BFH Urteil v. - II R 46/03

Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs. 1 ErbStG i. d. F. des StMBG betr. Berücksichtigung von Vereinbarungen bei Ermittlung der erbschaftsteuerfreien Zugewinnausgleichsforderung S. 18

Gesetze: ErbStG § 5 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin nach ihrem am…1997 verstorbenen Ehemann (E). Die Eheleute hatten seit ihrer Heirat im Jahr 1958 zunächst im gesetzlichen Güterstand gelebt. Mit notariellem Vertrag vom vereinbarten sie die Gütertrennung. In einem weiteren notariellen Vertrag vom wurde für die Zukunft der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft —mit einigen Modifikationen— vereinbart.

Am schlossen die Eheleute einen notariellen Ehe- und Erbvertrag. Darin erklärten sie u.a., den Güterstand der Zugewinngemeinschaft rückwirkend auf den Tag der Eheschließung einführen zu wollen.

In dem hier angefochtenen Erbschaftsteuer-Änderungsbescheid legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) der Berechnung der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) steuerfreien Ausgleichsforderung als Anfangsvermögen der Eheleute das Vermögen zum , nicht aber das zum zugrunde.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren berücksichtigte das FA im letzten —während des Klageverfahrens ergangenen— Änderungsbescheid vom eine Ausgleichsforderung von 3 936 554 DM. Die Klägerin begehrt hingegen —mit der Folge eines entsprechend niedrigeren steuerpflichtigen Erwerbs— den Ansatz einer Forderung von 5 636 547 DM. Sie ist der Auffassung, die Anwendung des durch Art. 18 Nr. 1 des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom (BGBl I 1993, 2310, ausgegeben am ) eingefügten § 5 Abs. 1 Satz 4 ErbStG stelle in ihrem Fall eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar. Bis zum Vertragsschluss am sei die angestrebte Gesetzesänderung weder in der Öffentlichkeit erörtert noch der Klägerin und E sonst bekannt geworden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1632 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, bereits mit dem Vertrag vom seien alle tatbestandlichen Voraussetzungen für Grund und Höhe der Ausgleichsforderung erfüllt gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom dahin gehend abzuändern, dass eine Ausgleichsforderung in Höhe von 5 636 547 DM steuerfrei gestellt werde.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Der angefochtene Bescheid steht —insoweit zwischen den Beteiligten nicht streitig— mit einfachem Recht in Einklang (dazu unten 1.). Er ist auf der Grundlage eines Gesetzes ergangen, das die besonderen Anforderungen, die das Grundgesetz (GG) an die rückwirkende Auferlegung steuerlicher Lasten stellt, beachtet hat (dazu unten 2.) und keinen Eingriff in den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe darstellt (dazu unten 3.).

1. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG in der durch das StMBG geänderten Fassung gilt beim überlebenden Ehegatten der Betrag, den er nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als Ausgleichsforderung geltend machen könnte, nicht als Erwerb i.S. des § 3 ErbStG, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten beendet und der Zugewinn nicht nach § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben, weil die Eheleute im Zeitpunkt des Todes des E im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben und die Klägerin Alleinerbin des E geworden ist.

Bei der Berechnung des nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 1373 bis 1383, 1390 BGB) zu ermittelnden Ausgleichsbetrags bleiben von den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 BGB abweichende güterrechtliche Vereinbarungen unberücksichtigt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Wird der Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag vereinbart, gilt als Zeitpunkt des Eintritts des Güterstandes der Tag des Vertragsabschlusses (§ 5 Abs. 1 Satz 4 ErbStG). Im Streitfall kann offen bleiben, ob der Ehevertrag vom —mit dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren— dahin gehend auszulegen ist, dass ein abweichender Berechnungszeitpunkt für die Ermittlung des Anfangsvermögens vereinbart worden ist. Denn das Erbschaftsteuerrecht erklärt für Zwecke der Ermittlung der erbschaftsteuerfreien Ausgleichsforderung auch die Wahl eines von § 1374 Abs. 1 BGB abweichenden Zeitpunkts für die Ermittlung des Anfangsvermögens für unbeachtlich.

2. Die Anwendungsregelung des § 37 Abs. 10 ErbStG i.d.F. des StMBG, wonach § 5 Abs. 1 ErbStG in der durch das StMBG geänderten Fassung auf Erwerbe anzuwenden ist, für die die Steuer nach dem entstanden ist, begegnet im Streitfall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Anordnung der erbschaftsteuerrechtlichen Nichtberücksichtigung solcher ehevertraglichen Vereinbarungen, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des StMBG getroffen worden sind, stellt sich zwar als sog. unechte Rückwirkung dar; diese ist im Streitfall aber schon deswegen nicht zu beanstanden, weil das Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der früheren Rechtslage jedenfalls seit dem Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses nicht mehr schutzwürdig war.

a) Im Gegensatz zur sog. echten Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), bei der der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm auf einen Zeitpunkt festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent geworden ist (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241, unter C.I.1.a, b, und vom 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78 f., unter C.I.1.a), ist eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) gegeben, wenn die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach der Verkündung der Norm eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung ins Werk gesetzt worden sind (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 79, unter C.I.1.a, und vom 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, 37 f., unter C.II.3.b aa). Dies ist der Fall, wenn eine Vorschrift auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffenen Rechtsgüter nachträglich entwertet (BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvL 6/70, BVerfGE 31, 222, 226, unter C.I.1., und vom 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 86, unter C.III.2.a).

Im Streitfall kann eine echte Rückwirkung schon deshalb nicht angenommen werden, weil der zeitliche Anwendungsbereich der Neuregelung erst nach dem Zeitpunkt der Verkündung beginnt: Das StMBG wurde am verkündet; die Neufassung des § 5 ErbStG war auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem entstanden ist (§ 37 Abs. 10 ErbStG i.d.F. des StMBG). Vorliegend ist die Erbschaftsteuer mit dem Tod des E am entstanden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist auch zivilrechtlich für die Entstehung der Zugewinnausgleichsforderung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach maßgeblich (vgl. , BFHE 171, 330, BStBl II 1993, 739, unter II.2.d).

Soweit jedoch der Ehevertrag vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes abgeschlossen worden ist, handelt es sich um eine unechte Rückwirkung. Denn bereits mit dem Vertragsschluss haben die Eheleute ihren Willen ins Werk gesetzt und zivilrechtliche Rechtsbeziehungen begründet, die erbschaftsteuerrechtlich aufgrund einer erst nach diesem Zeitpunkt verkündeten Sonderregelung unberücksichtigt bleiben.

b) Die Grenzen, die dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch im Falle der Anordnung unechter Rückwirkungen gesetzt sind und die sich aus den Grundrechten und den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergeben (vgl. dazu z.B. BVerfGE 72, 200, 242, unter C.I.1.c bb; BVerfGE 95, 64, 86, unter C.III.2.a), sind vorliegend nicht überschritten. Denn der Vertrauensschutz entfällt ohne weitere Abwägung zwischen dem Vertrauensschutzinteresse des Steuerpflichtigen und dem Änderungsinteresse des Gesetzgebers ab dem Zeitpunkt, in dem der Bürger mit dem Erlass der Regelung rechnen musste. Dies ist während eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens mit dem Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestages der Fall (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 1 BvR 14/52 u.a., BVerfGE 1, 264, 280, unter V.3.; vom 2 BvL 4/56 u.a., BVerfGE 8, 274, 304 f., unter C.III.3.; vom 2 BvL 15/59, BVerfGE 13, 206, 213, unter B.II.1.; vom 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 272 f., unter B.IV.1.; in BVerfGE 31, 222, 227, unter C.I.3.a; vom 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175, 200, unter B.III.2.d; in BVerfGE 95, 64, 86 f., unter C.III.2.a, und in BVerfGE 97, 67, 79, unter C.I.1.b). Die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts beruht auf einem Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen des Gesetzgebers einerseits und des von einer im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Gesetzesänderung betroffenen Einzelnen andererseits (ausführlich BVerfGE 72, 200, 260 ff., unter C.II.3.b bb (5)); ab diesem Tag müssen die Betroffenen mit der Verkündung und dem In-Kraft-Treten der Neuregelung rechnen.

Das StMBG wurde —nach Durchführung des Vermittlungsverfahrens— am endgültig im Bundestag beschlossen (vgl. BRDrucks 908/93, 1). Im Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrags am war das Vertrauen der Klägerin auf den Fortbestand der früheren Rechtslage daher nicht mehr schutzwürdig. Auf die Behauptung der Klägerin, sie habe keine Kenntnis von dem Gesetzesbeschluss gehabt, kommt es nach der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des BVerfG nicht an.

c) Danach kann offen bleiben, ob sich bei Anwendung der vor der Änderung durch das StMBG geltenden Fassung des § 5 Abs. 1 ErbStG überhaupt eine steuerfreie Ausgleichsforderung ergeben hätte, die den vom FA bereits berücksichtigten Betrag übersteigt.

Nach dieser Fassung, die auf Erwerbe anzuwenden war, für die die Steuer vor dem entstanden war (§ 37 Abs. 10 ErbStG i.d.F. des StMBG), galt beim überlebenden Ehegatten der Betrag, den er „im Falle des § 1371 Abs. 2 BGB als Ausgleichsforderung geltend machen könnte”, nicht als Erwerb i.S. des § 3 ErbStG. Vereinbarungen zwischen den Ehegatten über die Höhe des sich nach § 1371 Abs. 2 BGB ergebenden Ausgleichsanspruchs waren damit —zumindest bei einer hinter der gesetzlich vorgesehenen Höhe zurückbleibenden Regelung— auch für die Bemessung des nach § 5 Abs. 1 ErbStG steuerfreien Betrags maßgeblich.

Vorliegend haben die Eheleute im Ehevertrag vom vereinbart, dass sich die Ausgleichsforderung nach § 1371 Abs. 2 BGB pauschal auf 1/4 des Verkehrswerts des Nachlasses belaufen sollte (1/4 von 17 442 856 DM = 4 360 714 DM). Dieser Betrag wäre gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG a.F. noch im Verhältnis des Steuerwerts zum Verkehrswert des Nachlasses (12 354 987 DM / 17 442 856 DM) zu kürzen gewesen. Danach hätte sich eine steuerfreie Ausgleichsforderung von lediglich 3 088 747 DM ergeben, während das FA bereits 3 936 554 DM berücksichtigt hat.

3. Auch materiell-rechtlich stellt die Neufassung des § 5 Abs. 1 ErbStG keinen verfassungswidrigen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG dar.

Die erbschaftsteuerrechtliche Regelung lässt die zivilrechtliche Möglichkeit der Eheleute, durch Ehevertrag (vgl. zum verfassungsrechtlichen Schutz derartiger Verträge , BVerfGE 103, 89, 101, unter B.I.1.c) eine von den gesetzlichen Vorgaben der §§ 1374 ff. BGB abweichende Berechnungsweise des Zugewinnausgleichsanspruchs zu vereinbaren, unberührt.

Nur zu erbschaftsteuerrechtlichen Zwecken wird die Zugewinnausgleichsforderung unabhängig von dem Inhalt der im Einzelfall zwischen den Eheleuten getroffenen Vereinbarungen typisierend in Anwendung der allgemeinen gesetzlichen Regelungen des Familienrechts berechnet. Insbesondere verhindert § 5 Abs. 1 Satz 4 ErbStG, dass die Wirkungen einer ehevertraglichen Vereinbarung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft auch erbschaftsteuerrechtlich auf Zeiträume vor dem Vertragsabschluss zurückbezogen werden können. Diese Regelungen dienen der Durchsetzung des —durch Art. 3 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verankerten— Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung: Bei Erwerben vom Ehegatten soll erbschaftsteuerrechtlich nicht danach differenziert werden, ob die Ehegatten vor Verwirklichung des Steuertatbestands eine Vereinbarung getroffen haben, die bei wirtschaftlicher Betrachtung eine steuerrechtliche Neubewertung von Vorgängen der Vergangenheit bewirken kann.

Der Steuergesetzgeber ist —auch bei denjenigen Steuerarten, die in besonderer Weise an das Zivilrecht anknüpfen— verfassungsrechtlich nicht gehalten, von der Bildung eigenständiger steuerrechtlicher Tatbestände abzusehen (vgl. —zur Grunderwerbsteuer— , BStBl II 1992, 212, unter 1.a cc). Das im Steuerrecht in zahlreichen Einzelausprägungen —wenn auch nicht ganz lückenlos— verwirklichte Prinzip, zivilrechtliche Vereinbarungen, die im Ergebnis in die Vergangenheit zurück wirken, der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, rechtfertigt im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch hier eine von der vertraglichen Gestaltung abweichende eigenständige steuerrechtliche Würdigung.

Im Übrigen hat das BVerfG bereits entschieden, dass der Unterhaltsgedanke, auf dem u.a. der Zugewinnausgleich und der Versorgungsausgleich beruhen, nicht dazu führt, dass der Erwerb einer Hinterbliebenenversorgung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG erbschaftsteuerfrei gestellt werden muss (, BVerfGE 79, 106, unter B.III.). Gleiches muss für die erbschaftsteuerliche Erfassung desjenigen Teils der Zugewinnausgleichsforderung gelten, der auf einer vom dispositiven Gesetzesrecht abweichenden vertraglichen Vereinbarung der Eheleute beruht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1814 Nr. 10
HFR 2005 S. 986 Nr. 10
OAAAB-58611