Bindung an Klageantrag
Gesetze: FGO § 96 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: FG Baden-Würtemberg Urteil vom 1 K 326/99
Gründe
I. Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang war streitig, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für die Streitjahre (1981 bis 1984) einzeln zur Einkommensteuer veranlagen durfte. Nachdem das Finanzgericht (FG) diese Frage zu Gunsten der Klägerin entschieden hat, macht die Klägerin nunmehr geltend, dass das angefochtene Urteil gleichwohl Rechtsfehler zu ihren Lasten aufweise. Dabei geht es um folgenden Sachverhalt:
Im Jahr 1983 reichten die Klägerin und ihr Ehemann eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1981 ein, in der sie eine Zusammenveranlagung beantragten. Dem folgte das FA in einem Bescheid vom . Die Steuerfestsetzung wurde in den Jahren 1984 und 1985 wiederholt geändert; der zunächst letzte Änderungsbescheid vom , in dem nach wie vor eine Zusammenveranlagung erfolgte, wurde bestandskräftig.
In ihren Steuererklärungen für die übrigen Streitjahre beantragten die Eheleute ebenfalls eine Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer. Das FA erließ auch für diese Jahre entsprechende Bescheide, und zwar am für 1982, am für 1983 und am für 1984. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin jeweils fristgerecht Einspruch ein. Für das Jahr 1983 erließ das FA am eine Einspruchsentscheidung; über die übrigen Einsprüche wurde zunächst nicht abschließend entschieden.
Im weiteren Verlauf nahm das FA an, dass die Klägerin und ihr Ehemann in den Streitjahren weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hätten. Es veranlagte die Klägerin deshalb mit Bescheiden vom (für 1981) und vom (für 1982 bis 1984) als beschränkt Steuerpflichtige. Diese Bescheide focht die Klägerin ebenfalls mit Einsprüchen an.
Während des Einspruchsverfahrens gelangte das FA zu der Überzeugung, dass zwar nicht der Ehemann, wohl aber die Klägerin in den Streitjahren einen inländischen Wohnsitz besessen habe. Es hob deshalb die Bescheide zur beschränkten Steuerpflicht am auf. Ferner erließ es am (für 1981 bis 1983) und am (für 1984) Einkommensteuerbescheide, mit denen es die Klägerin als unbeschränkt Steuerpflichtige einzeln zur Einkommensteuer veranlagte. Schließlich hob das FA die in den Jahren 1985 und 1986 erlassenen Bescheide über die Zusammenveranlagung der Eheleute für 1981 bis 1984 am auf.
Die Klägerin legte gegen die Einzelveranlagungsbescheide vom 25. und Einsprüche und Klagen ein. Diese Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Auf die Revisionen der Klägerin hob der Senat die klageabweisenden Urteile auf und verwies die Verfahren an das FG zurück (Streitjahr 1981: Senatsurteil vom I R 28/98, BFH/NV 1999, 1437; übrige Streitjahre: Senatsurteil vom I R 52-55/99, BFHE 191, 207, BStBl II 2000, 354).
Im zweiten Rechtsgang beantragte die Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift des FG, „unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung…die Einkommensteuerbescheide 1981, 1982, 1983 und 1985 jeweils vom und den Einkommensteuerbescheid 1984 vom aufzuheben”. Das FG erließ daraufhin ein Urteil, dessen Tenor u.a. lautet:
„Die Einspruchsentscheidung…und die teilweise vorläufigen Einkommensteuerbescheide 1981, 1982, 1983…jeweils vom und der teilweise vorläufige Einkommensteuerbescheid 1984 vom sowie der Aufhebungsbescheid vom betreffend die geänderten Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1984 werden aufgehoben. ...
Der Streitwert wird auf ... € festgesetzt.”
Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie geltend macht, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist insoweit begründet, als die Klägerin rügt, dass das FG durch die Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom über die von den Beteiligten gestellten Anträge hinausgegangen sei. Darin liegt ein Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des genannten Urteilsausspruchs führt. Im Übrigen kann die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben.
1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen. Es darf mithin dem Kläger weder mehr noch anderes zusprechen als dieser beantragt hat (Schmidt-Troje in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 96 FGO Rz. 13, m.w.N.). Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Im Streitfall geht der Tenor des angefochtenen Urteils u.a. dahin, dass „der Aufhebungsbescheid vom betreffend die geänderten Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1984…aufgehoben” werde. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das FG mit diesem Ausspruch über den von ihr gestellten Antrag hinausgegangen sei. Es ergibt sich weder aus dem Sitzungsprotokoll des FG noch aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, dass die Klägerin eine Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom beantragt hat; im Gegenteil geht ihr Begehren dahin, die Aufhebung der ursprünglich ergangenen Bescheide fortbestehen zu lassen und bei einem erneuten Erlass von Steuerbescheiden für die Streitjahre diesen den Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenzuhalten. Angesichts dessen verstößt der genannte Urteilsausspruch gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Zulassung der Revision. Er kann vielmehr in entsprechender Anwendung des § 116 Abs. 6 FGO dadurch beseitigt werden, dass der fehlerhafte Urteilsausspruch im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde aufgehoben wird (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom V B 51/01, BFHE 196, 16, BStBl II 2001, 767; vom X B 61/01, BFH/NV 2002, 347; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 116 FGO Rz. 287). Im Interesse der Verfahrensökonomie ist es sachgerecht, im Streitfall in diesem Sinne zu verfahren.
Damit tritt im Streitfall der vom FG aufgehobene Aufhebungsbescheid wieder in Kraft mit der Folge, dass die in den Jahren 1985 und 1986 erlassenen Zusammenveranlagungs-Bescheide weiterhin aufgehoben bleiben. Das FA wird allerdings prüfen können, ob und ggf. mit welchem Inhalt für die Streitjahre erneut Einkommensteuerbescheide gegenüber der Klägerin erlassen werden dürfen.
2. Hinsichtlich der übrigen in der Beschwerdeschrift angesprochenen Punkte ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig. Die Einwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Festsetzung des Streitwerts durch das FG sind nicht statthaft, da die Streitwertfestsetzung eine eigenständige Entscheidung ist (, BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2) und eine dagegen gerichtete Beschwerde durch § 25 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 3 des Gerichtskostengesetzes ausgeschlossen wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., Rz. 40 vor § 135, m.w.N.). Eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör hat die Klägerin nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt; insbesondere kann der von ihr angeführte Umstand, dass das FG seine Rechtsansicht nicht im Vorfeld des Urteils angedeutet oder mit den Beteiligten erörtert hat, keinen Verfahrensmangel begründen (BFH-Beschlüsse vom I B 22/02, BFH/NV 2003, 925; vom VIII B 124/02, BFH/NV 2003, 1309, jeweils m.w.N.). Soweit die Klägerin die Ausführungen des FG zu den Rechtsfolgen der Aufhebung des Aufhebungsbescheids rügt, wendet sie sich nicht gegen die Begründung der vom FG getroffenen Entscheidung, sondern nur gegen Hinweise zu deren Folgen; solche beiläufigen Bemerkungen („obiter dicta”) können weder zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch zur Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) führen. Abgesehen davon knüpfen die von der Klägerin beanstandeten Ausführungen an den Urteilsausspruch über die Aufhebung des Aufhebungsbescheids an, weshalb sie nach der Aufhebung dieses Ausspruchs gegenstandslos sind. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1314 Nr. 8
UAAAB-54857