Rechtsschutzbedürfnis des Konkursverwalters
Gesetze: AO § 251; KO § 144
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des Gemeinschuldners S (S), der alleiniger Geschäftsführer einer GmbH war. Das über das Vermögen der GmbH eröffnete Konkursverfahren wurde mangels Masse eingestellt. Im Konkursverfahren über das Vermögen des S machte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) gegenüber S gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) einen Haftungsanspruch wegen Hinterziehung der von der GmbH geschuldeten Steuern geltend und meldete diesen als nicht bevorrechtigte Konkursforderung zur Konkurstabelle an. Im Prüfungstermin bestritt der Kläger diese Forderung. Daraufhin erließ das FA gegen den Kläger einen Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977, in dem es die Haftungssumme geringfügig herabsetzte. Nach Einspruchseinlegung teilte der Kläger dem FA mit, dass hinsichtlich der Steuerforderungen mit einer Quote nicht zu rechnen sei. Über ein Jahr später legte S vor dem Amtsgericht die eidesstattliche Versicherung ab. Schließlich wies das FA den Einspruch unter nochmaliger Reduzierung der Haftungssumme als unbegründet zurück.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass es aufgrund der nicht gegebenen Quote an einem Interesse des Klägers fehle, die angemeldete Steuerforderung des FA gemäß § 144 Abs. 1 der Konkursordnung (KO) zu bestreiten und deren Feststellung zur Konkurstabelle zu verhindern. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, gegen den Feststellungsbescheid des FA vorzugehen, sei daher nicht anzuerkennen. Einem Konkursverwalter obliege es auch nicht, diesbezüglich die Interessen des Gemeinschuldners wahrzunehmen. Da der Gemeinschuldner von seiner ihm nach § 144 Abs. 2 i.V.m. § 164 Abs. 2 KO zustehenden Befugnis Gebrauch machen und die Forderung selbst bestreiten könne, fehle es an einem Bedürfnis für das Tätigwerden des Konkursverwalters. Dessen Aufgabe sei es nicht, wie der Kläger meine, „eine ganz oder teilweise objektiv unrichtige Haftungsforderung aus der Welt zu schaffen”.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, dass dem Konkursverwalter sehr wohl ein Rechtsschutzbedürfnis zuzuerkennen sei. Denn gemäß § 164 KO könnten nicht befriedigte Konkursgläubiger ihre Forderung nach Aufhebung des Konkursverfahrens unbeschränkt gegen den Gemeinschuldner geltend machen. Träfe die Rechtsauffassung des FG zu, würde der Konkursverwalter in jedem Konkursverfahren rechtlos gestellt, in dem auf die vom FA angemeldeten Forderungen voraussichtlich keine Quote entfalle. Darüber hinaus leide das erstinstanzliche Urteil an einem Verfahrensmangel, da sich das FG mit den Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides in keiner Weise auseinander gesetzt habe. Tatsächlich sei der Haftungstatbestand des § 71 AO 1977 im Streitfall nicht erfüllt, denn S habe ohne Hinterziehungsvorsatz gehandelt und die ihm vom FA vorgeworfenen Scheingeschäfte auch nicht getätigt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie den Feststellungsbescheid des FA in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Ein Interesse des Klägers sei deshalb nicht anzuerkennen, weil auf die Forderungen des FA keine Quote entfalle und die Klageerhebung somit nicht dem Konkurszweck, nämlich der größtmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, dienen könne. Das FG habe zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe eines Konkursverwalters sein könne, Interessen des Gemeinschuldners zu vertreten, die dieser auch gemäß § 144 Abs. 2 KO selbst wahrnehmen könne.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Entgegen der Rechtsauffassung des FG entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des Konkursverwalters und damit die Zulässigkeit einer gegen den Feststellungsbescheid gerichteten Klage nicht dadurch, dass auf die im Prüfungstermin bestrittene Forderung voraussichtlich keine Quote entfällt. Auch kann dem Konkursverwalter nicht das Interesse abgesprochen werden, die angemeldete Forderung im Prüfungstermin zu bestreiten und damit ihre Feststellung zu verhindern.
1. Gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 i.d.F. vom (BGBl I 1976, 613) ist die Finanzbehörde berechtigt, das Bestehen einer auf einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis beruhenden und im Prüfungstermin geltend gemachten, aber vom Konkursverwalter bestrittenen Konkursforderung mit der in § 147 KO bestimmten Rechtskraftwirkung durch besonderen Bescheid festzustellen (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II R 150/67, BFHE 118, 412, BStBl II 1976, 506, und vom V R 114/79, BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471). Der an den Konkursverwalter oder gegen den widersprechenden Gläubiger zu richtende Feststellungsbescheid kann mit dem Einspruch und der Klage vor dem FG angefochten und daraufhin überprüft werden, ob die angemeldete jedoch bestrittene Forderung besteht und ob die angemeldete mit der festgestellten Forderung übereinstimmt (vgl. Beermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 a.F. Rdnr. 199, sowie Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 Rdnr. 68).
a) Das Interesse des Konkursverwalters, im Prüfungstermin einer vom FA geltend gemachten Forderung zu widersprechen und gegen einen Feststellungsbescheid Rechtsbehelfe zu ergreifen, ergibt sich aus seiner besonderen Stellung und Verantwortung im Konkursverfahren über das Vermögen des Gemeinschuldners (§ 6 KO). Nach der in Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Amtstheorie (Schmidt, Insolvenzgesetze, Konkursordnung/Vergleichsordnung/Gesamtvollstreckungsordnung, 17. Aufl., § 6 KO Anm. 2a) ist der mit eigenen Rechten ausgestattete Konkursverwalter ein im eigenen Namen und im Interesse aller Konkursbeteiligten handelnder Amtstreuhänder, der für sein Handeln allen Beteiligten verantwortlich ist und in diesem Rahmen auch Haftungsansprüchen ausgesetzt sein kann (§ 82 KO, §§ 69, 34 Abs. 3 AO 1977). Der Konkursverwalter tritt in die Rechte und Pflichten —einschließlich der steuerlichen Pflichten— des Gemeinschuldners ein. In diesem Rahmen kann von ihm auch die Berichtigung von Steuererklärungen verlangt werden, die vom Gemeinschuldner für die Zeit vor der Eröffnung des Konkursverfahrens abgegeben worden sind. Gegebenenfalls kann für ihn sogar die Pflicht bestehen, sich gegen einen Steuerbescheid zur Wehr zu setzen und entsprechende Rechtsbehelfe einzulegen.
Hinsichtlich der im Prüfungstermin von den Finanzbehörden geltend gemachten Forderungen ist zu berücksichtigen, dass ein Nicht-Bestreiten für den Gemeinschuldner aber auch für den Konkursverwalter weitreichende Folgen haben kann. Denn die Eintragung in die Konkurstabelle kommt in ihrer Rechtswirkung einer Steuerfestsetzung gleich, gegen die ein Rechtsbehelf nicht mehr gegeben ist. Ohne erneut einen Steuer- bzw. Haftungsbescheid erlassen zu müssen, kann die Finanzbehörde nach Beendigung des Konkursverfahrens gegen den Gemeinschuldner die Vollstreckung betreiben (§ 164 Abs. 2 KO). Damit erlangt die unwidersprochen gebliebene Feststellung eines Anspruches als Konkursforderung gegenüber allen Konkursgläubigern wie auch gegenüber dem Gemeinschuldner die Wirksamkeit eines rechtskräftigen Urteils bzw. eines Vollstreckungstitels.
Aufgrund seiner Stellung und besonderen Verantwortung im Konkursverfahren kann dem Konkursverwalter schwerlich ein Interesse daran abzusprechen sein, im Prüfungstermin Forderungen, deren Rechtmäßigkeit er in Zweifel zieht, auch dann entgegen zu treten, wenn ihre Realisierbarkeit im und nach Beendigung des Konkursverfahrens nahezu aussichtslos erscheint. Nach der Rechtsauffassung des FG müsste er auch eine offensichtlich unbegründete Forderung unwidersprochen lassen und damit „sehenden Auges” die Rechtskraftwirkung des Tabelleneintrags und damit die Schaffung eines Vollstreckungstitels —auch zum Nachteil des Gemeinschuldners— hinnehmen. Dies widerspricht jedoch seiner Pflicht, die Masse vor unberechtigten Angriffen zu schützen (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl., § 6 Rdnr. 41). Denn gemäß § 3 Abs. 1 KO dient die Konkursmasse nur der Befriedigung von begründeten Vermögensansprüchen an den Gemeinschuldner. Aufgrund der mit seiner Tätigkeit verbundenen Gefahr, sich infolge seines Handelns oder Unterlassens haftungsrechtlichen Ansprüchen auszusetzen, kann dem Konkursverwalter nicht verwehrt werden, den aus seiner Sicht sichersten Weg zu wählen. Dies schließt auch einen Widerspruch gegen angemeldete Forderungen ein, auf die voraussichtlich keine Quote entfallen wird. Denn eine zuverlässige Aussage über den endgültigen Bestand der zur Aufteilung gekommenen Konkursmasse wird sich erst nach Abschluss des Konkursverfahrens treffen lassen.
b) Überdies ist zu bedenken, dass bei überhöhten Anforderungen an den Nachweis eines Rechtsschutzbedürfnisses die Gefahr bestünde, dass die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zu gewährleistende Gerichtsschutzgarantie in einer grundrechtsverletzenden Weise eingeschränkt werden könnte (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 244, m.w.N.). Nach Auffassung des Senats kann deshalb das Maß der Wahrscheinlichkeit, dass eine durch einen Akt der öffentlichen Gewalt gegen den Gemeinschuldner geltend gemachte Forderung im Konkursverfahren auch erfolgreich realisiert werden kann, nicht zugleich das Rechtsschutzbedürfnis des Konkursverwalters bestimmen und damit über die Zulässigkeit eines von ihm eingelegten Rechtsmittels entscheiden. Unabhängig von der im Einzelfall voraussichtlich gegebenen Realisierbarkeit der Forderung ist ihm die Möglichkeit zu eröffnen, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns gerichtlich überprüfen zu lassen.
2. Das Rechtsschutzbedürfnis des Konkursverwalters ist im Streitfall auch nicht deshalb zu verneinen, weil der Gemeinschuldner von seinem Recht aus § 144 Abs. 2 KO hätte Gebrauch machen und die vom FA zur Konkurstabelle angemeldete Forderung im Prüfungstermin selbst hätte bestreiten können. Ein solcher Widerspruch hätte das FA lediglich daran gehindert, nach Aufhebung des Konkursverfahrens gemäß § 164 Abs. 2 KO aus der Eintragung in der Tabelle in das konkursfreie Vermögen des Gemeinschuldners zu vollstrecken. Die Feststellung der Forderung zur Konkurstabelle hätte ein solcher Widerspruch indes nicht verhindern können (vgl. , BFHE 124, 6, BStBl II 1978, 165). Eine solche Feststellung ist jedoch —wie bereits aufgezeigt— mit weitreichenden Folgen verbunden, die sich nachteilig auf die vom Konkursverwalter zu schützende Konkursmasse auswirken können. Deshalb kann dem FG nicht darin gefolgt werden, dem Konkursverwalter unter Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit des Gemeinschuldners das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen.
3. Da das FG seiner Entscheidung eine vom erkennenden Senat abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt hat, war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, denn das FG hat sich noch nicht mit den Einwendungen des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides auseinander gesetzt. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2005 S. 225 Nr. 8
BFH/NV 2005 S. 1095 Nr. 7
OAAAB-52033