BFH Urteil v. - III R 30/03 BStBl 2006 II S. 495

Leitsatz

Aufwendungen einer nicht verheirateten, empfängnisunfähigen Frau für künstliche Befruchtungen können auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung steuermindernd berücksichtigt werden, wenn die Frau in einer festen Partnerschaft lebt (Weiterentwicklung der Rechtsprechung, , BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805).

Gesetze: EStG § 33 Abs. 1 und 2GG Art. 2 Abs. 1GG Art. 6 Abs. 1, 2, 4 und 5

Instanzenzug: (EFG 2003, 1311) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Ehe der 1962 geborenen Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im November 1999 geschieden. Nach ihren Angaben lernte sie ihren gegenwärtigen Lebenspartner im Jahr 1995 kennen. Seit dem Jahr 1996 hatten sich beide ein gemeinsames Kind gewünscht. Ab März 1997 hatten sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammengelebt.

Wegen eines Eileiterverschlusses konnte die Klägerin auf natürlichem Weg keine Kinder empfangen. Nach Zustimmung der Ethikkommission der zuständigen Ärztekammer begann sie im Jahr 1999 eine Sterilitätsbehandlung durch In-vitro-Fertilisationen. Die gesetzliche Krankenkasse lehnte die Übernahme der Kosten nach § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Bescheid vom ab.

Die im Streitjahr 2000 für die In-vitro-Fertilisation entstandenen Kosten machte die Klägerin in ihrer Einkommensteuererklärung 2000 als außergewöhnliche Belastung geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu, weil die Kosten für künstliche Befruchtungen einer unverheirateten, empfängnisunfähigen Frau nicht zwangsläufig entstünden. Die Kinderlosigkeit unverheirateter Paare führe nicht zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit im Sinne des Steuerrechts.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1311 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Das FG habe bei der Frage der Zwangsläufigkeit der Behandlung zu Unrecht zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen differenziert. Der Schutz der Ehe durch Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erfordere nicht, Kosten einer künstlichen Befruchtung bei Ehepaaren anders zu beurteilen als bei unverheirateten Paaren. Auch habe sich die Auffassung der Gesellschaft zu nichtehelichen Kindern grundlegend geändert. Es sei inzwischen selbstverständlich, dass auch unverheiratete Paare Kinder hätten und diese den ehelichen Kindern rechtlich gleichgestellt seien. Andere Formen des Zusammenlebens seien nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern z.B. bei Lebenspartnerschaften gesetzlich geregelt.

Verheiratete Frauen seien nicht wegen des Familienstandes verpflichtet, Kinder zu bekommen. Die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen bei einer empfängnisunfähigen Frau mit Kinderwunsch hänge nicht vom Familienstand ab. Sie beruhe nicht mehr auf der Einstellung, eine Ehe müsse zu Kindern führen.

Die Annahme des FG, mit der Eheschließung entscheide sich eine Frau für die Geburt von Kindern, sei nicht nachzuvollziehen. Viele Ehen blieben entsprechend einer von Anfang an bestehenden Planung kinderlos. Das Eingehen der Ehe sei nicht mit der Verpflichtung zur Gründung einer Familie gleichzusetzen. Vielmehr werde die Ehe in vielen Fällen wegen der finanziellen Vergünstigungen eingegangen. Die rechtlichen Folgerungen des FG ließen sich auch Art. 6 Abs. 1 GG nicht entnehmen. Art. 6 Abs. 1 GG verbürge die Eheschließungsfreiheit. Voraussetzung für eine Ehe sei nicht die Gebärfähigkeit der Frau. Zudem schütze Art. 6 Abs. 1 GG die Familie, die unstreitig auch das Verhältnis zwischen Mutter und nichtehelichem Kind bzw. die Gemeinschaft zwischen nichtehelichem Kind zu seinem Vater umfasse. Ferner dürfe Art. 6 Abs. 4 GG nicht unbeachtet bleiben.

