Finanzbehörde Hamburg - 51 - S 7165 - 001/03

Umsatzbesteuerung der Umsätze aus Geldspielautomaten;
, Nachfolgeentscheidung zum  verbundenen Rechtsachen C-453/02 und C-462/02 –

Bezug:

Rechtslage und schwebendes Gesetzgebungsverfahren

Nach dem o.a. BFH-Urteil, das demnächst im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht wird, können sich Unternehmer bei den von ihnen mit Geldspielautomaten ausgeführten Umsätzen auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG-Richtlinie berufen. Die Frage der Vergleichbarkeit zwischen diesen Umsätzen und den Umsätzen in den Spielbanken kommt keine Bedeutung zu. Die Tatsache, dass Spielbanken einer Spielbankabgabe unterliegen, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Auf Initiative der Bundesregierung hat der Bundestag am das Zwanzigste Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes mit dem Ziel einer Umsatzbesteuerung aller Geldspielgeräteumsätze ab beschlossen. Diesem Gesetz hat der Bundesrat jedoch nicht zugestimmt (Sitzung am ). Die Bundesregierung hat daraufhin den Vermittlungsausschuss angerufen, der voraussichtlich am tagen wird.

Offene Fälle

Viele Unternehmer, die bisher Geldspielgeräteumsätze der Steuer unterworfen und vorangemeldet hatten, haben nach bekannt werden der o.a. EuGH-Verfahren bei den Finanzämtern sich ebenfalls auf die genannte Befreiungsvorschrift der 6. EG-Richtlinie berufen und sowohl Aufhebung der bisherigen Steuerfestsetzung als auch Erstattung der danach zuviel entrichteten Umsatzsteuer beantragt.

Die Finanzbehörde bittet, in diesen Fällen wie folgt zu verfahren:

a) Nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen

Soweit eine Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig ist, sind Erstattungsanträgen stattzugeben und die Festsetzungen aufzuheben. Dabei ist zu beachten, dass die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG-Richtlinie gleichzeitig nach Art. 17 der 6. EG-Richtlinie den Vorsteuerabzug ausschließt. Dies kann in noch nicht bestandskräftigen Fällen dazu führen, dass ein bereits ausgezahlter Vorsteuerüberhang zurückzufordern ist.

b) Eingeschränktes Vorsteuerabzugsrecht

Da die betroffenen Unternehmer bisher von der Steuerpflicht ihrer Umsätze ausgingen, dürften sie in der Regel keine getrennten Aufzeichnungen der steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze und der jeweils zuzurechnenden Vorsteuerbeträge vorgenommen haben. Deshalb ist bei Prüfung der Erstattungsanträge eine nachträgliche Aufteilung der Vorsteuerbeträge anzufordern und gegebenenfalls eine sachgerechte Schätzung vorzunehmen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen neben den Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit auch andere Spielgeräte, die der reinen Unterhaltung dienen, zum Angebot des Unternehmers gehören. Die Umsätze mit den letztgenannten Geräten unterliegen nach wie vor der Umsatzsteuer.

Weiter ist nach Veröffentlichung des o.a. BFH-Urteils zu prüfen, ob eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gem. § 15a UStG wegen Änderung der Verwendung vorzunehmen ist.

c) Verrechnung der Erstattungsguthaben

Vor Erstattung eines Umsatzsteuerguthabens ist zu prüfen, ob Rückstände bei anderen Steuerarten bestehen. Hierfür ist nicht nur Rücksprache mit der Vollstreckungsstelle des eigenen Finanzamtes, sondern auch mit der des Finanzamtes für Verkehrsteuern und Grundbesitz (insbesondere wegen der Spielgerätesteuer!) zu halten.

d) Keine Anwendung der „Emmott’schen Fristenhemmung”

Aus dem Gemeinschaftsrecht (und auch der AO) folgt kein Anspruch der Steuerpflichtigen auf Änderung bereits bestandskräftig gewordener Umsatzsteuerbescheide. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass – soweit keine gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften bestehen – das nationale Verfahrensrecht anzuwenden ist. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, dass bei gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten das nationale Recht im Vergleich zu nationalen Sachverhalten nicht diskriminierend angewendet und die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich gemacht werden darf.

Der EuGH hat in Konkretisierung dieser Grundsätze für nationale Regeln über die Bestandskraft in seinem Urteil vom (Rs. C-453/00 – Kühne & Heitz NV – HFR 2004, 488) festgestellt: Der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen Rechnung zu tragen, wenn

  • die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurück zu nehmen,

  • die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichtes bestandskräftig geworden ist,

  • das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des EuGH zeigt, auf der unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der EuGH um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 234 Abs. 3 EG erfüllt war, und

  • der Betroffene sich, unmittelbar nach dem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des EuGH erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat.

Die vorstehenden vom EuGH aufgestellten Kriterien waren im Ausgangsfall für den dort strittigen Anspruch auf Ausfuhrerstattung erfüllt. Der EuGH hat daher in diesem Fall lediglich entschieden, dass beim Vorliegen dieser Kriterien das Europarecht einen Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung gibt. Der Gerichtshof musste nicht Stellung nehmen, welche Kriterien mindesten erfüllt sein müssen, damit ein europarechtlicher Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung besteht.

Aus dem Urteil kann abgeleitet werden, das nur unter sehr engen Voraussetzungen ein europarechtlicher Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung bestehen kann. Ein solcher Anspruch ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn das nationale Recht keine Verfahren für die Änderung bestandskräftiger Entscheidungen bereithält.

Der EuGH betont in den Urteilsgründen die Bedeutung der Bestandskraftregeln für die Rechtssicherheit und stellt fest (Rn. 24), dass das Gemeinschaftsrecht es nicht verlangt, dass „eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Entscheidung zurück zu nehmen”. Gewährt das nationale Recht kein Verfahren, welches zu einer Änderung bestandskräftiger Entscheidungen führt, so kann das Gemeinschaftsrecht auch nicht die Einrichtung eines solchen Verfahrens verlangen.

Auf die sog. Emmott-Rechtsprechung (, EuGHE 1991 I S. 4269) können sich die Steuerpflichtigen auch nicht berufen, um eine Änderung schon bestandskräftiger Umsatzsteuer-Bescheide zu erreichen. Das Urteil Emmott hatte eine Sonderrechtsprechung geschaffen, die für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien – abweichend von den oben dargestellten Grundsätzen – vorsah, das die Berufung auf nationale Verfahrensvorschriften ausgeschlossen ist, welche die Durchsetzung eines in der betreffenden Richtlinie gewährten Rechts behindern. In der Entscheidung Fantask (Urteil v. , Rs. C-188/95, EuGHE 1997 I S. 6783) hat aber der EuGH klargestellt (Rn. 51) dass seine damalige Rechtsprechung in Emmott sich nur auf einen – hier nicht gegebenen Sonderfall bezog. In der Literatur wird seitdem ganz überwiegend vertreten, dass der EuGH damit seine Emmott-Rechtsprechung in der Sache aufgegeben hat (vgl. Gundel, NVwZ 1998, 920 ff. und Hahn, IstR 2005, 145, 149). Ebenso kommen Leonard/Szszekalla in einer in der UStR 2005, S. 420, veröffentlichten Untersuchung zum Ergebnis, dass im Fall Linneweber die Emmott-Rechtsprechung keine Anwendung finden kann.

Anträge auf Aufhebung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen mit dem Ziel einer Steuererstattung sind unter Hinweis auf die vorstehenden Ausführungen abzulehnen.

e) Zeitlicher Umfang der Erstattungen bis

Da das Verfahren zum Zwanzigsten Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (s. oben) noch nicht abgeschlossen ist, bittet die FinBeh, einstweilen nur Erstattungen stattzugeben, bei denen die o.a. Voraussetzungen bis zum gegeben sind. Sollte das genannte Gesetz auf Grund des Vermittlungsverfahrens doch noch verabschiedet werden, ist nämlich als Zeitpunkt seines Inkrafttretens der vorgesehen. Über den Ausgang des Vermittlungsverfahrens wird die FinBeh zu gegebener Zeit informieren.

Finanzbehörde Hamburg v. - 51 - S 7165 - 001/03

Fundstelle(n):
OAAAB-60399