Erfordernis einer eigenständigen Begründung; Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2, § 56, § 119 Nr. 6
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 2 K 2643/03
Gründe
Nachdem die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Steuernachzahlungen nicht geleistet hatte und auch Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos verliefen, forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Klägerin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf. Einspruch und Klage gegen diesen Verwaltungsakt hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Behauptung der Klägerin, ihre Vermögensverhältnisse seien dem FA bekannt gewesen, nicht zutreffen würde. Aus den von der Klägerin eingereichten Einkommensteuererklärungen ließe sich der aktuelle Vermögensstand nicht entnehmen. Auch die im Einspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen hätten eine zuverlässige Feststellung des Vermögensbestandes nicht zugelassen. Die von der Klägerin zudem vorgelegte eidesstattliche Versicherung habe keine substantiierte Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse enthalten. Aus diesen Gründen habe das FA die Klägerin zu Recht nach § 284 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgefordert.
Mit Telefax vom legte der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein und kündigte gleichzeitig die fristgerechte Nachreichung der Beschwerdebegründung an. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch die neu bestellte Prozessbevollmächtigte ging beim Bundesfinanzhof (BFH) jedoch erst am und damit einen Tag nach Ablauf der vom Vorsitzenden verlängerten Begründungsfrist ein. Ihren Antrag vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit einer überlangen Postlaufzeit. Wie sich aus der beigefügten eidesstattlichen Versicherung des Herrn B ergebe, sei der Brief mehrere Tage vor Fristablauf beim Hauptpostamt der Stadt H eingeliefert worden.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass das FG den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet habe. Hätte das FG den Sachverhalt gewürdigt und der Klägerin rechtliches Gehör gewährt, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. Denn dem FA seien die Vermögensverhältnisse der Klägerin sehr wohl bekannt gewesen. Das FA habe der Klägerin „mehrfach Essengeld erstattet”. Hinsichtlich dieses Verteidigungsmittels sei das erstinstanzliche Urteil nicht mit Gründen versehen. Darüber hinaus werfe der Streitfall die Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob Erstattungen von Geldbeträgen durch das FA, welche Rückschlüsse auf die Lebenshaltung des Steuerschuldners zuließen, belegen würden, dass das FA die Vermögensverhältnisse des Schuldners bereits zuverlässig kenne. Hätte das FA eine solche zuverlässige Kenntnis, sei die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ermessensfehlerhaft.
Ergänzend bittet die Klägerin um Beiziehung der Akten eines anderen beim BFH anhängigen Verfahrens (X B 107/04) und verweist auf den Akten zu entnehmende Ausführungen zu § 100 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO). In ihrem Schriftsatz vom hat die Klägerin im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag verwiesen und mehrere Dokumente vorgelegt, aus denen sich u.a. ergibt, dass ihr gegenüber dem FA kein Anspruch auf Steuererstattung zusteht und dass ein gegen sie eingeleitetes Strafverfahren wegen Steuerverkürzung eingestellt worden ist. Darüber hinaus rügt sie eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von mehreren Entscheidungen des BVerfG zur Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und Gewährung eines Haushaltsfreibetrages und die Verletzung ihres Gehörsanspruchs, den sie bereits in zwei an das FG gerichteten Schriftsätzen unter Beantragung einer Tatbestandsberichtigung und der Darstellung der nicht berücksichtigten Erörterungspunkte geltend gemacht habe.
Der Klägerin kann zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt werden; die Beschwerde selbst hat jedoch keinen Erfolg.
a) Auf ihren Antrag wird der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Denn die Fristversäumung erfolgte ohne ihr Verschulden. Nach der Rechtsprechung des BFH können Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder der Zustellung, die der Kläger nicht zu vertreten hat, nicht als dessen Verschulden gewertet werden. In dessen Verantwortung liegt nur, das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend und so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Bundespost bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht (vgl. , BFH/NV 1988, 26). Nach den Angaben des mit der Aufgabe zur Post beauftragten Herrn B hat dieser den Brief mit der Beschwerdebegründung im Auftrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mehrere Tage vor Fristablauf zur Post gegeben und sich bei der am Einlieferungsschalter tätigen Postangestellten versichert, dass eine Zustellung noch am folgenden Tage —und damit noch fristgerecht— gewährleistet sei. Unter diesen Umständen durfte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine fristgerechte Zustellung des Schriftstückes vertrauen.
b) Allerdings hat die Klägerin in der Beschwerdeschrift nicht gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt, dass die Voraussetzungen eines in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgrundes vorliegen.
aa) Soweit die Klägerin rügt, dass das FG die gebotene Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkannt habe, rügt sie die vermeintlich fehlerhafte materiell-rechtliche Würdigung durch das FG. Dieses Vorbringen kann jedoch nicht zu einer Zulassung der Revision führen. Denn Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 24 und § 116 Rz. 34, jeweils m.w.N.).
bb) Hinsichtlich der Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wird auch nicht ansatzweise dargelegt, zu welchen Punkten sich die Klägerin nicht hat äußern können und was sie bei Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Die bloße Behauptung, dass die Entscheidung dann anders ausgefallen wäre, genügt den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht.
cc) Den Ausführungen der Klägerin ist auch das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes i.S. von § 119 Nr. 6 FGO nicht zu entnehmen. Mit der Behauptung, das FG habe die Erstattung von Essengeld in der Entscheidung nicht berücksichtigt, wird das Übergehen eines selbstständigen Anspruches bzw. eines selbstständigen Verteidigungsmittels nicht hinreichend belegt. Nach der Rechtsprechung des BFH sind darunter nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbstständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Darüber hinaus hat die Klägerin die von ihr behauptete Erstattung von Essengeld nicht substantiiert vorgetragen, denn aus den beigefügten Umbuchungsmitteilungen des FA lässt sich eine solche Erstattung nicht entnehmen.
dd) Soweit sich die Klägerin auf die Darlegung von Zulassungsgründen in einem anderen ebenfalls beim BFH anhängigen Verfahren bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich eigenständig zu begründen ist. Eine Bezugnahme auf Schriftsätze in einem anderen Verfahren reicht deshalb zur Begründung nicht aus (vgl. , BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, sowie Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Rdnr. 161, m.w.N.). Im Übrigen hat der die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 2 K 698/01 als unzulässig verworfen und zuvor auch den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beschluss vom X S 7/04 (PKH) abgelehnt. Der Senat nimmt auf diese Entscheidungen Bezug.
ee) Der Beschwerdeschrift kann auch die Darlegung einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht entnommen werden. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Die Bedeutung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage für die Allgemeinheit wird nicht einmal ansatzweise dargelegt. Das Vorbringen, allein aus der Auseinandersetzung mit Einzelfällen sei Rechtsfortbildung möglich, denn die Summe der Einzelfälle bilde die Allgemeinheit und den Staat als Personengemeinschaft überhaupt, wird den an eine ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung zu stellenden Anforderungen in keiner Weise gerecht. Unabhängig davon wäre die von der Klägerin aufgeworfene Frage auch nicht klärungsfähig, denn sie könnte nur einzelfallbezogen beantwortet werden. Auch vermag der beschließende Senat nicht zu erkennen, inwieweit die behauptete Erstattung von bestimmten Geldbeträgen durch das FA zuverlässige Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse der Klägerin zulassen könnte, so dass eine Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als ermessenswidrig angesehen werden müsste.
ff) Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom bisher nicht vorgebrachte Zulassungsgründe nachschiebt, mit denen sie eine Zulassung der Revision insbesondere unter den Gesichtspunkten der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung zu erreichen sucht, ist der beschließende Senat an einer Berücksichtigung gehindert. Denn gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO ist die versäumte Rechtshandlung, soweit es um die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde geht, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses (Antragsfrist) nachzuholen. Im Streitfall ist das Hindernis mit der am erfolgten Zustellung der Mitteilung der Geschäftsstelle des VII. Senats des BFH über den verspäteten Eingang der Beschwerdebegründung weggefallen. Die über ein halbes Jahr nach Ablauf der Antragsfrist nachgeschobenen Darlegungen können daher keine Berücksichtigung mehr finden.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1852 Nr. 10
CAAAB-60899