Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren in Steuersachen
Im Unterschied zum Finanzgerichtsprozess, in dem die Beteiligten gemäß § 78 Abs. 1 FGO einen Rechtsanspruch auf Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten haben, wird den Beteiligten ein solches Recht im Verwaltungsverfahren in Steuersachen einschließlich des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nicht eingeräumt; ein Einsichtsrecht ergibt sich weder aus § 91 AO noch aus § 364 AO.
Der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine insoweit der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verstoßen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Ermittlungsverfahren lässt sich auch nicht aus der Richtlinie 95/46/EG herleiten, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und entsprechende landesrechtliche Datenschutzgesetze erfahren hat, weil sowohl die Richtlinie 95/46/EG als auch die nationalen Datenschutzgesetze (vgl. z.B. § 2 Abs. 7 LDSG Rheinland-Pfalz) den Vorrang einschränkender bereichsspezifischer Regelungen in Steuerangelegenheiten anerkennen. Die AO enthält eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten (, BStBl 2003 II S. 790).
Jedoch kann das Finanzamt im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) Akteneinsicht gewähren (vgl. AEAO zu § 91, Nr. 4 Satz 2). Hierbei ist sicherzustellen, dass Verhältnisse eines anderen nicht unbefugt offenbart werden (§ 30 AO). Die Gewährung einer beantragten Akteneinsicht kann insbesondere – aber nicht ausschließlich – nach einem Beraterwechsel zweckmäßig sein. Die Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht ist mit dem Einspruch (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO) anfechtbar (vgl. AEAO zu § 91, Nr. 4 Satz 5; AEAO zu § 364).
Der BFH sieht den Anspruch des Einsichtsuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (vgl. , BStBl 1985 II S. 571 und , BFH/NV 1996 S. 64). Bei der Ermessensentscheidung, ob Akteneinsicht gewährt wird, sollte im Interesse einer bürgerfreundlichen Verwaltung und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten nicht kleinlich verfahren werden. Es ist hierbei zu bedenken, dass im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 78 Abs. 1 FGO ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht und es nicht sinnvoll ist, den Beteiligten allein wegen einer im Verwaltungsverfahren verweigerten Akteneinsicht zur Klageerhebung zu zwingen.
Es entspricht im Allgemeinen pflichtgemäßem Ermessen, wenn das Finanzamt dem Steuerpflichtigen oder seinem gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter Einsicht in die Steuerakten gewährt, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der steuerrechtlichen Interessen des Beteiligten erforderlich ist, es sei denn, es liegen besondere, objektive Gründe vor, die Einsichtnahme abzulehnen.
Soll Akteneinsicht gewährt werden, sind dem Beteiligten nur die für den Einzelfall erheblichen Vorgänge vorzulegen. Des Weiteren ist sicher zu stellen, dass Verhältnisse eines anderen nicht unbefugt offenbart werden (§ 30 AO). Es sind deshalb vor der Einsichtnahme alle Unterlagen oder sonstigen Hinweise, die über Verhältnisse anderer Personen Auskunft geben könnten, auszuheften. Dies betrifft auch unausgewertetes Kontrollmaterial.
Beantragt eine Steuerpflichtiger Akteneinsicht und werden dadurch auch die Verhältnisse von Personen berührt, die neben dem Steuerpflichtigen gesamtschuldnerisch (§ 44 AO) zur Entrichtung einer Steuer verpflichtet sind, steht allein das Steuergeheimnis einer Akteneinsicht nicht entgegen (vgl. , BStBl 1973 II S. 625 und AO-Kartei zu § 30 Abs. 4 Nr. 1, Karte 1). Unter Gesamtschuldnern hat die Wahrung des Steuergeheimnisses keine Bedeutung.
Die Akteneinsicht soll grundsätzlich nur unter Aufsicht eines Bediensteten des Finanzamts, der mit dem Fall vertraut ist, stattfinden. Hat der Beteiligte Akteneinsicht genommen, ist dies aus Gründen der Beweissicherung aktenkundig zu machen.
Als anzuerkennende besondere Verwaltungsinteressen, bei deren Vorliegen Akteneinsicht ermessensfehlerfrei versagt werden kann, können die Gründe, die § 29 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) als Ablehnungsgründe aufzählt, analog herangezogen werden. Danach ist keine Akteneinsicht zu gewähren
in Entscheidungsentwürfe sowie Vorarbeiten zu Entscheidungen oder
soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde allgemein oder im Hinblick auf das konkret in Frage stehende Verfahren in unzumutbarer Weise beeinträchtigt, der Erfolg des Verfahrens gefährdet, eine in der Sache gebotene rasche Entscheidung unangemessen verzögert oder eine Information bzw. Informationsquelle rechtswidrig oder entgegen den Interessen des Finanzamts offenbart würde oder
wenn der Beteiligte zur Begründung seines Begehrens ausschließlich nichtsteuerliche Gründe vorträgt oder
soweit die Offenbarung des Akteninhalts dem Wohle des Bundes oder des Landes Nachteile bereiten würde. Das Wohl des Bundes und des Landes erfordert insbesondere die Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung und die Abwehr jeder Beeinträchtigung und Gefährdung der Sicherheit und die Vermeidung jeder erheblichen Störung der öffentlichen Ordnung. Ein Nachteil für das Wohl des Bundes dürfte sich aus einer Akteneinsicht nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen ergeben.
Akteneinsicht ist ferner grundsätzlich zu versagen, wenn der Beteiligte diese ohne vorherige Terminabsprache mit dem Finanzamt beantragt. Der Beteiligte muss dem Finanzamt eine angemessene Frist zur Sichtung der Akten einräumen, damit insbesondere die unbefugte Offenbarung von Verhältnissen eines anderen oder die Preisgabe von unausgewertetem Kontrollmaterial vermieden wird (vgl. , BFH/NV 1996 S. 64).
Die Ablehnung der Akteneinsicht hat schriftlich zu erfolgen. Die Entscheidung ist gemäß 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit nicht § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO eingreift. Insbesondere sind die Ermessenserwägungen, die zur Ablehnung geführt haben, darzulegen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass das Finanzgericht die Entscheidung gem. § 102 FGO allein wegen Ermessensfehlgebrauchs aufhebt und das Finanzamt verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag zu entscheiden.
OFD Koblenz v. - S 0226 A - St 35 1
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
IAAAB-53367