BFH Beschluss v. - VIII B 105/04

Verletzung rechtlichen Gehörs; Steuerhinterziehung bei Kapitalanlagen im Ausland S. 25

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, § 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerinnen und Beschwerdegegnerinnen (Klägerinnen) sind Miterben ihres 1999 verstorbenen Onkels (A.X.). A.X. war auländischer Staatsbürger und lebte auch nach dem Tod seiner im Jahre 1989 verstorbenen Ehefrau (E.X.), die er alleine beerbt hatte, im Inland.

Für das Streitjahr 1988 reichten die Eheleute X. letztmals eine Einkommensteuererklärung ein, die zu keiner Steuerfestsetzung führte. Die Erklärung, mit der die Zusammenveranlagung beantragt wurde, war nur von E.X. unterschrieben und enthielt zu der für E.X. abgegebenen Anlage KSO lediglich den Hinweis „unter Freibetrag!”.

Im Anschluss an Steuerfahndungsprüfungen bei verschiedenen Banken erlangte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) Kenntnis davon, dass A.X. aus im Jahre 1992 ins Ausland transferiertem Kapitalvermögen Zinsen in erheblichem Umfang erzielt hatte. Die Konten wurden auf den Namen der Klägerin zu 2, die von Beruf Bankkaufrau ist, geführt. Da das FA den Tatbestand der Steuerhinterziehung und damit die Voraussetzungen der 10-jährigen Verjährungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) als erfüllt ansah, setzte es mit Bescheiden vom erstmals die Einkommensteuer für die Streitjahre (1988, 1989) fest; hierbei ging es von —im Wege der Schätzung ermittelten— Kapitaleinnahmen in Höhe von ... DM (1988) und ... DM (1989) aus.

Der nach erfolglosem Einspruchverfahren erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben, weil der Nachweis einer vorsätzlichen Steuerverkürzung nicht geführt werden könne. Entgegen der Ansicht des FA habe die mündliche Verhandlung keine Tatsachen erkennen lassen, die aufgrund des Kapitaltransfers ins Ausland die Annahme begründen könnten, A.X. habe vorsätzlich gehandelt. Vielmehr sei für den Geldtransfer durch die Einlassungen der Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung ein zumindest „theoretisch denkbarer Grund” genannt worden, weil hiernach A.X. habe verhindern wollen, dass sein Sohn aus erster Ehe von dem Kapitalvermögen erfahre; darüber hinaus habe er geglaubt, die Bankgeschäfte in den Anlagestaaten notfalls selbst in seiner (ihm geläufigeren) Muttersprache abwickeln zu können. Auch gegenüber E.X., die die Einkommensteuererklärung 1988 unterschrieben habe, könne der Nachweis des Vorsatzes nicht geführt werden, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass sie von den Kapitalanlagen ihres Ehemannes Kenntnis gehabt habe. Von Letzterem sei auch bezüglich der Klägerin zu 1 auszugehen, obgleich ihr als Finanzbeamtin die Steuerpflicht von Kapitalerträgen bewusst gewesen sei und sie E.X. bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung 1988 geholfen habe. Schließlich könne auch gegenüber der Klägerin zu 2 der Vorwurf der (vorsätzlichen) Steuerhinterziehung nicht erhoben werden, da sie lediglich mit den ausländischen Kapitalanlagen, nicht jedoch mit den steuerlichen Angelegenheiten der Eheleute X. befasst gewesen sei.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA.

II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil das FA keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Der Vortrag des FA, eine Revisionsentscheidung sei zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, zweiter Halbsatz FGO), weil die Vorinstanz von dem (BFH/NV 1995, 606, 607) abgewichen sei, nach dem das FG einen Beweis des ersten Anscheins nur dann außer Betracht lassen dürfe, wenn dieser in jeder Hinsicht als widerlegt angesehen werden könne, ist unschlüssig. Er verkennt, dass das FG —abweichend vom Rechtsstandpunkt des FA— aus dem Kapitaltransfer ins Ausland nicht im Sinne eines den Anscheinsbeweis kennzeichnenden typischen Geschehensablaufs (dazu Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 37 ff.) auf das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes zur Steuerverkürzung geschlossen, sondern seine Entscheidung vielmehr darauf gestützt hat, ob die nach der mündlichen Verhandlung erkennbaren Umstände (einschließlich des Kapitaltransfers) im Wege der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) den Schluss auf einen zumindest bedingten Tatvorsatz gestatten (vgl. zur Feststellungslast auch , BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128; , BFH/NV 2002, 749).

2. Unschlüssig ist ferner die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—; § 96 Abs. 2 und § 93 Abs. 1 FGO).

a) Dies gilt zum einen für den Vortrag, das FA habe im Hinblick auf den Tatvorsatz des A.X. davon ausgehen müssen, dass die bisher nicht bekannten und von der Klägerin zu 2 erstmals in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen vom FG als Schutzbehauptung gewertet würden.

Zwar schützt der Anspruch auf rechtliches Gehör die Verfahrensbeteiligten auch vor sog. Überraschungsentscheidungen mit der Folge, dass das Gericht gehindert ist, einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen und damit dem Rechtsstreit eine Wendung zu geben, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (§ 96 Abs. 2 FGO; , BFH/NV 2001, 1566, m.w.N.). Auch darf eine Prozesspartei hiernach nicht mit einer Tatsachenwürdigung überrascht werden, die von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (BFH-Beschlüsse vom VIII B 37/95, BFH/NV 1997, 124, und vom III B 64/01, juris).

Die Ausführungen des FA sind jedoch nicht geeignet, diese Voraussetzungen darzulegen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Zum einen bleibt offen, aufgrund welcher Umstände das FA zu der Auffassung gelangt ist, das FG würde im Rahmen seiner Beweiswürdigung den Aussagen der Klägerin zu 2 als bloße Schutzbehauptung keine Beachtung schenken. Zum anderen hat das Gericht mit seiner Tatsachenwürdigung dem Rechtsstreit keine für das FA unvorhersehbare Wendung gegeben, sondern lediglich die dem FA bekannte Rechtsauffassung der Klägerinnen (im Ergebnis) bestätigt. Schließlich ist auch nicht erkennbar, weshalb die Behörde keine Gelegenheit gehabt haben sollte, den Einlassungen der Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung entgegenzutreten oder diese zumindest zu hinterfragen (zum Verlust des Rügerechts vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 13, m.w.N.).

b) Nichts anderes gilt im Ergebnis für die weitere Rüge, das FG sei, nachdem es den Tatvorsatz des A.X. als nicht erwiesen erachtet hatte, verpflichtet gewesen, die Frage einer möglichen Steuerhinterziehung durch die Klägerinnen mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, da die Behörde auf der Grundlage ihrer bisherigen Einschätzung keine Veranlassung gehabt habe, zu den damit verbundenen Rechts- und Tatfragen Stellung zu nehmen (§ 93 Abs. 1 FGO).

Das FA verkennt hierbei, dass —vorbehaltlich einer sog. Überraschungsentscheidung— dem Gericht keine Verpflichtung obliegt, die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit dem Beteiligten umfassend zu erörtern oder auf seinen eigenen Rechtsstandpunkt oder auf seine Schlussfolgerungen im Rahmen der Beweiswürdigung hinzuweisen. Selbst dann, wenn die Rechtslage umstritten ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383, m.w.N.; BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 124, m.w.N.).

Demgemäß hätte das FA für eine substantiierte Rüge der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darlegen müssen, dass das FG mit der Erörterung des Nachweises einer Steuerhinterziehung durch die Klägerinnen oder zumindest im Hinblick auf die Würdigung der hierfür vorliegenden Tatsachen dem Prozess im Sinne einer Überraschungsentscheidung eine für die Behörde unvorhersehbare Wendung gegeben habe. Beides ist vom FA jedoch nicht in schlüssiger Form geltend gemacht worden. Zum einen deshalb nicht, weil nach den vorstehenden Ausführungen zu Abschn. II.2.a der Gründe dieses Beschlusses das FA jedenfalls unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung in Betracht ziehen musste, dass A.X. eine vorsätzliche Steuerverkürzung nicht werde nachgewiesen werden können, und demgemäß sich der Behörde die Entscheidungserheblichkeit eines solchen Tatvorwurfs gegenüber den Klägerinnen aufdrängen musste (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Zum anderen kommt hinzu, dass das FG seine Auffassung, der Nachweis der Steuerhinterziehung könne gegenüber den Klägerinnen nicht geführt werden, gerade auf die von der Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erläuterungen gestützt hat. Auch insoweit ist mithin nicht erkennbar, aus welchem Grund das FA gehindert gewesen sein sollte, hierauf noch in der Sitzung zu erwidern.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2211 Nr. 12
HAAAB-63579