OFD München - S 0130 - 67 St 311

Auskunftserteilung an Gewerbebehörden in gewerberechtlichen Verfahren;
Anregung auf Durchführung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens

Ergänzend zu dem  IV A 4 – S 0130 – 113/04 (BStBl 2004 I S. 1178, AIS: AO/Steuergeheimnis) wird Folgendes mitgeteilt:

Das Gewerbeuntersagungsverfahren dient primär dem Schutz des Geschäftsverkehrs und nur mittelbar der Besteuerung. Die Finanzämter regen es gemäß dem o. g. BMF-Schreiben bei Vorliegen der Voraussetzungen an. Sie prüfen dabei in eigener Verantwortung, ob ein zwingendes öffentliches Interesse i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigt.

Auch Rückstände, die noch nicht bestandskräftig festgesetzte Steuern betreffen, können das zwingende öffentliche Interesse i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO rechtfertigen. Die Finanzämter müssen, bevor sie durch das Steuergeheimnis geschützte Tatsachen weitergeben, eine Vorbeurteilung durchführen, ob es sich um Tatsachen handelt, aus denen sich eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden i. S. d. § 35 Abs. 1 GewO ergibt (vgl. BStBl 1987 II S. 545 und BStBl 2003 II S. 828). Nur wenn diese Vorbeurteilung zu dem Ergebnis führt, dass die Tatsachen eindeutig und von vornherein nicht geeignet sind, eine Gewerbeuntersagung zu rechtfertigen, dürfen sie nicht an die Gewerbebehörde mitgeteilt werden. Entscheidend für eine zulässige Mitteilung ist, dass Steuerrückstände bestehen, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können. Dies sind nicht gezahlte Steuern, die der Steuerschuldner nach dem Gesetz hätte zahlen müssen. Dazu gehören auch wirksam festgesetzte und fällige Steuern, die streitig sind und gegen deren Festsetzung der Steuerschuldner einen Rechtsbehelf eingelegt hat, über den noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist. Eine Mitteilung an die Gewerbebehörden ist insbesondere dann geboten, wenn die strittigen Steuerforderungen Gegenstand eines erfolglosen gerichtlichen AdV-Verfahrens waren (vgl. BStBl 2003 II S. 828).

Will das Finanzamt bei der Gewerbebehörde (Vorschriften für die gewerberechtlichen Maßnahmen sind in der Vollstreckungskartei Bayern im Fach Rückstandsunterbindende Maßnahmen, Gewerbe- und berufsrechtliche Maßnahmen, Karte 01 Anlage 1 abgedruckt) die Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens anregen, ist der Gewerbetreibende vorab von der vorgesehenen Maßnahme zu unterrichten und darauf hinzuweisen, dass er die Einleitung des Verfahrens abwenden kann, wenn er seinen steuerlichen Pflichten nachkommt. Hierbei sollte ein Absehen von den gewerberechtlichen Maßnahmen von Auflagen abhängig gemacht werden, oder die Aufforderung ergehen, innerhalb einer bestimmten Frist einen Tilgungsplan für die Steuerrückstände vorzulegen. Für die Androhung des Antrags auf Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens steht im Ordner OFD und Finanzamt/Vollstreckung/Rückstandsunterbindung die UNIFA-Word-Vorlage Gewerbeuntersagung Androhung zur Verfügung.

In dem Schreiben an die Gewerbebehörde (vgl. UNIFA-Word-Vorlage Gewerberechtliche Maßnahmen im Ordner OFD und Finanzamt/Vollstreckung/Rückstandsunterbindung) müssen die steuerlichen Sachverhalte, die die Einleitung eines gewerberechtlichen Verfahrens rechtfertigen, knapp aber erschöpfend dargestellt werden. Im Hinblick darauf, dass die Anregung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens einen für den betroffenen Steuerpflichtigen schwerwiegenden Eingriff darstellt, ist vor der Anregung auf Durchführung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens zu überprüfen, ob das Finanzamt alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hat. Das Finanzamt muss sich deshalb auch dazu äußern, welche Vollstreckungsmaßnahmen (auch Verfahren zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung und Zwangsgeldverfahren) ergriffen wurden, welchen Erfolg diese Maßnahmen hatten oder weshalb solche Maßnahmen von vornherein als aussichtslos angesehen wurden.

Folgende Kriterien sind dabei anzusprechen:

  • Nichtentrichtung von Steuern, die mit der Ausübung des Gewerbes in Zusammenhang stehen. Bei Personensteuern, wie der Einkommensteuer besteht ein solcher Zusammenhang, soweit diese Steuern durch die gewerbliche Tätigkeit ausgelöst wurden und wenn Unzuverlässigkeit infolge wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit im Raume steht.

  • Nichtabgabe der jährlichen Steuererklärungen sowie von Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Lohnsteueranmeldungen

  • Abgeschlossene bzw. eingeleitete steuerliche Straf- und Bußgeldverfahren

  • Künftiges Verhalten

Folgende häufig vorkommende Fehler sollen dabei vermieden werden:

  • Die aufgeführten Steuerrückstände beruhen zum Teil auf überhöhten Schätzungen.

  • Die angegebenen Steuerrückstände entsprechen nicht mehr dem neuesten Stand.

  • Nichtbetriebliche Steuerrückstände sind ohne Begründung aufgeführt.

  • Gesetzliche Bestimmungen sind nicht, unvollständig oder unzutreffend wiedergegeben.

  • Angaben über die Zahl der Arbeitnehmer fehlen.

Die Gewerbebehörde ist darauf hinzuweisen, dass die mitgeteilten steuerlichen Verhältnisse dem Schutz des Steuergeheimnisses (§ 30 AO, § 355 StGB) unterliegen und die Angaben nur zur Durchführung des gewerberechtlichen Verfahrens verwendet werden dürfen.

Zuständigkeit

Es empfiehlt sich, dass die Beantragung eines gewerberechtlichen Verfahrens bzw. die Beantwortung einer Anfrage der Gewerbebehörde die Dienststelle des Finanzamts übernimmt, in deren Interesse die Durchführung eines solchen Verfahrens liegt. Da sich die Pflichtverletzungen fast immer auf die Nichtentrichtung von Steuern beziehen, erscheint es zweckmäßig, die Bearbeitung den Vollstreckungsstellen zu übertragen. Soweit erforderlich, sind bei den Veranlagungs- bzw. Bußgeld- und Strafsachenstellen Stellungnahmen über das Abgabeverhalten und über steuerliche Straf- und Bußgeldverfahren einzuholen. Die abschließende Zeichnung der Anregung des Gewerbeuntersagungsverfahrens unterliegt dem allgemeinen Zeichnungsvorbehalt des Vorstehers. Für Zwecke der Erprobung wird das Zeichnungsrecht für Anträge auf Gewerbeuntersagung und die Androhung derartiger Maßnahmen dem HSL Vollstreckung übertragen. Um feststellen zu können, ob sich diese Zeichnungsrechtsregelung bewährt, bittet die OFD – ihre FÄ – nach Ablauf eines Jahres über die Erfahrungen zu berichten (s. – 67 St 311 sowie der – 1110/St 24).

Aufgabe des Gewerbebetriebs

Nach § 35 Abs. 1 S. 3 GewO kann das Untersagungsverfahren fortgesetzt werden, auch wenn der Gewerbebetrieb während des Verfahrens aufgegeben wird. Hieraus folgt, dass ein Verfahren nur so lange eingeleitet werden kann, wie der Gewerbebetrieb tatsächlich besteht. Wurde der Betrieb vor Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens aufgegeben, so ist das Finanzamt nicht mehr zur Mitteilung steuerlicher Sachverhalte befugt. Die Finanzämter teilen gem. § 14 Abs. 1a GewO das Erlöschen der Steuerpflicht von Unternehmen den Gewerbebehörden mit. Da nach der Gesetzesbegründung in vielen Fällen Gewerbetreibende bei Beendigung ihrer selbständigen Tätigkeit ihrer Verpflichtung zur Abmeldung bei der Gewerbebehörde nach § 14 GewO nicht nachkommen, sollen die Finanzbehörden die Gewerbeämter über bei ihnen eingegangene Abmeldungen vom Gewerbetreibenden unterrichten, soweit damit kein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden ist. Hierfür existiert die UNIFA-Word-Vorlage Mitteilung zum Erlöschen der Gewerbesteuerpflicht im Ordner OFD und Finanzamt/Veranlagung/Behörden. Eine Verpflichtung der Finanzbehörden, für die Gewerbebehörden weitere als die aus steuerlichen Gründen notwendigen Nachforschungen anzustellen, besteht nicht.

Adressat

Personengesellschaften (BGB-Gesellschaft, OHG, KG und nicht rechtsfähiger Verein) haben keine eigene Rechtspersönlichkeit. Ein gewerberechtliches Verfahren ist daher nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen den/die geschäftsführenden Gesellschafter zu betreiben, denn nur dieser ist bzw. diese sind Gewerbetreibende(r). Im Gegensatz zu Personengesellschaften sind die juristischen Personen Gewerbetreibende, so dass gegen sie vorzugehen ist. Es ist aber vorab zu prüfen, ob es zur Beseitigung der Gefährdung genügt, den gesetzlichen Vertreter von der Geschäftsführung auszuschließen. Dies wird dann nicht ausreichen, wenn die vertretungsbefugte Person die Gesellschaft beherrscht oder die Unzuverlässigkeit bei der juristischen Person liegt (z.B. bei mangelnder Leistungsfähigkeit mit der Folge der Nichtentrichtung von Steuerschulden und Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtungen).

Strohmannverhältnisse

Auch das Vorliegen eines Strohmannverhältnisses kann die Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens rechtfertigen, insbesondere wenn ein Gewerbe von einer Person als Strohmann geführt wird, um die tatsächliche Ausübung des Gewerbes durch einen Gewerbetreibenden, dem jede gewerbliche Betätigung nach § 35 GewO untersagt wurde, zu verschleiern. Bei einem Strohmannverhältnis ist neben dem Hintermann der Strohmann als Gewerbetreibender und geeigneter Adressat einer Gewerbeuntersagung anzusehen. Ist der Hintermann unzuverlässig, so folgt die Unzuverlässigkeit des Strohmanns bereits daraus, dass er einem unzuverlässigen Hintermann die gewerbliche Betätigung ermöglicht (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom , NVwZ 1982, S. 449, NJW 1982 S. 2834).

Besonderheiten bei vertretungsberechtigten Personen

Die Untersagung kann bei einem unzuverlässigen Gewerbetreibenden auch auf die etwaige künftige Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als Leiter eines Gewerbebetriebs erweitert werden (§ 35 Abs. 1 S. 2 GewO). Die Maßnahme nach § 35 GewO kann sich auf andere – zur Zeit nicht ausgeübte – Gewerbe oder auf alle Gewerbe beziehen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GewO). Einem unzuverlässigen Vertretungsberechtigten eines Gewerbetreibenden oder einem unzuverlässigen Betriebsleiter kann seine Tätigkeit nach § 35 Abs. 7a S. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 1 und 2 GewO untersagt werden. Daneben kann diesen Personen auch eine etwaige künftige selbständige Gewerbeausübung untersagt werden (§ 35 Abs. 7a S. 1 GewO). Diese Verfahren sind vom Verlauf einer etwaigen Untersagung gegenüber dem Gewerbetreibenden nicht abhängig (§ 35 Abs. 7a S. 2 GewO).

Änderung der Verhältnisse

Ändern sich nach Anregung einer Gewerbeuntersagung die hierfür maßgeblichen Verhältnisse (Sollminderungen, nunmehr eingehaltene Zahlungsvereinbarungen, ins Gewicht fallende Erhöhung der Rückstände usw.), ist die Gewerbebehörde umgehend zu unterrichten. Dabei ist auch Stellung zu nehmen, ob das beantragte Untersagungsverfahren weiterhin geboten ist bzw. vordringlich durchgeführt werden soll. Durch organisatorische Maßnahmen (z.B. regelmäßige Wiedervorlage) ist sicherzustellen, dass die weitere Entwicklung im Auge behalten wird.

Gewerbezentralregister

Entscheidungen nach § 35 GewO – auch in den Fällen des Absatzes 7a – werden nach § 149 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b GewO in das Gewerbezentralregister eingetragen. Eine Gewerbeuntersagung führt dazu, dass ein Betroffener nach Handelsrecht nicht Geschäftsführer einer GmbH oder Mitglied des Vorstands einer AG sein darf (§ 6 Abs. 2 S. 3 GmbHG, § 76 Abs. 3 S. 3 AktG). Entsprechendes gilt für Liquidatoren einer GmbH (§ 66 Abs. 4 GmbHG) und Abwickler einer AG (§ 265 Abs. 2 S. 2 AktG).

Insolvenz

Während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet sind, sowie während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 InsO) ist die Anregung einer Gewerbeuntersagung gem. § 12 GewO nicht zulässig. Betroffen hiervon ist das insolvenzbefangene Gewerbe. Die Offenbarung entsprechender Daten ist in dieser Zeit nicht durch § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (zwingendes öffentliches Interesse) gestattet.

Inhaltlich gleichlautend
OFD München v. - S 0130 - 67 St 311
OFD Nürnberg v. - S 0130 - 1110/St 24

Fundstelle(n):
VAAAB-54407