BFH Urteil v. - V R 20/03 BStBl 2005 II S. 910

Leitsatz

Die Abgabe von Speisen und Getränken in einem Musical-Theater ist keine steuerbefreite Nebenleistung zur Theatervorstellung.

Gesetze: UStG 1993 § 4 Nr. 20 Buchst. aRichtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n undArt. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1996 bis 1997 ein Theater im Freihafen. Das Theater liegt in einem rein gewerblich geprägten Gebiet und ist von der übrigen Stadt nur nach einer längeren PKW-Fahrt bzw. durch den von der Klägerin eingerichteten Shuttle zu erreichen. Zu dem Theater gehörte ein Theaterrestaurant mit 95 Plätzen, in welchem Speisen und Getränke angeboten wurden, eine Snackbar, die Snacks und Getränke offerierte sowie drei Foyerbars mit Stehtischen, an welchen nur Getränke angeboten wurden. Außerdem wurde im Sommer bei geeigneter Witterung eine Außengastronomie betrieben. Der Gastronomiebereich öffnete zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn, war während der Vorstellung mit Ausnahme der Vorstellungspause geschlossen und schloss regelmäßig eine Stunde nach Vorstellungsende. Er war für jedermann zugänglich. Die Eintrittskartenkontrolle für das Theater fand erst unmittelbar am Eingang in den Zuschauerraum statt. Andere gastronomische Betriebe gab es in der Umgebung des Theaters nicht.

Den bis Oktober 1996 verpachteten Gastronomiebereich betrieb die Klägerin ab November 1996 in eigener Regie.

Ein Teil der Gastronomieumsätze entfiel auf Firmenkunden; d.h. Unternehmer buchten Theatervorstellungen inklusive Bewirtung für ihre eigenen Kunden bzw. Mitarbeiter oder beanspruchten nur Gastronomieleistungen ohne Theatervorstellung. Die übrigen Gastronomieumsätze betrafen Endverbraucher.

Die zuständige Kulturbehörde bescheinigte der Klägerin, dass sie mit ihren Vorführungen Leistungen i.S. von § 4 Nr. 20 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) erbringe.

Die Klägerin behandelte die Gastronomieumsätze als steuerfreie Nebenleistungen zu den steuerbefreiten Theaterleistungen.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, die nicht an Firmenkunden erbrachten Gastronomieumsätze unterlägen mit dem Regelsatz der Umsatzsteuer. Das FA änderte dementsprechend den Umsatzsteuerbescheid für 1996 und erfasste die Ergebnisse der Betriebsprüfung für die Zeit von Januar bis November 1997 im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für November 1997 entsprechend. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Gegenstand des anschließenden Klageverfahrens wurde —für das Streitjahr 1997— auf Antrag der Klägerin der Umsatzsteuerjahresbescheid für 1997 vom .

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2003, 939 abgedruckt.

Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die im Freihafen von der Klägerin an Endverbraucher erbrachten sonstigen Leistungen seien nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 UStG 1993 wie Umsätze im Inland zu behandeln. Diese seien nicht nach § 4 Nr. 20 a UStG 1993 steuerfrei, da es sich nicht um Nebenleistungen zu den steuerfreien Theaterleistungen handle. Sie hätten im Übrigen dazu gedient, der Klägerin nicht unwesentliche zusätzliche Einnahmen —zwischen 11 % und 12 % der mehrere Millionen umfassenden Gesamtumsätze— zu verschaffen. Mit diesen Umsätzen stehe die Klägerin im Wettbewerb mit anderen Unternehmern, auch wenn diese zwar nicht in unmittelbarer Nähe, aber am Ausgangs- und Endpunkt der für den Theaterbesuch erforderlichen An- bzw. Rückfahrt zu erreichen gewesen seien.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der die Klägerin Verletzung materiellen Rechts rügt.

Zur Begründung stützt sie sich auf die Entscheidung des (BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799), wonach die Abgabe von Speisen und Getränken integraler Bestandteil von Theatervorstellungen sei, wenn ein gleichzeitiger Verkauf an andere Personen ausgeschlossen sei. Diese auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abstellende Beurteilung entspreche auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Beurteilung der Einheitlichkeit der Leistung und zum Vorliegen von Nebenleistungen.

Zwar seien nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) nur die eng mit bestimmten kulturellen Dienstleistungen verbundenen Lieferungenbefreit; hierbei sei zu berücksichtigen, dass bis zur Entscheidung des , Faaborg-Gelting Linien (Slg. 1996, I-2395, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— UR 1996, 220) die Abgabe von Speisen und Getränken an Ort und Stelle grundsätzlich als Lieferung beurteilt worden sei.

Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG seien zwar die Leistungen von der Befreiung ausgeschlossen, die nicht unerlässlich seien und die im Wesentlichen dazu bestimmt seien, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu Tätigkeiten von der Umsatzsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Beide Voraussetzungen müssten —entgegen der Auffassung im (BFHE 186, 151, BStBl II 1999, 145)— kumulativ vorliegen. Daher stelle sich die Frage der Wettbewerbsverzerrung bei unerlässlichen Dienstleistungen nicht; denn das Tatbestandsmerkmal „unerlässlich” entspreche dem der „eng verbundenen Umsätze”. Die Gastronomieleistungen seien solche unerlässlichen Dienstleistungen.

Zu Unrecht gehe das FG davon aus, bei 10 % der Gesamteinnahmen handele es sich um nicht nur unwesentliche Einnahmen zur Stützung der Haupttätigkeit; wenn Steuerbefreiungen eng, die Ausnahmen hiervon weit ausgelegt würden, werde das Ziel der Befreiung konterkariert. Außerdem habe der deutsche Gesetzgeber sich auf ein anderes Abgrenzungsmerkmal, das Erfordernis der Bescheinigung der Landesbehörde, beschränkt und damit bewusst weiter gehende Beeinträchtigungen hingenommen.

Das FG habe dem Umstand, dass auch an andere Personen als Theaterbesucher Gastronomieleistungen abgegeben worden seien, zu Unrecht Bedeutung beigemessen, weil das Theater außerhalb liege und deshalb fast ausschließlich Theaterbesucher die Leistungen in Anspruch genommen hätten.

Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuerbescheide 1996 und 1997 vom und und die Einspruchsentscheidung vom in der Weise zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 1996 um 62 490 DM und die Umsatzsteuer für 1997 um 304 849 DM niedriger festgesetzt wird.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass Gastronomieumsätze des von der Klägerin betriebenen Musical-Theaters nicht nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1993 begünstigt sind.

1. Das FG geht zu Recht davon aus, dass die von der Klägerin beanspruchte Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG 1993 nicht deswegen ausscheidet, weil § 4 UStG 1993 seinem Wortlaut nach nur „die unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1993 fallenden” Umsätze betrifft. Bei den im Streitfall allein zu beurteilenden an Endverbraucher erbrachten Leistungen im Freihafen handelt es sich nicht um für das Unternehmen des jeweiligen Abnehmers bestimmte Umsätze. Sie sind gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1, § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStG 1993 als „im Inland” erbrachte Leistungen anzusehen und deshalb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 steuerbar. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

2. Nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG 1993 sind (soweit im Streitfall von Interesse) die Umsätze der Theater des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände steuerfrei. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt das Gleiche für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.

3. Die Klägerin gehört zwar zu dem Kreis der Unternehmer, für deren Leistungen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1993 in Betracht kommt; denn ihr ist eine entsprechende Bescheinigung erteilt worden. Das FG hat jedoch zu Recht entschieden, dass die Klägerin mit den Gastronomieumsätzen keine der in § 4 Nr. 20 Buchst a UStG 1993 genannten Leistungen erbracht hat.

a) Die Vorschrift ist unter Berücksichtigung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform auszulegen. Nach dieser Bestimmung können bestimmte kulturelle Dienstleistungen und eng damit verbundene Lieferungen von Gegenständen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen erbracht werden, unter den Bedingungen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer befreit werden.

Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sind jedoch von der in Abs. 1 Buchst. b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen,

wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind oder

wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.

Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG sind eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (, Seeling, UR 2003, 288; vom Rs. C-212/01, Unterpertinger, UR 2004, 70).

b) Die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1993 nicht näher beschriebenen Umsätze der Theater sind bei richtlinienkonformer Auslegung deshalb nur die typischen Theaterleistungen einschließlich der damit eng verbundenen Nebenleistungen (BFH-Urteil in BFHE 186, 151, BStBl II 1999, 145). Um Letztere handelt es sich bei den streitigen Gastronomieleistungen nicht.

(1) Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen; entscheidend ist die Sicht des Durchschnittsverbrauchers (, CPP, Slg. 1999, I-973; , BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658, und vom V R 30/04, BFH/NV 2005, 483).

(2) Gastronomieumsätze im für jedermann zugänglichen Gastronomiebereich eines Theaters, insbesondere auch der Betrieb eines für jedermann zugänglichen Restaurants, haben aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers einen eigenen vom Theaterbesuch unabhängigen Zweck; sie sind zur Durchführung kultureller Dienstleistungen —wie hier Theater- oder Musicalaufführungen— aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers für die Theateraufführung nicht unerlässlich. Zwar ist die Abgabe von kleinen Speisen, Getränken und Süßwaren an Theaterbesucher nach den heutigen Anforderungen an den äußeren Rahmen einer Theaterveranstaltung üblich und wird vom Besucher erwartet. Dass solche zusätzlichen Angebote von vielen Besuchern gerne in Anspruch genommen werden, rechtfertigt allein jedoch nicht schon deren Beurteilung als Nebenleistung zu einer nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1993 befreiten Leistung. Dementsprechend hat der BFH z.B. auch den Verkauf von Getränken an Besucher in einem Verzehrkino nicht als Nebenleistung zu einer Filmvorführung angesehen, sondern als selbständige Leistung beurteilt (, BFH/NV 1996, 269; vom XI R 46/93, BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 186, 151, BStBl II 1999, 145).

(3) Hinzu kommt, dass die Restaurationsumsätze der Klägerin mit den vom FG festgestellten zwischen 11 % und 12 % der Gesamtumsätze und mit Beträgen von insgesamt 416 599 DM im Jahr 1996 und 2 032 327 DM im Jahr 1997 ein eigenständiges Gewicht haben und nicht von nur untergeordneter Bedeutung sind.

Die Klägerin steht mit ihren Umsätzen auch im Wettbewerb mit anderen Gastronomieunternehmen der Region. Der Umstand, dass die Leistungen deswegen, weil in der unmittelbaren Umgebung des Theaters keine anderen Gastronomiebetriebe vorhanden sind, tatsächlich überwiegend an Theaterbesucher erfolgt, ändert daran nichts. Der Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität, demzufolge Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen (, Christoph-Dornier-Stiftung, UR 2003, 585 Rdnr. 44), gebietet es, die Restaurationsumsätze der Klägerin ebenso zu behandeln, wie die anderer Gastronomiebetreiber.

c) Die Klägerin beruft sich für ihre Auffassung zu Unrecht auf das BFH-Urteil in BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799. Abgesehen davon, dass die Gastronomieumsätze der Klägerin nicht —wie im zitierten Urteil vorausgesetzt— ausschließlich an Theaterbesucher abgegeben werden, hat der erkennende Senat die dort vertretene Auffassung, die Lieferungen von Speisen und Getränken könnten unter den bezeichneten Voraussetzungen als Nebenleistungen zu Theaterumsätzen angesehen werden, bereits im Urteil in BFHE 186, 151, BStBl II 1999, 145 ausdrücklich aufgegeben.

Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 910
BB 2005 S. 2398 Nr. 44
BFH/NV 2005 S. 2326 Nr. 12
BStBl II 2005 S. 910 Nr. 20
DB 2005 S. 2617 Nr. 48
DStRE 2006 S. 47 Nr. 1
DStZ 2005 S. 803 Nr. 22
INF 2005 S. 890 Nr. 23
NJW 2006 S. 639 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2005 S. 3589
StB 2005 S. 445 Nr. 12
StBW 2005 S. 7 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 23/2005 S. 1027
UR 2006 S. 24 Nr. 1
UStB 2005 S. 366 Nr. 12
UVR 2006 S. 4 Nr. 1
WPg 2005 S. 1379 Nr. 24
XAAAB-67531