Sozialrechtliche Vorschriften wie § 27a SGB V oder Beihilferegelungen könnten nicht zur Auslegung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) herangezogen werden. Diese Bestimmungen richteten sich nach der Finanzierbarkeit, nicht jedoch nach der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen. Überdies führe gerade die Nichterstattung derartiger Aufwendungen zum Eingreifen des § 33 EStG.

Seit Erlass des § 27a SGB V im Jahr 1989 habe sich auch die Sichtweise bezüglich Ehe und Lebenspartnerschaft weiter gewandelt; im Jahr 1998 seien eheliche und nichteheliche Kinder erbrechtlich gleichgestellt worden. Außerdem sei das gemeinsame Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern zugelassen worden.

Schließlich habe das FG ihre, der Klägerin, psychische Erkrankung nicht hinreichend berücksichtigt. Sie habe unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen im Klageverfahren dargelegt, der unerfüllte Kinderwunsch habe zu ihrer seelischen Erkrankung geführt. Die als sachverständige Zeugen benannten Ärzte habe das FG indes nicht gehört.

Das FG habe nicht ausgeführt, weshalb entgegen der Atteste eine künstliche Befruchtung keine Heilbehandlung für eine psychische Erkrankung darstelle. Sie habe zeitweise wegen ihrer psychischen Zwangslage nicht mehr arbeiten können, was die behandelnden Ärzte bestätigen könnten.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung sowie unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2000 die Aufwendungen für die In-vitro-Fertilisationen in Höhe von 14 132 DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es vertritt die Auffassung, die Aufwendungen für In-vitro-Fertilisation bei verheirateten Paaren seien übereinstimmend mit der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen. Hingegen seien die Aufwendungen einer unverheirateten Frau für eine In-vitro-Fertilisation nicht zwangsläufig i.S. des § 33 EStG. Diese Differenzierung sei auch verfassungsrechtlich im Lichte des Schutzzweckes des Art. 6 Abs. 1 GG und des daraus folgenden Fördergebots sachlich gerechtfertigt; denn die Ehe sei potentiell auf Elternschaft angelegt.

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Abzug der Aufwendungen für In-vitro-Fertilisationen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG abgelehnt.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

2. Grundsätzlich sind nach der Rechtsprechung des Senats nur solche Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung abziehbar, die einen Bereich der Lebensführung betreffen, welcher der individuellen Gestaltung des Steuerpflichtigen entzogen ist. Für die Entscheidung, ob Aufwendungen zwangsläufig i.S. des § 33 EStG angefallen sind, ist auf die wesentliche Ursache abzustellen, die zu den Aufwendungen geführt hat. Liegt diese in der vom Einzelnen gestaltbaren Lebensführung, kommt ein Abzug nicht in Betracht (z.B. , BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom III R 68/03, BFHE 209, 312, BStBl II 2005, 566).

Bei der Auslegung und Anwendung des § 33 EStG hat der Senat Fallgruppen gebildet und entsprechend der Eigenart der einer solchen Fallgruppe zuzuordnenden Aufwendungen unterschiedliche Anforderungen an den Grund und den Umfang der Abziehbarkeit gestellt.

Eine Fallgruppe bilden die für die Behandlung einer Krankheit entstehenden Kosten. Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird nicht nur die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet, sondern es wird auch die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft. Die Aufwendungen werden vielmehr typisierend als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Durch diese typisierende Behandlung soll ein unzumutbares Eindringen in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen vermieden werden (Senatsurteil vom III R 36/01, BFHE 203, 295, BStBl II 2004, 47, unter II.2.d cc, m.w.N.).

Hinsichtlich der Begriffe „Krankheit” und „Heilbehandlungskosten” hat der Senat an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), des Bundesgerichthofs (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) angeknüpft, die über die Berücksichtigung von Heilbehandlungskosten im Rahmen der gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherung bzw. des Beihilferechts zu entscheiden haben (vgl. Senatsurteil vom III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, m.w.N.).

