Mehrwertsteuer: Ort der Leistung (Schiedsrichterdienst)
Leitsatz
[1] In Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (77/388), der im Rahmen einer besonderen Regelung für Dienstleistungen, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch ausserhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, vorsieht, daß der Ort der Dienstleistung von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstiger ähnlicher Leistungen der Ort ist, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für die die Dienstleistung erbracht worden ist, werden die angeführten Berufe verwendet, um die dort angesprochenen Arten von Leistungen zu definieren. Leistungen eines Schiedsrichters fallen nicht unter diese Bestimmung.
Die Leistungen eines Schiedsrichters, die hauptsächlich und gewöhnlich die Beilegung eines Streites zwischen zwei oder mehreren Parteien zum Gegenstand haben, gehören nämlich weder zu den Leistungen eines Anwalts, weil diese hauptsächlich und gewöhnlich die Vertretung und Verteidigung der Interessen eines Mandanten zum Gegenstand haben, noch zu den Leistungen eines Beraters, Ingenieurs, Studienbüros oder Buchprüfers, da keine der im Rahmen dieser Berufe hauptsächlich und gewöhnlich erbrachten Leistungen die Beilegung eines Streites zwischen zwei oder mehr Parteien zum Gegenstand hat. Die Leistungen eines Schiedsrichters sind auch nicht im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e den Leistungen der in dieser Bestimmung angeführten Berufe ähnlich, da ihnen Erwägungen der Gerechtigkeit und der Billigkeit zugrunde liegen und sie nicht dem gleichen Zweck dienen, wie die - im wesentlichen auf Zweckmässigkeitserwägungen und Interessenabwägungen beruhenden - Leistungen eines Anwalts im Rahmen von Vergleichsverhandlungen oder die Leistungen eines Beraters, Ingenieurs, Studienbüros oder Buchprüfers.
Gesetze: Richtlinie 77/388 Art. 9 Abs. 2 Buchst. e; Richtlinie 77/388 Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Das beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Bernd von Hoffmann (im folgenden: Kläger) und dem Finanzamt Trier (im folgenden: Beklagter) über die Zahlung von Mehrwertsteuer für Schiedsrichterleistungen, die der Kläger in Frankreich erbrachte.
3 Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie stellt folgende allgemeine Regel auf:
"Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit... hat..."
4 Jedoch gilt nach Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich
"als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch ausserhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:
...
- Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen".
5 § 3a Absatz 1 des deutschen Umsatzsteuergesetzes (UStG) entspricht Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie.
6 Ist der Empfänger einer Leistung Unternehmer, so werden gemäß § 3a Absatz 3 in Verbindung mit Absatz 4 Nummer 3 UStG in der maßgeblichen Fassung die Leistungen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sachverständiger, Ingenieur und Aufsichtsratsmitglied sowie die rechtliche, wirtschaftliche und technische Beratung durch andere Unternehmer abweichend von Absatz 1 dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Wird eine dieser Leistungen an die Betriebsstätte eines Unternehmens ausgeführt, so ist statt dessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend. Ferner werden gemäß § 3a Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe a UStG wissenschaftliche oder ähnliche Leistungen dort ausgeführt, wo der Unternehmer ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wird.
7 Ausweislich der Akten war der Kläger, der Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Trier ist, in den Jahren 1987, 1988 und 1989 als Schiedsrichter bei der Internationalen Handelskammer tätig, die ihren Sitz in Paris hat. Er war Mitglied eines internationalen Schiedsgerichts, das Streitigkeiten von Unternehmen durch Schiedsspruch beilegt bzw. auf eine Verständigung der Parteien im Rahmen eines Vergleichs hinarbeitet. Das Schiedsgericht besteht aus drei Schiedsrichtern und wird für jeden Einzelfall eingerichtet. Die Höhe des Honorars und seine Verteilung auf die Mitglieder des Schiedsgerichts bestimmt die Internationale Handelskammer. Diese Schiedsrichter werden von der Internationalen Handelskammer bezahlt.
8 Der Beklagte unterwarf die vom Kläger während der Streitjahre bezogenen Honorare der Umsatzsteuer in Deutschland. Die hiergegen vom Kläger eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen.
9 Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz.
10 Vor diesem Gericht streiten die Parteien darüber, ob die Einnahmen aus der Schiedsrichtertätigkeit des Klägers in Deutschland der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind.
11 Der Kläger macht geltend, diese Einnahmen unterlägen nicht nach § 3a Absatz 1 UStG der Steuer. Diese Leistungen fielen als wissenschaftliche Leistungen oder zumindest als wissenschaftlichen Leistungen ähnliche Leistungen unter § 3a Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe a UStG.
12 Der Beklagte wendet sich gegen diese Einordnung und führt aus, da der Kläger Unternehmer sei, liege nach der Regel des § 3a Absatz 1 UStG der Ort der streitigen Leistungen in Deutschland.
13 Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz stellt zunächst fest, daß die vom Kläger erbrachten Leistungen weder wissenschaftliche Leistungen noch "ähnliche Leistungen" im Sinne von § 3a Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe a seien. Die Schiedsrichtertätigkeit sei auch keine Tätigkeit als Sachverständiger, Rechtsanwalt oder Berater im Sinne von § 3a Absatz 4 Nummer 3 UStG. Aus Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie könne sich jedoch möglicherweise eine abweichende Auslegung ergeben, insbesondere deshalb, weil auch in dieser Bestimmung auf "sonstige ähnliche Leistungen" Bezug genommen werde.
14 Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hält daher eine Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich. Es hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie (3. Fallgruppe: "Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen") dahin auszulegen, daß hierunter auch die Leistungen eines Schiedsrichters fallen?
15 Für die Beantwortung dieser Frage ist von Bedeutung, daß sich Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie nicht auf Berufe wie Anwalt, Berater, Buchprüfer oder Ingenieur, sondern auf Leistungen bezieht. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verwendet die in dieser Bestimmung angeführten Berufe, um die dort angesprochenen Arten von Leistungen zu definieren.
16 Als erstes stellt sich daher die Frage, ob Schiedsrichterleistungen zu den Leistungen gehören, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie angeführten Berufe erbracht werden (Urteil vom in der Rechtssache C-167/95, Linthorst, Pouwels en Scheres, Slg. 1997, I-1195, Randnrn. 18, 22 und 25).
17 Insbesondere der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Anwalts erfasst in Anbetracht der Leistungen, die in den Mitgliedstaaten im Rahmen dieses Berufes hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden, die Leistungen eines Schiedsrichters nicht. Zwar werden Anwälte wegen ihrer Rechtskenntnisse häufig als Schiedsrichter gewählt, doch haben die Leistungen eines Anwalts hauptsächlich und gewöhnlich die Vertretung und Verteidigung der Interessen eines Mandanten zum Gegenstand, während Schiedsrichterleistungen hauptsächlich und gewöhnlich die Beilegung eines Streites zwischen zwei oder mehr Parteien - gegebenenfalls nach Billigkeit - zum Gegenstand haben.
18 Aus ähnlichen Gründen sind die Leistungen eines Schiedsrichters auch nicht mit den Leistungen eines Beraters, Ingenieurs, Studienbüros oder Buchprüfers zu vergleichen. Keine der im Rahmen dieser Berufe jeweils hauptsächlich und gewöhnlich erbrachten Leistungen hat nämlich die Beilegung eines Streites zwischen zwei oder mehr Parteien zum Gegenstand.
19 Es bleibt zu prüfen, ob Schiedsrichterleistungen unter die "sonstigen ähnlichen Leistungen" des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie fallen.
20 Nach dem Urteil Linthorst, Pouwels en Scheres (a. a. O., Randnrn. 19 bis 22) bezieht sich der Begriff der "sonstigen ähnlichen Leistungen" nicht auf ein den in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich angeführten unterschiedlichen Tätigkeiten gemeinsames Element; gemeint sind vielmehr Leistungen, die irgendeiner dieser Tätigkeiten ähnlich sind.
21 Eine Leistung ist dann einer in dieser Vorschrift angeführten Tätigkeit ähnlich, wenn beide Tätigkeiten dem gleichen Zweck dienen.
22 Von einem Anwalt geführte Vergleichsverhandlungen - diese Leistung kommt der Schiedsrichterleistung am nächsten - und die Beilegung eines Streites durch einen Schiedsrichter dienen nicht dem gleichen Zweck. Während sich nämlich ein an Vergleichsverhandlungen beteiligter Anwalt gewöhnlich von Zweckmässigkeitserwägungen und Interessenabwägungen leiten lässt, liegen der Beilegung eines Streites durch einen Schiedsrichter Erwägungen der Gerechtigkeit oder der Billigkeit zugrunde.
23 Anwaltsleistungen und Schiedsrichterleistungen sind daher nicht ähnlich.
24 Die Leistungen eines Beraters, Ingenieurs, Studienbüros oder Buchprüfers dienen sämtlich nicht dem vorstehend beschriebenen Zweck von Schiedsrichterleistungen.
25 Die Leistungen keines dieser Berufe sind folglich Schiedsrichterleistungen ähnlich.
26 Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, daß die Leistungen eines Schiedsrichters nicht unter Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Richtlinie fallen.
Kostenentscheidung:
Kosten
27 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NAAAB-72581
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg