Rechte des Arbeitnehmers bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens
Leitsatz
[1] 1 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, daß diese Richtlinie auf den Fall anwendbar ist, daß eine Gesellschaft in freiwilliger Liquidation ihre Aktiva ganz oder teilweise auf eine andere Gesellschaft überträgt, die sodann dem Arbeitnehmer Weisungen erteilt, deren Ausführung die Gesellschaft in Liquidation anordnet.
2 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen verwehrt es einem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräusserer beschäftigten Arbeitnehmer nicht, sich dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersetzen, sofern diese Entscheidung von ihm frei getroffen wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob der vom Erwerber angebotene Arbeitsvertrag eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat. Für diesen Fall müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie vorsehen, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
Gesetze: Richtlinie 77/187 Art. 1 Abs. 1; Richtlinie 77/187 Art. 3 Abs. 1; Richtlinie 77/187 Art. 4 Abs. 2
Gründe
1 Die Cour du travail Brüssel hat mit Urteil vom 11. Dezember 1996, beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Handelsvertreter Wilfried Sanders und der Europièces SA in Liquidation über die Zahlung einer Kündigungsabfindung und weiterer Entschädigungen.
Das Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie ist gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 1 anwendbar auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung.
4 Nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 gehen die Rechte und Pflichten des Veräusserers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.
5 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt, daß der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils als solcher für den Veräusserer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung darstellt. Diese Bestimmung steht jedoch etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.
6 Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie bestimmt darüber hinaus, daß, wenn es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses kommt, weil der Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, davon auszugehen ist, daß die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
7 Während des Verfahrens vor dem Gerichtshof ist die Richtlinie durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom (ABl. L 201, S. 88) ersetzt worden.
Das nationale Recht
8 Die Bestimmungen der Richtlinie sind im belgischen Recht umgesetzt worden durch Kapitel 2 des mit Königlicher Verordnung vom 25. Juli 1985 (Moniteur belge vom , S. 11527) für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags Nr. 32bis vom über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Wechsel des Arbeitgebers aufgrund des vertraglichen Übergangs von Unternehmen und zur Regelung der Ansprüche der Arbeitnehmer, die bei der Übernahme der Aktiva nach einem Konkurs oder gerichtlichen Vergleich durch Vermögensübertragung übernommen werden; dieser Tarifvertrag wurde u. a. durch den mit Königlicher Verordnung vom (Moniteur belge vom , S. 5114) für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag Nr. 32quater vom geändert.
9 Das dritte Kapitel des Tarifvertrags Nr. 32bis regelt die Ansprüche der Arbeitnehmer, die bei einem Wechsel des Arbeitgebers aufgrund der Übernahme der Aktiva nach einem Konkurs oder Vergleich durch Vermögensübertragung übernommen werden. Unter anderem hängt danach die Anwendung des Tarifvertrags davon ab, daß die Übernahme innerhalb von sechs Monaten nach Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens erfolgt; andernfalls gilt der Tarifvertrag für das Personal nicht.
Das Ausgangsverfahren
10 Herr Sanders war seit dem bei der Europièces SA als Handelsvertreter für die Niederlassung in Erpent beschäftigt. Im Juli 1993 wurde für die Europièces SA das Verfahren der freiwilligen Liquidation eröffnet und ein Liquidator ernannt. Am kündigte dieser Herrn Sanders mit einer Kündigungsfrist von 22 Monaten.
11 Am teilte der Liquidator der Europièces SA Herrn Sanders mit, daß die Europièces SA einen Teil der Lagerbestände und des Materials an die Automotive Industries Holding Company SA (im folgenden: Automotive Industries SA) veräussert habe, daß nicht alle Geschäftstätigkeiten der Europièces SA von der Automotive Industries SA übernommen worden seien und daß er seine Tätigkeit ab für Rechnung des Liquidationsverfahrens bei der Niederlassung in Brüssel unter unmittelbarer Weisung des Liquidationsbevollmächtigten auszuüben habe. Der Liquidator wies in diesem Schreiben weiter darauf hin, daß er davon in Kenntnis gesetzt worden sei, daß einigen Mitarbeitern, darunter auch Herrn Sanders, Vorschläge für Arbeitsverträge von der Automotive Industries SA unterbreitet worden seien und daß Herr Sanders dieses Angebot abgelehnt habe.
12 In Beantwortung eines Schreibens von Herrn Sanders vom 18. August 1993, mit dem dieser fragte, weshalb er seine Tätigkeit als Vertreter für die Niederlassung Erpent, und zwar das Gebiet der Provinzen Namur, Luxemburg und Hennegau, für Rechnung des Liquidationsverfahrens in Brüssel ausüben solle, präzisierte der Liquidator mit Schreiben vom 25. August lediglich Rolle und Aufgaben von Herrn Sanders. Dessen Aufgabe sei es, die optimale Verwertung der dem Liquidationsverfahren unterliegenden Gegenstände zu verwirklichen und an der Verringerung der Passiva der Europièces SA mitzuwirken. Diese Aufzählung sei nicht erschöpfend und könne noch weiter vervollständigt werden. Ausserdem sei die Tätigkeit der Europièces SA, die nur noch für die Zwecke des "Verkaufs" bestehe, auf die Liquidierung der bestehenden Lagerbestände beschränkt.
13 Mit Schreiben vom ersuchte Herr Sanders den Liquidator um Klarstellung, ob er hauptsächlich Handelsvertreter bleibe oder andere Aufgaben erfuellen solle; dabei wies er darauf hin, daß er mit einer Änderung seines Aufgabenbereichs nicht einverstanden wäre.
14 Der Liquidator antwortete mit Schreiben vom , daß keineswegs eine einseitige Änderung des Aufgabenbereichs von Herrn Sanders gewollt sei, daß jedoch die Umstände und die rechtlichen Erfordernisse es geböten, ihm andere Aufgaben zuzuweisen.
15 Nach einem weiteren Schriftwechsel richtete Herr Sanders am ein letztes Schreiben an den Liquidator, in dem er feststellte, daß sein Handelsvertretervertrag gekündigt oder zumindest aufgelöst worden sei.
16 Er erhob daher beim Tribunal du travail Brüssel Klage sowohl gegen die Europièces SA als auch gegen die Automotive Industries SA.
17 Das Tribunal du travail Brüssel stellte fest, daß die Lagerbestände, der Kundenstamm und das Mietverhältnis oder das Eigentum am Gebäude in Erpent tatsächlich übertragen worden seien und daß zumindest die wirtschaftliche Einheit von Erpent, der Herr Sanders angehört habe, unter Wahrung ihrer Identität übergegangen sei, da die Automotive Industries SA weiter gleichartige Tätigkeiten ausgeuebt habe.
18 Das Tribunal du travail Brüssel hat daher die Europièces SA mit Urteil vom zur Zahlung von Entschädigungen und gesetzlichen Zinsen an Herrn Sanders verurteilt. Zugleich hat es die Klage gegen die Automotive Industries SA für zulässig erklärt und Herrn Sanders aufgefordert, zur Anwendbarkeit der Richtlinie auf die durch eine Gesellschaft in freiwilliger Liquidation vorgenommenen Übertragungen vorzutragen und anschließend gegebenenfalls die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu beantragen.
Die Vorlagefrage
19 Am legte die Europièces SA gegen das Urteil vom Berufung bei der Cour du travail Brüssel ein. Zu den Klageanträgen gegen die Automotive Industries SA, über deren Vermögen später der Konkurs eröffnet wurde, trug Herr Sanders vor diesem Gericht vor, ein Unternehmensübergang im Sinne der Richtlinie sei zu bejahen, da die Übertragung der wirtschaftlichen Einheit von Erpent zu Beginn des Liquidationsverfahrens stattgefunden habe. Nach belgischem Recht sei ein Unternehmensübergang im Fall einer Liquidation einem Unternehmensübergang im Konkursfall nicht gleichzusetzen.
20 Die Cour du travail Brüssel stellte mit Urteil vom 11. Dezember 1996 fest, daß der Vertrag zwischen der Europièces SA und der Automotive Industries SA über die Übertragung von Aktiva nicht vorgelegt worden sei, so daß sein Inhalt nicht genau festgestellt werden könne. Auch wenn es den Anschein habe, daß die wirtschaftliche Einheit von Erpent übergegangen sei, habe Herr Sanders doch zur Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie auf eine Gesellschaft, die sich in freiwilliger Liquidation befinde, nicht überzeugend vorgetragen.
21 Die Cour du travail Brüssel hat daher das angefochtene Urteil bestätigt, soweit es die Europièces SA betrifft, das Verfahren ausgesetzt, soweit die Klage gegen die Automotive Industries SA gerichtet ist, und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Richtlinie 77/187 auf den Fall anwendbar, daß eine Gesellschaft in Liquidation ihre Aktiva ganz oder teilweise auf eine andere Gesellschaft überträgt, die sodann dem Arbeitnehmer Weisungen erteilt, deren Ausführung die Gesellschaft in Liquidation anordnet?
22 Zunächst ist zu prüfen, ob die Vorlagefrage zu beantworten ist oder ob sie, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs meint, mit der Begründung für unzulässig zu erklären ist, daß das vorlegende Gericht dem Gerichtshof gegenüber keine Angaben zum rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang dieser Frage gemacht hat.
23 Zwar muß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes das nationale Gericht die Sach- und Rechtslage schildern, in der sich die von ihm aufgeworfenen Fragen stellen, oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutern, auf denen diese Fragen beruhen, weil sonst eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht möglich ist (Urteil vom in den Rechtssachen C-320/90 bis C-322/90, Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6; Beschlüsse vom in der Rechtssache C-386/92, Monin Automobiles, Slg. 1993, I-2049, Randnr. 6, und vom in der Rechtssache C-9/98, Agostini, Slg. 1998, I-4261, Randnr. 4).
24 Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, daß der Gerichtshof aufgrund der vom vorlegenden Gericht übersandten Akten über genügend Angaben verfügt, um die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf den dem Rechtsstreit im Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt auslegen zu können. Ausserdem fügt sich das Ausgangsverfahren in einen rechtlichen Rahmen ein, der aufgrund eines früheren Vorabentscheidungsersuchens (Urteil vom in der Rechtssache C-319/94, Dethier Équipement, Slg. 1998, I-1061) zum belgischen Liquidationsverfahren weitgehend bekannt ist.
25 Infolgedessen ist die Vorlagefrage zu beantworten.
26 Mit dieser Frage soll erstens geklärt werden, ob Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß diese auf den Fall anwendbar ist, daß eine Gesellschaft in freiwilliger Liquidation ihre Aktiva ganz oder teilweise auf eine andere Gesellschaft überträgt, die sodann dem Arbeitnehmer Weisungen erteilt, deren Ausführung die Gesellschaft in Liquidation anordnet. Zweitens ist unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangsverfahrens und um dem nationalen Gericht eine zweckdienliche Antwort zu erteilen, zu klären, ob Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie es einem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräusserer beschäftigten Arbeitnehmer verwehrt, sich dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersetzen.
Zum Vorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie
27 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie nicht auf den Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils im Rahmen eines Konkursverfahrens anwendbar ist (Urteil vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 135/83, Abels, Slg. 1985, 469).
28 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes folgt jedoch, daß es für die Beurteilung der Frage, ob die Richtlinie auf den Übergang eines Unternehmens anwendbar ist, das Gegenstand eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens ist, entscheidend auf das mit dem fraglichen Verfahren angestrebte Ziel ankommt (Urteile vom in der Rechtssache C-362/89, D'Urso u. a., Slg. 1991, I-4105, Randnr. 26, und vom 7. Dezember 1995 in der Rechtssache C-472/93, Spano u. a., Slg. 1995, I-4321, Randnr. 24). Ausserdem sind die Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens, insbesondere soweit sie zu einer Weiterführung oder Einstellung des Unternehmens führt, und die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen (Urteil Dethier Équipement, Randnr. 25).
29 In Randnummer 27 des Urteils Dethier Équipement hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Zielsetzungen der gerichtlichen Liquidation zwar manchmal denen des Konkurses ähneln können, daß dies aber nicht zwangsläufig so sein muß, da dieses Verfahren in allen Fällen angewandt werden kann, in denen aus welchen Gründen auch immer gewünscht wird, die Tätigkeit einer Gesellschaft zu beenden.
30 Da das Kriterium des mit dem gerichtlichen Liquidationsverfahren angestrebten Zieles somit nicht zwingend erscheint, hat der Gerichtshof die Ausgestaltung dieses Verfahrens untersucht.
31 Zur Ernennung und zum Aufgabenbereich des Liquidators hat der Gerichtshof in Randnummer 30 des Urteils Dethier Équipement ausgeführt, daß zwischen der Situation eines Unternehmens in gerichtlicher Liquidation und der eines Unternehmens im Konkurs erhebliche Unterschiede bestehen und daß die Gründe, aus denen der Gerichtshof die Anwendung der Richtlinie auf Unternehmen im Konkurs ausgeschlossen hat, im Fall eines Unternehmens in gerichtlicher Liquidation fehlen können.
32 Nach dem Urteil Dethier Équipement ist die Richtlinie demnach beim Übergang eines Unternehmens in gerichtlicher Liquidation anwendbar, wenn die Tätigkeit des Unternehmens weitergeführt wird. Wie der Gerichtshof dort in Randnummer 31 ausgeführt hat, bleibt, wenn die Tätigkeit des Unternehmens während der gerichtlichen Liquidation weitergeführt wird, die Kontinuität des Betriebes beim Übergang des Unternehmens gewahrt. Infolgedessen lässt sich durch nichts rechtfertigen, daß die Arbeitnehmer die Rechte verlieren, die ihnen die Richtlinie unter den in ihr aufgestellten Voraussetzungen gewährleistet.
33 Was das Ausgangsverfahren angeht, so entspricht eine freiwillige Liquidation im wesentlichen einer gerichtlichen Liquidation, abgesehen davon, daß die Hauptversammlung der Gesellschaft und nicht das Gericht die Entscheidung über die Liquidation trifft sowie die Liquidatoren ernennt und deren Befugnisse festlegt. Nur wenn unter den Gesellschaftern keine Mehrheit zustande kommt, muß sich die Gesellschaft wegen der Eröffnung des Liquidationsverfahrens an das Gericht wenden, das im Einklang mit der Satzung der Gesellschaft oder der Entscheidung der Hauptversammlung die Liquidatoren ernennt, ausser wenn es sicher erscheint, daß die zwischen den Gesellschaftern bestehende Uneinigkeit die Herbeiführung einer Entscheidung durch die Hauptversammlung verhindern würde; in diesem Fall bestimmt das Gericht einen gerichtlichen Liquidator.
34 Die freiwillige Liquidation unterscheidet sich somit in ihrer Ausgestaltung zumindest in einigen Punkten noch stärker vom Konkurs als die gerichtliche Liquidation.
35 Angesichts dessen ist festzustellen, daß die Gründe, aus denen der Gerichtshof im Urteil Dethier Équipement zu der Auffassung gelangt ist, daß die Richtlinie auf Übertragungen Anwendung finden kann, die während des gerichtlichen Liquidationsverfahrens stattgefunden haben, erst recht für den Fall gelten, daß das übertragene Unternehmen Gegenstand einer freiwilligen Liquidation ist.
36 Auf den ersten Teil der - oben umformulierten - Frage ist deshalb zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß diese auf den Fall anwendbar ist, daß eine Gesellschaft in freiwilliger Liquidation ihre Aktiva ganz oder teilweise auf eine andere Gesellschaft überträgt, die sodann dem Arbeitnehmer Weisungen erteilt, deren Ausführung die Gesellschaft in Liquidation anordnet.
Zum Recht des Arbeitnehmers, sich dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses zu widersetzen
37 Was den zweiten Teil der - oben umformulierten - Frage betrifft, so soll die Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens gewährleisten, indem sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den gleichen Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit dem Veräusserer vereinbart waren (vgl. Urteile D'Urso u. a., Randnr. 9, und vom in den verbundenen Rechtssachen C-132/91, C-138/91 und C-139/91, Katsikas u. a., Slg. 1992, I-6577, Randnr. 21).
38 Der Schutz, den die Richtlinie bieten soll, ist jedoch gegenstandslos, wenn der Betroffene aufgrund eigener freier Entscheidung das Arbeitsverhältnis nach dem Übergang mit dem neuen Unternehmensinhaber nicht fortsetzt. In einem solchen Fall findet, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie keine Anwendung (Urteile vom in der Rechtssache 105/84, Danmols Inventar, Slg. 1985, 2639, und Katsikas u. a., Randnr. 30).
39 Entscheidet sich nämlich der Arbeitnehmer frei dafür, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nicht fortzusetzen, ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis geschieht. Sie können insbesondere vorsehen, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis in diesem Fall entweder als vom Arbeitnehmer oder als vom Arbeitgeber gekündigt gilt. Sie können auch vorsehen, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis mit dem Veräusserer bestehen bleibt (Urteil vom in den verbundenen Rechtssachen C-171/94 und C-172/94, Merckx und Neuhuys, Slg. 1996, I-1253, Randnr. 35).
40 Im übrigen ist auf Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie hinzuweisen, wonach dann, wenn der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, weil der Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, davon auszugehen ist, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
41 Aus dem Vorlageurteil ergibt sich jedoch, daß einigen Mitarbeitern, darunter auch Herrn Sanders, Vorschläge für Arbeitsverträge unterbreitet wurden und daß Herr Sanders diese Vorschläge zurückgewiesen hat.
42 Ausserdem hat der Liquidator Herrn Sanders mitgeteilt, daß keineswegs eine einseitige Änderung seines Aufgabenbereichs gewollt sei, daß jedoch die Umstände und die rechtlichen Erfordernisse es geböten, ihm andere Aufgaben zuzuweisen.
43 Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Gründe zu prüfen, aus denen der Arbeitnehmer den ihm angebotenen Arbeitsvertrag abgelehnt hat, und zu klären, ob dieser Vorschlag eines Arbeitsvertrags eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hätte.
44 Aufgrund des Vorstehenden ist auf den zweiten Teil der - oben umformulierten - Frage zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie es einem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräusserer beschäftigten Arbeitnehmer nicht verwehrt, sich dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersetzen, sofern diese Entscheidung von ihm frei getroffen wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob der vom Erwerber angebotene Arbeitsvertrag eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat. Für diesen Fall müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie vorsehen, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
45 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAB-72787
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg