöhung des Kapitals sowie der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft, die ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital steigt, stellt keine Abgabe mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 dar.
4 Artikel 10 der Richtlinie 69/335 begründet Rechte, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Das Verbot dieser Bestimmung ist nämlich hinreichend genau und unbedingt abgefasst, um von den einzelnen vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstossenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend gemacht werden zu können.
Gesetze: Richtlinie 69/335 Art. 10 Buchst. c; Richtlinie 69/335 Art. 12 Abs. 1 Buchst. e
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Urteil vom 21. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 3 sowie der Artikel 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom (ABl. L 156, S. 23; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Modelo SGPS SA (im folgenden: Klägerin) und dem Director-Geral dos Registos e Notariado über die Zahlung der Notargebühren für die öffentliche Beurkundung der Erhöhung des Kapitals sowie der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes der Klägerin.
Das Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie will, wie aus ihren Begründungserwägungen hervorgeht, den freien Kapitalverkehr fördern, der als wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt angesehen wird. Die Verfolgung dieses Zieles setzt hinsichtlich der Steuern auf die Ansammlung von Kapital voraus, daß die in den Mitgliedstaaten bisher geltenden indirekten Steuern aufgehoben und durch eine innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal und in allen Mitgliedstaaten in gleicher Höhe erhobene Steuer ersetzt werden (Urteil vom in der Rechtssache C-188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I-6783, Randnr. 13).
4 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:
"Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:
a) die Gründung einer Kapitalgesellschaft;
b)...
c) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;
..."
5 Nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie gelten als Gründung im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a nicht Änderungen gleich welcher Art des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung einer Kapitalgesellschaft.
6 Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie führt die verschiedenen Vorgänge auf, die die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen der Gesellschaftsteuer unterwerfen können.
7 Die Richtlinie sieht nach ihrer letzten Begründungserwägung auch die Aufhebung anderer indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer vor. Diese Steuern, deren Erhebung untersagt ist, sind namentlich in Artikel 10 der Richtlinie aufgeführt, der lautet:
"Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:
a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;
b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;
c) die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann."
8 Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie stellt eine abschließende Liste der anderen Steuern und Abgaben als der Gesellschaftsteuer auf, die abweichend von Artikel 10 von Kapitalgesellschaften im Zusammenhang mit den in Artikel 10 genannten Vorgängen erhoben werden können (vgl. Urteil vom in der Rechtssache 36/86, Dansk Sparinvest, Slg. 1988, 409, Randnr. 9). Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie nennt "Abgaben mit Gebührencharakter".
Das nationale Recht
9 Nach der portugiesischen Notarordnung, die durch Decreto-Lei (gesetzesvertretende Verordnung) Nr. 47619 vom angenommen worden ist, müssen bestimmte Rechtsgeschäfte öffentlich beurkundet, d. h. in einer notariellen Urkunde festgestellt werden. Dazu gehören "die Gründung, Änderung, Auflösung und Liquidation einer Handelsgesellschaft... sowie die Änderungen des Gesellschaftsvertrags" (Artikel 89 Buchstabe e der Notarordnung).
10 Die Höhe der Gebühren für die notarielle Beurkundung wird durch die Notargebührenordnung (im folgenden: Gebührenordnung) in der Fassung des Anhangs des Decreto-Lei Nr. 397/83 vom festgesetzt.
11 Nach Artikel 1 Absatz 1 der Gebührenordnung entspricht der Wert der notariellen Urkunde grundsätzlich dem Wert ihres Gegenstands. Artikel 1 Absatz 2 der Gebührenordnung bestimmt dazu im einzelnen: Dieser Wert entspricht für die Gründung einer Gesellschaft, die Änderung des Gesellschaftsvertrags oder die Auflösung der Gesellschaft der Höhe des Kapitals (Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe e), für die Erhöhung des Kapitals mit oder ohne Änderung des Gesellschaftsvertrags dem Betrag der Erhöhung (Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe f) und für die Erhöhung des Kapitals, die mit einer teilweisen Änderung anderer als der von der Erhöhung unmittelbar betroffenen Klauseln verbunden ist, dem Betrag der Erhöhung oder dem der Änderung, je nachdem, welcher Betrag höhere Gebühren mit sich bringt (Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe g).
12 Ist der Wert des Gegenstands der öffentlichen Urkunde bestimmt, erhöht sich gemäß Artikel 5 der Gebührenordnung die in Artikel 4 der Kostenordnung vorgesehene feste Gebühr um eine veränderliche Gebühr, die auf der Grundlage des Gesamtwerts des Rechtsgeschäfts berechnet wird und für je 1 000 PTE 10 PTE bei einem Wert bis 200 000 PTE, 5 PTE bei einem Wert von 200 000 bis 1 000 000 PTE, 4 PTE bei einem Wert von 1 000 000 bis 10 000 000 PTE und 3 PTE bei einem Wert über 10 000 000 PTE beträgt.
13 Gemäß Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe c der Gebührenordnung ermässigen sich die in Artikel 5 für die Beurkundung der teilweisen Änderung des Gesellschaftsvertrags oder der Fortführung der Gesellschaft vorgesehenen Gebühren um die Hälfte.
Das Ausgangsverfahren
14 Die Klägerin beschloß, ihr Kapital von 7 240 000 000 PTE auf 14 000 000 000 PTE zu erhöhen, ihre Firma zu ändern und ihren Sitz zu verlegen. Sie ließ dies am von der 6. Notarkanzlei Porto beurkunden. Dafür wurden ihr Gebühren in Höhe von 21 006 000 PTE in Rechnung gestellt.
15 Die Klägerin erhob gegen die Gebührenerhebung Klage vor dem Tribunal Tributário de Primeira Instância Porto, das die Klage abwies. Dagegen legte sie Rechtsmittel beim Supremo Tribunal Administrativo ein und machte geltend, die angefochtenen Gebühren stellten in Wirklichkeit eine Steuer dar, für deren Festsetzung nicht die Regierung, sondern das Parlament zuständig sei; der geforderte Betrag sei im Verhältnis zu der erbrachten Dienstleistung unverhältnismässig und die Gebührenerhebung mit der Richtlinie unvereinbar.
16 Das Supremo Tribunal Administrativo hat Zweifel an der Vereinbarkeit der Gebührenordnung mit der Richtlinie. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann sich ein einzelner im Verhältnis zum Staat auf Artikel 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates berufen, auch wenn dieser die Richtlinie noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt hat?
2. Werden die Vorgänge, auf die sich Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 69/335 bezieht, vom Verbot des Artikels 10 dieser Richtlinie derart erfasst, daß danach nicht nur die Erhebung von Abgaben auf Kapitalzuführungen, sondern auch die Erhebung sonstiger Steuern gleich welcher Art verboten ist?
3. Verbieten die Artikel 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 es, daß die einem Notar für die (gesetzlich vorgeschriebene) öffentliche Beurkundung von Beschlüssen über Erhöhungen des Kapitals oder Satzungsänderungen zustehenden Gebühren vom Betrag der Erhöhung des Kapitals bzw. der Höhe des Kapitals und nicht von den Kosten der erbrachten Dienstleistung abhängen?
4. Wenn ja, ist es nach den Artikeln 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 zulässig, wenn der Betrag dieser Gebühren die tatsächlichen Kosten der konkret erbrachten Dienstleistung offenkundig und in unverhältnismässiger Weise übersteigt?
Zu den Vorlagefragen
17 Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht zunächst wissen, ob die Notargebühren als Steuer im Sinne der Richtlinie angesehen werden können. Ist dies der Fall, möchte das vorlegende Gericht ausserdem wissen, ob die Notargebühren unter das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie fallen oder ob es sich um Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie handelt. Schließlich fragt das vorlegende Gericht, ob Artikel 10 der Richtlinie Rechte begründet, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Zur Qualifizierung als Steuer im Sinne der Richtlinie
18 Aus einer Antwort der portugiesischen Regierung auf die Fragen des Gerichtshofes ergibt sich, daß die Notare in Portugal einerseits Beamte mit denselben Rechten und Pflichten wie die anderen Beamten sind, und daß ihre Bezuege sich andererseits aus einem festen Betrag, der nach denselben Kriterien wie bei allen Beamten festgesetzt wird, und einem veränderlichen Teil, der einen Anteil an den erhobenen Gebühren darstellt, zusammensetzt.
19 Die Notare stellen die erhobenen Gebühren monatlich zusammen. Von dem Gesamtbetrag wird der nach einem bestimmten Prozentsatz errechnete Anteil des Notars und seiner Bevollmächtigten abgezogen. Der Rest wird an die Cofre dos Conservadores, Notários e Funcionários de Justiça (Konservatoren-, Notar- und Justizbeamtenkasse, im folgenden: Kasse) entrichtet.
20 Nach den Ausführungen der portugiesischen Regierung übernimmt die Kasse die Zahlung des festen Teils der Bezuege der Notare und anderen Beamten, die Kosten für die Notarausbildung, die Kosten für den Erwerb der Geschäftsräume und die Einrichtung der Notariate sowie mit Genehmigung des Ministeriums der Justiz andere Kosten auf dem Gebiet der Rechtspflege.
21 Ein Teil der im Ausgangsverfahren streitigen Gebühren, die aufgrund einer staatlichen Rechtsvorschrift geschuldet werden, wird also von einer Privatperson an den Staat zur Finanzierung staatlicher Aufgaben entrichtet.
22 Angesichts der Zwecke der Richtlinie, vor allem dem der Aufhebung der indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer, sind Notargebühren, die von Staatsbeamten für Vorgänge erhoben werden, die unter die Richtlinie fallen, und von denen ein Teil dem Staat zufließt, damit er damit öffentliche Kosten bestreiten kann, als Steuer im Sinne der Richtlinie anzusehen.
23 Die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines unter die Richtlinie fallenden Rechtsgeschäfts sind daher in einem Rechtssystem, in dem der Notar Beamter ist und ein Teil dieser Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufließt, als Steuer im Sinne der Richtlinie anzusehen.
Zum Verbot des Artikels 10 der Richtlinie
24 Nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie sind abgesehen von der Gesellschaftsteuer Steuern auf die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Förmlichkeit untersagt, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann. Dieses Verbot ist dadurch gerechtfertigt, daß die betreffenden Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden, so daß die Beibehaltung auch dieser Abgaben die Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde (Urteil vom in der Rechtssache C-2/94, Denkavit International u. a., Slg. 1996, I-2827, Randnr. 23).
25 Dieses Verbot betrifft nicht nur die Abgaben, die bei der Eintragung neuer Gesellschaften zu entrichten sind, sondern auch die Abgaben für die Eintragung der Erhöhung des Kapitals dieser Gesellschaften, da sie ebenfalls aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der betreffenden Gesellschaften erhoben werden. Auch wenn die Eintragung der Erhöhung des Kapitals formell kein der Tätigkeit der Kapitalgesellschaften vorangehendes Verfahren darstellt, so ist sie doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit (Urteil in der Rechtssache Fantask u. a., Randnr. 22).
26 Da das portugiesische Recht für die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft eine notarielle Beurkundung zwingend vorschreibt, stellt diese eine wesentliche Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft und eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit dar.
27 Ausserdem weist eine Abgabe in Form der Gebühr für die notarielle Beurkundung der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft dieselben Merkmale wie eine Gesellschaftsteuer auf, wenn sie auf der Grundlage des Kapitals der Gesellschaft berechnet wird. Andernfalls könnten die Mitgliedstaaten, obwohl sie auf die Ansammlung von Kapital als solche keine Steuer erheben, dasselbe Kapital bei einer Änderung der Satzung einer Kapitalgesellschaft belasten. Der Zweck der Richtlinie könnte auf diese Weise umgangen werden.
28 Folglich ist zu antworten, daß die Gebühren für die notarielle Beurkundung der Erhöhung des Kapitals sowie der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie grundsätzlich verboten sind, wenn sie eine Abgabe im Sinne der Richtlinie darstellen.
Zur Ausnahme des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie
29 Da zwischen den nach Artikel 10 der Richtlinie verbotenen Abgaben und den Abgaben mit Gebührencharakter zu unterscheiden ist, sind zu den letztgenannten nur Abgaben zu rechnen, die sich nach den Anforderungen für die erbrachte Leistung richten. Eine Abgabe, die keinen Zusammenhang zu den tatsächlichen Aufwendungen für diese Leistung aufweist oder sich nicht nach den Aufwendungen, deren Entgelt sie ist, sondern nach den gesamten Verwaltungs- und Investitionskosten der zuständigen Dienststelle richtet, ist eine Abgabe, für die allein das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie gilt (vgl. Urteil vom in den Rechtssachen C-71/91 und C-178/91, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Slg. 1993, I-1915, Randnrn. 41 und 42).
30 Eine Abgabe, die ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital steigt, kann zudem schon ihrer Natur nach keine Gebühr im Sinne der Richtlinie sein. Selbst wenn nämlich in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zwischen der Komplexität einer erbrachten Leistung und der Bedeutung des gezeichneten Kapitals bestehen mag, so steht doch die Höhe einer solchen Abgabe im allgemeinen in keinem Verhältnis zu den konkreten Aufwendungen der Verwaltung für diese Leistung (vgl. in diesem Sinne Urteil Fantask u. a., Randnr. 31).
31 Obwohl die Abgabe im vorliegenden Fall nach einem degressiven Tarif erhoben wird, erhöht sie sich gleichwohl proportional im Verhältnis zum gezeichneten Nennkapital. Da bei einem Nennkapital von mehr als 10 000 000 PTE ohne Obergrenze eine Abgabe zu dem nicht unerheblichen Satz von 0,3 % erhoben wird, können die Gebühren ausserdem eine beträchtliche Höhe erreichen.
32 Somit ist zu antworten, daß eine Abgabe für die notarielle Beurkundung der Erhöhung des Kapitals sowie der Änderung der Firma und der Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft, wie die im Ausgangsverfahren streitigen Gebühren, die ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital steigt, keine Abgabe mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie darstellt.
Zur unmittelbaren Wirkung des Artikels 10 der Richtlinie
33 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der einzelne in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor dem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unrichtig in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. insbesondere Urteile vom in der Rechtssache C-236/92, Comitato di coordinamento per la difesa della cava u. a., Slg. 1994, I-483, Randnr. 8).
34 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt, damit der einzelne es vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstossenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend machen kann (Urteil vom in der Rechtssache C-347/96, Solred, Slg. 1998, I-937, Randnr. 29).
35 Daher ist festzustellen, daß Artikel 10 der Richtlinie Rechte begründet, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Kostenentscheidung:
Kosten
36 Die Auslagen der portugiesischen, belgischen, deutschen, spanischen, französischen und österreichischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Fundstelle(n):
OAAAB-72854
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg