Charakter einer gerichtlich zugesprochenen Entschädigung wegen Verletzung des Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung als „Entgelt„ - mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und sozialpolitische Rechtfertigungen
Leitsatz
[1] 4 Die durch Gerichtsentscheidung gewährte Entschädigung wegen Verletzung des Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung ist Entgelt im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag. Diese Entschädigung soll dem Arbeitnehmer vor allem das ersetzen, was er erhalten hätte, wenn der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis nicht rechtswidrig beendet hätte.
Daraus folgt, daß die Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung dem Arbeitnehmer aufgrund der Beschäftigung gezahlt wird, die er ausgeuebt hat und die er weiterhin ausüben würde, wenn es nicht zu der sozial ungerechtfertigten Entlassung gekommen wäre. Diese Entschädigung fällt somit unter den Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages.
5 Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung Anspruch auf eine Entschädigung hat, fallen unter Artikel 119 EG-Vertrag. Hingegen fallen die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung einen Anspruch auf Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung hat, unter die Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen.
6 Das nationale Gericht, das unter Berücksichtigung aller maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände den Zeitpunkt zu bestimmen hat, der bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Regelung eines Mitgliedstaats zugrunde zu legen ist, hat bei der Beurteilung der Frage, ob eine Regelung, nach der der Schutz vor ungerechtfertigter Kündigung nur auf Arbeitnehmer anwendbar ist, die mindestens zwei Jahre lang beschäftigt waren, derart unterschiedliche Wirkung für Männer und Frauen hat, daß sie eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des Vertrages darstellt, zu prüfen, ob sich aus den verfügbaren statistischen Daten ergibt, daß ein wesentlich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer die durch diese Regelung aufgestellte Voraussetzung erfuellen kann. Ist dies der Fall, so liegt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, es sei denn, diese Regelung wäre durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Der Mitgliedstaat als Urheber der möglicherweise diskriminierenden Vorschrift hat insofern darzutun, daß diese Vorschrift einem legitimen Ziel seiner Sozialpolitik dient, daß dieses Ziel nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat und daß er vernünftigerweise annehmen durfte, daß die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet seien. Allgemeine Behauptungen, daß eine bestimmte Maßnahme zur Förderung von Einstellungen geeignet sei, reichen nicht aus, um darzutun, daß das Ziel der streitigen Vorschrift nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, und um die Annahme zu begründen, daß diese Maßnahme zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet sei.
Gesetze: EG-Vertrag Art. 119; Richtlinie 76/207
Gründe
1 Das House of Lords hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag fünf Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag sowie der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Zusammenhang mit einer von Nicole Seymour-Smith und Laura Perez (im folgenden: Klägerinnen) beim High Court of Justice eingereichten Klage auf "judicial review" (gerichtliche Überprüfung) der Unfair Dismissal (Variation of Qualifying Period) Order 1985 (Verordnung über sozial ungerechtfertigte Entlassungen [Änderung des Qualifikationszeitraums], S I 1985, Nr. 782; im folgenden: Verordnung von 1985) zur Änderung von Section 54 des Employment Protection (Consolidation) Act 1978 (Kündigungsschutzgesetz - kodifizierte Fassung; im folgenden: Gesetz von 1978).
Die nationalen Rechtsvorschriften
3 Section 54 des Gesetzes von 1978 sieht vor, daß jeder Arbeitnehmer, auf den diese Section anwendbar ist, Anspruch auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung durch seinen Arbeitgeber hat. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Section 94 des Employment Rights Act 1996 (Gesetz über die Rechte der Arbeitnehmer; im folgenden: Gesetz von 1996), der zur maßgeblichen Zeit noch nicht in Kraft war.
4 Vor dem Inkrafttreten der Verordnung von 1985 waren Arbeitnehmer gemäß Section 54 des Gesetzes von 1978 vor sozial ungerechtfertigter Entlassung geschützt, wenn sie zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses seit mindestens einem Jahr ununterbrochen bei einem Arbeitgeber mit 20 oder mehr Arbeitnehmern beschäftigt waren. Gemäß Section 64(1) des Gesetzes von 1978 in der durch die Verordnung von 1985 geänderten Fassung (im folgenden: streitige Vorschrift) war Section 54 nicht auf die Entlassung eines Arbeitnehmers anwendbar, wenn dieser zum Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses noch nicht seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen bei seinem Arbeitgeber beschäftigt war. Section 108(1) des Gesetzes von 1996 enthält ähnliche Bestimmungen wie die streitige Vorschrift.
5 Hält ein Industrial Tribunal eine Klage wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung für begründet, so erläutert es dem Kläger gemäß Section 68(1) des Gesetzes von 1978, welche Anordnungen unter welchen Voraussetzungen im Hinblick auf seine Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung erlassen werden können, und fragt ihn, ob er eine solche Maßnahme begehrt.
6 Wenn das Industrial Tribunal eine Klage wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung für begründet hält, jedoch keine Wiedereingliederungs- oder Wiedereinstellungsanordnung erlassen kann, so gewährt es nach Section 68(2) eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung.
7 Die Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, einer Grundentschädigung und einer Ausgleichsentschädigung. Die Grundentschädigung entspricht dem Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer durch seine Entlassung entgangen ist. Nach Section 74(1) des Gesetzes von 1978 entspricht die Ausgleichsentschädigung dem Betrag, den das Gericht in Anbetracht aller Umstände und des dem Arbeitnehmer durch die Entlassung entstandenen Schadens für angemessen und billig hält, soweit dieser Schaden dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Section 74(2) sieht vor, daß alle angemessenen Kosten, die dem Arbeitnehmer durch seine Entlassung entstanden sind, sowie der Verlust jeder Vergütung, mit der er vernünftigerweise hätte rechnen können, wenn er nicht entlassen worden wäre, Bestandteil dieses Schadens sind.
Das Gemeinschaftsrecht
8 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) sieht vor, daß dieser in Artikel 119 des Vertrages genannte Grundsatz bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen bedeutet.
9 Die Richtlinie 76/207 hat nach ihrem Artikel 1 zum Ziel, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen u. a. hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird.
10 Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 beinhaltet die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen, daß Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden.
Das Ausgangsverfahren
11 Die Klägerin Seymour-Smith nahm am eine Tätigkeit als Sekretärin bei der Firma Christo & Co. auf und wurde am entlassen. Am erhob sie beim Industrial Tribunal Klage, mit der sie geltend machte, die Kündigung durch ihren früheren Arbeitgeber sei sozial ungerechtfertigt.
12 Die Klägerin Perez nahm am eine Tätigkeit bei der Matthew Stone Restoration Ltd auf und wurde am entlassen. Am erhob sie beim Industrial Tribunal Klage wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung gegen ihren früheren Arbeitgeber. Am teilte ihr die Hauptgeschäftsstelle der Industrial Tribunals mit, sie werde ihre Klage nicht eintragen, da ihr Beschäftigungsverhältnis nicht länger als zwei Jahre bestanden habe. Gleichwohl erhob sie am eine weitere Klage wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung beim Industrial Tribunal.
13 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß die Klagen der beiden Klägerinnen auf Feststellung, daß ihre Entlassung sozial ungerechtfertigt war, sowie auf Entschädigung vom Industrial Tribunal für unzulässig erachtet wurden, weil die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung einer zweijährigen Beschäftigung nicht erfuellt sei.
14 In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof haben die Klägerinnen erläutert, daß das Industrial Tribunal in den jeweiligen Verfahren die Entscheidung über ihre Klagen ausgesetzt habe, um ihnen die gleichzeitige Erhebung einer Klage auf "judicial review" und somit die Anfechtung der streitigen Vorschrift als rechtswidrig zu ermöglichen.
15 Am beantragten sie beim High Court of Justice die Zulassung einer Klage auf "judicial review" der streitigen Vorschrift mit der Begründung, sie verstosse gegen die Richtlinie 76/207. Diese Klage wurde am zugelassen.
16 Am wies der High Court die Klage auf "judicial review" ab und führte aus, die streitige Vorschrift treffe Frauen zwar stärker als Männer, doch belegten die Statistiken nicht, daß diese Auswirkungen unverhältnismässig seien. Hätten sie dies belegt, so wäre nach den Ausführungen des High Court allerdings kein objektiver Grund ersichtlich gewesen, der eine solche Diskriminierung hätte rechtfertigen können.
17 Die Klägerinnen legten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Court of Appeal ein, der das Rechtsmittel sowohl im Hinblick auf Artikel 119 des Vertrages als auch auf die Richtlinie 76/207 zuließ.
18 Am entschied der Court of Appeal, daß die streitige Vorschrift zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerinnen eine mittelbare Diskriminierung bewirkt habe und daß sie nicht objektiv gerechtfertigt gewesen sei. Da seiner Ansicht nach aber nicht klar war, ob die Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung ein Entgelt im Sinne von Artikel 119 sei, stellte der Court of Appeal lediglich fest, daß das in der geänderten Fassung des Gesetzes von 1978 vorgesehene Erfordernis des zweijährigen Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerinnen mit der Richtlinie 76/207 unvereinbar gewesen sei.
Die Vorabentscheidungsfragen
19 Der Secretary of State und die Klägerinnen legten beim House of Lords Rechtsmittel ein. Dieses hat beschlossen, die Feststellung des Court of Appeal aufzuheben, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die Gewährung einer Entschädigung wegen Verletzung des - durch nationale Rechtsvorschriften wie den Employment Protection (Consolidation) Act 1978 begründeten - Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung "Entgelt" im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag?
2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Fallen die Voraussetzungen, von denen der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung abhängt, in den Anwendungsbereich des Artikels 119 oder der Richtlinie 76/207?
3. Nach welchem rechtlichen Kriterium ist zu beurteilen, ob eine Maßnahme eines Mitgliedstaats derart unterschiedliche Wirkung für Männer und Frauen hat, daß sie eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag darstellt, sofern nicht nachgewiesen wird, daß sie durch geschlechtsunabhängige Faktoren sachlich gerechtfertigt ist?
4. Wann ist dieses Kriterium auf eine von einem Mitgliedstaat erlassene Maßnahme anzuwenden? Ist es
a) bei Erlaß der Maßnahme,
b) bei Inkrafttreten der Maßnahme oder
c) bei Entlassung des Arbeitnehmers
oder zu einem anderen Zeitpunkt auf die Maßnahme anzuwenden?
5. Welche rechtlichen Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, daß eine Maßnahme, die ein Mitgliedstaat im Rahmen seiner Sozialpolitik erlässt, objektiv gerechtfertigt und damit keine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 ist? Welche Beweise muß der Mitgliedstaat insbesondere zur Stützung seiner Rechtfertigungsgründe beibringen?
Zur ersten Frage
20 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die durch Gerichtsentscheidung gewährte Entschädigung wegen Verletzung des Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung ein "Entgelt" im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag darstellt.
21 Die Klägerinnen und die Kommission vertreten die Auffassung, daß die Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung ein Entgelt im Sinne von Artikel 119 des Vertrages sei. Nach Ansicht der Kommission handelt es sich um einen Ausgleich für den entgangenen Lohn und andere mit der Beschäftigung verbundene Vergütungen.
22 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht hingegen geltend, daß es im Ausgangsverfahren um eine angebliche Ungleichheit der Arbeitsbedingungen im Sinne der Richtlinie 76/207 gehe, nämlich um den Anspruch auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung. Die Entschädigung, die ein Industrial Tribunal gewähren könne, stelle kein Entgelt für die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeit, sondern einen Ausgleich für die Nichteinhaltung einer seiner Arbeitsbedingungen dar. Daher fehle es hier am Hauptmerkmal eines Entgelts, nämlich daß es sich um eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung handele.
23 Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 Absatz 2 alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, daß sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses gewährt (siehe namentlich Urteile vom in der Rechtssache 12/81, Garland, Slg. 1982, 359, Randnr. 5, und vom in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 12).
24 Auch schließt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Umstand, daß bestimmte Leistungen nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden, nicht aus, daß sie den Charakter eines Entgelts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages haben (Urteil Barber, Randnr. 12).
25 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, stellen namentlich Entschädigungsleistungen, die einem Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gewährt werden, eine Art aufgeschobenes Entgelt dar, auf das der Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses Anspruch hat, das ihm aber erst bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, um ihm die Anpassung an die dadurch entstandenen neuen Umstände zu erleichtern (vgl. Urteile Barber, Randnr. 13, und vom in der Rechtssache C-33/89, Slg. 1990, I-2591, Randnr. 10).
26 Im vorliegenden Fall soll die dem Arbeitnehmer gewährte Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung, die aus einer Grundentschädigung und aus einer Ausgleichsentschädigung besteht, ihm vor allem das ersetzen, was er erhalten hätte, wenn der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis nicht rechtswidrig beendet hätte.
27 Die Grundentschädigung auf der einen Seite hängt unmittelbar von dem Entgelt ab, auf das der Arbeitnehmer Anspruch gehabt hätte, wenn er nicht entlassen worden wäre. Die Ausgleichsentschädigung auf der anderen Seite deckt den dem Arbeitnehmer durch seine Entlassung entstandenen Schaden einschließlich aller angemessenen Kosten, die er infolge seiner Entlassung zu tragen hatte, sowie - unter bestimmten Voraussetzungen - den Verlust jeder Vergütung ab, mit der er vernünftigerweise hätte rechnen können, wenn er nicht entlassen worden wäre.
28 Daraus folgt, daß die Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung dem Arbeitnehmer aufgrund der Beschäftigung gezahlt wird, die er ausgeuebt hat und die er weiterhin ausüben würde, wenn es nicht zu der sozial ungerechtfertigten Entlassung gekommen wäre. Diese Entschädigung fällt somit unter den Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages.
29 Der Umstand, daß die im Ausgangsverfahren streitige Entschädigung aufgrund einer Gerichtsentscheidung und nach den geltenden Rechtsvorschriften gewährt wird, spricht für sich allein nicht gegen dieses Ergebnis. Wie der Gerichtshof nämlich bereits ausgeführt hat, spielt es insoweit keine Rolle, ob sich der Entschädigungsanspruch aus einer anderen Rechtsquelle als dem Arbeitsvertrag, insbesondere aus dem Gesetz ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil Barber, Randnr. 16).
30 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß die durch Gerichtsentscheidung gewährte Entschädigung wegen Verletzung des Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung "Entgelt" im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag ist.
Zur zweiten Frage
31 Mit seiner zweiten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob die Voraussetzungen, von denen im Fall der ungerechtfertigten Entlassung eines Arbeitnehmers sein Anspruch auf Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung oder auf Entschädigung abhängt, unter Artikel 119 des Vertrages oder unter die Richtlinie 76/207 fallen.
32 Die Klägerinnen machen geltend, daß die Richtlinie 76/207 über die Gleichbehandlung nicht anwendbar sei, da es im Ausgangsverfahren um ein Entgelt gehe, das in den Anwendungsbereich von Artikel 119 des Vertrages falle. Das Gesetz könne einen Arbeitnehmer, der im Rahmen des Rechts auf gleiches Entgelt nach Artikel 119 Anspruch auf eine Entschädigung wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung habe, nämlich nicht daran hindern, sich auf diese Bestimmung zu berufen, um sicherzugehen, daß sein Arbeitgeber keine diskriminierenden Bedingungen anwende, deren Anwendung den Grundsatz des gleichen Entgelts aushöhlen würde.
33 Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist selbst für den Fall, daß die wegen Verletzung des Anspruchs auf Schutz vor sozial ungerechtfertigter Entlassung gewährte Entschädigung als Entgelt im Sinne von Artikel 119 anzusehen sei, der Ansicht, daß jeder mögliche Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Voraussetzungen des Anspruchs einschließlich des Anspruchs auf eine finanzielle Entschädigung unter die Richtlinie 76/207 und nicht unter Artikel 119 fallen müsse.
34 Sie beruft sich insoweit auf das Urteil vom in der Rechtssache 149/77 (Defrenne III, Slg. 1978, 1365), in dessen Randnummer 21 der Gerichtshof entschieden habe, daß die Tatsache, daß die Aufstellung bestimmter Beschäftigungsbedingungen finanzielle Auswirkungen haben könne, kein hinreichender Grund dafür sei, diese Bedingungen in den Geltungsbereich des Artikels 119 fallen zu lassen, der auf dem engen Zusammenhang zwischen der Art der Arbeitsleistung und der Höhe des Arbeitsentgelts beruhe.
35 Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, betrifft die in der streitigen Vorschrift vorgesehene Voraussetzung bei einer Klage auf Entschädigung den Zugang zu einer Form des Entgelts, für den Artikel 119 und die Richtlinie 75/117 gelten.
36 Im vorliegenden Fall richten sich die Klagen, die die Klägerinnen beim Industrial Tribunal erhoben haben, nicht gegen mögliche Auswirkungen einer Arbeitsbedingung, also des Anspruchs auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, sondern auf die Entschädigung als solche. Diese Matiere fällt somit unter Artikel 119 des Vertrages und nicht unter die Richtlinie 76/207.
37 Etwas anderes müsste gelten, wenn die Klage auf die Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung des entlassenen Arbeitnehmers gerichtet wäre. In einem solchen Fall beträfen die Voraussetzungen, die das nationale Recht vorsieht, die Arbeitsbedingungen oder den Zugang zur Beschäftigung, so daß sie unter die Richtlinie 76/207 fallen würden.
38 In diesem Fall könnten sich die Klägerinnen im Rahmen einer gegen den Secretary of State erhobenen Klage auf "judicial review" der sich aus der Verordnung von 1985 ergebenden Änderung von Section 64(1) des Gesetzes von 1978 gegen eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts durch Berufung auf die Richtlinie 76/207 und nicht auf Artikel 119 des Vertrages zur Wehr setzen.
39 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes können nämlich die einzelnen Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, vor den nationalen Gerichten dem Staat gegenüber geltend gemacht werden (vgl. u. a. Urteil vom in der Rechtssache C-188/89, Foster u. a., Slg. 1990, I-3313, Randnr. 16).
40 Zu Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207, der hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, daß er hinreichend genau ist, um von einem Rechtsbürger dem Staat gegenüber in Anspruch genommen und von einem nationalen Gericht angewandt werden zu können, um die Anwendung jeder nationalen Bestimmung, die Artikel 5 Absatz 1 nicht entspricht, auszuschließen (vgl. Urteil vom in der Rechtssache 152/84, Marshall I, Slg. 1986, 723, Randnrn. 52 und 56).
41 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung Anspruch auf eine Entschädigung hat, unter Artikel 119 fallen. Hingegen fallen die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung einen Anspruch auf Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung hat, unter die Richtlinie 76/207.
Zur vierten Frage
42 Mit seiner vierten Frage, auf die an dieser Stelle einzugehen ist, möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Vorschrift wie der streitigen der Zeitpunkt ihres Erlasses, der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder der Zeitpunkt der Entlassung des Arbeitnehmers zugrunde zu legen ist.
43 Die Klägerinnen sind der Auffassung, daß ein Mitgliedstaat gegen den EG-Vertrag verstosse, wenn er eine Maßnahme, die er zu erlassen und/oder durchzuführen habe und die sich von ihrem Wesen her auf das Entgelt von Männern und Frauen unterschiedlich auszuwirken drohe, erlasse und/oder weiterhin durchführe; etwas anderes gelte nur, wenn er nachweisen könne, daß ihre Einführung durch geschlechtsunabhängige Faktoren sachlich gerechtfertigt sei. Ferner verlange der Vertrag von den Mitgliedstaaten, daß sie regelmässig jede Maßnahme überprüften, die sich auf das Entgelt der Arbeitnehmer auswirke, und daß sie eine Maßnahme unangewendet ließen, wenn sie einen Verstoß gegen eine der Verpflichtungen feststellten, die der Vertrag ihnen insoweit auferlege.
