EuGH Urteil v. - C-153/03

Familienleistungen – Erziehungsgeld – im Staat des Wohnsitzes bzw. der Beschäftigung

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 76

Gründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Kassationsklage der Caisse nationale des prestations familiales des Großherzogtums Luxemburg (im Folgenden: CNPF) gegen die deutsche Staatsangehörige Ursula Weide über die Zahlung der Erziehungszulage nach der luxemburgischen Regelung.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

...

u) i) Familienleistungen: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen.

4. Gemäß ihrem Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für die Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Familienleistungen betreffen.

5. Artikel 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

(1) Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

...

6. Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

7. Artikel 76 - Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen - der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

(1) Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.

(2) Wird in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaates Absatz 1 anwenden, als ob Leistungen in dem ersten Mitgliedstaat gewährt würden.

8. Artikel 10 - Vorschriften für das Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen oder beihilfen für Arbeitnehmer und Selbständige - Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72) bestimmt:

a) Der Anspruch auf Familienleistungen oder beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen der Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, ruht, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73, 74, 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen.

b) Wird jedoch

i) in dem Fall, in dem Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung geschuldet werden, von der Person, die Anspruch auf die Familienleistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, in dem unter Buchstabe a) erstgenannten Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt, so ruht der Anspruch auf die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats oder nach den genannten Artikeln geschuldeten Familienleistungen, und zwar bis zur Höhe der Familienleistungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist. Leistungen, die der Mitgliedstaat zahlt, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist, gehen zu Lasten dieses Staates;

...

9. Artikel 114 der Verordnung Nr. 574/72 - Vorläufige Zahlung von Leistungen bei Streitigkeiten über die anzuwendenden Rechtsvorschriften oder über den Träger, der die Leistungen zu gewähren hat - lautet:

Im Fall von Streitigkeiten zwischen den Trägern oder den zuständigen Behörden von zwei oder mehr Mitgliedstaaten über die nach Titel II der Verordnung anzuwendenden Rechtsvorschriften oder über die Bestimmung des Trägers, der Leistungen zu gewähren hat, bezieht eine Person, die, wenn solche Streitigkeiten nicht bestünden, Leistungen beanspruchen könnte, vorläufige Leistungen nach den vom Träger des Wohnorts anzuwendenden Rechtsvorschriften oder, wenn die betreffende Person nicht im Gebiet eines der beteiligten Mitgliedstaaten wohnt, nach den Rechtsvorschriften des Trägers, bei dem der Antrag zuerst gestellt wurde.

Nationales Recht

Luxemburgisches Recht

10. Artikel 2 Absatz 1 der Loi portant création d'une allocation d'éducation (Gesetz über die Einführung einer Erziehungszulage) vom in der geänderten, für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz von 1988) bestimmt:

Anspruch auf die Erziehungszulage hat, wer

a) seinen Wohnsitz im Großherzogtum Luxemburg hat und dort tatsächlich wohnt;

b) in seinem Haushalt eines oder mehrere Kinder großzieht, für die dem Antragsteller oder seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten Familienzulagen gezahlt werden und für die im Verhältnis zu ihm die in Artikel 2 des Gesetzes vom über Familienzulagen und zur Errichtung der Nationalen Kasse für Familienleistungen vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen;

c) sich hauptsächlich der Erziehung der Kinder im Haushalt der Familie widmet und keine Erwerbstätigkeit ausübt oder kein Ersatzeinkommen bezieht.

...

Deutsches Recht

11. Nach § 1 Absatz 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 180), geändert durch Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom (BGBl. I S. 594), hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12. Frau Weide arbeitete von Oktober 1993 bis Mai 1998 in Luxemburg, wohnte aber mit ihrem Mann und ihrem ersten Kind weiter in Deutschland. Nach dem an die Geburt ihres zweiten Kindes am anschließenden Mutterschaftsurlaub nahm sie noch für eine kurze Zeit unbezahlten Urlaub und beschloss dann, sich vom bis der Erziehung ihres zweiten Kindes zu widmen. Während dieser Zeit blieb Frau Weide gemäß Artikel 171 des luxemburgischen Code des assurances sociales (Sozialversicherungsgesetzbuch) im Beschäftigungsmitgliedstaat versichert. Weiter geht aus den Akten hervor, dass sie vom 16. Mai bis wieder bei ihrem früheren Arbeitgeber in Luxemburg arbeitete.

13. Der Antrag von Frau Weide vom Juni 1998 auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz wurde von der zuständigen deutschen Stelle abgelehnt. Beide angerufenen deutschen Gerichte, in erster Instanz das Sozialgericht für das Saarland und in zweiter Instanz das Landessozialgericht für das Saarland, bestätigten diesen ablehnenden Bescheid.