Nach insoweit übereinstimmender Auffassung setzt der Begriff der Krankheit einen anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand voraus, der den Betroffenen „in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen” derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Ob eine Anomalie als Krankheit anzusehen ist, kann unter Umständen auch von der persönlichen Lage des Betroffenen —z.B. seinem Alter oder seinem Beruf— abhängen oder auch von der —sich im Laufe der Zeit ggf. wandelnden— „Auffassung der Gesellschaft und der jeweiligen Rechtskultur” (Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, m.w.N.).

Eine Heilbehandlung umfasst nach der Rechtsprechung des Senats alle Eingriffe und anderen Behandlungen, die nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zweck angezeigt sind und vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.

Nur Aufwendungen für die unmittelbare, aufgrund der Krankheit erforderliche Heilbehandlung werden typisierend als zwangsläufig i.S. des § 33 EStG behandelt. Nicht als außergewöhnliche Belastung sind dagegen Aufwendungen für solche Maßnahmen zu berücksichtigen, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung in dem hier maßgeblichen Sinne fallen, sondern einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen (, BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761, m.w.N.).

3. Bei der In-vitro-Fertilisation werden einer Frau Eizellen entnommen, außerhalb des Körpers mit dem Samen eines Mannes befruchtet und anschließend in die Gebärmutter eingeführt. Begrifflich wird zwischen der homologen und der heterologen In-vitro-Fertilisation unterschieden. Homolog bedeutet, dass die künstliche Befruchtung bei einem Ehepaar mit Eizellen und Samen des Ehepaares durchgeführt wird. Unter den Begriff heterolog fallen alle anderen Formen der In-vitro-Fertilisation —Befruchtung einer fremden Eizelle mit dem Samen des Ehemannes, Befruchtung eigener Eizellen der Ehefrau mit dem Samen eines fremden Mannes, künstliche Befruchtungen bei nicht verheirateten Paaren, bei gleichgeschlechtlichen Paaren und bei einer unverheirateten Frau— (vgl. Höfler, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, SGB V § 27a Rz. 17; Schoenfeldt/Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., MB/KK § 1 Rz. 54). Künstliche Befruchtungen bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Eizellen und Samen des Paares werden aber zum Teil wegen der Identität von sozialen und genetischen Eltern ebenfalls als homolog oder als quasi homolog bezeichnet (Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil II, SGB V § 27a Rz. 143 ff., m.w.N.; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Stichwort „Insemination”).

Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin wie die In-vitro-Fertilisation sind nicht uneingeschränkt zulässig. Die von den Landesärztekammern erlassenen Berufsordnungen für Ärzte (BO) enthalten gleichlautende Richtlinien zur Indikation und Durchführung von künstlichen Befruchtungen (vgl. § 13 BO für Nordrhein-Westfalen i.V.m. der „Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion” —RL—). Nach diesen Richtlinien sind In-vitro-Fertilisationen medizinisch und ethisch nur vertretbar, wenn „bestimmte Zulassungs- und Durchführungsbedingungen eingehalten werden” (Nr. 2. RL). Dazu gehört unter anderem eine umfassende Aufklärung über die medizinischen Risiken, die psychischen Belastungen und über „die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen” (Nr. 3.2.3. Abs. 1, Nr. 3.4. RL). Grundsätzlich darf nur der Samen des Ehepartners verwendet werden. Bei nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft dürfen Maßnahmen der assistierten Reproduktion nur nach vorheriger Beratung durch die bei der Ärztekammer eingerichtete Kommission durchgeführt werden. Unzulässig sind die Maßnahmen bei alleinstehenden Frauen, in gleichgeschlechtlichen Beziehungen und wenn erkennbar ist, dass die Frau das Kind nach der Geburt dauerhaft anderen überlassen will (Nr. 3.2.3. Abs. 3, 4 RL).

4. Kosten, die einer nicht verheirateten Frau für In-vitro-Fertilisationen entstehen, sind nicht als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen, auch wenn die Frau in einer festen Beziehung lebt und die Ethikkommission der zuständigen Ärztekammer die Maßnahmen genehmigt hat (a.A. , EFG 2004, 199, insoweit allerdings nicht entscheidungserheblich; , EFG 2005, 1266; Rüsken, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1998, 1745; Siegers, EFG 2003, 1312, und EFG 2005, 1268).

a) Nach Auffassung des Senats ist ein Eileiterverschluss, der die Befruchtung einer Eizelle verhindert, ein körperlicher Defekt, der bei Frauen, die ein Kind bekommen möchten, als Krankheit anzusehen ist. Dieser Defekt kann bei einer unverheirateten Frau nicht anders beurteilt werden als bei einer verheirateten (offen gelassen im Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805). Maßnahmen zur Behebung der Empfängnisunfähigkeit —z.B. durch einen operativen Eingriff bei einem Eileiterverschluss— sind daher auch bei unverheirateten Frauen eine (angemessene und notwendige) Heilbehandlung, weil hierdurch der „normale” körperliche Zustand (wieder) hergestellt wird (Landessozialgericht —LSG— Mecklenburg-Vorpommern vom L 4 KR 3/01, Entscheidungssammlung der Landessozialgerichte —E-LSG— KR-215). Derartige Maßnahmen gehören auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 4 SGB V zur Krankenbehandlung unabhängig vom familienrechtlichen Stand der Frau.

b) Hiervon zu unterscheiden sind ärztliche Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch eine künstliche Befruchtung. Denn hierdurch wird der körperliche Defekt (Eileiterverschluss) nicht beseitigt; die Frau bleibt nach wie vor empfängnisunfähig (vgl. auch LSG Mecklenburg-Vorpommern in E-LSG KR-215). Es wird lediglich der natürliche Zeugungsvorgang, der wegen des Verschlusses der Eileiter nicht zur Befruchtung einer Eizelle führen kann, ersetzt durch die künstliche Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers.

Der BGH und das BVerwG halten dies ebenfalls für eine —unter den Begriff der Heilbehandlung im Sinne des Krankenversicherungs- bzw. Beihilferechts fallende— Linderung der Krankheit, aber nur bei empfängnisunfähigen, verheirateten Frauen ( IVa ZR 78/85, BGHZ 99, 228, und des , BVerwGE 119, 265; vgl. ferner , BGHZ 158, 166, zur In-vitro-Fertilisation als Heilbehandlung des sterilen Ehemannes).

Im Sozialversicherungsrecht wird dagegen unterschieden zwischen den Leistungen der „normalen” Krankenbehandlung nach § 27 SGB V und den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, die in § 27a SGB V als eigenständiger Versicherungsfall geregelt sind und nur „rechtstechnisch” den Leistungen der Krankenbehandlung zugeordnet werden (, BSGE 88, 62; vom B 1 KR 33/00 R, NJW 2002, 1517, jew. m.w.N.; Schmidt in Peters, a.a.O., SGB V § 27a Rz. 34; vgl. auch BTDrucks 11/6760, S. 14).

Steuerrechtlich handelt es sich bei In-vitro-Fertilisationen jedenfalls nicht um unmittelbare Heilbehandlungsmaßnahmen, deren Kosten typisierend als zwangsläufig und angemessen i.S. des § 33 EStG anzusehen sind.

c) Für die Entscheidung, ob Aufwendungen für In-vitro-Fertilisationen als Heilbehandlungsmaßnahmen im weiteren Sinn einer empfängnisunfähigen Frau aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen, sind —wie bereits im Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 ausgeführt— verfassungsrechtliche Wertentscheidungen sowie in der Gesellschaft vorherrschende Auffassungen zu beachten.

aa) Eine solche verfassungsrechtliche Wertentscheidung ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG. Der Senat hat deshalb im Urteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 die Aufwendungen für homologe In-vitro-Fertilisationen bei Ehepaaren nach § 33 EStG grundsätzlich für abziehbar gehalten.

Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Geschützt wird nicht nur die Ehe selbst, sondern auch die in gemeinsamer Verantwortung getroffene Entscheidung des Ehepaares für eigene Kinder (Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 7. Aufl., Art. 6 Rz. 3 und 5). Auch wenn nach dem heutigen Eheverständnis ein bestimmter Eheinhalt nicht mehr vorgegeben ist und daher eine kinderlose Ehe ebenfalls eine vollwertige Ehe ist (, BGHZ 146, 391), ist mit der Eheschließung überwiegend der Wunsch der Ehepartner verbunden, eine Familie mit gemeinsamen Kindern zu gründen. Nach der Entscheidung des Senats in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 gehört es zu den „überkommenen, in dem verfassungsrechtlichen Leitbild eingeschlossenen Zielen” der Ehe, gemeinsam Kinder aufzuziehen.

bb) Haben sich Ehegatten in freier gemeinsamer Verantwortung dazu entschieden, Kinder zu bekommen (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 146, 391) und lässt sich dieser Wunsch wegen der nicht behebbaren Empfängnisunfähigkeit der Ehefrau nicht verwirklichen, so führt dies oftmals zu einer erheblichen Einschränkung ihres Selbstwertgefühls und zu schwerwiegenden Konflikten zwischen den Ehepartnern (BGH-Urteil in BGHZ 99, 228). „Nach den in der Rechtsgemeinschaft bestehenden, durch gesetzliche Wertentscheidungen geprägten Überzeugungen” befindet sich eine verheiratete, empfängnisunfähige Frau, die zusammen mit ihrem Ehepartner Kinder haben möchte, in einer tatsächlichen Zwangslage, die es rechtfertigt, nicht nur die Kosten für ärztliche Maßnahmen zur (Wieder-)Herstellung der Empfängnisfähigkeit, sondern auch die Aufwendungen für künstliche Befruchtungen als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen (Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805).

d) Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich aus der Verfassung nicht ableiten, dass Aufwendungen, die nichtehelichen Lebensgemeinschaften für künstliche Befruchtungen entstehen, ebenfalls als außergewöhnliche Belastung steuermindernd berücksichtigt werden müssen.

aa) Art. 6 Abs. 1 GG ist eine wertentscheidende Grundsatznorm, die sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Auslegung von Normen durch die Gerichte zu beachten ist (z.B. , BVerfGE 105, 313, 346, m.w.N.; Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805).

Soweit der Gesetzgeber Ehe und Familie steuerlich besser stellt als nichteheliche Lebensgemeinschaften, ist dies durch Art. 6 Abs. 1 GG gerechtfertigt ( u.a., BVerfGE 108, 351; , BFHE 194, 462, 464, BStBl II 2001, 610, und vom VIII R 88/00, BFH/NV 2004, 1103, jew. m.w.N.). Auch eine Auslegung, die aufgrund der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bestimmte Aufwendungen —wie die Kosten für künstliche Befruchtungen— bei verheirateten Paaren zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zulässt, hingegen gleichartige Aufwendungen bei nicht verheirateten Paaren vom Abzug ausschließt, ist deshalb verfassungsgemäß. Eine unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie im Vergleich zu anderen Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens verstößt nicht gegen den insoweit nachrangigen Art. 3 Abs. 1 GG (, BStBl II 1984, 172; BFH-Urteil in BFHE 194, 462, BStBl II 2001, 610).

Auch wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften mit der bürgerlichen Ehe auf einigen Rechtsgebieten gleichgestellt worden sind, unterscheiden sie sich weiterhin wesentlich von der Ehe dadurch, dass bei der Ehe nicht nur die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Partner während der Dauer der Gemeinschaft geregelt sind, sondern auch die Aufhebung der Gemeinschaft und die sich daraus ergebenden vermögensmäßigen und wirtschaftlichen Folgen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 462, BStBl II 2001, 610).

Die Klägerin beruft sich darauf, dass durch Art. 6 Abs. 1 GG als Familie auch das nichteheliche Kind und seine Mutter sowie durch Art. 6 Abs. 4 GG die Mutter eines Kindes ohne Rücksicht auf den Familienstand geschützt würden. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG beschränkt sich jedoch auf bestehende Familien (Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom L 4 KR 109/02, Neue Zeitschrift für Sozialrecht —NZS— 2004, 101; , nicht veröffentlicht —n.v.—, juris). Auch Art. 6 Abs. 4 GG schützt nur die Frau, die ein Kind geboren hat oder bereits schwanger ist. Aus diesen Vorschriften kann daher kein Anspruch auf steuermindernde Berücksichtigung von Aufwendungen hergeleitet werden, die der Zeugung von Kindern dienen und erst die Gründung einer Familie ermöglichen sollen.

Eine Pflicht zur Förderung nichtehelicher, erst zu zeugender Kinder ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 5 GG (a.A. Vorlagebeschluss des Sozialgerichts —SG— Leipzig vom S 8 KR 87/02, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht —FamRZ— 2004, 572). Dem Verfassungsauftrag in Art. 6 Abs. 5 GG, nichtehelichen Kindern die gleichen Bedingungen wie ehelichen zu schaffen, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass nichteheliche Kinder insgesamt ungünstigere Lebensbedingungen vorfinden als eheliche ( u.a., BVerfGE 107, 150, unter C.I.1.b). Bei der Entscheidung, ob Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durch steuermindernde Berücksichtigung zu fördern sind, ist daher auch zu berücksichtigen, dass nach vorherrschender Auffassung in der Gesellschaft das Wohl des Kindes typischerweise in einer Ehe eher gewährleistet ist, als in einer festen Partnerschaft, obgleich eine Ehe keine Garantie für ein intaktes Elternhaus darstellt und umgekehrt eine nichteheliche Lebensgemeinschaft einer Ehe gleichwertige Bedingungen bieten kann (Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern in E-LSG KR-215).

bb) Ein Anspruch der Klägerin auf Abzug der Aufwendungen nach § 33 EStG kann auch nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden.

Das Recht, Kinder zu gebären, gehört bei verheirateten wie bei unverheirateten Frauen zwar zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (vgl. Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805) und schließt das Recht ein, ärztliche Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu lassen, soweit diese rechtlich erlaubt sind. Ebenso wenig wie aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für künstliche Befruchtungen abgeleitet werden kann (zum Leistungsanspruch aus Art. 2 GG vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 2 Rz. 13; Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rz. 57), kann darauf ein Anspruch auf steuermindernde Berücksichtigung dieser Kosten gestützt werden.

Aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) ergibt sich lediglich, dass der existenznotwendige Bedarf, der durch den im Sozialhilferecht jeweils anerkannten Mindestbedarf bestimmt wird, von der Einkommensbesteuerung auszunehmen ist ( u.a., BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, unter C.1.). Weiter gehende Ansprüche auf Steuerfreistellung für durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte, der privaten Lebensführung zuzurechnende Aufwendungen können daraus aber nicht abgeleitet werden.

e) Der Senat sieht sich in seiner Entscheidung, Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bei in fester Partnerschaft lebenden Frauen nicht zum Abzug zuzulassen, bestärkt durch die Bestimmungen und die Rechtsprechung im Krankenversicherungs- und im Beihilferecht.

Maßnahmen für homologe künstliche Befruchtungen einer verheirateten Frau gehören zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27a SBG V). Dies war mitbestimmend für den Senat, die Kosten hierfür bei verheirateten Frauen zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zuzulassen. Wenn das Sozialversicherungsrecht die homologe künstliche Befruchtung als Maßnahme anerkennt, für welche die Solidargemeinschaft der Versicherten wie für sonstige medizinisch notwendige Maßnahmen i.S. des § 27 SGB V einzustehen hat, kann einkommensteuerrechtlich in Fällen, in denen kein Sozialversicherungsschutz besteht, eine solche Maßnahme nicht mit Entscheidungen der frei gestaltbaren Lebensführung gleichgestellt werden (Senatsurteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805).

§ 27a SGB V beschränkt den Leistungsanspruch aber auf homologe künstliche Befruchtungen. Nach der Rechtsprechung der LSG ist diese Beschränkung verfassungsgemäß; der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften im Rahmen des § 27a SGB V den Partnern einer Ehe gleichzustellen (z.B. Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern in E-LSG KR-215; Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom L 4 KR 61/01, E-LSG KR 234, und in NZS 2004, 101; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom L 5 KR 120/02, juris, Nichtzulassungsbeschwerde durch als unzulässig verworfen, n.v., juris). Das SG Leipzig hält die Beschränkung dagegen für verfassungswidrig und hat die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebeschluss in FamRZ 2004, 572).

Soweit In-vitro-Fertilisationen in den beihilferechtlichen Vorschriften geregelt sind, sind ebenfalls nur die Kosten für homologe In-vitro-Fertilisationen beihilfefähig. Die Oberverwaltungsgerichte (OVG) halten die insoweit unterschiedliche Behandlung verheirateter und nicht verheirateter Paare aus unterschiedlichen Erwägungen für sachgerecht (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3 B 92.2829, NJW 1993, 3013; Urteile des OVG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6 A 6006/96, NJW 1998, 3438, und des 4 B 3.03, n.v., juris).

5. Im Ergebnis zutreffend hat es das FG unter Hinweis auf das Senatsurteil vom III R 150/86 (BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596) abgelehnt, die Aufwendungen der Klägerin im Hinblick auf eine —infolge ihres unerfüllten Kinderwunsches möglicherweise eingetretene— seelische Erkrankung nach § 33 EStG zu berücksichtigen. Eine künstliche Befruchtung kann ebenso wenig wie die Adoption eines Kindes als Heilbehandlung einer seelischen Erkrankung beurteilt werden.

Es ist mit dem Grundrecht auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 und 3 GG) unvereinbar, Kosten für die künstliche Zeugung eines Kindes als Aufwendungen für die zwangsläufige Heilbehandlung einer seelischen Erkrankung zu berücksichtigen. Auch wenn zum Zeitpunkt der künstlichen Befruchtungen —anders als bei der Adoption— noch kein zu schützendes Rechtssubjekt vorhanden ist, so wird doch mit der Befruchtung der Eizelle und der Einpflanzung des Embryos die Ursache für die Entstehung menschlichen Lebens gesetzt. Auch die Würde des werdenden Lebens wird bereits ab der Befruchtung der Eizelle geschützt (Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 1 Rz. 6). Die Zeugung eines Kindes als Medikamenten- oder Therapieersatz einer seelischen Erkrankung zu behandeln, würde in Widerspruch zu der Wertentscheidung des Art. 1 GG stehen.

Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 495
BB 2005 S. 2398 Nr. 44
BFH/NV 2005 S. 2277 Nr. 12
BStBl II 2006 S. 495 Nr. 11
DB 2005 S. 2502 Nr. 46
DStRE 2005 S. 1327 Nr. 22
DStZ 2005 S. 802 Nr. 22
EStB 2005 S. 451 Nr. 12
FR 2005 S. 1171 Nr. 22
HFR 2005 S. 1173 Nr. 12
INF 2005 S. 847 Nr. 22
NJW 2005 S. 3517 Nr. 48
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2005 S. 3588
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2008 S. 550
SJ 2005 S. 8 Nr. 24
StB 2005 S. 442 Nr. 12
StBW 2005 S. 4 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2005 S. 982
IAAAB-67523