44 Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist hingegen der Auffassung, daß die Auswirkungen einer Maßnahme zum Zeitpunkt der Entlassung der Arbeitnehmerin zu beurteilen seien. Dann nämlich erzeuge die streitige Vorschrift die von der Arbeitnehmerin beanstandeten Wirkungen, indem sie sie daran hindere, Klage wegen sozial ungerechtfertigter Entlassung zu erheben. Ob eine Maßnahme diskriminierend sei, stehe bei ihrem Erlaß oder ihrem Inkrafttreten noch nicht fest, sondern hänge von den bei der Beanstandung ihrer Wirkungen gegebenen Umständen ab.
45 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts jederzeit zu beachten sind, sei es nun zum Zeitpunkt des Erlasses einer Maßnahme, zum Zeitpunkt ihrer Durchführung oder zum Zeitpunkt ihrer Anwendung auf den konkreten Einzelfall.
46 Allerdings kann der Zeitpunkt, zu dem die Rechtmässigkeit einer Vorschrift wie der streitigen vom nationalen Gericht zu beurteilen ist, von verschiedenen Umständen rechtlicher wie tatsächlicher Art abhängen.
47 So ist die Rechtmässigkeit eines Rechtsakts, der von einer unzuständigen nationalen Stelle erlassen worden sein soll, grundsätzlich zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen.
48 Geht es hingegen um die Anwendung eines rechtmässig erlassenen nationalen Rechtsakts auf einen Einzelfall, so kann es darauf ankommen, ob dieser Rechtsakt zum Zeitpunkt seiner Anwendung nach wie vor mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
49 Was namentlich statistische Befunde angeht, so sind unter Umständen nicht nur die zum Zeitpunkt des Erlasses des Rechtsakts zur Verfügung stehenden Statistiken zu berücksichtigen, sondern auch neuere Statistiken, die Anhaltspunkte dafür liefern könnten, wie sich dieser Rechtsakt auf männliche und weibliche Arbeitnehmer auswirkt.
50 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände den Zeitpunkt zu bestimmen, der bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Vorschrift wie der streitigen zugrunde zu legen ist.
Zur dritten Frage
51 Die dritte Frage des nationalen Gerichts geht dahin, nach welchem rechtlichen Kriterium zu beurteilen ist, ob eine Maßnahme eines Mitgliedstaats derart unterschiedliche Wirkung für Männer und Frauen hat, daß sie eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des Vertrages darstellt.
52 In Artikel 119 ist der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit verankert. Dieser Grundsatz steht nicht nur der Anwendung von Vorschriften entgegen, die unmittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts enthalten, sondern auch der Anwendung von Vorschriften, die Ungleichbehandlungen von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern aufgrund von Kriterien aufrechterhalten, die nicht auf dem Geschlecht beruhen, sofern sich diese Ungleichbehandlungen nicht mit objektiv gerechtfertigten Faktoren erklären lassen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93 und C-78/93, Slg. 1994, I-5727, Randnr. 20).
53 Die streitige Vorschrift enthält unstreitig keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Daher ist zu prüfen, ob sie eine mit Artikel 119 des Vertrages unvereinbare mittelbare Diskriminierung darstellen kann.
54 Die Klägerinnen sind der Ansicht, daß Artikel 119 des Vertrages dann verletzt sei, wenn eine Maßnahme eines Mitgliedstaats sich von ihrem Wesen her unterschiedlich auf das Engelt von Männern und Frauen auszuwirken drohe und/oder wenn diese unterschiedliche Wirkung durch zuverlässige und aussagekräftige Statistiken konkret belegt sei, es sei denn, diese Maßnahme beruhe nachweislich auf objektiven Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten.
55 Sie machen insbesondere geltend, daß immer dann, wenn aussagekräftige Statistiken vorlägen, die alle Beschäftigten erfassten und langfristige Erscheinungen belegten, die nicht als zufällig bezeichnet werden könnten, jede über einen minimalen Unterschied hinausgehende unterschiedliche Auswirkung einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstelle.
56 Die Regierung des Vereinigten Königreichs vertritt die Auffassung, daß die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung verwendeten Begriffe eindeutig zeigten, daß er auf eine wesentliche unterschiedliche Wirkung abstelle.
57 Die Kommission schlägt ihrerseits eine Prüfung der "statistischen Erheblichkeit" dergestalt vor, daß Statistiken angemessene Vergleichsparameter darstellen müssten; das nationale Gericht müsse darauf achten, daß diese Statistiken nicht durch die spezifischen Aspekte des jeweiligen Falles verzerrt würden. Das Vorliegen aussagekräftiger Statistiken genüge, um unverhältnismässige Auswirkungen nachzuweisen und die Beweislast dafür, daß sie gerechtfertigt seien, dem Urheber der möglicherweise diskriminierenden Maßnahme aufzuerlegen.
58 Was den Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung angeht, so ist zunächst zu prüfen, ob sich eine Maßnahme wie die streitige Vorschrift auf weibliche Arbeitnehmer ungünstiger auswirkt als auf männliche.
59 Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zutreffend ausgeführt hat, besteht die beste Methode zum Vergleich der Statistiken darin, die Gruppe der männlichen mit der der weiblichen Arbeitskräfte daraufhin zu vergleichen, wie hoch in jeder Gruppe der Anteil der Personen ist, die die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung erfuellen, und derjenigen, die diese Voraussetzung nicht erfuellen. Es genügt nicht, auf die Zahl der betroffenen Personen abzustellen, da diese Zahl davon abhängt, wieviele Arbeitnehmer insgesamt in diesem Mitgliedstaat tätig sind und wieviele davon Männer und wieviele Frauen sind.
60 Wie der Gerichtshof mehrfach ausgeführt hat, ist zu bestimmen, ob sich aus den verfügbaren statistischen Daten ergibt, daß ein erheblich niedrigerer Prozentsatz weiblicher als männlicher Arbeitnehmer die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung erfuellen kann. In einem solchen Fall liegt dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, es sei denn, die streitige Vorschrift ist durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
61 Das gleiche könnte gelten, wenn sich aus den statistischen Daten ein geringerer, aber über einen langen Zeitraum hinweg fortbestehender und relativ konstanter Abstand zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern, die die Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung erfuellen, ergäbe. Gleichwohl wäre es Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, welche Schlußfolgerungen aus solchen statistischen Daten zu ziehen sind.
62 Es ist auch Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die statistischen Daten über die Situation bei den Arbeitskräften aussagekräftig sind und ob es sie berücksichtigen kann, d. h., ob sie sich auf eine ausreichende Zahl von Personen beziehen, ob sie nicht rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln und ob sie generell gesehen aussagekräftig erscheinen (vgl. Urteil vom in der Rechtssache C-127/92, Slg. 1993, I-5535, Randnr. 17). Es hat namentlich zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der Antwort auf die vierte Frage die Statistiken von 1985 über den jeweiligen Anteil der Personen, die in der Gruppe der männlichen und der der weiblichen Arbeitnehmer die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung erfuellten, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erheblich und ausreichend sind.
63 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluß hervor, daß im Jahr 1985, in dem die Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung eingeführt wurde, 77,4 % der männlichen und 68,9 % der weiblichen Arbeitnehmer diese Voraussetzung erfuellten.
64 Diesen Statistiken lässt sich auf den ersten Blick nicht entnehmen, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung erfuellen kann.