14. Nach Auffassung dieser Gerichte erfüllt Frau Weide zwar die Voraussetzungen für die Gewährung des Erziehungsgelds nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz, doch sei es gemäß Artikel 13 in Verbindung mit Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 Sache des Großherzogtums Luxemburg als Mitgliedstaat der Beschäftigung der Betreffenden, die nach seiner Regelung vorgesehene Erziehungszulage zu zahlen. Die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Sozialgericht für das Saarland weist insoweit darauf hin, dass der Anspruch von Frau Weide auf das deutsche Erziehungsgeld darauf beruhe, dass sie ihren Wohnsitz in Deutschland habe, und nicht darauf, dass sie dort einer Erwerbstätigkeit nachgehe; dagegen betreffe Artikel 76 den Fall, dass die Leistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen seien. Das Landessozialgericht für das Saarland weist darauf hin, dass der Ehemann von Frau Weide die Voraussetzungen für die Gewährung des deutschen Erziehungsgelds schon deshalb nicht erfülle, weil er eine Erwerbstätigkeit ausübe. Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 sei daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

15. Frau Weide stellte daraufhin bei der CNPF einen Antrag auf Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988, der mit Bescheid vom abgelehnt wurde. Die CNPF bewilligte ihr aber eine Zuzahlung in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag, der ihr in Deutschland als Erziehungsgeld zugestanden hätte, und dem höheren Betrag der Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988.

16. Auf die von Frau Weide gegen diesen Bescheid erhobene Klage änderte der luxemburgische Conseil arbitral des assurances sociales (Schiedsgericht für Sozialversicherungssachen) diesen Bescheid durch Urteil vom ab und gab dem Antrag auf Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988 statt. Dieses Urteil wurde auf die Berufung der CNPF vom luxemburgischen Conseil supérieur des assurances sociales (Obergericht für Sozialversicherungssachen) durch Urteil vom 27. Mai 2002 bestätigt. Nach diesem Urteil wäre Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 nur dann anwendbar, wenn Frau Weide in Deutschland Anspruch auf Familienleistungen hätte, was vorliegend nicht der Fall sei, da sie dort zu keiner Zeit gearbeitet und auch keine Beiträge entrichtet habe. Folglich habe gemäß den Artikeln 13 und 73 der Verordnung Nr. 1408/71 der Beschäftigungsmitgliedstaat das Erziehungsgeld zu zahlen.

17. Die CNPF rief daraufhin die Cour de cassation an, die das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1. Ist Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen, dass er nur die Fälle erfasst, in denen der Wanderarbeitnehmer einen Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats und nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats der Familienangehörigen hat?

2. Können die Behörden des Beschäftigungsstaats für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, den Anspruch auf Familienleistungen aussetzen, wenn sie der Meinung sind, dass die Ablehnung, im Wohnstaat Familienleistungen zu gewähren, nicht gemeinschaftsrechtskonform sei?

3. Erlaubt Artikel 76 dem Beschäftigungsstaat, wenn die erste Frage verneint wird, den Grundsatz der Nichtkumulierung von Leistungen für den Fall anzuwenden, dass der Ehegatte des Wanderarbeitnehmers nach dem Recht des Wohnstaates der Familienangehörigen gleichartige Familienleistungen erhält oder einen Anspruch auf sie hat?

Zu den Vorlagefragen

18. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sowohl das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (Urteil vom 10. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C245/94 und C-312/94, Hoever und Zachow, Slg. 1996, I4895, Randnrn. 18 bis 27) als auch die Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988, deren Merkmale dem deutschen Erziehungsgeld entsprechen, die Voraussetzungen erfüllen, um als Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen zu werden.

19. Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Grundsatz des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1408/71, dass ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften nur des Beschäftigungsmitgliedstaats unterliegt, nicht ausschließt, dass für einzelne Leistungen besondere Vorschriften dieser Verordnung gelten (vgl. insbesondere Urteil vom in der Rechtssache C119/91, McMenamin, Slg. 1992, I6393, Randnr. 14).

20. Für die Familienleistungen bestimmt Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71, dass ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

21. Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71, der Gegenstand der Vorlagefragen ist, enthält nach seiner Überschrift Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen.

22. Dieser Artikel betrifft insbesondere die Situation, in der für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen [sind]. Seine Anwendung setzt folglich voraus, dass die Familienleistungen vom Mitgliedstaat des Wohnsitzes aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch die betreffende Person geschuldet werden.

23. Aus den Akten und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geht jedoch hervor, dass eine Person in der Situation von Frau Weide aufgrund ihrer Arbeitnehmereigenschaft in Luxemburg - die bestehen bleibt, solange sie einem Zweig des luxemburgischen Systems der sozialen Sicherheit angehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom in der Rechtssache C543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 30) - gemäß Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 Anspruch auf die Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988 hat und daneben die Voraussetzungen für die Gewährung des Erziehungsgelds nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats, also der Bundesrepublik Deutschland, erfüllt, wo der Anspruch auf diese Beihilfe nicht von der vorherigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sondern vom Wohnsitz in diesem Staat abhängt.

24. Dieser letztgenannte Fall, in dem der Anspruch auf Familienleistungen im Wohnmitgliedstaat nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, sondern vom Wohnsitz abhängig ist, ist seinerseits in Artikel 10 der Verordnung Nr. 574/72 geregelt.

25. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof, um dem Gericht, das um Vorabentscheidung ersucht, sachdienlich zu antworten, auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften eingehen, die in den Vorlagefragen nicht angeführt sind (vgl. insbesondere Urteil vom in der Rechtssache C60/03, Wolff & Muller, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 24).

26. Unter diesen Umständen sind bei der Prüfung der vorliegenden Rechtssache die Antikumulierungsregeln des Artikels 10 der Verordnung Nr. 574/72 zu berücksichtigen.

27. Zunächst ist daran zu erinnern, dass, unabhängig von der Antwort auf die gestellten Fragen, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens der mit einem entsprechenden Antrag befasste Träger des Wohnmitgliedstaats jedenfalls gemäß Artikel 114 der Verordnung Nr. 574/72 die Beihilfe, die nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d. h. in der vorliegenden Rechtssache das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz, vorläufig zu zahlen hat, bis die Streitigkeit zwischen diesem Träger und dem des Beschäftigungsmitgliedstaats endgültig geklärt ist.

28. Wie der Gerichtshof in den Randnummern 17 und 18 des Urteils McMenamin festgestellt hat, gehen zwar nach der Antikumulierungsregel des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72 die vom Beschäftigungsmitgliedstaat gezahlten Leistungen den vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Leistungen vor, die deshalb ausgesetzt werden. Falls jedoch eine Berufstätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird, schreibt Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i dieser Verordnung umgekehrt vor, dass der vom Wohnmitgliedstaat gewährte Leistungsanspruch dem vom Beschäftigungsmitgliedstaat gewährten Leistungsanspruch vorgeht, der deshalb ausgesetzt wird.

29. In Randnummer 19 des Urteils McMenamin hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass nach dieser Vorschrift die Berufstätigkeit, die diese Umkehrung des Vorrangs bewirkt, von der Person, die Anspruch auf die Familienleistungen oder beihilfen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, im Wohnmitgliedstaat ausgeübt werden muss.

30. Der Gerichtshof hat diesen Satzteil in Anbetracht der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers dahin ausgelegt, dass, sofern eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere der Ehegatte des Leistungsempfängers im Sinne von Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71, eine Berufstätigkeit im Mitgliedstaat der Wohnung der Kinder ausübt, der Anspruch auf die in Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungen nach Artikel 10 der Verordnung Nr. 574/72 bis zur Höhe der vom Wohnmitgliedstaat tatsächlich gezahlten Beihilfen gleicher Art ausgesetzt wird, und zwar unabhängig davon, wen die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats als unmittelbaren Empfänger der Familienbeihilfen bestimmen.

31. Wie die Generalanwältin in Nummer 39 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat und wie insbesondere aus Randnummer 60 des Urteils Dodl und Oberhollenzer hervorgeht, sind die Änderungen von Artikel 10 der Verordnung Nr. 574/72 gegenüber der Fassung dieser Bestimmung, die in der Rechtssache McMenamin maßgeblich war, nicht geeignet, diese Auslegung in Frage zu stellen.

32. Daher hat der Gerichtshof in Randnummer 64 des Urteils Dodl und Oberhollenzer entschieden, dass, sofern eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere der Ehegatte oder der Lebensgefährte eines Arbeitnehmers, dem nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats und denjenigen des Wohnmitgliedstaats für denselben Familienangehörigen und für denselben Zeitraum Ansprüche auf Familienleistungen zustehen, im Wohnmitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit ausübt, die Familienleistungen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 vom Wohnmitgliedstaat zu gewähren sind, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger dieser Leistungen ist. In diesem Fall ruht die Gewährung der Familienleistungen durch den Beschäftigungsmitgliedstaat bis zur Höhe der in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Familienleistungen.

33. Daraus ergibt sich, dass in einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens, sofern der Ehegatte des zum Bezug der Erziehungszulage nach dem Gesetz von 1988 Berechtigten im Sinne von Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 eine Berufstätigkeit im Mitgliedstaat der Wohnung der Kinder, hier der Bundesrepublik Deutschland, ausübt, der Anspruch auf die in diesem Artikel vorgesehenen Leistungen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 auch dann bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Erziehungsgelds ausgesetzt wird, wenn dieses dem zum Bezug der luxemburgischen Erziehungszulage Berechtigten und nicht dessen Ehegatten geschuldet wird.

34. Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 dahin auszulegen ist, dass, sofern der Ehegatte des zum Bezug einer Familienleistung Berechtigten im Sinne von Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 eine Berufstätigkeit im Mitgliedstaat der Wohnung der Kinder ausübt, der Anspruch auf die in diesem Artikel vorgesehenen Leistungen bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Erziehungsgelds ausgesetzt wird, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger der Familienbeihilfen ist.

Kosten

35. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
AAAAB-72594

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg