Haftung des Leistungsempfängers gemäß § 55 UStDV
Gesetze: UStG § 18 Abs. 8; UStDV § 55
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. Er optierte zum zur Regelbesteuerung und ließ in den Jahren 1997 und 1998 (Streitjahre) einen Schweinemaststall errichten. Einen Großteil der Bauleistungen führte die niederländische b.v. (V) aus. Die V wies in ihren Rechnungen an den Kläger Umsatzsteuer gesondert aus. Hierauf zahlte der steuerlich beratene Kläger an die V 591 288 DM (brutto).
Auf den Briefbögen der V waren eine niederländische Adresse, niederländische Telefon- und Faxnummern, eine niederländische und eine deutsche Bankverbindung sowie eine niederländische und eine deutsche Steuernummer angegeben. Die V wurde beim Finanzamt (FA) Kleve geführt, erklärte jedoch die an den Kläger ausgeführten Umsätze nicht. Aufgrund des vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) übersandten Kontrollmaterials über die an den Kläger ausgeführten Leistungen setzte das FA Kleve gegenüber V Umsatzsteuer fest. Zahlungen hierauf leistete V nicht; im Mai 1999 wurde über das Vermögen der V in den Niederlanden das Konkursverfahren eröffnet.
Der Kläger erhielt die aus der Stallerrichtung resultierenden Vorsteuerüberhänge vom FA ausgezahlt. Nach Durchführung einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, der Kläger hafte für die Umsatzsteuer auf die Leistungen der V, weil er diesbezüglich eine Einbehaltungs- und Abführungspflicht gehabt habe. Es erließ deshalb für die Umsatzsteuer aus den Leistungen der V nach § 55 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung (UStDV 1993) einen Haftungsbescheid.
Der Einspruch des Klägers hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das FA setzte die Haftungssumme herab; im Übrigen blieb der Einspruch erfolglos.
Während des Klageverfahrens setzte das FA durch einen geänderten Haftungsbescheid die Haftungssumme erneut herab. Der Kläger machte den Änderungsbescheid nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 650 veröffentlichten Urteil die Auffassung, der Kläger sei gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1, § 54 UStDV 1993 verpflichtet gewesen, für die an ihn ausgeführten Leistungen der V Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen. Er hafte deshalb für die von ihm anzumeldende und abzuführende Steuer (§ 55 UStDV 1993). Die Inhaftungnahme des Klägers sei auch nicht ermessensfehlerhaft.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des Art. 21 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG —Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage— (Richtlinie 77/388/EWG) sowie Verletzung der Grundfreiheiten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung des Vertrages von Amsterdam —EGV—): Die §§ 51 ff. UStDV 1993 seien gemeinschaftsrechtswidrig; insbesondere die sog. Null-Regelung (§ 52 Abs. 2 UStDV 1993) sei durch die Richtlinie 77/388/EWG nicht gedeckt. Wegen gemeinschaftsrechtlicher Bedenken habe der Gesetzgeber die §§ 51 ff. UStDV 1993 zum abgeschafft und durch den Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger (§ 13b des Umsatzsteuergesetzes —UStG— 1999) ersetzt. Außerdem diskriminierten die §§ 51 ff. UStDV 1993 im Ausland ansässige Leistende. Denn der Kläger müsse das Insolvenzrisiko eines nicht im Inland ansässigen Unternehmers als Haftungsschuldner tragen, während er bei einem im Inland ansässigen Unternehmer hiervon befreit gewesen wäre.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Haftungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheids vom aufzuheben.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Es hält die Anwendung des Abzugsverfahrens im Streitfall für rechtmäßig. Hiervon sei auch das FG ausgegangen. Die §§ 51 ff. UStDV 1993 beruhten auf Art. 21 Nr. 1, Art. 22 Abs. 7 der Richtlinie 77/388/EWG. Die Einführung des § 13b UStG 1999 sei erfolgt, um das Abzugsverfahren an die Neufassung des Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG anzugleichen und zu vereinheitlichen; dies lasse keinen Rückschluss darauf zu, die Anwendung der §§ 51 ff. UStDV 1993 im Streitfall sei rechtswidrig. Ein Fall der sog. „Null-Regelung” liege nicht vor.
II. Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger für die nicht angemeldete und abgeführte Umsatzsteuer aus den Leistungen der V haftet. Der dem Haftungsbescheid zugrunde liegende § 55 UStDV 1993 verstößt insoweit nicht gegen Gemeinschaftsrecht.
1. Aufgrund von § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG 1993 i.V.m. §§ 51, 54 UStDV 1993, die zum durch die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b UStG 1999) abgelöst wurden, hatte der Leistungsempfänger in den Streitjahren für Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten, anzumelden und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen. Ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Sinne dieser Vorschriften ist ein Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 UStG 1993 bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat (§ 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV 1993). Ist zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, so darf der Leistungsempfänger die Einbehaltung und Abführung der Steuer nur unterlassen, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamtes nachweist, dass er kein im Ausland ansässiger Unternehmer ist (§ 51 Abs. 3 Satz 3 UStDV 1993). Solche Zweifel bestehen, wenn der Leistungsempfänger zu Zweifeln führende Umstände hätte kennen und Zweifel begründende Schlussfolgerungen hätte ziehen müssen (vgl. , BFHE 161, 191, BStBl II 1990, 1095; vom V R 50/88, BFH/NV 1992, 344). Der Leistungsempfänger haftet gemäß § 55 UStDV 1993 für die nach § 54 UStDV 1993 anzumeldende und abzuführende Steuer.
2. Gemessen daran hat das FG zutreffend die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids des FA bejaht. Die Bauleistungen der V sind Werklieferungen (§ 3 Abs. 4 UStG 1993) bzw. sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG 1993). Der Ort der von V erbrachten Bauleistungen liegt im Inland (§ 3 Abs. 4 und Abs. 7; § 3a Abs. 2 Nr. 1 c UStG 1993). Der Kläger ist als regelversteuernder Landwirt Unternehmer i.S. der § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993, § 51 Abs. 2 UStDV 1993. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, tatsächlichen Feststellungen des FG ist V ein im Ausland ansässiger Unternehmer. Aus dem Umstand, dass das FA Kleve der V eine deutsche Steuernummer erteilt hat, ergibt sich nichts anderes (vgl. Abschn. 233 Abs. 3 Satz 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996), zumal das FA Kleve nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 der Verordnung über die Umsatzsteuer im Ausland ansässiger Unternehmer (BGBl I 1995, 225) für im Königreich der Niederlande ansässige Unternehmer zentral zuständig ist. Wegen der niederländischen Adresse, Telefon- und Telefaxnummer, Bankverbindung und Steuernummer hätten sich für den Kläger zumindest Zweifel daran aufdrängen müssen, ob die gegenteilige Behauptung der V, sie sei im Inland ansässig, zutreffend war. Der Kläger hätte die Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer daher nur unterlassen dürfen, wenn ihm V eine Bescheinigung i.S. des § 51 Abs. 3 Satz 3 UStDV 1993 vorgelegt hätte.
Das FG ist außerdem davon ausgegangen, dass die Haftungsinanspruchnahme des Klägers durch das FA nicht ermessenswidrig ist. Diese Schlussfolgerung des FG hat der Kläger mit seiner Revision nicht länger angegriffen.
3. Der auf § 55 UStDV 1993 gestützte Haftungsbescheid des FA verstößt nicht gegen Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG.
a) Diese Bestimmung (Art. 21 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) lautete in den Streitjahren auszugsweise wie folgt:
„Die Mehrwertsteuer schuldet
1. im inneren Anwendungsbereich
a) der Steuerpflichtige, der eine steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen durchführt bzw. eine steuerpflichtige Dienstleistung erbringt, mit Ausnahme der Dienstleistungen nach Buchstabe b).
Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten die erforderlichen Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person geschuldet wird. Als solche kann unter anderem ein Steuervertreter oder der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung von Gegenständen bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung bestimmt werden.
...
Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerpflichtige die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat; ...”
b) Zwar war das Abzugsverfahren nach §§ 51 ff. UStDV 1993 möglicherweise nicht in vollem Umfang gemeinschaftsrechtskonform (vgl. , BFH/NV 2002, 78). Gleichwohl ist die Haftungsvorschrift des § 55 UStDV 1993 anwendbar, soweit der Leistungsempfänger gemäß Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG Steuerschuldner ist und außerdem noch entsprechend den Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG den Vorsteuerabzug geltend machen kann (, BFHE 197, 322, unter IV. 2.; , BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970, unter II. 2.; vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-90/02 —Bockemühl—, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2004, 367).
c) Auch die Anwendung des § 55 UStDV 1993 im Streitfall widerspricht nicht den Zielvorgaben der Richtlinie 77/388/EWG, sondern ist vielmehr in richtlinienkonformer Auslegung dieser Vorschrift geboten. Sie stellt den Kläger nämlich im Ergebnis so, wie er nach der Richtlinie 77/388/EWG zu stellen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970; vom V R 106/01, nicht veröffentlicht, unter II. 3.): Er ist nach Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG zum Vorsteuerabzug berechtigt; gleichzeitig ist Deutschland gemäß Art. 21 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG berechtigt, den Kläger als Empfänger der Dienstleistungen zum Steuerschuldner gegenüber dem Fiskus für die von ihm bezogene Leistung zu bestimmen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 197, 322, unter IV. 3. a). Hierdurch gleichen sich die abzuführende Umsatzsteuer und die abziehbare Vorsteuer beim Kläger aus.
Vorliegend hat das FA dem Kläger den begehrten Vorsteuerabzug gewährt. Gleichzeitig war der Kläger Steuerschuldner i.S. des Art. 21 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG.
d) Soweit der Kläger § 52 Abs. 2 UStDV 1993 (sog. Null-Regelung) für gemeinschaftsrechtswidrig hält, kommt es hierauf im Streitfall schon deshalb nicht an, weil V in ihren Rechnungen Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen und der Kläger diese Beträge als Vorsteuer vom FA vergütet erhalten hat.
4. Vor diesem gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund und in dieser richtlinienkonformen Auslegung verstoßen —entgegen der Auffassung des Klägers— die §§ 51 ff. UStDV 1993, die eine Steuerschuldnerschaft des Klägers (nur) für Umsätze von im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen anordnen, auch nicht gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) oder gegen die Grundfreiheiten (Art. 39 ff. EGV).
a) Hiervon ist der BFH bereits früher ausgegangen (, BFHE 163, 24, BStBl II 1991, 235, unter 2. c. cc; vom XI R 94/92, BFHE 176, 78, BStBl II 1995, 188; gl.A. KV, EFG 1997, 642; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 18 Anm. 729 ff.; Cissée in Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 18 Rz. 47). Diese Auffassung sieht der Senat durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt: Auch der EuGH geht davon aus, dass ein Steuerpflichtiger als Empfänger einer Dienstleistung eines im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen zum Schuldner der darauf entfallenden Mehrwertsteuer bestimmt werden kann, wenn ihm der Vorsteuerabzug zusteht (vgl. EuGH-Urteil in UR 2004, 367 —Bockemühl—).
b) Außerdem ist eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht der des Primärrechts zu beurteilen ( —Vanacker und Lesage—, Slg. 1993, I-4947, Randnr. 9; vom Rs. C-324/99 —Daimler-Chrysler—, Slg. 2001, I-9897, Randnr. 32).
c) Soweit der Kläger geltend macht, ihm als Haftungsschuldner dürfe nicht das Insolvenzrisiko des Leistenden (hier: V) aufgebürdet werden, greift auch dieser Einwand nicht durch. Der steuerlich beratene Kläger hätte aufgrund der § 18 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 UStG 1993, § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStDV 1993 nämlich kein Insolvenzrisiko getragen, wenn er seinen steuerrechtlichen Pflichten nachgekommen wäre; mit der Abführung an das FA hätte er auch seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber V erfüllt (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 551, UR 2002, 37).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1158 Nr. 7
HFR 2005 S. 1012 Nr. 10
XAAAB-52808