65 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme eines Mitgliedstaats derart unterschiedliche Wirkung für Männer und Frauen hat, daß sie eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des Vertrages darstellt, zu prüfen hat, ob sich aus den verfügbaren statistischen Daten ergibt, daß ein wesentlich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer die durch diese Maßnahme aufgestellte Voraussetzung erfuellen kann. Ist dies der Fall, so liegt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, es sei denn, diese Maßnahme wäre durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Zur fünften Frage
66 Mit seiner fünften Frage möchte das nationale Gericht wissen, welche rechtlichen Anforderungen an den Nachweis zu stellen sind, daß eine Maßnahme, die ein Mitgliedstaat im Rahmen seiner Sozialpolitik erlässt, objektiv gerechtfertigt und damit keine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des Vertrages ist.
67 Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständig ist, festzustellen, ob und inwieweit eine gesetzliche Regelung, die zwar unabhängig vom Geschlecht der Arbeitnehmer angewandt wird, im Ergebnis jedoch einen erheblich höheren Prozentsatz der Frauen als der Männer trifft, aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989, 2743, Randnr. 15).
68 Zwar ist es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob solche objektive Faktoren in dem ihm unterbreiteten konkreten Fall vorliegen. Da der Gerichtshof jedoch die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, kann er auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen (Urteil vom in der Rechtssache C-278/93, Freers und Speckmann, Slg. 1996, I-1165, Randnr. 24).
69 Nach ständiger Rechtsprechung kann aber in dem blossen Umstand, daß eine Rechtsvorschrift einen wesentlich höheren Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer trifft, kein Verstoß gegen Artikel 119 des Vertrages gesehen werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat dartun kann, daß die gewählten Mittel einem legitimen Ziel seiner Sozialpolitik dienen und zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles geeignet und erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-444/93, Megner und Scheffel, Slg. 1995, I-4741, Randnr. 24, und Freers und Speckmann, Randnr. 28).
70 Im vorliegenden Fall macht die Regierung des Vereinigten Königreichs geltend, daß Arbeitgeber durch die Gefahr von Kündigungsschutzklagen erst kürzlich eingestellter Arbeitnehmer von Neueinstellungen abgehalten werden könnten, so daß eine längere Wartezeit für die Inanspruchnahme des Kündigungsschutzes Einstellungen begünstige.
71 Unbestreitbar ist die Förderung von Einstellungen ein legitimes Ziel der Sozialpolitik.
72 Weiter ist zu prüfen, ob dieses Ziel in Anbetracht aller maßgeblichen Umstände und gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Möglichkeit, das betreffende sozialpolitische Ziel durch andere Mittel zu erreichen, auf den ersten Blick nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat und ob die streitige Vorschrift ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist.
73 Hierzu trägt die Regierung des Vereinigten Königreichs vor, daß ein Mitgliedstaat lediglich dartun müsse, daß er vernünftigerweise habe annehmen dürfen, daß die Maßnahme zur Erreichung eines sozialpolitischen Zieles beitragen werde. Sie stützt sich dabei auf das Urteil vom in der Rechtssache C-317/93 (Nolte, Slg. 1995, I-4625).
74 Der Gerichtshof hat in Randnummer 33 des Urteils Nolte ausgeführt, daß die Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen.
75 Obgleich die Sozialpolitik beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts im wesentlichen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, darf doch der Entscheidungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten insoweit verfügen, nicht dazu führen, daß ein tragender Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wie der des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ausgehöhlt wird.
76 Allgemeine Behauptungen, daß eine bestimmte Maßnahme zur Förderung von Einstellungen geeignet sei, reichen nicht aus, um darzutun, daß das Ziel der streitigen Vorschrift nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, und um vernünftigerweise die Annahme zu begründen, daß die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet seien.
77 Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, daß es für den Fall, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer in der Lage sein sollte, die nach der streitigen Vorschrift erforderliche Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung zu erfuellen, Sache des Mitgliedstaats ist, als Urheber der möglicherweise diskriminierenden Vorschrift darzutun, daß diese Vorschrift einem legitimen Ziel seiner Sozialpolitik dient, daß dieses Ziel nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat und daß er vernünftigerweise annehmen durfte, daß die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet seien.
Kostenentscheidung:
Kosten
78 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAB-72608
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg